Schefflerweg
Othmarschen (1957): Karl Scheffler (27.2.1869 Hamburg - 25.10.1951 Überlingen), Kunsthistoriker, Publizist.
Über Karl Scheffler ist schon viel und vor allem Gutes geschrieben worden. Weniger wurde sich allerdings mit seinem Werk „Die Frau und die Kunst“, erschienen 1900, auseinandergesetzt. Deshalb soll Karl Scheffler, bevor sein Werdegang erzählt wird, selbst zu Wort kommen, um wiederzugeben, wes Geistes Kind Scheffler bezüglich der Stellung der Frau in der Gesellschaft war. So schreibt er in der Einleitung zu seinem Buch „Die Frau und die Kunst“: „Der schöne, aber allen Mißverständnissen der Majoritätsherrschaft ausgesetzte Ruf: Freiheit und Gleichheit! will nicht verhallen. (…). Laut und provozierend tönt er uns heute nun auch aus den Reihen der Frauen entgegen. Ihnen ist dieser Kampfruf durch wirtschaftliche Mißverhältnisse aufgezwungen worden, deren Opfer sie sind. Aber sie wollen es nicht wissen und betrachten die Not, die sie zur Konkurrenz mit dem Mann und zu einer für sie nicht passenden Arbeit treibt, als eine innere Notwendigkeit der Natur; sie erheben das ihnen Unnatürliche zum Prinzip und geben vor, für heilige Menschenrechte zu kämpfen. Sie haben sich tief in dem halben Irrglauben von der Freiheit und Gleichheit verstrickt und betrachten Jeden als Feind, der an ihren Überzeugungen zu rühren wagt. Und sie sehen sich darin unterstützt von Männern, denen im Dogmenwesen des politischen Liberalismus die gesunde Urteilskraft längst verloren gegangen ist. Die Bewegung zur ‚Befreiung‘ der Frau ist dadurch sehr einflußreich geworden; sie dringt so unaufhaltsam ins Haus, in die Familie, daß sich Jedermann eines Tages gezwungen sieht, Partei zu ergreifen. Damit ist ein Dilemma aber schon geschaffen; denn zum ‚Partei ergreifen‘ gehörte eigentlich die Freiheit der Wahl; und die Natur hat in diesem Streite der Geschlechter Frau und Mann doch ungefragt schon zur Partei gemacht. Die Natur will den Gegensatz, will sogar den Kampf in aller Ewigkeit. Diese törichten und kleinlichen Prinzipienkämpfe, diesen kindischen Gleichberechtigungsstreit will sie aber nicht. (…). Es ist, (…) tiefste Weisheit in dem Gegensatz der Geschlechter. Aus ihm fließen die große gebärende Liebe und die alles Lebendige entwickelnde Sehnsucht, der Drang zur Vereinigung des dualistisch Zerlegten und die höchste Lebenslust, wenn diese Vereinigung in Augenblicken heiliger Ekstase oder zarter Einfühlung gelingt.
Der bloße Wunsch unserer Zeit nach materieller Gleichberechtigung der Geschlechter kann diesen von der Natur sich selbst zur Erhaltung geschaffenen Dualismus nun keineswegs aufheben. Aber er kann das Notwendige krankhaft verzerren und ihm die Größe nehmen. (…) Wo zwischen dem rechten Mann und der rechten Frau der Geschlechtskampf — dieses ewige sich Suchen und Fliehen, halb Spiel und halb auch Streit, diese Liebesdramatik, voll Einigkeit noch im Zwiespalt — als etwas Kosmisches empfunden, wo das Geschlechtsschicksal künstlerisch erlebt, die Naturbestimmung philosophisch genossen oder als Mysterium religiös empfunden wird, da hören wir heute, in der politischen Entartung dieses Kampfes, fast nur noch die banale Terminologie populärer Moralbegriffe. (…) Die Frau klagt den Mann als ihren Unterdrücker an; sie sei soviel wie er und ebenso gut, ja, besser. Mann und Weib spüren sich gegenseitig die Schwächen des Geschlechtes auf und bejubeln mit feindseliger Freude jeden Vorteil. Der Mann prahlt, er sei der höher Organisierte; die Frau bestreitet es und spricht von ihrer jahrhundertlanger Knechtung. (…). Müßige Fragen werden diskutiert. Hier heißt es, der Mann sei eitler als die Frau, sei weniger treu und nicht so opferfähig wie sie, wehrlos seinen tierischen Trieben gegenüber und brutal egoistisch; dort wird repliziert, die Frau sei der Logik unfähig, inkonsequent, willensarm und minderwertig, weil sie der schöpferischen Fähigkeiten ermangele. Und mit solchen Fratzen verdirbt man sich gegenseitig das Leben. (…). Im Rangstreit, der, nach Lessing, ein nichtswürdiger Streit ist, im Kampf um