Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Otto-Ernst-Straße

Othmarschen (1928): Otto Ernst Schmidt, eigentl. Name (7.10.1862 Ottensen - 5.3.1926), Dichter, Schriftsteller.


Otto Ernst wurde: „als Sohn einer Zigarrendreherfamilie geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. (…) Während der Schulzeit zeigte er jedoch Wissbegierde und seine Fähigkeiten, die von den Lehrern erkannt und gefördert wurden.“ 1). Verheiratet war Otto Ernst, der, bevor er hauptberuflich Schriftsteller wurde, als Lehrer an Hamburger Schulen beschäftigt war, mit seiner ehemaligen Kollegin Helmy Scharge (1887-1926). Die Hochzeit fand 1887 statt. Das Paar bekam fünf Kinder.

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Otto Ernst, 1905; Quelle: Rudolf Dührkoop, gemeinfrei, via Wikimedia Commons

„1891 gründete Otto Ernst die Hamburger ‚Literarische Gesellschaft‘. Neben seinem Lehrerberuf war Otto Ernst Schriftsteller, Bühnenautor und Vortragskünstler, Tätigkeiten, mit denen er so viel Geld verdiente, dass er 1901 den Lehrerberuf aufgab. 1903 kaufte er das Haus an der Kleinflottbeker Straße 17, die später zu seinen Ehren in Otto-Ernst-Straße umbenannt wurde.“1)

Zum Thema Otto Ernst und Antisemitismus schreibt Johannes Hennies, der sich diesem Thema genähert hat, indem er hierzu Sekundärliteratur auswertete, unter: www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/ernst.html#Antisemitismus
„So lesen wir in einem Buch, das jüdisches Leben in Hamburg untersucht, im Zusammenhang mit Löwenbergs Tod [Otto Ernsts Tochter besuchte die Schule von Löwenberg] 1929: ‚Nur seine engsten Angehörigen und Freunde wußten, daß die letzte Zeit seines Lebens von tiefer Niedergeschlagenheit und Resignation erfüllt gewesen war. Jakob Loewenberg spürte, daß er vergeblich gegen den uralten Judenhaß gekämpft hatte, und keiner konnte ihm ausreden, daß der Antisemitismus auch in Hamburg bedrohlich anwuchs. Am schwersten hatte es ihn getroffen, als sein Freund Otto Ernst (...) sich von ihm abwandte. Nach dem Weltkrieg war Otto Ernst mehr und mehr zum 'vaterländisch-völkischen Publizisten' geworden, der unter dem Beifall der Antisemiten behauptete, Juden beherrschten das Kulturleben und festigten ihre Stellung durch gegenseitige Protektion, wobei sie Nichtjuden zurückdrängten.' (Ursula Wamser, Winfried Weinke (Hrsg.): Ehemals in Hamburg zu Hause: Jüdisches Leben am Grindel. Hamburg 1991.] (…). Die Quelle, auf die sich Wamser und Weinke in Bezug auf Otto Ernst stützen, schildert seine Wandlung zum ‚vaterländisch-völkischen Publizisten‘ mit antisemitischen Einschlag detailliert: ‚Schon im letzten Band der Trilogie (Semper der Mann), noch mehr aber im Zeitroman ‚Hermannsland‘ (1921), zeigte sich die Entwicklung des ursprünglich der Sozialdemokratie nahestehenden, reformerisch eingestellten jungen E, (...) zum vaterländisch-völkischen Publizisten in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Er war seit vor der Jahrhundertwende Vorstandsmitglied der von ihm mitgegründeten Altonaer Ortsgruppe der ‚Deutschen Friedensgesellschaft‘ gewesen und hatte sich an der Ausrichtung des 1897 erstmals in Deutschland veranstalteten 7. Weltfriedenskongresses in Hamburg beteiligt. 1919 schloß ihn aber die Friedensgesellschaft wegen seiner während des und nach dem Weltkrieg veröffentlichten chauvinistischen Presseartikel aus. (...) Im gewandelten kulturellen und politischen Klima nach dem Ersten Weltkrieg war ihm eine Fortsetzung oder gar Erneuerung seiner schriftstellerischen Erfolge nicht möglich; Gründe dafür suchte er, unter Beifall der Presseorgane des aufkommenden Nationalsozialismus, auf die bei Antisemiten und völkischen Anti-Intellektuellen übliche Weise, indem er die angebliche Vorherrschaft von Juden im zeitgenössischen Kulturleben auf gegenseitige Protektion unter Beteiligung von Nichtjuden zurückführte. Alte Freunde rückten von ihm ab; auch der Lehrerverein distanzierte sich von seinem langjährigen prominenten Mitglied. (...) Seine letzten literarischen Arbeiten stellte er überwiegend in den Dienst der Tagespolitik; Tendenzstücke wie die burleske Komödie ‚Die hohe Menagerie‘ (1921) predigten die Dolchstoßlegende, leugneten jegliche Kriegsschuld des Deutschen Reiches und suchten in verbalen Kraftakten Revanche gegen den Erbfeind Frankreich. So nahm die ernstzunehmende Literaturkritik vom späten E. nur noch als von einem Ärgernis Notiz.‘ (Biographisches Lexikon v. S-H., 1982) (…).“ www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/ernst.html#Antisemitismus

