Krellweg
Bergedorf/Lohbrügge (1955): Karl Reinhold Krell (2.11.1866 Strehla/Sachsen-3.2.1953 Hamburg), Amts- und Gemeindevorsteher in Lohbrügge
Reinhold Krell absolvierte in Dresden eine Bäckerlehre und kam über Zwischenstationen in Berlin und Altona nach Sande. Mit 22 Jahren übernahm er dort eine Bäckerei. Kurz zuvor war er einer Gewerkschaft beigetreten und solidarisierte sich mit der Arbeiterschaft. Die Bäckerei gab er allerdings nach einiger Zeit auf und wechselte von da häufig den Beruf. So arbeitete er als Ziegeleiarbeiter, Krämer, Schlosser sowie Gastwirt des heute nicht mehr existierenden Gasthofs „Stadt Schleswig“ an der Alten Holstenstraße, einem Treffpunkt der Arbeiterschaft. Außerdem leitete er zwei Filialen der sozialistischen Konsumgenossenschaft „Produktion“, erst in Bergedorf, dann in Hamburg. 1893, nach Aufhebung der „Sozialistengesetze“, wurde er SPD-Mitglied und zählte zu den Mitbegründern des Sander Ostsdistrikts, dem er bis 1919 auch vorsaß, sowie des Arbeitersportvereins Phönix, dessen Vorsitz er bis 1899 innehatte. Als 1895 aus den beiden Dörfern Lohbrügge und Sande die Gemeinde Sande gebildet wurde, stand Krell der SPD-Fraktion in der nach dem Drei-Klassen-Wahlrecht neu gewählten Gemeindevertretung vor. Nach und nach eignete er sich Kenntnisse auf allen Gebieten der Gemeindeverwaltung an und engagierte sich in diversen Kommissionen für die Fortentwicklung Sandes. 1918 wurde er einer der vier stellvertretenden Gemeindevorsteher der Ortschaft und schon im Jahr darauf selbst Gemeindevorsteher. Dieses Amt, das er hauptberuflich ausübte, hatte er bis zu seiner Pensionierung am 30.9.1931 inne. Mit zahlreichen Maßnahmen verbesserte er in den rund dreizehn Jahren, in der sich die Bevölkerungszahl Sandes verdoppelte, die Infrastruktur der Gemeinde. Unter anderem ließ er die Straßen An der Twiete, Hofweide und Sanmannreihe neu anlegen und mit gemeindeeigenen Wohnungen bebauen, trieb den Sielbau voran und initiierte den Bau des Sportplatzes ‚Sander Tannen‘ als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Für seine Verdienste um Sande erhielt er 1931 die Freiherr von Stein-Medaille. Anschließend wurde er noch Amtsvorsteher von Lohbrügge, eine Position, von der er 1933 zurücktrat. 1)
„Die nationalsozialistische Führung“, so das Bergedorfer Personenlexikon, entließ Krell nachträglich wegen ‚politischer Unzuverlässigkeit‘ (Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot_Gold und in der SPD), um seine Rente bis 1941 mehrfach kürzen zu können.“ 2)
Im Juni 1933 wurde zugleich die SPD verboten. Noch im selben Jahr trat Krell in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) ein und im Jahr darauf in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV). 3) Beides waren der NSDAP angeschlossene Verbände.
