Annie-Kienast-Straße
Langenhorn, seit 2015, benannt nach Annie Kienast (15.9.1897 Hamburg–3.9.1984 Hamburg), Verkäuferin, später Abteilungsleiterin, ab 1918 Mitglied der SPD und einer Gewerkschaft, 1934 aus politischen Gründen bei der PRO entlassen, 1946–1949 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft (SPD); Verfolgte des Nationalsozialismus
Vorher hieß die Straße Konjetznystraße, benannt 1961 nach Georg Ernst Konjetzny (1880-1957), Chef der Chirurgie des UKE. Wegen seiner NS-Belastung wurde die Straße in Annie-Kienast-Straße umbenannt. In Wikipedia heißt es über seine NS-Belastung: „In der Zeit des Nationalsozialismus wurde er 1933 Mitglied der SA. 1934 trat er zusätzlich als förderndes Mitglied der SS bei. (…) 1936 trat er dem NS-Dozentenbund und 1937 der NSDAP bei. Seit 1936 war er Beratender Chirurg der Wehrmacht. Seit 1940 gehörte er dem Senat der Kolonialärztlichen Akademie der NSDAP an.“[1]
Annie Kienast's Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof.
Sie wuchs mit fünf Geschwistern im Arbeitermilieu auf – der Vater war Kesselschmied, die Mutter ein ehemaliges Dienstmädchen, beide SPD-Mitglieder.
Annie Kienasts Bildungslaufbahn entsprach dem eines Mädchen aus der Arbeiterschicht: Volksschule, danach Lehre als Textil-Verkäuferin.
Geprägt durch ihre Eltern wurde auch Annie Kienast Mitglied der SPD und der Gewerkschaft. Da war sie 21 Jahre alt. Ihr Hauptinteresse galt der Gewerkschaftsarbeit. Ihr widmete sie ihre ganze Aufmerksamkeit und Kraft – und blieb unverheiratet. Aktiv war sie im Zentralverband der Handlungsgehilfen (ZdH) bzw. dessen Nachfolgeorganisation, dem Zentralverband der Angestellten (ZdA).
1918 war Annie Kienast eine der Organisatorinnen des ersten Streiks der Hamburger Warenhausangestellten. Darüber erzählte sie: „Es war einige Tage nach dem 9. November 1918. In Schlagzeilen zeigte das Flugblatt eine öffentliche Versammlung für die Waren und Kaufhausangestellten an: Wir fordern bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen! Wir fordern gleiche Bezahlung für Frauen und Männer! Wir fordern 7-Uhr Ladenschluß am Sonnabend! Referent: Kollege John Ehrenteit
Die Versammlung fand im großen Saal des Gewerkschaftshauses in Hamburg statt. Tausende von Einzelhandelsangestellten sind damals diesem Ruf gefolgt. Natürlich, ich war auch dabei (...) Eine Tarifkommission wurde gewählt. Die Versammlung zog sich bis nach Mitternacht hin, vor Begeisterung hatte ich es nicht gemerkt (...) .
Es ging ans Werk. Der Tarifvertragsentwurf wurde ausgearbeitet und beraten. Wir zogen in die Verhandlung mit den Arbeitgebern; aber kein Baum fällt auf den ersten Hieb. Darum wurde verhandelt, vertagt und berichtet. Kurzfristig wurde die Kollegenschaft abermals zur Versammlung eingeladen; einmütig wie in der ersten stand sie zur Sache! Die Arbeitgeber erklärten, wenn unsere Forderungen Wirklichkeit würden, müßten sie ihre Geschäfte schließen.
Im Februar 1919 wurden die Verhandlungen abgebrochen. Als letztes gewerkschaftliches Kampfmittel wurde der Streik beschlossen und angewandt, er dauerte sechs Tage. Die Einmütigkeit und Entschlossenheit führten zum Erfolg: bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen, gleiche Bezahlung für Frauen und
Männer, 7-Uhr-Ladenschluß am Sonnabend. Das war mein erstes gewerkschaftliches Erlebnis (...).“[2]
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Die Quittung für ihr Engagement war: Annie Kienast wurde entlassen, konnte aber gleich darauf bei der ZdA-Hamburg anfangen zu arbeiten, wo sie von 1919 bis 1921 tätig war. Zwischen 1921 und 1933 arbeitete sie dann als Warenhausverkäuferin im Konsum-, Bau- und Sparverein "Produktion" und war gleichzeitig Mitglied des Gesamtbetriebsrates der "Produktion" und damit eine der wenigen Frauen, die in einem Hamburger Betriebsrat saßen. Als Gewerkschafterin kümmerte sie sich sehr um die Probleme der erwerbstätigen Frauen.
Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen: „verlor [ich] 1933 meine Stellung und war dann bis 1935 arbeitslos. Dann bekam ich eine Anstellung bei der Defaka. 1943 mußte ich zum Chef kommen. Der Chef hat gesagt: 'Frau Kienast, zum zweiten Mal wird mir mitgeteilt, sie halten in der Kantine kommunistische Reden!' Ich sag: 'Nein' und daß das eine Verleumdung ist. Aber das war außerordentlich gefährlich! Ein Jahr später mußte ich wieder zum Chef. Da war die Vertreterin von der NS-Frauenschaft gestorben, und da sagt der Chef zu mir: 'Wir möchten gerne, daß Sie die Stellung von Valeska übernehmen'. Das müßt Ihr Euch mal vorstellen, wie schwer das ist, sich da rauszuwinden! Da hab ich gesagt: 'Das tut mir furchtbar leid, das kann ich nicht. Ich muß meine armen, alten Eltern betreuen. Ich muß abends immer sofort nach Hause.' 'Nein, das brauchen sie nicht, wir stellen ihnen 'ne Frau, die immer bei ihren Eltern ist'. Und da sage ich: 'Nein, das tut mir furchtbar leid, aber das würden meine Eltern nicht durchhalten.' Und da bin ich so davon gekommen."[3]
Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Annie Kienast im Oktober 1946 in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt, der sie bis Oktober 1949 angehörte. In der Nachkriegszeit war sie Mitbegründerin der DAG und gehörte bis 1957 dem Hauptvorstand an.
Text: Dr. Rita Bake