Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Lichtheimweg

Blankenese (1951): Georg Lichtheim (5.7.1865 Stettin - 5.9.1939), Direktor der Altonaer Gas- und Wasserwerke.


Die Straße wurde 1951 nach Georg Lichtheim benannt, weil er einst der Direktor der Altonaer Gas- und Wasserwerke gewesen ist. Seine ihn überlebende Ehefrau sowie sein Sohn Walter wurden in der NS-Zeit deportiert und ermordet. Für sie liegen Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohnhaus Palmaille 56. Auch nach diesen beiden Menschen könnte der Lichtheimweg mitbenannt werden, so dass damit auch an das die Familie Lichtheim zugefügte Leid erinnert wird.

Georg Lichtheim war der Sohn von Sophie Lichtheim, geborene Moses und des Kaufmanns Samson Lichtheim. Er wurde später Direktor der Altonaer Gas- und Wasserwerke. Im Alter von 54 Jahren heiratete er 1919 die damals 38-jährige Margarethe Monasch. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten als Direktor der Altonaer Gas- und Wasserwerke abgesetzt, wegen – so die damalige Begründung der Nationalsozialisten – „jüdischer Verschmutzung der Wasserwerke“. 1)

Margarethe Lichtheim, geb. Monasch (15.1.1881, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, ermordet am 15.5.1942 in Chelmno) war jüdischer Herkunft und stammte aus Stettin. Ihre Eltern waren Julius und Fanny Monasch, geborene Sternberg. Margarethe Lichtheim erhielt eine Ausbildung als Pianistin. Sie heiratete den gebürtigen Stettiner Juden Dr. Georg Simon Lichtheim, der 16 Jahre älter war als sie. Er leitete als Direktor die Altonaer Gas- und Wasserwerke. Das Ehepaar bekam zwei Söhne. Am 21. November 1919 wurde Walter (21.11.1919, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, ermordet am 15.5.1942 in Chelmno) geboren, zwei Jahre später, am 26. Dezember 1921, kam Ludwig, genannt Lutz, zur Welt. Die Familie bewohnte in Hamburg-Altona den zweiten Stock des Hauses in der Palmaille 25, einer gutbürgerlichen Straße am Elbhang. Im Haus wurde viel musiziert. Walter spielte Geige, Lutz Flöte.

Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Georg Lichtheim im Juni 1933 fristlos entlassen. Eine Pensionszahlung konnte er offenbar noch in einem Prozess gegen die Stadt Altona durchsetzen.

Dokumentiert wurde die Geschichte der Familie Lichtheim von Werner Flocken, Jahrgang 1925, dessen Familie im selben Haus gewohnt hatte und der mit den Lichtheim-Söhnen befreundet war. In seinen Aufzeichnungen beschreibt er Frau Lichtheim als kultivierte und gebildete Frau, die ihn sehr beeindruckt habe. Sie sei das genaue Gegenteil dessen gewesen, was ihm bei der Hitlerjugend über Juden vermittelt worden sei. Er erinnert sich, dass eines Tages Margarethe Lichtheim mit Lutz in die Wohnung seiner Eltern kam, damit dieser sich verabschiedete, denn er konnte mit einem jüdischen Kindertransport nach England ausreisen. Als Werner Flockens Mutter bedauerte, dass Margarethe Lichtheim ihren Sohn so früh allein in die Welt ziehen lassen müsse, erwiderte sie, sie sei im Gegenteil sehr froh, dass er Deutschland verlassen könne. Diese Worte vergaß Werner Flocken nicht.