Die nach dem Führerprinzip aufgebaute DAF war nach Abschaffung der freien Gewerkschaften durch die Nationalsozialisten am 10.5.1933 gegründet worden und wurde im Oktober 1934 offiziell der NSDAP angeschlossen. Sie sollte keine Arbeitnehmerinteressen vertreten, sondern „den Klassenkampf beseitigen“. Ein Aufruf vom 27.11.1933 formulierte als Aufgabe der DAF „die Zusammenfassung aller im Arbeitsleben stehenden Menschen ohne Unterschied ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung. In ihr soll der Arbeiter neben dem Unternehmer stehen, nicht mehr getrennt durch Gruppen und Verbände, die der Wahrung besonderer wirtschaftlicher oder sozialer Schichtungen und Interessen dienen.“ Ihr Ziel sei „die Erziehung aller im Arbeitsleben stehenden deutschen zum nationalsozialistischen Staat und nationalsozialistischer Gesinnung“. 4)
Die NSV wiederum unterstand dem Hauptamt für Volkswohlfahrt bei der NSDAP-Reichsleitung und der Finanzaufsicht des NSDAP-Reichsschatzmeisters. Ihren Status und ihre Aufgabe schrieb Hitler im Mai 1933 in einer Verfügung fest: „Die NS-Volkswohlfahrt (e. V.) wird hiermit als Organisation innerhalb der Partei für das Reich anerkannt. Sie ist zuständig für alle Fragen der Volkswohlfahrt und Fürsorge und hat ihren Sitz in Berlin.“ 5) Die NS-Wohlfahrtspflege war unter anderem für das Hilfswerk „Mutter und Kind“, für Kindertagesstätten, die Jugendhilfe und das „Winterhilfswerk des Deutschen Volkes“ zuständig. Sie hatte die Erziehung der Bevölkerung zur „Volksgemeinschaft“ zum Ziel und war damit auch klar eugenisch orientiert. Dies formulierte der Leiter des NSV-Amtes für Wohlfahrtspflege und Jugendhilfe, Hermann Althaus, 1936 in seiner Schrift „Nationalsozialistische Volkswohlfahrt“ unmissverständlich: „Aus dieser weltanschaulichen Einstellung heraus ist eine Wohlfahrtspflege nationalsozialistischer Prägung grundsätzlich erbbiologisch und rassenhygienisch orientiert. (…) Sie übt keine aussichtslose, das Volksvermögen verschleudernde Fürsorge der Erbkranken, sondern eine aufbauende Vorsorge für die Erbgesunden. (…) Um der Gesunderhaltung unseres Volkes willen muss darum eine nationalsozialistische Volkswohlfahrt eine Befürwortung Minderwertiger ablehnen bzw. auf ein Mindestmaß einschränken unter gleichzeitiger Abdrosselung des kranken Erbstromes.“ 6)
1940 trat Reinhold Krell zudem dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) bei. 7) Das DRK zählte zu den „Sonstigen Organisationen“, deren Mitgliedschaft im Entnazifizierungsfragebogen der britischen Besatzer ebenfalls abgefragt wurde. Es war 1933 gleichgeschaltet worden, geschäftsführender Präsident war seit 1937 der SS-Oberführer Ernst Robert Grawitz 8), der als Reichsarzt SS mitverantwortlich zeichnete für Menschenversuche an KZ-Häftlingen. 9) Grawitz hatte die Hilfsorganisation zügig nach dem Führerprinzip umorganisiert und anschließend mitgeteilt: „Heute steht ein neues, schlagkräftiges Deutsches Rotes Kreuz, in soldatisch-straffer Form organisiert und nationalsozialistisch geführt, zu jedem Einsatz bereit.“ 10) So gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des DRK seit der Neuschaffung der Wehrmacht 1935 die Mobilmachung. Spätestens ab 1938 lässt sich zudem eine enge Verbindung der DRK-Führungsspitze zur SS feststellen: Von den 29 Mitgliedern der gesamten DRK-Führung waren 18 hohe SS-Führer. 11)
1941 endete nach Angaben von Reinhold Krell seine Mitgliedschaft bei der DAF; Mitglied der NSV und des DRK blieb er bis zum Ende des NS-Regimes 1945. 12)
„In den letzten Jahren vor seinem Tod war er ehrenamtlich im Sozialbereich für das Bezirksamt Bergedorf tätig.13) Er starb 1953 im AK Langenhorn, sein Grab befindet sich auf dem alten Lohbrügger Friedhof. 14)
Text: Frauke Steinhäuser