Hans-Grahl-Weg
Neustadt (2008): Hans Grahl (30.3.1895 Braunschweig -31.8.1966 Berlin), Opernsänger.
Hinter den schlichten Bürohochhäusern an der Esplanade 39, dort wo einst das Embden-Palais stand, führt der Hans-Grahl-Weg zum Gustav-Mahler-Park. Der Heldentenor Hans Grahl „ist eines der prominentesten homosexuellen NS-Opfer aus Hamburg. Von 1930 bis zu seiner Verurteilung 1937 war er Ensemblemitglied der Staatsoper und sang vor allem die großen Wagnerpartien. Zeitweilig war er der Einzige, der den Tristan an den großen Bühnen des Deutschen Reiches sang. Am 19. Januar 1937 geriet er durch den Schauspieler Peter Schröder, der wegen Vergehens nach §?175 festgenommen worden war, in das Visier der Gestapo. Dieser gab Hans Grahl als einen seiner Partner an. Die beiden hatten sich auf der Terrasse des Alsterpavillons kennengelernt und sich ein paar Mal getroffen, wobei es zwischen ihnen zu ‚unsittlichen Handlungen‘ gekommen war. Im Gegensatz zu nicht-prominenten Männern sah die Gestapo bei Grahl zunächst von der Bearbeitung der Bezichtigungen ab. Am 12. April 1937 wurde dann aber auch Hans Grahl zum polizeilichen Ermittlungsfall. Nach einer Hausdurchsuchung erfolgte seine Vernehmung im Stadthaus.
Hans Grahl wurde am 30. März 1895 als Sohn des Opernsängers Maximilian Grahl [1854–1944] und seiner Frau Margarethe in Braunschweig geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums absolvierte er eine Drogistenlehre und war bis zum Ersten Weltkrieg als Kaufmann tätig. Von August 1914 bis November 1918 diente er als Freiwilliger an der Front. Anschließend heiratete er Cläre (Kläre) Falke. Nach Beendigung des Krieges studierte er Gesang am Konservatorium in Dresden. 1921 gab er sein Debut als Tenor am Städtischen Theater in Leipzig. Anschließend hatte er Engagements am Landestheater Weimar und in Darmstadt. 1929 übernahm er die Tenorpartie bei der Uraufführung von Kurt Weills [1900–1950] ‚Berliner Requiem‘ durch das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt. Am 12. Februar 1929 debütierte er am Hamburger Stadttheater. Daraufhin wurde er an diesem Haus fest engagiert. Mit brutto 2500 RM im Monat verdiente er mehr als der Intendant und der Generalmusikdirektor. Als Heldentenor sang er hier fast alle Partien seines Fachs. Dazu gehörten die großen Wagner-Partien Lohengrin, Parsifal, Tannhäuser, Rienzi, Siegfried, Siegmund und Tristan. 1932 wirkte er neben Max Lohfing [1870–1953] und Mathieu Ahlersmeyer [1896–1979] in ‚Der Evangelimann‘ von Wilhelm Kienzl [1857–1941] mit. Außerdem war er als Max in Carl Maria von Webers [1786–1826] ‚Der Freischütz‘ und als Florestan in Ludwig van Beethovens [1770–1827] ‚Fidelio‘ zu erleben. Drei Ausflüge machte Hans Grahl ins italienische Fach: 1931 sang er den Radames in Verdis [1813–1901] ‚Aida‘, 1936 den Canio in [Ruggero] Leoncavallos [1857–1919] ‚Bajazzo‘ und übernahm die Titelpartie bei der deutschen Erstaufführung der Oper ‚Fra Gherardo‘ von [Ildebrando] Pizzetti [1880– 1968]. 1936 wurde ihm der Titel Kammersänger verliehen. Hans Grahl sang auch als Gast im In- und Ausland, zum Beispiel bei den Salzburger Festspielen (1933), an den Opernhäusern in Philadelphia (1934) und Monte Carlo (1937), am Théâtre de la Monnaie in Brüssel (1938), an der Wiener Staatsoper (1934, 1939) und am Teatro Liceo in Barcelona (1940).395) Mit Ausnahme der Reichstheaterkammer gehörte er keiner NSDAP-Organisation an. Am 13. April 1937 wurde Hans Grahl wegen Verdunklungsgefahr und wegen der zu erwartenden hohen Strafe verhaftet. Der Richter Dr. Günther