Zamenhofweg
Farmsen-Berne (1960): Lazarus Ludwig Zamenhof (3.12.1859 Bialystok – 14.4.1917 Warschau), Erfinder der Esperantosprache
Der jüdische Augenarzt Lazarus Ludwig Zamenhof begründete 1887 unter dem Pseudonym Doktoro Esperanto die Plansprache Esperanto. „Außerdem veröffentlichte er eine sogenannte Menschheitslehre für die allgemeine Völkerverbrüderung. Zamenhof war zeitweise Zionist und verfasste eine frühe Grammatik für das Jiddische.
Zamenhofs Vater war ein assimilierter, russischsprachiger Jude, während seine Mutter Jiddisch mit ihm sprach. Zu beiden Sprachen hatte er einen sehr positiven Bezug; er hat sogar eine Grammatik für das Jiddische verfasst, als es noch als Jargon verspottet wurde. Zeitweise war der junge Zamenhof ein glühender Zionist, also jemand, der sein Judentum als seine Nationalität (Ethnie) verstand und einen jüdischen Staat in Palästina gründen wollte. Den Zionismus verließ er bald wieder, doch er sah sich weiterhin als Angehöriger des jüdischen Volkes. (…)
Sein Vater Markus (jiddisch Mordechaj) war, wie schon der Großvater, von der jüdischen Aufklärungsbewegung Haskala beeinflusst und suchte gezielt Anschluss an die europäische Kultur bzw. das Land, in dem er lebte. Markus Zamenhof war Atheist und sah sich als Russe. Damit unterschied er sich von seiner religiösen und jiddisch sprechenden Frau Rozalja. Er arbeitete als Sprachlehrer für Französisch und Deutsch, verfasste Lehrmaterialien und leitete zeitweise eine Sprachschule. Markus Zamenhof war Schulinspektor und zensierte für die russischen Behörden Veröffentlichungen. Schließlich erhielt er den Titel Staatsrat.
Der junge Lejzer (…) besuchte zunächst die Grundschule in Białystok und nach dem Umzug der Eltern 1874 das Gymnasium in Warschau. Er studierte Medizin, erst in Moskau und später wegen des wachsenden Antisemitismus in Russland an der Universität Wien, an der er auch Promovierte. Später spezialisierte er sich u. a. in Wien auf die Augenheilkunde.
1887 heiratete er Klara Silbernik (23.8./5.10.1863 Kaunas – 6.12.1924 Warschau), eine Fabrikantentochter, die er in zionistischen Kreisen während seiner Studentenzeit kennengelernt hatte. Mit ihr hatte er die drei Kinder Adam (1888–1940), Sofia (1889–1942) und Lidia (1904–1942). Besonders Lidia begeisterte sich bald selbst für Esperanto und lehrte und verbreitete die Sprache auf ihren Reisen durch Europa und Amerika. Alle drei Kinder wurden im Holocaust bzw. während der deutschen Besatzung Polens ermordet. (…).“ 1)
Klara Zamenhof wird in ihrem Wikipedia Eintrag als russische Gründungsesparantistin bezeichnet. Über sie heißt es: „Klara Silbernik war die Tochter des Seifenfabrikbesitzers Alexander Leibowitsch Silbernik. (…) Zamenhof wollte wie ihr Mann das Esperanto als internationale Sprache erschaffen. Ihre Mitgift von 10.000 Rubel gab sie für die Veröffentlichung des ersten Esperanto-Lehrbuchs Unna Libro 1887. Sie war die ständige Assistentin und Sekretärin ihres Mannes. Nach dem Tode ihres Mannes 1917 arbeitete sie weiter für die weltweite Verbreitung des Esperanto. 1921 initiierte sie die Gründung der Warschauer Esperantistengesellschaft Konkordo. Seit dem ersten Esperanto-Weltkongress 1905 nahm sie an den jährlichen Esperanto-Weltkongressen teil.“ 2)
Über die Tochter Lidia Zamenhof steht in Wikipedia: Lidia Zamenhof (29.1.1904 Warschau – 5.9.1942 Vernichtungslager Treblinka) „war die jüngste Tochter des Esperanto-Schöpfers Ludwik Lejzer Zamenhof, die später in vielen europäischen und US-amerikanischen Städten Esperanto nach der Cseh-Methode lehrte. Nach ihrem abgeschlossenen Jura-Studium war sie eine aktive Förderin von Esperanto und auch des Homaranismo, einer Art religiöser und ethischer Weltbürgerschaft, die von ihrem Vater formuliert worden war. Sie übersetzte Literatur in die noch junge Sprache Esperanto, gründete den Esperanto-Studentenverband, und schrieb Beiträge für Esperanto-Zeitschriften. Um 1925 wurde sie Mitglied der Baha’i-Bewegung. Ende des Jahres 1937 ging sie in die USA, um Esperanto zu unterrichten. Im Jahr 1938 musste sie, aufgrund der Einwanderungspolitik der USA, nach Polen zurückkehren, wo sie weiterhin Esperanto lehrte und auch grundlegende Baha'i-Schriften ins Esperanto übersetzte. Als gebürtige Jüdin wurde sie im Herbst 1942 im NS-Vernichtungslager Treblinka ermordet.
