Meyer-Delius-Platz
Langenhorn (1968): Dr. Hugo Meyer-Delius (3.6.1877 Durango/Mexiko – 27.10. 1965 Hamburg), Kinderarzt.
Nach dem Studium der Medizin von 1895 bis 1901 promovierte Meyer-Delius 1902 in Freiburg. Von 1901 bis 1906 erhielt er seine klinische Ausbildung im Hamburger Krankenhaus St. Georg. Dazu schreibt Katarzyna Agnieszka Gasiorowski in ihrer Dissertation über die Entwicklung der Säuglingsabteilung zur Universitäts-Kinderklinik: „Offenbar hatte er in dieser Zeit den Entschluss gefasst, sich besonders auf die Behandlung von Kindern zu spezialisieren, denn anschließend ging er bis Ende März 1906 als Volontärarzt zu Otto Heubner an die Universitäts-Kinderklinik in der Berliner Charité.“ 1)
Schon 1904 hatte er „Bestrebungen in Hamburg zur Einrichtung von Milchküchen, die im selben Jahr von der patriotischen Gesellschaft umgesetzt wurden“ 2) unterstützt. Kai Sammet berichtet über den weiteren beruflichen Lebensweg von Meyer-Delius: „1906 ließ sich Meyer-Delius als praktischer Arzt in Hamburg nieder, gleichzeitig war er als externer Arzt bis 1912 an der Abteilung für Haut- und Geschlechtskrankheiten am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg tätig. 1909 trat er in den Vorstand der Hamburger Landeszentrale der Deutschen Vereinigung für Säuglings- und Kleinkinderschutz ein, einer damals noch privaten Initiative.“ 3)
„Als in diesem Krankenhaus 1912 eine Spezialabteilung für Säuglinge eingerichtet wurde, erhielt er deren Leitung, ebenfalls im Nebenamt neben seiner Praxis. So konnte er schon auf eine fast einjährige Führungserfahrung zurückblicken, als ihm 1913, zunächst provisorisch, die neue Säuglingsabteilung am AKE [Allgemeines Krankenhaus Eppendorf] übertragen wurde.“4) Damals besaß das Krankenhaus noch keine eigene Kinderklinik. Kranke Kinder wurden in einigen Pavillons behandelt und versorgt. Hugo Meyer-Delius wurde als „Spezialarzt“ angestellt. Solche Stellen waren in den Hamburger Krankenhäusern vorgesehen für Mediziner, die keine großen Krankenhausabteilungen unter sich hatten und nur „kleine“ Fächer vertraten.
1914 wurde für diese Tätigkeit eine Stelle geschaffen, allerdings zeitlich befristet auf sechs Jahre. Damals wurden die meisten ärztlichen Leitungsstellen an Hamburger Krankenhäusern mit einer zeitlichen Begrenzung von sechs Jahren vergeben. Auf die damals erfolgte Stellenausschreibung bewarb sich nur Meyer-Delius, so wurde er bis 1920 auf seinem Posten bestätigt. In dieser Zeit erhielt er die Aufgabe, einen Plan für eine eigene Kinderabteilung zu entwickeln.
Unter seiner Leitung entstand eine eigene Säuglingsabteilung. Diese unterstand direkt dem Ärztlichen Direktor des Krankenhauses. Die baulichen Gegebenheiten in den Pavillons, in denen die Kinder untergebracht waren, entsprachen, als Meyer-Delius die Kinderabteilung übernommen hatte, nicht mehr den medizinischen Anforderungen. „Auch die Ausstattung erreichte nicht die andernorts selbstverständlichen Standards für eine Säuglingsklinik, wie Meyer-Delius bemängelte. Vor allem darauf führte er die alarmierend hohe Säuglingssterblichkeit im AKE zurück, die im Vergleich zu anderen Kliniken fast dreifach höher lag (…).“5)
Bei Katarzyna Agnieszka Gasiorowski heißt es weiter: „Nach der Auflistung aller Defizite, die er während der ersten Monate in seinem Amt registriert hatte, legte Meyer-Delius einen ausgearbeiteten Plan zur Modernisierung der Säuglingsabteilung und der Verbesserung ihrer Einrichtungen vor. Da der Säuglingspavillon des AKE nach Einschätzung von Meyer-Delius die Realisierung von Modernisierungsmaßnahmen nach den aktuellen Anforderungen nicht erlaubte, schlug er vor, ihn durch einen kompletten Neubau nach dem eben dargestellten Baukonzept an einem abgelegenen Standort, ‚in der Süd-Ost-Ecke auf dem Grunde des früheren Assistentengartens‘, zu ersetzen. (…).“6)
Da der Erste Weltkrieg ausbrach, mussten die Planungen, die Meyer-Delius angestrengt hatte, ruhen. Meyer-Delius wurde während des Ersten Weltkriegs Marinestabsarzt.
