Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Rieckhoffstraße

Harburg (1950): Adolf Rieckhoff (4.10.1858-18.5.1945), Drogeriebesitzer, Handelsrichter in Harburg, Pazifist, Mitglied der DDP (Deutschen Demokratischen Partei)


Die Straße hieß: „von 1882 bis 1927 Heinrichstraße (…)“ nach dem Bauunternehmer Heinrich Dierk, „der hier seit 1850 Häuser gebaut hatte.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stra%C3%9Fen,_Pl%C3%A4tze_und_Br%C3%BCcken_in_Hamburg-Harburg)

1927 wurde die Straße umbenannt in Ludwig-Frank-Straße. Ludwig F. (1874-1914) war Rechtsanwalt und sozialdemokratischer Politiker gewesen. Als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg starb er 1914 in Frankreich. (Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde 1935 die Ludwig-Frank-Straße wegen Franks jüdischer Herkunft umbenannt in Konradstraße. Eine Rückbenennung in Ludwig-Frank-Straße erfolgte nach der Befreiung vom Nationalsozialismus nicht. Die Straße wurde 1950 in Rieckhoffstraße umbenannt.

Adolf Rieckhoff wurde am 3. Oktober 1858 in Schwerin geboren. Er heiratete später die Harburgerin Henriette Pröhl und eröffnete 1888 in der Lüneburger Straße 50 (heute Lüneburger Straße 14) in Harburg eine Drogerie. Das Ehepaar wohnte zunächst in der Ludwigstraße 13 (heute Hölertwiete 8). Später erwarb Adolf Rieckhoff das Haus, in dem sich seine Drogerie befand, und bewohnte es auch mit seiner Familie. Die beiden Kinder Adolf (geb. 21.7.1888) und Martha kannten bald alle Winkel und Ecken dieses Wohn- und Geschäftshauses im Zentrum der aufblühenden preußischen Industriestadt vor den Toren der Hansestadt Hamburg. Die Drogerie Rieckhoff in der Hauptgeschäftsstraße dieser Stadt gehörte schon nach kurzer Zeit zu den bekanntesten Harburger Adressen. Jeder vor Ort, ob alt oder jung, kannte das Geschäft mit seinem stattlichen Angebot. Nach einer Ausbildung zum Drogisten wurde Adolf Rieckhoff jun. einer der wichtigsten Mitarbeiter seines Vaters, in dessen Geschäft er immer mehr Aufgaben übernahm. Auch mit seinen politischen Ambitionen trat er in die Fußstapfen seines Vaters, der mit seinen liberalen Ideen in der Kaiserzeit nicht überall auf Zustimmung gestoßen war. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Adolf Rieckhoff jun. Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, für die er sich auch in der Öffentlichkeit engagierte. Dass er – im Unterschied zu vielen Zeitgenossen – die NSDAP bereits, bevor es zu spät war, als ernste Gefahr für die junge Demokratie erkannt und daraufhin versucht hatte, sich ihr in den Weg zu stellen, zahlten die Harburger Nationalsozialisten ihm nach der Machtübertragung heim. Im Frühjahr 1933 zwangen sie ihn, sich an einer der vielen Putzaktionen zu beteiligen, die auf Befehl des SA durchgeführt wurden, um die neuen Machtverhältnisse zu stabilisieren. Dabei trieben sie ihre Gegner an Orte, an denen sie die Häuserwände oder andere Flächen von anti-nationalsozialistischen Plakaten oder Parolen säubern mussten. Diese pauschale Demütigung ihrer Gegner verband die Harburger SA oft mit der individuellen Erniedrigung einzelner Personen, mit denen sie nach ihrem Dafürhalten noch eine Rechnung offen hatte. So zwang sie den Harburger Friseur Karl Kröger bei dieser Gelegenheit, Adolf Rieckhoff jun. ein Hakenkreuz in seine Haare zu rasieren, wogegen dieser sich mit Händen und Füßen zur Wehr setzte. Wenige Tage später verschwand Karl Kröger für längere Zeit im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland. Aus diesem Vorfall entwickelte sich später eine tiefe Freundschaft zwischen diesen beiden Nazi-Gegnern. Es gibt keine genauen Erkenntnisse darüber, wie Adolf Rieckhoff jun. die weitere NS-Zeit verbrachte. Für A. Sassin gibt es Hinweise darauf, dass er Verbindungen zur Robinsohn-Strassmann-Gruppe, einem linksliberalen Oppositionskreis, hatte. Diese Gruppierung versuchte, Nachrichten zu sammeln, die nicht an die Öffentlichkeit gelangten, entwarf Pläne für die Gestaltung der Nachkriegszeit und bemühte sich um Kontakte ins Ausland. Dass die Gruppe unentdeckt blieb, ist vielleicht darauf zurück-zuführen, dass sie konsequent die Grundregeln konspirativer Arbeit befolgte und den Grundsatz beachtete, nichts schriftlich festzuhalten. Bei den schweren Luftangriffen der Alliierten auf Harburg im Herbst 1944 wurde auch die Drogerie Adolf Rieckhoff in der Lüneburger Straße schwer getroffen. Adolf Rieckhoff sen. kam anschließend bei Verwandten in seiner mecklenburgischen Heimat unter. Am 18. März 1945 starb er im Alter von 87 Jahren in Prenzlau bei Neu-Brandenburg. Im Sommer 1945 gehörte Adolf Rieckhoff jun. zu den Mitbegründern des ‚Bundes Freies Hamburg‘ (BFH), in dem sich viele Mitglieder der Robinsohn-Strassmann-Widerstandsgruppe, der früheren DDP (Deutsche Demokratische Partei 1919-1933) und andere liberale Politiker zusammenfanden. Da die britische Militärregierung sich nach dem Verbot der NSDAP mit der Zulassung anderer Parteien in ihrer Zone – im Unterschied zur sowjetischen Besatzungszone – zunächst viel Zeit ließ, gaben die Mitglieder ihrem Zusammenschluss diesen unverfänglichen Namen. Das Programm begann mit dem Satz: „Der BFH ist keine politische Partei.“ In einem Aufruf an die Hamburger Bevölkerung formulierte er seine Ziele im Mai 1945, wie folgt:

