Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Julius-Brecht-Straße

Osdorf (1965): Dr. Julius Brecht (6.2.1900 Ühlingen -10.7.1962 Köln), Abgeordneter (SPD) der Hamburgischen Bürgerschaft von 1949-1953, Mitglied des Bundestages, Vorsitzender des Vorstandes und Verbandsdirektor des Gesamtverbandes des gemeinnützigen Wohnungsunternehmens.


Im September 2020 berief die Behörde für Kultur und Medien eine Kommission aus acht Expertinnen und Experten, die Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg entwickeln und Empfehlungen zu möglichen Umbenennungen aussprechen sollte.
Zur Julius-Brecht-Straße gab die Kommission im März 2022 die Empfehlung: Umbenennung mit folgender Begründung: „Durch die beruflich betriebene ‚Arisierung‘ forcierte Brecht die aktive Vertreibung jüdischer Bewohner aus Genossenschaftswohnungen. In Rede und Schrift stellte Brecht seine Tätigkeit in den Kontext des NS-Regimes, bekannte sich zum ‚Führer‘ und legitimierte den Krieg. 1950 bestritt er in einem Wiedergutmachungsverfahren, in dem die Nachkommen der Geschädigten eine Rückerstattung ihres Eigentums forderten, eine Verantwortung des Reichsverbandes, es könne nicht die Rede davon sein, dass ‚der Kaufvertrag erzwungen‘ war. Seit 2015 wurde die nationalsozialistische Vergangenheit Brechts öffentlich thematisiert. Auch in anderen Städten kamen die dortigen Kommissionen zu dem Ergebnis, dass Julius Brecht nicht weiter mit einer Straßenbenennung geehrt werden könne. Eine Umbenennung ist geboten.“
www.hamburg.de/resource/blob/113960/c3f87dcaa1b971beaacba22c736c5a32/d-st-ueber-uns-verkehrsflaechen-empfehlungen-kommission-ns-belastete-strassennamen-data.pdf

Nach dem Studium der Rechts- und Staatswissenschaften und der Promotion 1921 zum Thema Wohnungswesen führte ihn sein beruflicher Weg über eine Banklehre in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft zu. 1927 wurde er zunächst Prokurist, dann Direktor der Westfälischen Heimstätte, 1935 Direktor der Saarpfälzischen Heimstätte und 1938 Leiter des Reichsverbandes des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens e.V. in Berlin. 1937 wurde er Mitglied der NSDAP. In diese Zeit fallen die Verschärfung antisemitischer Verdrängungsmaßnahmen auf dem Wohnungssektor und der Beginn der „Wohnraumarisierung“. Nach der Reichspogromnacht wurde die Mitgliedschaft von Juden in Genossenschaften verboten, der Reichsverband unter der Leitung Brechts wies darauf hin, schon lange auf eine solche Entscheidung hingearbeitet zu haben. Brecht war an der „Arisierung“ eines Grundstückes in Berlin beteiligt, deren jüdische Eigentümerinnen sich weigerten das Haus zu verkaufen und Suizid begingen. 1942 Mitglied des NSRB, August 1944 Berufung in den Reichsführungsstab des Deutschen Wohnungshilfswerks.1)

Verheiratet war Julius Brecht mit Margarete Elfriede Brecht (1913-1975).

Der Beirat „Namensgebende Persönlichkeiten“ der Landeshauptstadt Hannover für das Projekt „Wissenschaftliche Betrachtung von namensgebenden Persönlichkeiten“ gab am 1. Oktober 2015 für die sich in Hannover befindende 1963 benannte Julius-Brecht-Straße die Empfehlung: Umbenennung. In der Begründung heißt es: „Wirken nach der Machtübergabe 1933. Brechts Karriere setzte sich fort (Direktor/Saarpfälzische Heimstätte, Vorstand/Westfälische Bauvereinsbank). 1933 wurde er Leiter des Reichsverbandes des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens e. V. in Berlin. Brechts Amtsantritt fiel in die Zeit der beschleunigten Entrechtung jüdischer Mieterinnen und Mieter. Zunehmend betätigten sich die Organe der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft ‚als Multiplikatoren dieser Entwicklung‘ (Haerendel) und ausdrückliche Befürworter antisemitischen Vorgehens. In seiner Funktion wirkte Brecht auch durch Vorträge und Veröffentlichungen in den Verbandsorganen. Die geschickte Verknüpfung von Sachthemen der Wohnungswirtschaft mit dem nationalsozialistischen Gedankengut und Sprachduktus kennzeichnete seine Texte. Er bekannte sich eindeutig zur Ideologie des NS: ‚Juden gehören weder zur deutschen Volksgemeinschaft noch zu den deutschen Volksgenossen‘. Nicht namentlich gezeichnete Beiträge, die klar zu erkennen geben, dass die Vertreibung der jüdischen Mieterinnen und Mieter aus ihren gemeinnützigen Wohnungen schon lange angestrebt worden war, hatte Brecht (mit) zu verantworten.
Positionierung nach 1945:
Brechts NSDAP-Mitgliedschaft ist weder in Parlamentsbiographien noch in einschlägigen Handbüchern zu finden. Er konnte seine Karriere nach 1945 fast bruchlos fortsetzen; seine Verdienste um die Wohnungswirtschaft und seine wertvolle Mitarbeit als SPD-Mitglied in demokratischen Gremien sind unbestritten. Es ist nicht bekannt, dass sich Brecht in der Nachkriegszeit jemals öffentlich zu seiner Vergangenheit geäußert hat.

Fazit: Brecht unterstützte in seiner Funktion als Reichsverbandsleiter den Prozess der Entrechtung von Mietern jüdischer Herkunft. In dieser Funktion hatte er auch Kenntnis von allen Beiträgen der Zeitschriften des gemeinnützigen Wohnungswesens. Er trug als Herausgeber direkt oder indirekt die Verantwortung für diese Beiträge. Eigene Veröffentlichungen belegen seine ‚Führer-Verehrung‘ und die Identifizierung mit den Zielen des Nationalsozialismus. Damit beteiligte er sich aktiv am Unrechtssystem.“ 2)

1947, im selben Jahr als Brecht in die SPD eintrat, wurde er Verbandsdirektor des Gesamtverbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen in Hamburg-Altona. Diese Funktion übte er bis 1951 aus. Von 1949 bis 1953 fungierte er als SPD-Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft. 1951 wurde er Verbandsdirektor des Gesamtverbandes gemeinnütziger Wohnungsunternehmen in Köln. „Er war Lehrbeauftragter für Wohnungswesen und Wohnungswirtschaft an der Universität Köln, Mitglied der Gewerkschaft für Handel, Banken und Versicherungen, Mitglied des Zentralvorstandes des Internationalen Genossenschaftsbundes und Präsident der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft.“ 3)

Von 1957 bis zu seinem Tode 1962 gehörte er dem Deutschen Bundestag an und fungierte dort als stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Wohnungswesen, Bau- und Bodenrecht.

„Auf die Initiative von Julius Brecht hin wurde ein Fonds eingerichtet, aus dem heute Fortbildungsmaßnahmen für Nachwuchsführungskräfte der Wohnungswirtschaft gefördert werden. Seit 2004 wird an der EBZ-Business School, dem Europäischen Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft, zusammen mit dem GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen in Bochum die Julius Brecht Sommerakademie veranstaltet, um Nachwuchsführungskräfte mit namhaften Referenten auszubilden.“ 4)