Gleichberechtigung, wo die Natur Ungleichheit gewollt hat, gelangt man zum Haß, zur Lüge und zu unendlicher Traurigkeit. Die Frau leidet darunter am meisten, denn Das worin sie stark ist: die Empfindung, gilt nichts in der lärmenden Diskussion. Im Wortstreit hat am meisten Wert, worin sie ewig Stümperin bleibt: die Logik. Darum verliert sie zuerst die innere Sicherheit. Argwöhnisch blickt sie bald sogar auf das rein gebliebene Gefühl, das der Mann ihr entgegenbringt, als sei es halb eine Beleidigung und als solle sie damit um wichtigere Lebensrechte betrogen werden. Und auf den Mann, der sie, als eine Gleichberechtigte, kameradschaftlich und gleichsam geschlechtslos anspricht, blickt sie dann wieder mit großen, traurigen Augen, in denen die Sehnsucht, wie die Glut einer Krankheit brennt. Nie hat die Frau mehr vielleicht gelitten als heute, wo sie sich zu ‚befreien‘ strebt. Ihre Siege vermehren nur ihre Glücklosigkeit. Und vermindern damit auch des Mannes Glück, der edel genug ist, das allgemeine Schicksal wie ein eigenes zu erleben und die Tragik der Frauenseele mit gesteigertem Verantwortlichkeitsgefühl als einen persönlichen Gewissensschmerz zu empfinden.
Durchaus wahr ist es, daß sich die Frau heute in einer Zwangslage befindet. Sie wird zur Männerarbeit gezwungen und büßt damit ohne ihr Wollen wertvolle Züge ihrer weiblichen Natur ein. Gerade darum aber muß es mit aller Deutlichkeit immer wieder gesagt werden, daß es falsch ist, wenn sie aus dieser Not eine Tugend macht, weil die sozialen und wirtschaftlichen Zustände, die die Frau so rücksichtslos in den Kampf ums Dasein stoßen, vergänglich sind, wogegen die Natur der Frauenseele ewig ist. Wer sich bemüht, die Frau in die Schranken ihrer Eigenart zurückzuweisen oder sie wenigstens vom Irrtum vollkommener Emanzipation zurückzuhalten, wird ganz gewiß dem Manne einen Dienst leisten; einen größeren Dienst aber noch leistet er der Frau. Denn Glück ist nur in der Übereinstimmung mit der Natur. (…).“ 1)
So geht es auf insgesamt 113 Seiten weiter, auf denen Scheffler erklärt, warum Frauen nicht zur Ausübung von künstlerischer Tätigkeit taugen. Denn, so Scheffler: „die Kunst ist vom Mann für den Mann gemacht; sie konnte nur entstehen, weil die männliche Einseitigkeit ihrer als Medium zur Harmonie bedarf. Nicht jeder männliche Geist ist der Synthese fähig; und doch braucht er sie, wenn er an Zweck und Sinn seiner Tätigkeit glauben soll. Darum tritt für sein Bedürfnis die Kunst, diese Leben gewordene Weltsynthese ein und gibt ihm den Glauben, daß er das Ganze keineswegs verliert, auch wenn er es in seinem Partikularismus nicht unmittelbar hat. Immer wieder wird die Kunst neu geboren aus dem Zwang des männlichen Gemüts, sich selbst Rechenschaft zu geben.
In einem Amazonenstaate könnte es weder Kultur, Geschichte noch Kunst geben. Denn der Frau ist die Kunst nicht notwendig. Gegen diese Hypothese spricht es nicht, daß die Frau jetzt, wo der Mann die Kunst so vielfältig ausgebildet hat, die Resultate benutzt und sich ihrer erfreut. Der schöpferischen Kraft, im Schaffen wie im Genuß der Kunst, ist die Frau durchaus unfähig, weil ihr die Triebfeder dazu fehlt: der fanatisch vorwärts drängende Wille.“ 2)
Kommen wir nun zum Werdegang des Karl Schefflers, Sohn eines Malermeisters, der, nachdem er bei seinem Onkel in Hamburg Eppendorf das Malerhandwerk erlernt hatte, Anfang der 1890er Jahre mit seiner Freundin und späteren Ehefrau (Heirat 1896) Dora Bielefeldt (15.10.1873 Hamburg – 30.10.1946 Überlingen) nach Berlin zog und mit der er 1899 einen Sohn bekam. Herbert Schwenk schreibt über den Kunstkritiker Scheffler:
„Im Unterschied zu vielen anderen Autoren vollbrachte Karl Scheffler seine umfangreiche Lebensleistung als Autodidakt. Als [er] (…) im Frühjahr 1888, nach Berlin kam, verfügte er über keine durch Examen bestätigte Bildung. Er hatte weder Latein noch Griechisch gelernt, keine höheren Schulen besucht, kein Studium der Kunstgeschichte absolviert. Aber er hatte einen enormen Wissensdurst, ein brennendes Interesse an der Kunst und ihrer Geschichte.