1917 heiratete der damals 40-Jährige die damals 35-jährige Martha Antonie Walz (9.3.1882 Reutlingen – 12.5.1945 Hamburg). 7)
Als 1920 die Kinderklinik von Kleinschmidt übernommen wurde, fiel die „Stelle des Spezialarztes am AKE weg (…). Meyer-Delius [verband] fortan seine Praxistätigkeit mit sozialpädiatrischen Aktivitäten als Geschäftsführender Leiter der Landeszentrale Hamburg der ‚Deutschen Vereinigung für Säuglings- und Kleinkinderschutz‘. 8)
Diese Vereinigung war 1909 in Berlin unter dem Namen „Deutsche Vereinigung für Säuglingsschutz“ gegründet worden. Sie sah ihre Hauptaufgabe in der Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und dem Aufbau von Säuglingseinrichtungen. „Als eine der Hauptursachen für die hohe Neugeborenen- und Säuglingssterblichkeit waren der Rückgang des Stillens und die durch künstliche Ernährung unter ungünstigen hygienischen Bedingungen hervorgerufenen Ernährungsstörungen identifiziert worden, die wiederum von sozialen Faktoren abhängig waren. Hauptziel der Deutschen Vereinigung sollte die Koordinierung und Lenkung der vor allem sozialmedizinisch orientierten Gegenmaßnahmen sein, die einer Verbesserung der Lebensverhältnisse durch Fürsorge, Kontrolle und Aufklärung dienten. Die im selben Jahr ins Leben gerufene Filiale der Vereinigung in Hamburg, die ‚Landeszentrale Hamburg der Deutschen Vereinigung für Säuglingsschutz‘, strebte eine effizientere Säuglings- und Mütterfürsorge in der Hansestadt durch Zusammenfassung der verschiedenen privaten Initiativen, der Milchküchen und der Säuglingspolikliniken sowie der sich daraus entwickelnden Säuglingsfürsorgestellen, an. So unterstanden ihr zunächst die bestehenden Einrichtungen der offenen Fürsorge für Neugeborene und Säuglinge, wobei die ärztlich geleiteten Beratungsstellen mit ihrer Stillpropaganda in den Vordergrund traten. Hier wurden Säuglinge und Kleinkinder ärztlich überwacht, die Frauen wurden zum Stillen ermuntert sowie das Weiterstillen kontrolliert und finanziell honoriert. Darüber hinaus wurden aber auch die Familien gefährdeter Kinder von Schwestern bzw. Fürsorgerinnen aufgesucht, die die Einhaltung der ärztlichen Vorschriften und die Hygiene in den Haushalten überwachten und die Frauen bei der Säuglingspflege unterstützten. Bei Bedürftigkeit bekamen Mütter, die nicht stillten, die Möglichkeit, sich kostenlos oder zu verbilligtem Preis in den Milchküchen mit säuglingsgerechter Milch zu versorgen. Seit 1911 erhielt die Landeszentrale einen regelmäßigen Zuschuss von Hamburger Gesundheitsamt. Im Jahre 1912 verfügte sie über 32 Fürsorgestellen in verschiedenen Stadtvierteln. 1917 übernahm sie zusätzlich zur Säuglings- auch die Kleinkinderfürsorge, weshalb sie auch ihren Namen entsprechend erweiterte.“9)
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten änderte sich auch die kinderärztliche Versorgung in Deutschland: „1934 ging die Deutsche Vereinigung für Säuglings- und Kleinkinderschutz in die ‚Reichsarbeitsgemeinschaft Mutter und Kind‘ auf. Hier war vor allem Fritz Rott als Leiter des Organisationsamtes Säuglings- und Kinderschutz in Berlin von Bedeutung, der sich weiterhin mit Aufklärungs- und Präventionsthemen befasste. Nicht wenige auch der sozial engagierten Kinderärzte waren ab 1933 in die Sterilisationsmaßnahmen und ab 1939 im Rahmen der T4-Aktion in die Selektion und Begutachtung von kranken und behinderten Kindern involviert.“ 10)
Meyer-Delius war vor 1933 Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei gewesen 11) „Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war eine nationalkonservative Partei in der Weimarer Republik, deren Programmatik Nationalismus, Nationalliberalismus, Antisemitismus, kaiserlich-monarchistischen Konservatismus sowie völkische Elemente enthielt. Nachdem sie anfänglich eindeutig republikfeindlich gesinnt gewesen war und beispielsweise den Kapp-Putsch von 1920 unterstützt hatte, beteiligte sie sich ab Mitte der 1920er Jahre zunehmend an Reichs- und Landesregierungen. Nach der Wahlniederlage von 1928 und der Wahl des Verlegers Alfred Hugenberg zum Parteivorsitzenden vertrat die Partei jedoch wieder extreme nationalistische Ansichten und Forderungen. Infolge der Kooperation mit der NSDAP verlor die DNVP ab 1930 zunehmend an Bedeutung. Die Abgeordneten der DNVP stimmten für das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, was den Weg in die Diktatur ebnete. Nachdem sich die DNVP Anfang Mai 1933 noch in Deutschnationale Front umbenannt hatte, löste sie sich im Juni 1933 selbst auf. Ihre Abgeordneten schlossen sich der NSDAP-Fraktion an.“ 12)
