Musilweg
Wilstorf (1976): Robert Edler von Musil (6.11.1880 St. Ruprecht bei Klagenfurt – 15.4.1942 Genf), Schriftsteller.
Robert Musil war der Sohn von Hermine Musil, geborene Bergauer und des Ingenieurs und Hochschulprofessors Alfred Musil.
„M. war ein glänzender Schüler, erkrankte aber während seiner Steyrer Schuljahre zweimal schwer an einer ‚Nerven- und Gehirnkrankheit‘, die ihn wochenlang ans Krankenbett fesselte und vielleicht die späteren Arbeitshemmungen und neurologischen Störungen (Halluzinationen) verursachte. Um sein 10./11. Lebensjahr kam es zu schweren präpubertären Auseinandersetzungen mit der Mutter, die zu dem Entschluß führten, M. 1892 in eine Kadettenanstalt zu schicken,“ 1) schreibt Carl Corino in der Neuen Deutschen Biographie.
Robert Musil besuchte nun eine Militär-Unterrealschule, dann eine Militär-Oberrealschule und schließlich die k. u. k. Technische Militärakademie in Wien. Seine folgende Ausbildung zum Artillerieoffizier brach er nach wenigen Monaten ab und begann 1898 ein Maschinenbaustudium, und zwar an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn, wo sein Vater der Rektor war. Das Studium schloss er 1901 erfolgreich mit der Ingenieurprüfung ab.
Über Musils damaliges Liebes- und Sexualleben- in seiner Kindheit hatte er zeitweise den Wunsch gehabt, ein Mädchen zu sein - heißt es in Wikipedia: „Musils Sexualleben um die Jahrhundertwende war den eigenen Aufzeichnungen zufolge vorwiegend von Erlebnissen in der Beziehung zu einer Prostituierten bestimmt, die er teils als experimentelle Selbsterfahrung behandelte. Doch erfasste ihn auch eine starke Verliebtheit zu der Pianistin und passionierten Bergsteigerin Valerie Hilpert, die mystische Züge annahm.
An Syphilis erkrankt, unterzog sich Musil von März 1902 an für anderthalb Jahre einer Behandlung mit Quecksilbersalbe. In dieser Zeit begann seine mehrere Jahre andauernde Beziehung zu der in einer Tuchhandlung beschäftigten Hermine Dietz, die Tonka seiner 1923 erschienenen gleichnamigen Novelle. Hermines syphilitische Fehlgeburt 1906 und ihr Ableben 1907 könnten durch Ansteckung bei Musil bedingt gewesen sei.“2)
Nach seiner Ingenieurausbildung verspürte Robert Musil den Wunsch, Psychologie und Philosophie zu studieren. Deshalb holte er 1902 das Abitur nach und studierte anschließend an der Universität in Berlin. Das Studium schloss er 1908 mit der Promotion ab. „Eine Assistentenstelle als Experimentalpsychologe in Graz samt anschließender Habilitation schlug Musil zugunsten der Schriftstellerexistenz aus.“ 3) 1906 erschien sein erstes Werk „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“, womit er schriftstellerischen Erfolg hatte. Hier geht es um einen Internatsschüler in einer Militärerziehungsanstalt, der auf der Suche nach selbstständiger Erkenntnis ist.
Hanjo Kesting schreibt dazu: „Der Törleß gehört zu den klassischen Schulromanen der deutschsprachigen Literatur, neben Heinrich Manns fast gleichzeitigem ‚Professor Unrat‘ und Hermann Hesses frühem Roman ‘Unterm Rad‘. Die Befindlichkeit Jugendlicher wird darin in einer für Musil kennzeichnenden, reflexionsgesättigten Weise beschrieben und analysiert: ihre Isolation und Verlorenheit, die quälende Sexualität, die sadistisch und masochistisch bestimmten Beziehungen, die schwelende Gewalttätigkeit, aber auch - am Beispiel der Titelfigur - die Neigung zu metaphysischer Grübelei. Der Autor schildert gruppendynamische Prozesse, die überall und bis heute wirksam sind. (…) Durch dieses Buch, eines der großen Romanexperimente des 20. Jahrhunderts, ist Musil berühmt geworden. Doch ist es eher ein schattenhafter Ruhm, dem keine Leseerfahrung beim breiten Publikum entspricht. ‚Mein Ruf ist der eines großen Dichters, der kleine Auflagen hat‘, schrieb Musil über sich selbst. Der Satz ist bis heute gültig geblieben. Was den großen Erfolg verhinderte, war die herausfordernde Radikalität dieses Schriftstellers, die Totalität seiner Problemstellung, die Prägnanz seiner Sprache und die Schärfe seines Blicks.“ 4)
