Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Martensweg

Barmbek-Süd (1907): Andreas Ehrenfried Martens (19.4.1755 Hamburg – 30.4.1828), Oberalter.


Andreas Ehrenfried Martens war der Sohn von Anna Elisabeth, geborene Overmann und des Zuckerfabrikanten Albert Wilhelm Martens. Martens besuchte das Johanneum. Sein Wunsch war, Theologie zu studieren, doch sein Vater war dagegen, denn dieser wollte, dass sein Sohn Kaufmann werde. So verließ Andreas Ehrenfried Martens das Johanneum. Er absolvierte die kaufmännische Ausbildung bei dem Kaufmann Caspar Behrens und ging nach erfolgter Ausbildung in des Vaters Geschäft. Da sein Vater erkrankte und 1785 verstarb, hatte Andreas Ehrenfried Martens in den letzten drei Lebensjahren seines Vaters bereits die Leitung der Zuckerfabrik übernommen.

Durch seine Tätigkeit im Zuckerhandel profitierte Martens vom Kolonialismus. Der Historiker Kim Todzi schreibt dazu: „Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde Hamburg zum größten Zuckerraffinationszentrum Europas. Der Rohzucker wurde vor allem in der Karibik auf Plantagen von versklavten Menschen angebaut und dann über London, Liverpool, Bordeaux, Cádiz und Amsterdam nach Hamburg verschifft, wo er für die europäischen Märkte weiterverarbeitet wurde. Hamburger Kaufleute und Gewerbetreibende waren so direkte Nutznießer*innen des sogenannten ‚Dreieckshandels‘, in welchem versklavte Menschen als ‚Waren‘ aus Afrika in die Karibik, von dort produzierte Rohstoffe wie Rohzucker nach Europa und von Europa wiederum Manufakturwaren, Stoffe, Waffen und Alkohol nach Afrika gehandelt wurden. Ende des 18. Jahrhunderts waren in Hamburg die wichtigsten Gewerbe neben dem Handel die Zuckersiederei und die Baumwollveredelung. Produkte und Gewerbe also, die ganz elementar mit dem europäischen Kolonialismus, mit Plantagenwirtschaft und dem Versklavungshandel verbunden waren.“1)

Im Jahr des Todes seines Vaters verheiratete sich Martens mit der Witwe Maria Cornelia Heymann, geborene Bremer (gestorben 29.1.1826 Hamburg). Das Paar bekam vier Kinder.

Ebenfalls im selben Jahr wurde Martens zum Adjucten der St. Nicolai Kirche gewählt. 1788 wurde er zum Provisor des Werk- und Zuchthauses gewählt, hatte dazu aber keine Neigung und wollte sich eigentlich davon loskaufen, was aber weder schicklich noch erlaubt war; und so übernahm er die Position.

1789 und 1790 wurde er zum Gerichtsbürger gewählt. Das bedeutete, dass er an über hundert Vergleichskommissionen teilnahm; des Weiteren wurde er 1790 Bürger bei dem kleinen Kalkhof, 1793 Commissär des Stadt-Militärs und 1794 Gassenbürger.

Obwohl ihm die Arbeit für das Werk- und Zuchthaus zuerst nicht zugesagt hatte, stieg er in diesem Aufgabengebiet 1795 zum Verwaltungsleiter auf; 1796 legte er dieses Amt nieder, nahm es 1806 aber wieder auf. Als sogenannter Alter führte er die Tätigkeit bis 1811 durch. 1813 wurde er Präsident der Gefängnisse, dann übernahm er die Verwaltung des Kur- und Spinnhauses bis zu seiner 1823 erfolgten Wahl zum Oberalten.

Im selben Jahr, als er zum Oberalten gewählt wurde, veröffentlichte er das Buch „Das Hamburgische Criminal-Gefängnis genannt das Spinnhaus und die übrigen Gefängnisse der Stadt Hamburg nach ihrer innern Beschaffenheit und Einrichtung beschrieben nebst einigen Ansichten und Ideen über Verbesserung ähnlicher Anstalten überhaupt.“
Das Spinnhaus, erbaut 1669 an der heutigen Ecke Alstertor/Ferdinandstraße, war ein Gefängnis im Gegensatz zum Werk- und Zuchthaus, in dem nicht straffällig gewordene Personen, zum Beispiel Bettler und Bettlerinnen, untergebracht wurden.