Der lernbegierige Autodidakt wurde zum Dauergast in den Museen Berlins, er besuchte Ausstellungen und Theateraufführungen und eignete sich Zug um Zug durch intensives Studium von Büchern ein enormes
Wissen über klassische wie zeitgenössische Kunst und Literatur an. Ganz wesentlich befördert wurde dieses Bestreben durch seine Tätigkeit an der Zeitschrift ‚Kunst und Künstler‘, deren Redaktion Scheffler seit 1906 inne hatte und die er fast drei Jahrzehnte lang, bis zu ihrer Einstellung im Jahre 1933, leitete. (…). Erstaunlich ist, daß diese intensive Arbeit für die Zeitschrift, (…), noch Zeit für andere Schreibarbeit ließ. Neben seinen Aufsätzen, Buchrezensionen, Ausstellungsberichten und Chroniknotizen für die Zeitschrift schrieb Scheffler in schneller Folge Bücher, zuweilen zwei in einem Jahr. Insgesamt mehr als 50 seit 1902. (…).
Neidische Konkurrenten warfen Karl Scheffler ‚Unwissenheit‘ vor, aufgrund seiner oft beißenden Kritik empfanden ihn viele als ‚Störenfried‘. Niemals und von niemandem ist ihm je die Leitung einer kulturellen Einrichtung angetragen worden, kein Institut, keine Regierung, keine Zeitung oder Zeitschrift hat ihm eine Studienreise ermöglicht. Und doch hat er Werke zur Kunstgeschichte auf einem Niveau verfaßt, das selbst Professoren ausreichend erschien, ihren Studenten daraus ganze Kapitel mit der Bemerkung vorzulesen, besser könne man es nicht sagen. Als einzige Ehrung wurde ihm 1944 anläßlich seines 75. Geburtstages die Ernennung zum Ehrendoktor der Universität Zürich zuteil.“ 3)
Und in Wikipedia steht über Scheffler: „1906 veröffentlichte Scheffler mit dem Buch Der Deutsche und seine Kunst sein bis dahin kämpferischstes Plädoyer für den Impressionismus als maßgeblicher Richtung der modernen Kunst (…). Sein engagiertes Auftreten trug in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg maßgeblich dazu bei, die damals in Deutschland noch umstrittene Kunstrichtung des Impressionismus beim Publikum durchzusetzen. (…).
Für die Kunst der Avantgarde brachte Scheffler in der folgenden Zeit wenig Verständnis auf und stand ihr in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend kritisch gegenüber. Abstrakte Kunst in jedweder Form lehnte er kategorisch ab. (…).
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde Schefflers Zeitschrift Kunst und Künstler eingestellt. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs zog Scheffler sich nach Überlingen am Bodensee zurück. Von dort aus hielt er zahlreiche Vorträge in der Schweiz, (…)
Während Scheffler als Publizist zur Zeit des Kaiserreichs maßgeblichen Einfluss auf das Kunstgeschehen hatte und als einer der wichtigsten Befürworter der künstlerischen Moderne in Deutschland gelten darf, sind viele nachfolgende kunstkritische Schriften – auch wegen ihres dezidiert nicht-wissenschaftlichen Charakters – ohne langfristige Wirkung geblieben. Dazu trug auch bei, dass Scheffler sich in den 1920er Jahren zuweilen äußerst ablehnend gegenüber der aktuellen Kunst der Avantgarde zeigte. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass seine Arbeit ein erheblich weiteres Feld absteckte: So verzeichneten seine Essaybände, Reiseberichte und autobiographischen Schriften, von denen die meisten im Leipziger Insel Verlag und im S. Fischer Verlag erschienen, stets eine breite Leserschaft. Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte er noch einmal zu kurzer Popularität, bevor er 1951 starb. (…).“ 4)
Zu Schefflers Einstellung zum Judentum gibt es eine Notiz in der Jüdischen Allgemeinen vom 11.11.2014. Hier schreibt Peter Dittmar in seinem Artikel über eine Wuppertaler Ausstellung, die Bilder von Camille Pissarro zeigte: „Im November 1903 starb er [Pissarro] in Paris, inzwischen anerkannt und ordentlich bezahlt. Der Antisemitismus, dem er ausgesetzt war, endete nicht mit dem Tode des Malers. Nach 1933 ließen ihn anerkannte Kunsthistoriker wie Karl Scheffler einen zweiten Tod erleiden. Von da an kam Pissarro jahrelang in deutschen Büchern über den Impressionismus nicht mehr vor.“ 5)