Musils literarische Frauengestalten entsprangen oft der Realität: es handelte sich um Frauen, die Musil gekannt bzw. geliebt hatte. „Seit dem Frühjahr 1908 arbeitete er an der Novelle ‚Das verzauberte Haus‘, aus der ‚Die Versuchung der stillen Veronika‘ hervorging, und an der ‚Vollendung der Liebe‘, Texten, die zusammen den Band ‚Vereinigungen‘ (1911) bilden. Den Stoff dafür lieferte das bewegte erotische Vorleben Marthas, seiner späteren Frau, die er im Sommer 1906 kennengelernt hatte.“ 5)
Damals war die jüdische Malerin Martha Marcovaldi, geborene Heimann (1874 Berlin - 24.8.1949 Rom) noch mit dem Italiener Marcovaldi verheiratet und hatte zwei Kinder, Annina und Gaetano. In erster Ehe war Martha Heimann mit dem Maler Fritz Alexander (1870-1895) verheiratet gewesen. Sie hasste es, Modell zu stehen, worauf ihr Ehemann bereits während der Hochzeitsreise bestanden hatte. "Ich erinnere mich, daß ich damals ermüdet dachte: eigentlich hätte ich einen Dichter heiraten sollen." 6) Während der Hochzeitsreise starb Fritz Alexander an Typhus. Schon bald danach heiratete Martha den Italiener Marcovaldi. Später brannte sie „mit dem verheirateten Kindsvater Paul Cassirer durch“. 7)
Martha Musil war: „eine von nicht wenigen Schriftstellerehefrauen, die ihren Männern den schmerzenden Rücken freihalten und selbst das narzisstische Ego aushalten“ 8) schriebt Paul Jandl und fährt fort: „Sie war die heroische Küchenfee seines Schreibens und die krittelnde Krankenschwester seiner Gewohnheiten. Selbst während einschlägiger ehelicher Betätigungen soll Martha Musil ihren Mann zur körperlichen Mässigung aufgefordert haben. Die Vorstellung, dass der hypertonische Schriftsteller in ihren Armen sein Leben aushauchen könnte, wäre vielleicht auf romantische Art schön gewesen. Das Pflichtgefühl der Ehefrau allerdings hätte sich solche Vorstellungen verbeten. Auch verbitten wollte sie sich einen Tagebucheintrag Robert Musils, in dem er die Jahrzehnte dauernde Beziehung statistisch in eine Form zu bringen versuchte. Das aus dem Tagebuch herausgerissene Blatt hat sich Martha Musil ins Futter ihres Mantels einnähen lassen.“ 9)
Karl Coroni beschreibt in einem Kapitel seiner Musil-Biographie die in Musils Erzählungen und Romanen vorkommenden Frauen. „Beim kleinen Mädchen angefangen, das Musil selbst gern gewesen wäre: bei seinem erträumten weiblichen Alter Ego. Dann die Mutter. Und Valerie Hilpert, die platonische Jugendgeliebte, die jenen ozeanischen ‚anderen Zustand‘ in ihm auslöste, den er bis zu seinem Tod beschreiben, erforschen und ausloten würde, ohne den er nicht Musil geworden wäre. Herma Dietz (‚Tonka‘), die arme Verkäuferin, mit der Musil jahrelang eheähnlich lebte, bis sie an den Folgen einer syphilitischen Schwangerschaft starb, mit der er sie allein gelassen hatte. Ida Roland, gefeierte Schauspielerin. Die Bäuerin ‚Grigia‘ alias Magdalena Lenzi, Musils Kriegsgefährtin. Aber vor allen Martha, geborene Heimann, verwitwete Alexander, geschiedene Marcovaldi, von früh an gesucht, Musils Zwillingsschwester, pardon, Ehefrau - Zwillingsschwester nur im ‚Mann ohne Eigenschaften‘: die Frau, die ihn lebenslang inspirierte, aufregte, schützte, hegte, die in die Rolle des ‚bad guy‘ schlüpfte, sobald Mäzene zu beknien waren, die nach seinem Tod mit seiner Totenmaske reiste und die sich weigerte, postum über ihn zu schreiben. Denn all die vielen, ‚für Robert bezeichnenden und auch amüsanten Einzelheiten‘ gäben der Allgemeinheit nur ‚das Bild eines sonderbaren, bestenfalls willensstarken Menschen, voll von Einbildungen und Eigenheiten‘, wenn es nicht gelänge, seiner ‚Vielfalt des Geistigen‘ gerecht zu werden, und das ‚kann ich nicht‘. (…)
Musil [entwarf] die Utopie von ‚Ulrich und Agathe‘ (..), eines Mannes und einer Frau, einander völlig gleichwertig, mit dem Versuch einer neuartigen Liebe. War Musil heimlicher Feminist? Und dadurch automatisch auch schon politisch korrekt, gegen alle Ideologien immun, ein Ausnahmemann? (…).“ 10)
1911 ließ sich Musil evangelisch taufen - seine Eltern waren katholisch – um dadurch die mittlerweile geschiedene Martha Marcovaldi-Heimann heiraten zu können. Damals arbeitete er als Bibliothekar an der Technischen Hochschule Wien, da er von der Schriftstellerei nicht leben konnte. Doch schon bald gab er die ihm nicht zusagende Anstellung auf, und war fortan bis 1914 bei mehreren Zeitungen in der Redaktion tätig, so zum Beispiel bei der Neuen Rundschau.
