Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Heinickestraße

Eppendorf (1880 und 2023): Samuel Heinicke (10.4.1727 Nautschütz/Kursachsen – 29.4.1790 Leipzig), Pädagoge, „Erfinder“ der deutschen Methode der Gehörlosenpädagogik. Mitbenannt 2023 nach seiner Ehefrau Anna Catharina Elisabeth Heinicke, geb. Kludt, verwitwete Morin (1757-1840), erste Direktorin einer Gehörlosenschule in Deutschland


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Denkmal für Samuel Heinicke im Seelemannpark in Hamburg Eppendorf zwischen Heilwigstraße und Alster; Quelle: Günter Stello

Im Wikipedia Eintrag zu Samuel Heinicke heißt es über seine Herkunft: „Samuel Heinicke war der Sohn des Anspänners und Gerichtsschöffen Samuel Heinicke (1697–1752) und der Rosina, geb. Thieme (1707–1770).“ 1)

Die Historikerin und Archivarin Iris Groschek dazu: „Am 10. April 1727 wurde Samuel Heinicke in dem kleinen kursächsischen Nautschütz bei Zschorgula, Kreis Weißenfels als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Er wuchs auf dem elterlichen Hof auf und besuchte die Dorfschule. Da er begabt war, schlugen Lehrer und Pastor Heinickes Vater vor, den Sohn studieren zu lassen. Doch der Vater lehnte dies ab, da der Sohn Bauer werden und den Hof übernehmen sollte. Anscheinend wehrte sich Heinicke immer wieder gegen die Autorität des Vaters, letztendlich ging er infolge einer unglücklichen Liebe; es heißt, er wehrte sich gegen eine vom Vater gewünschte Heirat nach Dresden, wo er in den Dienst der Leibgarde des Kurfürsten Friedrich August II von Sachsen (1733-1763) trat.“ 2)

Doch dies reichte Heinicke nicht. Iris Groschek schreibt dazu: „Nebenbei bildete Heinicke sich autodidaktisch, wie es zu der Zeit durchaus üblich war, in verschiedene Richtungen weiter. Da es im Leibheer manchmal monatelang keinen Sold gab, versuchte sich Heinicke, der mehrere Streichinstrumente spielte, als Musiker sowie als Lehrer für Schreiben und Musik.“ 3)

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DDR-Briefmarke aus dem Jahre 1978; Quelle: via Wikimedia Commons

Zu seiner Spezialisierung auf die Unterrichtung von Gehörlosen kam Heinicke wie von Iris Groschek wie folgt beschrieben: „Die Legende will es so, daß Heinicke, als er im Park von Dresden spazieren ging, auf eine Förstersfrau mit ihren zwei Söhnen traf, von denen der eine gehörlos war. Dieser hatte im Spiel aus Versehen seine Sandburg zertreten und beschuldigte nun seinen Bruder. Heinicke aber zeigte auf den schuldigen Jungen und sagte: ‚Du!‘ und lockte so aus dem Jungen dieses Wort hervor, worauf die Mutter ihren gehörlosen Jungen zum Unterricht zu Heinicke gab. Auf diese oder ähnliche Weise bekam er einen gehörlosen Jungen zum Unterricht, den er nach dem 1692 erschienenen Lehrbuch des Schweizer Arztes Johann(es) Conrad Amman (1669-1724), (…) in der Lautsprache unterrichtete.“ 4)

Doch bevor Heinicke vollends Lehrer wurde, musste er zuerst einmal seinen Militärdienst quittieren. Doch damals: „brach 1756 der siebenjährige Krieg aus, weshalb ihm der Abschied aus dem Militärdienst verweigert wurde. Die Niederlage des sächsischen Heeres bei Pirna im Oktober desselben Jahres brachte Heinicke in preußische Kriegsgefangenschaft. Da er dort zwangsweise zum preußischen Militär eingezogen werden sollte, floh er nach Jena und immatrikulierte sich an der dortigen Universität. Er studierte Philosophie, Mathematik und Naturlehre. Doch auch dort wähnte er sich nicht sicher, so daß er; inzwischen [seit 1754] verheiratet mit Johanna Maria Elisabeth Kracht (beerdigt 12.11.1778); im Sommer 1758 mit Frau und Sohn nach Hamburg ging,“ 5) so Iris Groschek. Das Paar bekam im Laufe ihrer Ehe fünf Kinder.

Um 1760 erhielt er die Stelle eines Hauslehrers im Schloss Ahrensburg beim dänischen Lehnsgrafen, Spekulanten, Sklaven- und Waffenhändler H. C. Schimmelmann.