Das Spinnhausgebäude bestand aus zwei rechteckigen Gebäuden, deren beidseitige Flügel einen Hof einschlossen. Im größeren Vorderhaus lag die Kirche, im hinteren Haus befanden sich, getrennt nach Geschlechtern, die Arbeits- und Schlafsäle der Gefangenen.

Ins Spinnhaus kamen in erster Linie Frauen, deren Lebensweise nicht den moralischen und sittlichen Vorstellungen der damaligen Zeit entsprach. Vor ihrer Aufnahme ins Spinnhaus waren sie bereits bestraft, z. b. an den Pranger gestellt und öffentlich ausgepeitscht worden. Das Spinnhaus diente auch als polizeiliche Entbindungsanstalt. Schwangere Frauen, die in der Frohnerei saßen, ohne Wohnung in der Stadt aufgegriffen worden waren oder als Prostituierte tätig waren, wurden zur Geburt ihres Kindes ins Spinnhaus geschickt. Die meisten im Spinnhaus inhaftierten Frauen waren schwanger oder befanden sich im Wochenbett.

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Kupferstich: Ansicht von dem Innern eines Spinnhauses (nicht Hamburg), aus: Abrahem a Santa Clara: Etwas für alle, Bd. 2. Würzburg 1711. Über dem Bild stand: Das Spinn=Haus, Der Fleiß verjagt, was Faule plagt. Unter dem Bild stand: "Werfft Kinder aus dem Herzens=Haus den Laster Tand, die Venus Docken, und löschet mit dem vollen Rocken der Wollust geile Fackeln aus. Laßt in der Hand die Nadel gleißen, so könnt ihr Tugend-Töchter heißen." (Rocken: Stab, an den die Rohwolle gebunden wurde.)

1789 waren z. B. 31 Frauen und sieben Männer, letztere hatten Diebstahl begangen, inhaftiert. Prostitution, „liederlicher“ Lebenswandel, „übles“ Verhalten, „incorrigibler“ (nicht zu bessernder) Lebenswandel, uneheliche Schwangerschaft und Geburt eines unehelichen Kindes, all dies war für Frauen strafbar und wurde mit ein bis zwei Jahren Gefängnis bestraft. Während ihrer Strafzeit mussten die Frauen, gekleidet in grünem Fries, Wolle kratzen, spinnen und weben.

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Spinnhaus, Bildquelle: Staatsarchiv Hamburg

Der Tagesablauf war genau vorgeschrieben: jeden Morgen wurden die InsassInnen durch das Läuten der Anstaltsglocke geweckt und in die Werkstube geführt. Dort begann nach dem Gebet die Arbeit. Die Frauen mussten spinnen, Wolle kratzen und weben. Die Arbeitszeit endete im Winter um 19 Uhr und im Sommer um 20 Uhr. Nach der Arbeit wurde mit dem Schulmeister der Abendsegen gesprochen, dann zu Abend gegessen, und danach wurden die Häftlinge wieder in ihre Kojen eingeschlossen. Im Sommer erhielten die Sträflinge alle acht Tage und im Winter alle vierzehn Tage ein sauberes Hemd und alle sechs Wochen ein reines Bettlaken. Als Nahrung wurde ihnen Brot, Hafer-, Buchweizen- und Graupengrütze, Erbsen, Bohnen und Kohl vorgesetzt.

„Widerspenstige“ Gefangene konnten auch unter Tags in ihren Kojen gehalten und bei geöffneten Kojentüren beschäftigt werden, da die Kojen in die Arbeitssäle eingebaut waren, von diesen auch Licht bekamen und mit kanalisierten Klosetts versehen waren.

Bei Arbeitsverweigerung wurde beim ersten Mal eine Ermahnung ausgesprochen, bei weiteren Vergehen mit Nahrungsentzug und Schlägen gestraft. Eine sehr häufig verhängte Strafe war das Anschließen an den Block oder in das Halseisen, so z. B. wenn die Gefangenen sich geweigert hatten, zum Gebet zu erscheinen, am Essen etwas ausgesetzt, geflucht oder an den Sonntagen getanzt hatten.