Bund Freies Hamburg

Überparteilicher Zusammenschluss freiheitlich gesinnter Hamburger

Nach über 12 Jahren illegalen, opfervollen Kampfes gegen die verderbenbringende, terroristische Machtanmaßung des Nationalsozialismus können wir jetzt endlich an die Öffentlichkeit treten. Wir haben uns aus allen Lagern und Parteien in der Überzeugung zusammengefunden, dass angesichts der kulturzerstörenden und menschenmordenden Freibeuterei des Nationalsozialismus alle übrigen Meinungsverschiedenheiten und Haarspaltereien längst völlig wesenlos geworden sind und es auch auf geraume Zeit bleiben werden.

Zunächst kann und darf es uns jetzt nur gehen um die tatkräftige Durchführung einer durchgreifenden politischen Reinigung und einer allgemein geistigen Erneuerung an unserem Volk und unserer Stadt durch hierzu nach Einsicht und Charakter besonders berufene Deutsche.

Auf Anregung Bürgermeister Rudolf Petersens gründeten 65 Männer und Frauen des BFH und weitere 33 liberal denkende Hamburgerinnen und Hamburger am 20. September 1945 die ‚Partei Freier Demokraten‘ (PFD), die im Januar 1946 zoneneinheitlich zur ‚Freien Demokratischen Partei‘ (FDP) umbenannt wurde. Die Partei forderte so bald wie möglich die Wiederherstellung der Marktwirtschaft und die Wiederbelebung des Willens zu Wagnis und Leistung auf der Grundlage unveräußerlicher Freiheitsrechte des Einzelnen. Sie fasste ihr Programm in der Kurzformel zusammen:

„Für: persönliche Freiheit – soziale Gerechtigkeit – menschliche Würde.

Gegen: Einseitige Herrschaft von Klassen oder Kirchen – Standes- oder Vermögensvorrechte – Staatsallmacht und Zwangsherrschaft.“