Im Hamburg Lexikon heißt es über den beruflichen weiteren Werdegang von Heinicke: „Zum 1.1.1769 trat er die mit dem Organisten- und Schulmeisteramt verbundene Stellung eines Kantors der St. Johanniskirche in Eppendorf an. An der Dorfschule wandte er erfolgreich die von ihm entwickelte ‚Lautiermethode‘, eine artikulierte Lautsprache, an“ 6). Auch dort hatte er mehrere gehörlose Kinder zu unterrichten. Diese wohnten bei ihm in der Küsterei und so hatte Frau Heinicke sicherlich neben ihrer Aufgabe als Mutter, Hausfrau und Ehefrau noch die Versorgung und Betreuung dieser Kinder zu übernehmen.

Durch den Unterricht, den Heinicke der „Baronesse Dorothea von Vietinghoff (1761–1839), der Schwester der legendären Juliane von Krüdener und Tochter eines der reichsten Männer Russlands, [zu Teil werden ließ und] die durch ihr schnelles Auffassungsvermögen und ihre Intelligenz hervortrat, (…) wurde der Heinickeschen Schule größere Aufmerksamkeit zuteil und Heinicke nutzte dies mit Veröffentlichungen zu seiner Unterrichtsmethode.“ 7)

Iris Groschek berichtet über Heinickes neue Lehrmethoden: Heinicke „war aber nicht nur mit seinem Aufsehen erregenden Gehörlosenunterricht inzwischen in Hamburg bekannt geworden, sondern auch mit seiner eigenen Lehrmethode, der ‚Lautiermethode‘, die er als Schulmeister bei den Eppendorfer Dorfschulkindern ausprobierte und mit der er große Lernerfolge erzielte. Nicht das Buchstabieren und Auswendiglernen ganzer schwieriger Texte wie des Katechismus, wie damals üblich, sondern das Erkennen von Silben und darauf von Wörtern und somit das Begreifen zuerst einfacher Texte sollte Ziel des Unterrichts sein. Seine Methode fand Nachahmer und zeigte Wirkung. In seinen pädagogischen Aufsätzen zeigte Heinicke; in manchmal recht drastischer Wortwahl; die bestehende Not des Schulwesens und der Lehrerbildung auf und brachte konstruktive Kritik ein. Er forderte eine Umorganisation des Schulwesens und eine bessere Ausbildung für die Lehrer.“ 8)

Heinicke setzte sich für eine bessere Volksbildung ein und fand darin Unterstützer: So: „diskutierte Heinicke wahrscheinlich auch mit dem Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803), der seit 1770 in Hamburg lebte, und dem Verfechter der plattdeutschen Sprache Johann Heinrich Voß (1751-1826). Alle drei fühlten sich verbunden, nicht nur in den großen Idealen der Aufklärung, sondern sie interessierten sich auch für die Sprache des Volkes. So vertonte Heinicke um 1775 das plattdeutsche Gedicht Klopstocks ‚an dütsche Deeren‘, dessen erste Fassung ‚Vom deutschen Mädchen. Vaterlandslied‘, das Klopstock 1770 für seine Nichte und spätere Ehefrau Johanna von Wintherm (1747-1821) geschrieben hatte, Heinicke schon 1770 vertont und unter seinen Schülern in der Dorfschule hatte singen lassen, ‚wenn sie recht fleißig waren‘,“ 9) schreibt Iris Groschek.

Aber grundsätzlich blieb die Unterrichtung der „Taubstummen“ Heinickes Spezialgebiet. „Das Eppendorfer Institut war eine Sehenswürdigkeit und wurde oft von Fremden besucht. Heinicke wies mit seinem privaten Unterricht nach, daß gehörlose Menschen ebenso lern- und bildungsfähig sind, wie hörende Menschen, daß das fehlende Gehör kein Hinweis auf fehlende Intelligenz ist. Doch seine Arbeit mit den gehörlosen Kindern brachte nicht nur Beifall, im Gegenteil: ‚Entstummen‘ bedeutete für einige gläubige Menschen einen Eingriff in die göttliche Weltordnung. Pastoren wetterten in Hamburg von der Kanzel gegen diese Gottlosigkeit. Besonders der Eppendorfer Ortspfarrer Johann Daniel Granau (1722-1793) gehörte zu Heinickes erklärten Gegnern.“10)

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Anna Catharina Elisabeth Heinicke im Alter von 64 Jahren. Ölporträt von Wilhelm Gottfried Bauer (1779–1853); Quelle: gemeinfrei, via Wikimedia Commons

