Pinelsweg
Barmbek-Süd (1912): Philippe Pinel (20.4.1745 Cap de-Joux St. Paul/Tarn – 26.10.1826 Paris), Psychiater.
Philippe Pinel war der Sohn des Landarztes Philippe François Pinel. Über die Mutter wird nicht berichtet. Zuerst wollte Pinel katholischer Priester werden, erhielt auch die ersten Weihen, wechselte aber 1716 an die Universität in Toulouse und widmete sich den Fächern Mathematik, Physiologie und später Humanmedizin.
1773 wurde er an der Philosophischen Fakultät promoviert. Danach arbeitete er an verschiedenen Krankenhäusern, um Erfahrungen zu sammeln. 1778 ging er nach Paris und arbeitete dort zunächst als Geometrielehrer. „Erst nach dem dritten Versuch bestand er das nötige Examen, um in der französischen Hauptstadt als Arzt tätig sein zu können.“1)
Seine erste Anstellung in Paris war als beratender Arzt im Privatsanatorium von Jacques Belhomme. Hier kam er erstmals mit psychisch Erkrankten in Kontakt. Er begann mit der systematischen Beobachtung der Kranken und mit dem Aufschreiben von Krankengeschichten.
Pinel betonte „die natürlichen Ursachen von Krankheiten und ging davon aus, dass die Natur – sofern nicht beeinflusst durch Medikamente oder andere physische Behandlungen – auch Geisteskrankheiten heilen könne. (…) [Pinels] erklärtes Ziel [war] es, durch beispielsweise Fallbeschreibungen und Tableaus (bestehend aus Krankennamen, - Herkunft und Beruf, Krankheitsverlauf und -heilerfolg) seine klinischen Beobachtungen festzuhalten.“2)
Pinel war es besonders wichtig, den Kranken zuzuhören, sie zu beobachten und das Erzählte für die ärztliche Diagnose zu nutzen. 3) Florian Steger unter Mitwirkung von Katharina Fürholzer und Maximilian Schochow schreiben über Pinels Wirken u. a.: „Auf Basis seiner klinischen Erfahrungen und Beobachtungen schuf PInel ein an die Naturwissenschaften angeglichenes klinisches Klassifikationssysstem. (…) Um eine Krankheit bestimmen zu können, müsse man, so Pinel, verschiedene Faktoren berücksichtigen, beispielsweise die individuelle Biographie und Prädispositionen des Kranken oder auch Einwirkungen des sozialen Umfelds (…).
Pinels besonderes Verdienst war dabei die Trennung von psychologischen und metaphysischen Problemen (…). In seiner Entwicklung dieser neuen Nosologie richtete sich der Psychiater gegen die oftmals nur schwer verständlichen und zudem diffusen Klassifikationen seiner Zeit.“4)
1794 erhielt Pinel an der neu gegründeten Ecole de Santé einen Lehrstuhl für „Physique médicale et d’Hygiène“ und für die Pathologie der inneren Krankheiten. Dort war er bis 1822 tätig; arbeitete dann von 1792 bis 1794 als Leiter der Anstalt Bicêtre in Paris. Ab 1795 leitete er die Abteilung für psychisch erkrankte Frauen im Hôpital de la Salpêtrière in Paris.
„Durch seine Beschreibung der klinischen Entwicklung der verschiedenen psychischen Erkrankungen wurde es möglich, das Gebiet der Psychiatrie in die allgemeine Medizin aufzunehmen. Ferner bewirkte er zwischen 1790 und 1799 eine grundlegende Reform der ‚Irrenanstalten‘ (…) und wies neue Wege in der Behandlung Geisteskranker. (…)
Pinel gilt als Begründer der wissenschaftlichen Psychiatrie. Er klassifizierte die psychiatrischen Erkrankungen im Wesentlichen durch Einteilung in Manie, Melancholie (…), Demenz und (ein als psychologischer Begriff zu verstehender) Idiotismus. Mit seinem Konzept der Manie sans delire brach er mit der Tradition der Aufklärung, psychische Störungen lediglich als Störungen der Verstandestätigkeit zu interpretieren (…). Die Fortentwicklung seines Ansatzes ermöglichte der Psychiatrie im 19. Jahrhundert die subtilere Erfassung psychischer Störungen auch ohne das Vorliegen schwerer Verstandesstörungen, z. B. Veränderungen der Stimmung, des Antriebs sowie Störungen, die heute als Persönlichkeitsstörungen oder Neurosen/neurotische Störungen bezeichnet werden,“5) heißt es in Wikipedia.
Pinel ist es zu verdanken, dass psychisch Erkrankte nicht mehr mit Straftätern an einem gemeinsamen Ort verwahrt und in Ketten gelegt wurden. Außerdem „beendete er in Bicetre und Salpetrière die Konvention, auf die krankheitsbedingte Aggressivität der Patienten mit Gewalt oder Zwangsmaßnahmen zu reagieren (z. B. Anketten, Anbinden, kalte Bäder, künstliche Ernährung; (…). Stattdessen setzte er durch, dass den Geisteskranken eine seelische Behandlung zuteilwurde (…).“ 6)
In Wikipedia heißt es dagegen: „Dennoch wirft Pinels Handeln auch Kritik auf. Behandlungsmethoden wie eiskalte Duschen oder der Einsatz von Zwangsjacken übten immer noch einen großen Druck auf die psychisch Erkrankten aus, sie wurden nicht so schonend behandelt wie körperlich Kranke. Auch die Integration der psychisch gestörten Menschen in die Gesellschaft wurde von ihm nicht angestrebt.“7)
Pinel betätigte sich auch als Leibarzt von Napoleon Bonaparte. Als er die Position des Hofarztes angeboten bekam, lehnte er ab. 1803 wurde er zum Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften ernannt und 1804 Ritter der Ehrenlegion. Er starb im Alter von 81 Jahren an einer Hirnblutung.