Wie auch ihr Mann war Margarethe Lichtheim aktives Mitglied der Altonaer jüdischen Gemeinde, in der eine außerordentlich rege Organisationstätigkeit in Gemeindeeinrichtungen und privaten Vereinigungen herrschte. Sie amtierte als Vorstandsmitglied des Israelitisch-Humanitären Frauenvereins, der sich der jüdischen Wohlfahrtspflege widmete. Doch Anfang Januar 1939 musste dieser zwangsweise aufgelöst werden, und sie unterzeichnete die letzten Anordnungen, die vorsahen, das verbleibende Vermögen zur Unterstützung der Kindertransporte zu verwenden. Georg Lichtheim starb in den ersten Kriegstagen am 5. September 1939.
Im Februar desselben Jahres hatte Margarethe Lichtheim ihre ältere Schwester Gertrud Monasch (29. 11.1878, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, weiterdeportiert am 15.10.1942) bei sich aufgenommen. Die ledige Frau stammte aus Stettin und hatte zuvor mittellos in Berlin-Schöneberg gelebt.

Als Witwe erbte Margarethe Lichtheim das Vermögen ihres Mannes, das jedoch im Februar 1940 unter Sicherungsanordnung gestellt wurde. Sie durfte über 410 Reichsmark monatlich für sich, ihren Sohn und ihre Schwester verfügen, später – nach einer Herabsetzung des „Frei“-Betrages – musste sie von 368 Reichsmark die Miete bezahlen und einen dreiköpfigen Haushalt führen.

Werner Flocken erinnert sich, dass sein Vater, das NSDAP-Parteiabzeichen am Revers, und die beiden Damen, den „Judenstern“ am Mantel, bei Bombenangriffen gemeinsam in den Luftschutzkeller flüchteten. Einmal zeigte Margarethe Lichtheim Fotos von ihrem Bruder, der im Ersten Weltkrieg als Marineoffizier mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden war, und sprach davon, dass sie sich immer als gute Deutsche gefühlt hatte wie alle anderen auch.

Ihr Sohn Walter besuchte das Altonaer Christianeum, ein angesehenes Gymnasium, und galt dort als ein besonders begabter Geigenspieler. Doch die Brüder Lutz und Walter wuchsen in einem schon vor 1933 zunehmend antisemitisch aufgeheizten Umfeld auf. So protokollierte der Klassenlehrer am 25. Juni 1932, dass Walter ihm einen in der Klasse kursierenden Zettel mit der Aufschrift "Juda verrecke! Deutschland erwache!" gezeigt habe. Die Anstifter erhielten eine Strafe vom Lehrer. Daraufhin wurde Walter nach der Schule von mehreren Mitschülern verfolgt und geschlagen. Auch wurden die Brüder Anwürfen ausgesetzt, ihr Vater, der Jude, vergifte das Altonaer Trinkwasser. Werner Flockens Eltern verboten ihrem Sohn 1935, mit den Lichtheim-Jungen zu spielen. Nicht nur in der Schule und im Wohnhaus, sondern auch auf der Straße drohten den jüdischen Jungen Gefahren: Die breit angelegte Straße Palmaille war nach 1933 ein beliebter Exerzierplatz für Aufmärsche der Hitlerjugend und der SS geworden. Jüdische Schulkinder, die in das neue Gebäude der Israelitischen Gemeindeschule der Palmaille 17 gingen, wurden oft bedroht und verhöhnt oder sogar mit Steinen beworfen. Walter und Lutz, die ganz in der Nähe der jüdischen Schule wohnten, mussten auf dem Heimweg an den dort lauernden HJ-Grüppchen vorbeigehen.

Von 1931 bis 1936 besuchte Walter Lichtheim das Christianeum und trat dann eine kaufmännische Lehre an. Sein Bruder Lutz musste als Unterprimaner im November 1938, als jüdischen Kindern der Zugang zu den staatlichen Schulen versperrt wurde, vom Christianeum abgehen. Als Lutz am 1. Dezember 1938, drei Wochen vor seinem 17. Geburtstag, mit einem jüdischen Kindertransport nach England entkommen konnte, reiste sein Bruder Walter, der schon über 18 Jahre alt war, als Begleitperson mit. Für den Fall, dass er nicht zurückkehren würde, wurde seiner Mutter Konzentrationslagerhaft angedroht. Er kam zurück.