Im Oktober 1777 legte Heinicke sein Amt als Kantor nieder und arbeitete nun nur noch als Lehrer für Gehörlose. „Im selben Monat noch zog Heinicke mit seinen eigenen Kindern und den gehörlosen Schülerinnen und Schülern nach Hamburg und heiratete dort am 8. Januar 1778, drei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau, die 20jährige Anna Catharina Elisabeth, geborene Kludt, verwitwete Morin (1757-1840) aus Jüthorn bei Wandsbek, die Schwester von zwei gehörlosen Brüdern, die Heinicke unterrichtet hatte. (…).“ 11) Sie war die Tochter des Arbeiters Simon Kludt und dessen Ehefrau Elisabeth Hendel. Im Alter von achtzehn Jahren hatte Anna Catharina Kludt geheiratet, war aber bereits nach einem Jahr Ehe 1776 Witwe geworden.

Im April 1778 ging das Ehepaar mit seinen inzwischen neun Zöglingen nach Leipzig, einem Ruf des Kurfürsten von Sachsen folgend. Mit dem Weggang nach Leipzig verlor Hamburg für viele Jahre seine Ausbildungsstätte für Gehörlose.

In Leipzig gründete Heinicke die erste staatliche Gehörlosenschule, die ab 1782 rechtlich der Universität Leipzig unterstellt war. Anna Catharina Elisabeth Heinicke gebar zwischen 1778 und 1788 drei Kinder, besorgte den großen Haushalt, zu dem auch die Schülerinnen und Schüler gehörten, unterrichtete die Schülerinnen in Handarbeiten und übernahm die Lehrmethoden ihres Mannes.
Als Samuel Heinicke im April 1790 starb, blieb seine Familie unversorgt. Anna Catharina Heinicke bewarb sich mehrmals schriftlich beim Kurfürsten Friedrich August III. um die Direktion der Schule. Auch der bei Heinickes angestellte Hilfslehrer August Friedrich Petschke (1759-1822) bewarb sich um die Schulleitung. Schließlich erhielt Anna Catharina Heinicke im Oktober 1790 die Erlaubnis zur Leitung der Schule, allerdings musste sie sie mit dem Hilfslehrer Petschke teilen.

Da Petschke die Ehe mit Anna Catharaina Heinicke eingehen wollte, sie daran aber nicht interessiert war, wurde die Zusammenarbeit schwierig. Um die Konflikte beizulegen, wurde Anna Catharina Heinicke 1792 per kurfürstlichem Dekret zur alleinigen Leiterin der Schule ernannt und Petschke zum ersten Lehrer. Damit war sie die erste Direktorin einer Gehörlosenschule in Deutschland. Dieses Amt bekleidete sie 38 Jahre lang. Sie trug die wirtschaftliche wie auch personelle Verantwortung und war für die pädagogische Ausrichtung zuständig. Sie leitete die Schule zwar nach den von ihrem Mann entwickelten Lehrmethoden, entwickelte den Lehrbetrieb aber auch weiter. So wurde die Schulzeit für die gehörlosen Kinder verlängert, damit sie die Möglichkeit erhielten, das Gelernte zu festigen.

Auch über den Weg ins Berufsleben der Gehörlosen machte sich Anna Catharina Heinicke Gedanken und erwirkte 1810, dass Lehrherren, die einen Gehörlosen als Lehrling aufnahmen, einmalig 50 Taler erhielten. 1818 richtete sie in der Schule eine Sonntagsschule für gehörlose Erwachsene ein, die dort Weiterbildung und gesellige Zusammenkünfte erfuhren.

Dank einer Stiftung der Witwe Luise Carl (1762-1815) in Höhe von 40.000 Talern, war Anna Catharina Heinicke in die Lage versetzt worden, 1821 erstmals ein eigenes Gebäude für die Schule, in der damals 38 Schülerinnen und Schüler unterrichtet wurden, zu erwerben. Bis dahin war die Schule in angemieteten Wohnungen untergebracht gewesen, was zur Folge hatte, dass bei wachsender Schülerzahl mehrmals umgezogen werden musste.

1828 beging die Gehörlosenschule ihr 50-jähriges Bestehens und Anna Catharina Heinicke ihr 50-jähriges Dienstjubiläum. Als Anerkennung für ihre Leistung erhielt sie einen Brillantring des Königs überreicht. Mit 71 Jahren beantragte sie ihre Pension von 400 Talern jährlich und empfahl als ihren Nachfolger den Lehrer Carl Gottlob Reich (1782–1852), der seit 1810 an der Schule angestellt und mit einer ihrer Töchter verheiratet war.

1829 wurde Anna Catharina Heinicke pensioniert, erhielt aber nicht die von ihr geforderten 400 Taler, sondern nur 300 Taler. Sie blieb im Schulgebäude wohnen. 12)