Lidia Zamenhof lernte Esperanto als 9-jähriges Mädchen. Mit 14 Jahren hat sie bereits Übersetzungen aus der polnischen Literatur gemacht. Ihre ersten Publikationen erschienen ein paar Jahre später. Am Ende des Jahres 1925 beendete sie ihr Jura-Studium und widmete sich ganz der Arbeit für Esperanto. Im selben Jahr, während des 17. Esperanto-Weltkongresses in Genf, lernte sie die Baha’i-Religion kennen. Lidja wurde Sekretärin der Esperanto-Gesellschaft Konkordo in Warschau, die den Homaranismo förderte, und organisierte oft Vorträge und Kurse. Sie hat seit dem Wiener Esperanto-Weltkongress 1924 an jedem weiteren teilgenommen. Als Esperantolehrerin der Cseh-methode (…), machte sie mehrere Propaganda-Reisen und leitete Kurse in verschiedenen Ländern.
Aktiv arbeitete sie in der Internationalen-Studenten-Liga des Esperanto-Weltbundes, des Cseh-Instituts und der Baha'i-Religion. Außerdem schrieb Lidia für die Zeitschrift Literatura Mondo, besonders über Werke aus der polnischen Literatur, und schrieb Beiträge für folgende Esperanto-Zeitschriften: Pola Esperantisto, La Praktiko, Heraldo de Esperanto, Enciklopedio de Esperanto und andere esperantosprachige Publikationen.
Sehr bekannt ist ihre Übersetzung von Quo vadis? von Henryk Sienkiewicz, welche im Jahre 1933 veröffentlicht wurde.
Im Jahr 1937 ging sie für einen längeren Aufenthalt in die Vereinigten Staaten, um dort für Esperanto zu werben. Im Dezember 1938 musste sie die Vereinigten Staaten verlassen, weil ihr die Einwanderungsbehörde die Aufenthaltserlaubnis wegen ihrer regelwidrigen ‚bezahlten Arbeit‘ für Esperanto-Kurse nicht verlängerte. Deshalb musste sie Ende 1938 wieder nach Warschau zurückkehren. Sie bearbeitete dort Fabeln von hans Christian Andersen in Esperanto und übersetzte weitere Werke von Bahá'u'lláh, dem Gründer der Baha'i Religion, ins Esperanto. Nach dem Einmarsch der Deutschen Armee in Warschau wurde sie mit vier Familienangehörigen zunächst für sechs Monate ins Pawiak-Gefängnis eingesperrt – ein Grund ist nicht bekannt. Ihren Bruder Adam sah sie nie wieder. Im November 1940 wurde sie mit anderen Mitgliedern ihrer Familie in das Warschauer Ghetto eingewiesen – von wo sie am 5. September 1942 mit vielen anderen in einem Viehwaggon nach Treblinka transportiert wurde. Man vermutet, dass der 5. September – oder kurz danach – ihr Todestag war.“ 3)
Zurück zu Ludwig Zamenhof: „Lange Zeit hatte Zamenhof Probleme gehabt, sich eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, bis es ihm um die Jahrhundertwende gelang, ein befriedigendes Einkommen zu erzielen. Er war bis kurz vor seinem Tod 1917 praktizierender Augenarzt. Zamenhof selbst litt an Herz- und Atemerkrankungen. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Warschau bestattet.
Wie sein Vater, neigte der junge Zamenhof zunächst zur Assimilation, also zum Aufgehen als Jude in einer der europäischen Nationen. Er habe als Kind ein russischer Schriftsteller werden wollen, schrieb er später. Doch die Pogrome von 1882 brachten den jungen Studenten zur frühen zionistischen Bewegung. So gründete er in Warschau eine zionistische Gruppe und erarbeitete auch eine jiddische Grammatik.