Sie wurde am 21. November 1945 – neben SPD, KPD und CDU – von der britischen Militärregierung offiziell zugelassen. Nach der Wiederzulassung von Parteien war der nächste Schritt zur Demokratisierung die Einberufung eines Parlaments. In den folgenden Monaten ernannten die Vertreter der Besatzungsmacht in einem sehr differenzierten Auswahlverfahren 81 Personen, die das gesamte Bevölkerungsspektrum widerspiegeln und den von ihnen eingesetzten Senat beraten sollten. Die Rechte dieses ‚Quasi-Parlaments‘ waren allerdings begrenzt, da ihm die Möglichkeit der Abwahl des eingesetzten Bürgermeisters oder eines Senators und der anschließenden Neuwahl anderer Kandidaten verwehrt blieb. Die ernannte Bürgerschaft trat am 27. Februar 1946 zusammen. Sir Evelyn Barker, Militärgouverneur für Schleswig-Holstein und die Hansestadt Hamburg, bezeichnete in seiner Eröffnungsansprache die Wiederherstellung einer Volksvertretung auf der Grundlage freier Wahlen und eine gründliche Entnazifizierung des öffentlichen Lebens in Hamburg unter Aufsicht der Militärregierung als Hauptaufgaben dieses Gremiums. Die 81 Mitglieder dieses ‚Vorparlaments‘ waren so ausgewählt, dass in ihm viele Teile und Meinungen der Bevölkerung vertreten sein sollten. Unter den Abgeordneten waren die 13 Mitglieder des Senats und 17 Abgeordnete als Vertreter von politischen Parteien, 16 Abgeordnete als Vertreter der Gewerkschaften, 4 Abgeordnete als Vertreter der Religionsgemeinschaften, 8 Abgeordnete als Vertreter von Handel und Gewerbe, 6 Abgeordnete als Vertreter von Kultur und Wissenschaft, 4 Abgeordnete als Vertreter von Grundeigentum und Landwirtschaft, 5 Abgeordnete als Vertreter der Frauenvereinigungen, 2 Abgeordnete als Vertreter der Verfolgtenverbände, 2 Abgeordnete aus Bergedorf und 4 Abgeordnete aus Harburg-Wilhelmsburg berufen worden. Bei der anschließenden Fraktionsbildung schloss sich ein Teil der ständischen Vertreter den Parteifraktionen an, von denen die SPD-Fraktion auf 20 Abgeordnete und die PFD-Fraktion auf 9 Abgeordnete anwuchs. Außerdem schlossen sich die Gewerkschaftsdelegierten und die verbliebenen parteilosen Abgeordneten zu zwei weiteren Fraktionen zusammen. Zu den Mitgliedern der PFD-Fraktion zählte der Harburger Drogist Adolf Rieckhoff jun. Kurz danach wurde er auch in Harburg in den Beratenden Ausschuss, den Vorläufer des späteren Harburger Bezirksausschusses bzw. der Harburger Bezirksversammlung, berufen. Als im Herbst 1946 die ersten freien Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft und zu den Bezirksausschüssen (Bezirksversammlungen) anstanden und abgehalten wurden, zog Adolf Rieckhoff als FDP-Abgeordneter in den Harburger Bezirksausschuss ein, dem er bis zu seinem Tode angehörte. Hier gehörte er zu den Abgeordneten, deren Wirken durch Standfestigkeit, politische Erfahrung, umfangreiches Sachwissen und die Suche nach tragbaren Lösungen gekennzeichnet war. Das zeigte sich vor allem, wenn es im Plenum oder im Gesundheitsausschuss um aktuelle Fragen der Krankenversorgung und des allgemeinen Gesundheitswesens ging. Angesichts der bedrängten Wohnverhältnisse war er ein glühender Befürworter der Idee und des Antrags, auf dem Grundstück der zerstörten Harburger Knabenschule neben dem Harburger Rathaus eine Schwimmhalle zu errichten und den Beschluss ohne Wenn und Aber umzusetzen. Adolf Rieckhoff jun. starb am 18. Oktober 1951 im Alter von 63 Jahren. Wenige Tage später würdigte Bezirksamtsleiter Alfred Höhnlein zu Beginn der nächsten Sitzung des Harburger Bezirksausschusses die Verdienste von Adolf Rieckhoff jun. als Mann der ersten Stunde in der Hamburgischen Bürgerschaft, im Beratenden Ausschuss der Harburger Bezirksverwaltung und im Harburger Bezirksausschuss. Trotz der gesundheitlichen Schäden, die ihm in der NS-Zeit zugefügt worden seien, habe er sich gleich nach 1945 als aufrichtiger Demokrat für das öffentliche Wohl eingesetzt. Des Weiteren betonte er, dass seine Mithilfe und sein Rat in den Ausschüssen stets von Sachkenntnis getragen gewesen seien und dass er sich über die Grenzen der Parteien hinaus allgemeiner Wertschätzung erfreut habe. Am 17. März 1950 wurde im Amtlichen Anzeiger des Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblattes bekannt gegeben, dass die Konradstraße in Hamburg-Harburg ohne weitere Begründung in Rieckhoffstraße umbenannt wurde.

Text: Klaus Möller