Otto Ernsts jüngste Tochter erhielt von ihm den Kosenamen „Appelschnut“. Eigentlich hieß sie Senta-Regina Möller-Ernst (1897-1998). Sie lebte ihr Leben lang im elterlichen Hause in Groß Flottbek und pflegte das Werk ihres Vaters. Dieser hatte der Tochter mit seinen humoristischen Erzählungen aus deren Kinderzeit, die unter dem Buchtitel „Appelschnut“ erschienen, ein Denkmal gesetzt. Mehr über Senta-Regina Möller-Ernst unter: www.richard-dehmel.de/rdehmel/zeitgenossen/ernst.html#Antisemitismus

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Cover von "Appelschnut", L. Staackmann, Leipzig 1907; Quelle: via Wikimedia Commons

Auszug aus „Appelschnut“: „Eigentlich heißt mein dreijähriges Töchterchen Roswitha; aber ich sage immer ‚Appelschnut‘. Man darf diesen Namen nicht ins Hochdeutsche übersetzen; ‚Apfelschnauze‘ klingt roh, klingt gräßlich. ‚Schnauzerl‘, ‚Schnäuzchen‘ käme der Sache schon näher, deckt sie aber nur zum Teil. ‚Schnut‘ umfaßt nämlich nicht nur Mund und Nase, sondern so ein ganzes kleines Gesichtchen, das man noch ganz und gar in eine Hand nehmen kann. Ja, zuweilen umfaßt es einen ganzen fünfundzwanzigpfündigen Men-schen; wenn er eine geniale Bemerkung macht, sagt man: ‚Du Klooksnut‘, wenn er im Feuerungsverschlag gespielt und Steinkohlen gegessen hat: ‚Du Swattsnut.‘ Und da nun Roswitha nicht nur zwei rote Wangen hat, sondern alles in allem genommen ausschaut wie ein rundes, blankes, rot und goldenes, zum Einbeißen herausforderndes Früchtlein, so hab' ich in einer begnadeten Stunde den Namen ‚Appelschnut‘ gefunden. ‚Appelschnut‘ ist unübersetzbar. Die junge Dame hat es gut; das darf man wohl sagen. Schon früh am Morgen umstehen ihre Geschwister, bevor sie sich zum Schulgang rüsten, mit nackten Beinchen ihr Bett und bewundern die Anmut ihres Schlummers, die Dicke ihrer Ärmchen, die Blondheit ihres Haares und ihre Kunst, auch im Schlaf noch mit Ausdauer auf dem Daumen zu lutschen. Wenn sie endlich die Augen aufschlägt, begegnet sie gewiß irgendeinem Blick, der sie mit Liebe oder Bewunderung anschaut. (…) Der heutige Tag gehört meinem Töchterlein Appelschnut. Das kommt daher: Eines Tages kam sie an meinen Schreibtisch und sprach: ‚Pappa, weiß du was? Wir spielen Mutter und Kind zusammen. Du bis das Kind un ich bin die Mutter. Un denn muß du immer tüchtig ungezogen sein un denn bekomms du Schläge, aber nur aus Spaß, mein ich! O ja – nich?‘ ‚Ich kann aber jetzt nicht mit dir spielen.‘ ‚Worum nich?‘ ‚Weil ich arbeiten muß.‘ ‚Worum muß du arbeiten?‘ Da ich nicht hoffen durfte, ihr den Schöpferdrang eines Dichterherzens klarzumachen, so ergriff ich die Gelegenheit zu einer ökonomischen Aufklärung und sagte: ‚Weil ich Geld verdienen muß.‘ ‚Worum muß du denn Geld verdienen?‘ ‚Weil ich für euch was zu essen kaufen muß.‘ ‚Mamma hat was zu essen!‘ ruft sie mit der Kraft eines befreienden Gedankens. ‚In'n Küchenschrank: 'n ganze Masse!‘ Das ist eines jener Argumente, die unwiderleglich sind. Die Dreijährigen haben's überall in der Welt so leicht, recht zu behalten! Und das hat man nun davon: Da rackert man sich unaufhörlich, um sieben ‚tägliche Brote‘ zu schaffen, und den Ruhm der Ernährerin trägt die ‚Mamma‘ davon. Nach einer höchst nachdenklichen Pause nahm Appelschnut das Gespräch wieder auf. ‚Pappa, wann muß du mal garnich, garnich, garnich mehr arbei'n!‘ ‚Ja, das weiß ich nicht. Was willst du denn, wenn ich nicht mehr arbeite?‘ ‚Denn will ich mal 'n ganzen Tag mit dir spiel'n!‘ Der freudige Glanz aus ihren Augen überlief mir so schmeichlerisch das Herz, daß ich ihr versprach, ich wolle bald einmal einen ganzen Tag mit ihr spielen. Selbstverständlich wurde ich am andern Morgen um fünf Uhr durch eine Bearbeitung meines Bartes und meiner Nase aus dem Schlaf geweckt. Appelschnut stand an meinem Bett und fragte: ‚Wills du heute mit mir spiel'n?‘ ‚Nein, heute noch nicht.‘ ‚Wann denn?‘ ‚Bald.‘ ‚Morgen?‘ ‚'mal seh'n. Vielleicht.‘ ‚O Mamma, Pappa will fürleich morgen mit mir spiel'n!!‘ (…) Appelschnut bewährte sich außerordentlich als Erzieher zum Worthalten.“ 2)