Als der Erste Weltkrieg begann, zog Musil als Reserveoffizier „ins Feld“, avancierte zum Landsturmhauptmann und wurde schließlich 1916 wegen schwerer Erkrankung aus dem Militärdienst an der Front entlassen. Musil arbeitete nun als leitender Redakteur der Tiroler Soldaten Zeitung und 1918 für die „Heimat“, auch ein „ein militärisches Propagandablatt aus dem Wiener k.u.k. Kriegspressequartier. Auch nach Kriegsende war Musil zur Sicherung des Lebensunterhalts zunächst noch an diesem Wirkungsort beschäftigt – nunmehr zwecks Auflösung.“ 11)
Fortan arbeitete Musil wieder als Schriftsteller, wobei es finanziell für ihn nicht gut bestellt war. 1923 erhielt er den Kleist-Preis und 1924 den Wiener Kunstpreis verliehen. Auch wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden des Schutzverbands deutscher Schriftsteller Österreichs ernannt. Durch einen Vertrag mit dem Verleger Ernst Rowohlt erhielt Musil zwar einen monatlichen Vorschuss für seinen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“, wodurch seine finanzielle Situation gebessert wurde, aber Musil konnte nicht immer die abgesprochenen Abgabetermine einhalten, Krankheiten, aber auch Schreibblockaden waren häufig die Ursache. Auch war der Vorschuss bald aufgebraucht. 1930 erschien endlich Band 1 des Werkes „Der Mann ohne Eigenschaften“. Damit Musil sich finanziell über Wasser halten konnte, wurde 1932 die Musil-Gesellschaft gegründet, in die finanziell begüterte Menschen einzahlten, damit Musil finanziell in die Lage versetzt wurde, an dem Roman „Mann ohne Eigenschaften“ weiterzuarbeiten. Der erste Teil des zweiten Bandes erschien 1932. Christian Linder erklärt die Aussage des Buchinhaltes: „Der moderne Mensch lebt in einer standardisierten, starren, verdorrten Welt. Die Ursachen dieser Verdorrung sind Vereinzelung, Arbeitsteilung, Isolierung, Zerstückelung. Solche im Rahmen einer ‚Grundinventur‘ vorgetragenen Überlegungen zu einer ‚Megalozivilisation‘, in der der ‚Ameisenmensch‘ im Maschinentempo mitgerissen wird und wenig Chancen besitzt, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, hat Musil erzählerisch entfaltet, in seinem auf drei Bände konzipierten Romanprojekt ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘. Ulrich, die Hauptperson darin, nimmt in der Einsicht, dass im persönlichen wie im öffentlich-geschichtlichen Leben immer nur das geschieht, ‚was eigentlich keinen rechten Grund hat‘, ‚Urlaub‘ von seinem gewohnten Leben und geht auf die Suche nach einem anderen Leben.“12)
„Das Echo in der literarischen Welt war gegenüber dem nach Erscheinen des ersten Bands zurückhaltender. Zur Veröffentlichung eines zuletzt für April 1938 anvisierten weiteren Teils kam es nicht mehr. Mit der Korrektur der sogenannten Druckfahnenkapitel war Musil noch beschäftigt, als das NS-Regime mit dem Anschluss Österreichs die bevorstehende Publikation verhinderte. In den letzten Lebensjahren veröffentlichte Musil trotz unablässiger Arbeit am Mann ohne Eigenschaften nichts mehr und geriet im Schweizer Exil in Vergessenheit; denn auch politischer Stellungnahmen enthielt er sich, vielleicht in dem Bestreben, für die Behörden gar nicht als Mann im Exil zu erscheinen, sondern als zu Studienzwecken vorübergehend Auswärtiger.“ 13)
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurden Musils Bücher bald verboten. Musil sah seine jüdische Ehefrau in Deutschland gefährdet und zog mit ihr nach Wien. Fünf Jahre später mit dem Anschluss Österreichs 1938 an das nationalsozialistische Deutsche Reich emigrierte er mit seiner Frau in die Schweiz. Da Musils Bücher sowohl in Deutschland als auch in Österreich verboten waren, lebte das Ehepaar in prekären finanziellen Verhältnissen. Finanzielle Unterstützung erhielten sie durch den Genfer Pfarrer Robert Lejeune sowie das schweizerische Hilfswerk für deutsche Gelehrte.
Im April 1942 starb Robert Musil an einem Schlaganfall. Ein Jahr später gab Martha Musil den unvollendeten Nachlassteil des Romans „Der Mann ohne Eigenschaften“ im Selbstverlag heraus. 1949 starb Martha Musil in Rom, im Haus ihres Sohnes Gaetano Marcovaldi.