Dann versuchte auch er aus der Heimat zu fliehen. 1940 absolvierte er eine Ausbildung in einer Schlossereiwerkstatt in der Weidenallee 8-10, einer der Lehrwerkstätten, die von der Deutsch-Israelitischen Gemeinde unterhalten wurden, um Jugendliche auf eine Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Am 9. Mai 1940 beantragte seine Mutter die Freigabe von 150 Reichsmark von ihrem Konto für „Auswanderungsbemühungen für meinen Sohn“, sie wies Kabelkosten nach, die an die Hamburg-Amerika-Linie zu zahlen waren. Das Geld wurde bewilligt. Doch die Emigrationspläne schlugen aus unbekannten Gründen fehl. Im Oktober 1941 wurden dann Auswanderungen generell verboten.

Für den 25. Oktober 1941 erhielten Margarethe und Walter Lichtheim und Gertrud Monasch die Deportationsbefehle nach Lodz.

Als Margarethe Lichtheim sich von der Familie Flocken verabschiedete, deutete sie an, sie wüsste, was ihnen bevorstehe: „Es geschieht zur Zeit in Deutschland so ungeheures Unrecht, dass Sie es mir nicht glauben würden, wenn ich es Ihnen sagen würde …“ Am nächsten Morgen hörte Werner Flockens Mutter aus der Lichtheim-Wohnung noch liturgischen Gesang, vom Harmonium begleitet. Dann verließen Margarethe und Walter Lichtheim und Gertrud Monasch das Haus.

Sie wurden am 25. Oktober 1941 mit dem ersten Großtransport von 1.034 Hamburgern und Hamburgerinnen jüdischer Herkunft ins Getto Lodz (Litzmannstadt) ins deutsch besetzte Polen deportiert. Am 15. Mai 1942 wurde Margarethe Lichtheim in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) transportiert und dort ermordet. Gertrud Monasch wurde am 15. Oktober 1942 weiterdeportiert und kam ebenfalls ums Leben.

Im Mai 1944 schrieb Walter Lichtheim aus dem Getto Lodz eine Postkarte an Harry Goldstein vom Jüdischen Religionsverband – das war sein letztes Lebenszeichen.

„Lieber Onkel Harry! Ich freue mich, dir endlich schreiben zu können, daß ich gesund bin und auch unverändert arbeite. Die Zeit vergeht so schnell, besonders, wo ich jetzt schon seit 1 1/2 Jahren mein Leben alleine führen muss, da Mutti und Tante fortgereist sind.

Bitte laß recht bald – wenn möglich – von dir hören, deiner lieben Frau, allen Freunden und dir selbst herzlichste Grüße von Deinem Walter“

Am 30. Juni 1944 verließ Walter Lichtheim das Getto Lodz, wo er bis zuletzt als Schlosser gearbeitet hatte. Notiert wurde im Abmeldungsbogen als „Ursache“ eine „Aufforderung zur Arbeit außerhalb des Gettos“. Doch angesichts des Vormarsches der russischen Armee hatte Himmler die Räumung befohlen. Im Juni und Juli 1944 wurden etwa 7.200 Menschen von Lodz in das Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) transportiert und dort in Gaslastwagen ermordet, unter ihnen war Walter Lichtheim.

Im Getto Lodz lebten die Mutter und ihr nun 22-jähriger Sohn noch ein halbes Jahr, dann wurden sie in das Vernichtungslager Chelmno gebracht und dort am 15. Mai 1942 im Gaswagen ermordet. Gertrud Monasch wurde am 15. Oktober 1942 weiter transportiert und ist ebenfalls umgekommen.

Ludwig Lichtheim überlebte den Krieg. Er ging später nach Australien, studierte und arbeitete als leitender Ingenieur bei den Wasserwerken im Staat Viktoria. 1978 verstarb er. Seine traumatischen Erfahrungen konnte er nie überwinden, vor allem deprimierte ihn tief, dass er die Rückkehr seines Bruders nach Deutschland nicht hatte verhindern können.

Text: Birgit Gewehr, entnommen aus: www.stolpersteine-hamburg.de