Senta-Regina Möller machte 1915 ihr Abitur. In der NS-Zeit war sie von 1937 bis 1945 Mitglied der NS Frauenschaft und in der NSV. 3)

Die NS-Frauenschaft wurde am: „1.10.1931 als Zusammenschluß verschiedener Verbände von der NSDAP gegründet. Seit dem 29.3.1935 als offizielle Gliederung der NSDAP in die Partei eingeordnet, kam der N. die Aufgabe zu, Frauenarbeit im Sinne der NS-Ideologie zu leisten. (…) 1936 wurden die Bedingungen für die Aufnahme in die N. verschärft, um den Auswahlcharakter der Organisation zu erhalten. Seitdem wurden nur noch Frauen aufgenommen, die sich bereits im Sinne der Partei verdient gemacht hatten. Politisch blieb die N. ohne Bedeutung (…) und übte nur geringen Einfluß auf die NSDAP aus. Sie beschränkte sich vielmehr auf eine gezielte ideologische und praktische Schulung von Frauen innerhalb der ihnen zugeordneten häuslichen und familiären Welt.“ 4)

Die NSV war mit „17 Mio. Mitgliedern (1943) nach der Dt. Arbeitsfront die größte (…) NS-Massenorganisation.(…) Ihren Anspruch auf Monopolisierung der gesamten freien und öffentlichen Wohlfahrt konnte die N. zwar nicht realisieren, doch gelang es ihr, die in der freien Wohlfahrtspflege tätigen Verbände zurückzudrängen bzw. gleichzuschalten (…). Angesichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel (Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Zuwendungen) war es ihr n möglich, in alle Bereiche der Wohlfahrt zu expandieren (…). Aufgrund ihrer scheinbaren Ideologieferne war die Arbeit der N. populär und die Mitgliedschaft erschien auch für diejenigen, die dem Regime eher zögernd oder kritisch gegenüberstanden, aber aus Opportunitätsgründen in eine Parteiorganisation eintreten wollten, akzeptabel. Tatsächlich war die Arbeit der N. von rasse- und erbbiologischen Selektionskriterien bestimmt (…).“ 5)

Senta Möller-Ernst wurde in den 1990er Jahren in einem Interview nach der antisemitischen Einstellung ihres Vaters befragt: „ich habe selbst eine jüdische Mädchenschule besucht, die Dr. Jakob Löwenberg, ein guter Freund meines Vaters, leitete. Ich bin mit Juden groß geworden. Gegen den Antisemitismus habe ich mich immer gewehrt. Sie sind schließlich eine Rasse wie alle anderen auch.

Trotzdem waren die Juden an ihrem Schicksal auch ein bißchen mitschuldig; das haben sogar unsere jüdischen Freunde zugegeben: Sie wollten immer und überall die Ersten sein. In Hamburg waren alle Rechtsanwälte und Ärzte Juden. Damit haben sie sich natürlich auch Feinde gemacht, auch wenn das nicht unbedingt berechtigt war. Die Juden sind eben ein sehr aktives Volk.

Dr. Löwenberg, Dr. Levoir und Dr. Goldschmitt: Sie waren alle Mitglieder der ‚Literarischen Gesellschaft‘. In diesem Zusammenhang pflegte mein Vater scherzhaft zu sagen, daß die ‚Literarische Gesellschaft‘ ihren Namen daher habe, daß nur ein Literarisches Blut in ihr fließe" 6)

Senta Möller-Ernst ging noch bis ins hohe Alter auf Lesungen, wo sie über das Werk ihres Vaters erzählte und daraus vorlas. Dazu Ulricke Schwarzrock-Frank: „Appelschnut ist fast ein Mythos, teils ein selbstverfertigter, teils ein von der Umwelt produzierter. Schon hochbetagt, nahm sie es selber in die Hand, durch Lesungen an ihren Schriftstellervater Otto Ernst zu erinnern, vor allem an seine ‚Appelschnut‘, in der sie als possierliches, kleines Mädchen um die Jahrhundertwende geschildert hatte. Nach einem langen, oft auch mühseligen und leidvollen eigenen Leben schlüpfte sie als Greisin in die Rolle des spitzbübischen Elfchens zurück: Fiction und Non-Fiction verschwimmen bei diesen Lesungen; die Zeit scheint zurückgedreht, ja die sogenannte gute alte Zeit wieder gegenwärtig zu sein; es herrschen zeitlose Anmut und Heiterkeit. Appelschnut ist dann Muse des Vaters und Verwalterin seines Erbes in einer Person. (…)“7)