Meyer-Delius trat nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nicht der NSDAP bei. 13) Jedoch wurde er Mitglied mehrerer NS-Gliederungen. So war er von 1935 bis 1945 Mitglied der DAF (Deutsche Arbeitsfront). Die Deutsche Arbeitsfront wurde im Mai 1933 gegründet und war ein rechtlich der NSDAP angeschlossener Verband „mit ca. 23 Mio. Mitgliedern (1938) die größte NS-Massenorganisation. Als Einheitsgebilde ‚aller schaffenden Deutschen‘ konzipiert, schuf ihr Reichsleiter Robert Ley ein vielgliedriges, bürokratisch aufgeblähtes Organisationsimperium, mit dem er nahezu alle Felder der nat.soz. Wirtschafts- und Sozialpolitik einzudringen trachtete. Entscheidender Einfluß auf materielle Belange in diesem Bereich blieb der DAF jedoch verwehrt, vielmehr musste sie sich auf die allgemeine Betreuung und weltanschauliche Schulung ihrer Mitglieder beschränken.“14)
Meyer-Delius war von 1934 bis 1945 Mitglied der NSV. Die Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) war mit „17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…) NS-Massenorganisation. (…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…).“ 15)
Außerdem war Meyer-Delius von 1933 bis 1945 Mitglied im NSD Ärztebund. Dieser hatte sich bereits 1929 gegründet. „Er spielte eine wichtige Rolle bei der Gleichschaltung der Ärzteschaft und der rassenhygienischen Propaganda. Nach dem Krieg wurde er durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 für ungesetzlich erklärt.“ 16)
Anfang 1945 wurde Meyer-Delius auch noch Mitglied des NS-Altherrenbunds. „Die Organisation wurde 1931 unter der Bezeichnung NS-Studentenkampfhilfe gegründet, um nationalsozialistische Akademiker zusammenzufassen und insbesondere den NSDStB finanziell zu unterstützen. Nachdem die Organisation zwischenzeitlich ihre Bedeutung fast gänzlich verloren hatte, wurde sie am 14. Mai 1936 durch Verordnung des Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß erneuert und ein Jahr später durch einen weiteren Heß-Erlass zum ‚einzigen von der NSDAP anerkannten Zusammenschluss von Alten Herren der deutschen Hoch- und Fachschulen‘ erklärt. Hintergrund für diese Entwicklung war die seit 1934/1935 erfolgte Auflösung der meisten alten Studentenverbindungen bzw. ihre Umwandlung in Kameradschaften des NSDStB. Der neugeschaffene Verband sollte daher die ‚heimatlos‘ gewordenen Altherrenverbände der aufgelösten Korporationen und deren erhebliche Vermögen (Verbindungshäuser) zusammenfassen und mit ihrer finanziellen Beitragskraft für die neuen Kameradschaften dienstbar machen. Dementsprechend wurde er 1938 in NS-Altherrenbund umbenannt und als eine ‚von der NSDAP betreute Organisation‘ der Reichsstudentenführung unter ihrem ‚Führer‘ Gustav Adolf Scheel unterstellt. Diese richtete zu diesem Zweck ein eigenes Amt NS-Altherrenbund ein, das folgende Aufgaben erhielt: Ausrichtung des NS-Altherrenbundes im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung, Erfassung aller ehemaligen Hoch- und Fachschüler in Gemeinschaften auf freiwilliger Grundlage, Förderung der lebendigen Verbindung zwischen den jungen Studenten und den Alten Herren, ideelle und finanzielle Förderung des NSDStB, Errichtung und Unterhaltung von Häusern für die Kameradschaften des NSDStB.“ 17)
Meyer-Delius war von 1937 bis 1945 auch Mitglied im Reichskolonialbund. 18)
Beruflich fungierte Meyer-Delius seit ca. 1935 für den Gau der Hansestadt Hamburg als Gaufachbeauftragte der Arbeitsgemeinschaft „Mutter und Kind“ im Reichsgesundheitsamt. Dazu erklärte er in seinem Entnazifizierungsverfahren am 27.7.1945: „Dieser Stellung, die mit der des ärztlichen Leiters des Hilfswerkes ‚Mutter und Kind‘ in der NSV personengleich werden sollte, wurde ich Anfang 1943 enthoben, da ich kein Mitglied der NSDAP war“. 19)
Von 1935 bis 1943 arbeitete Meyer-Delius auch als Schularzt. Als 1938 die Landesstelle verstaatlicht und der Gesundheitsbehörde eingegliedert wurde, wurde Meyer-Delius in seiner Funktion übernommen und war so von 1938 an leitender Arzt der Säuglings- und Kleinkinderfürsorge beim Gesundheitsamt Hamburg, Referent für Säuglings- und Kleinkinderfürsorge beim Hauptgesundheitsamt, leitender Arzt der Abteilung Kinder- Heil- und Genesungsfürsorge bei der Sozialverwaltung, zuerst nebenamtlich, ab 1944 hauptamtlich als Oberarzt bei der Gesundheitsverwaltung, 20) so Meyer-Delius Angaben im Fragebogen seiner Entnazifizierungsakte.
1949 wurde Meyer-Delius als Oberarzt pensioniert. 1962 erhielt er das große Bundesverdienstkreuz verliehen.