Um 1885 jedoch fand er, dass das Ziel des Zionismus – eine jüdische Heimstätte in Palästina – nicht realistisch sei: Die hebräische Sprache sei tot, das Nationalgefühl unter den Juden werde vom Zionismus falsch eingeschätzt, und überhaupt sei Palästina für das gesamte Judentum zu klein. Es könne höchstens zwei Millionen Juden aufnehmen, und die übrigen Massen blieben draußen.
Stattdessen sah er die Zukunft der Juden eher in einer Welt gesichert, in der sprachliche, kulturelle und religiöse Barrieren überbrückt oder gänzlich abgebaut werden. Das führte ihn wieder zu den internationalistischen Ideen.
Als 1914 eine jüdische Esperanto-Vereinigung gegründet werden sollte, antwortete Zamenhof ablehnend: Jeder Nationalismus bringe Schlechtes, daher diene er seinem unglücklichen Volk am besten, wenn er die absolute Gerechtigkeit unter den Menschen anstrebe.
Bereits als Kind interessierte sich Zamenhof für Fremdsprachen. (…)
Er träumte schon früh von einer neuen, leicht zu erlernenden Sprache, die der zerstrittenen Menschheit ein neutrales Instrument liefern könnte. Sein erster Versuch war die heute nur fragmentarisch überlieferte Lingwe Uniwersale, in der er mit seinen Freunden 1878 auf seinem 18. Geburtstag ein Lied sang. (…)
Gegen 1885 war Zamenhof mit seinem endgültigen Entwurf fertig, den er 1887 in verschiedenen Sprachen veröffentlichte, zuerst am 26. Juli auf russisch. Der deutsche Titel lautete: „Internationale Sprache“, und so hieß zunächst auch die Sprache. Da Zamenhof um seinen Ruf als Arzt fürchtete, gab er die vierzigseitige Broschüre unter dem Decknamen Dr. Esperanto heraus. (Esperanto heißt wörtlich ein Hoffender). Bald jedoch setzte sich dieses Pseudonym als Synonym für die Sprache selbst durch.
In der Folge gelang es Zamenhof – im Gegensatz zu anderen Autoren einer neuen Sprache –, eine Zeitschrift (La Esperantisto) und jährliche Adressbücher herauszugeben. (…).
Um 1900 fasste Esperanto, nach dem Russischen Reich und Schweden, auch in Westeuropa Fuß. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden Ortsgruppen und Landesverbände von Esperantisten auf allen bewohnten Kontinenten gegründet. Dies befreite Zamenhof von der persönlichen Verantwortung für seine Sprache, die endgültig unabhängig von ihm geworden war.
Zamenhof war noch von einer anderen Idee fasziniert, nämlich nicht nur eine neutrale Sprache, sondern auch eine neutrale Weltanschauung zu fördern. Er veröffentlichte seine Vorstellungen zuerst als Hillelismus (1906), benannt nach einem vorchristlichen, jüdischen Gelehrten namens Hillel, später unter der Esperanto-Bezeichnung Homaranismo. Übersetzt heißt dies so viel wie ‚Lehre von der Menschheit‘.
Die Menschheitslehre war ein Bekenntnis zu Völkerverständigung und religiöser Toleranz auf der Basis von gemeinsamen Grundsätzen. So sollten die Leute gemeinsam an ein höheres Wesen glauben und ansonsten ihre religiösen Bräuche behalten. Und in Ländern mit verschiedenen Sprachen sollten all diese gleichberechtigte Amtssprachen sein, wobei Esperanto als Brückensprache fungieren sollte.
Allerdings blieben die komplizierten Details der multikulturellen Gesellschaft – genau darum dreht sich Zamenhofs Menschheitslehre – ungelöst. Auch unter Esperanto-Sprechern spielt die Lehre, die die meisten Menschen als allgemeinen Humanismus empfinden und gegen die sie inhaltlich nichts einzuwenden haben, keine wesentliche Rolle. (…)
In seinen letzten Lebensjahren, die durch eine Herzkrankheit beeinträchtigt wurden, intensivierte Zamenhof seine Arbeit an der Esperanto-Bibelübersetzung und verfasste noch eine Denkschrift An die Diplomaten, die bei den Friedensverhandlungen an die Rechte von Minderheiten denken sollten. (…).“ 1)