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Werk- und Zuchthaus sowie Spinnhaus von oben gesehen; links: Spinnhaus, rechts: Werk- und Zuchthaus, Bildquelle: Staatsarchiv Hamburg

Ins Spinnhaus kamen sicherlich nicht schwangere ledige Bürgermädchen, dafür sorgten schon deren Familien. Sie konnten sich oft bösem Klatsch und strafrechtlicher Verfolgung durch einen verschwiegenen Aufenthalt auf dem Land entziehen, wo sie das Kind heimlich austrugen und weggaben. So waren es wohl in erster Linie ledige Schwangere der Unter- und Armutsschicht, die wegen der diversen für diese Gesellschaftsschicht verhängten Heiratsverbote oft noch nicht einmal die Möglichkeit erhielten, durch eine schnelle Eheschließung mit dem Kindsvater alles wieder ins Lot zu bringen.

Die harten Strafen, mit denen Unzucht belegt wurde, waren nicht unumstritten. Friedrich Wilhelm I. hatte bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erkannt, dass Unzuchtstrafen nur der Abtreibung und dem Kindesmord Vorschub leisteten. Damit erschien ihm seine Politik des Bevölkerungswachstums gefährdet. Auch sein Nachfolger Friedrich der Große setzte sich für die Entkriminalisierung der Unzucht ein und plädierte für die Abschaffung der Bestrafung von außer- und vorehelichem Beischlaf und lediger Schwangerschaft. Trotzdem wurden die Strafen teilweise noch bis ins 19. Jahrhundert beibehalten.

Ein fiktiver Lebenslauf einer Frau, die im 18. Jahrhundert ins Spinnhaus kam.
Aus dem Studium der Akten der Allgemeinen Armenanstalt und der Gefängnisverwaltung konnten typische Frauen“schicksale“ ermittelt werden.

Die Prostituierte Susanna Margaretha Dahl
Susanna Margaretha Dahl war 20 Jahre alt und lebte bei ihrer Mutter, welche von der Allgemeinen Armenanstalt unterstützt wurde. Die Mutter hatte nach jahrelanger Arbeit als Werkpflückerin auf dem freien Boden bei dem Unternehmer Greve auf dem Vorsetzen, so stark Gicht bekommen, dass sie nicht mehr arbeitsfähig war. Das Werkpflücken wurde auch im Winter auf einem freien Boden durchgeführt, so dass die Arbeiterinnen und Arbeiter stets ihre Feuerkiken (kleine hölzerne Behältnisse mit Henkel, in denen Holz zu einem kleinen Feuer entfacht wurde) mithatten, ohne die es sich bei der Arbeit vor Kälte nicht aushalten ließ, denn das Tauwerk musste auch noch bevor es bearbeitet wurde, im fließenden kalten Wasser eingeweicht werden.

Die Tochter Susanna Margaretha arbeitete in der Zwirnmanufaktur von Flickwier in der Beckergasse. Nach einiger Zeit wurde sie jedoch arbeitslos, so dass sie das Angebot, bei einer sogenannten Hurmutter auf dem Pilatuspool zu arbeiten, annahm, denn es bestand für sie wenig Aussicht auf dem freien Arbeitsmarkt Arbeit zu finden.

Nachdem sie am Pilatuspool einige Zeit als Prostituierte gearbeitet hatte, wurde sie eines Tages auf der Straße aufgegriffen und ins Spinnhaus gesteckt, denn Prostitution wurde strafrechtlich verfolgt.

Im Spinnhaus saßen damals im Jahr 1789 schon 31 Frauen. Susanna Margaretha wurde ein liederlicher Lebenswandel vorgeworfen, wofür sie zwei Jahre im Spinnhaus einsitzen musste. Dort musste sie Wolle kratzen. Susanna weigerte sich anfangs zum morgendlichen Gebet zu erscheinen. Daraufhin wurde sie in ihre Koje eingeschlossen, wo sie ihre Arbeit zu verrichten hatte.

Nach zwei Jahren wurde Susanna Margaretha aus dem Spinnhaus entlassen. Da sie nun das Stigma einer Prostituierten trug, musste sie wieder ihrer alten Tätigkeit als Prostituierte nachgehen, da sie auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr hatte, eine Arbeit zu bekommen.