Riebow [1901–1980, ab 1933 Mitglied der NSDAP, bis 1939 einer der Hauptverantwortlichen bei der Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg, ab 1939 Notar, 1953 Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft, 1954 zum Landgerichtsdirektor ernannt] verurteilte ihn am 4. Mai 1937 wegen fortgesetzten Vergehens nach §?175 RStGB zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe. Riebow bezeichnete ihn als ‚erfahrenen‘ Homosexuellen, beschuldigte ihn, mit einem jungen Opernsänger, der wegen Vergehens nach § 175 RStGB verurteilt worden war, eng befreundet gewesen zu sein, und warf Grahl vor, ‚eine Nacht mit ihm zusammen in einem Zimmer geschlafen‘ zu haben. Strafverschärfend wirkte sich aus, dass der verheiratete Hans Grahl kein ‚Reinhomosexueller‘ sei. Eine Woche nach der Urteilsverkündung wurde Hans Grahl in das Strafgefängnis Glasmoor eingeliefert, wo er in der Anstaltsgärtnerei arbeiten musste. Außer seinem Rechtsanwalt setzte sich auch [Heinrich] Karl Strohm [1895–1959], der Intendant der Hamburgischen Staatsoper, für seine vorzeitige Freilassung ein. Dieser sah als Ursache für Grahls gleichgeschlechtliche Kontakte eine depressive und nervöse Stimmung, in Folge einer längeren Krankheit. Schließlich waren die Gnadengesuche von Hans Grahl und seiner Ehefrau erfolgreich. Der Gefängnisvorsteher von Glasmoor befürwortete einen Straferlass von zwei Monaten, weil der Inhaftierte ‚fleißig‘ war und ihn der ‚Ausschluß aus der Reichstheaterkammer getroffen‘ habe. Nach Ablauf der Bewährungsfrist am 31. August 1937 wurde Grahl die Reststrafe von 61 Tagen erlassen. Nach seiner Freilassung ist Hans Grahl nie wieder in Hamburg aufgetreten. Er emigrierte nach Prag, wo er zwei Jahre lang zum Ensemble des Deutschen Theaters gehörte. Zurück im Deutschen Reich wurde er wieder in die Reichstheaterkammer aufgenommen und trat bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs am Opernhaus in Breslau auf. Ende 1939 bis 1941 gastierte er bei den Festspielen im besetzten Danzig als Siegmund, Tannhäuser, Erik und Walther von Stolzing. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ging Grahl nach Berlin, wo er 1946 und 1947 an der Staatsoper auftrat und sich als Gesangslehrer betätigte. Zu seinen Schülern gehörten u.?a. Margarethe Klose [1899/ 1902–1968], Ernst Krukowski [1918–1982] und Ludwig Suthaus [1906–1971], für den er 1947 als Pedro in Eugen d’Alberts [1864–1932] ‚Tiefland‘ an der Städtischen Oper Berlin einsprang. Hans Grahl starb am 31. August 1966 im Alter von 71 Jahren in Berlin.
Ob Grahls Stigmatisierung als vorbestrafter ‚Hundertfünfundsiebziger‘ daran schuld war, dass es von ihm keine Schallplattenaufnahmen gibt, kann nicht mehr geklärt werden. Lediglich ein fragmentarischer Live-Mitschnitt der Parsifal-Aufführung an der Wiener Staatsoper vom 6. April 1939 unter Hans Knappertsbusch [1888–1965] vermittelt einen Eindruck von seiner Stimme.
Auf Initiative des Psychotherapeuten Uli Rimmler und politisch durchgesetzt von dem GAL-Bürgerschaftsabgeordneten Farid Müller (geb. 1962) und dem GAL-Bezirksabgeordneten Jörg Ebel (geb. 1968) beschloss die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte am 13. November 2007 einstimmig, dass der Grünweg im Gustav-Mahler-Park den Namen Hans-Grahl-Weg tragen soll.“ Im Mai 2010 war es dann so weit, der Hans-Grahl-Weg wurde eingeweiht.
Text mit freundlicher Genehmigung der Autoren aus: Bernhard Rosenkranz/Ulf Bollmann/Gottfried Lorenz: Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919–1969, Hamburg 2009, S. 88–90.