Boninstraße
Ottensen (1895): Eduard von Bonin (12.3.1793 Stolp – 13.3.1865 Koblenz), General des Schleswig Holsteinischen Heeres von 1849/50, preußischer Kriegsminister
„Eduard war der Sohn des späteren preußischen Generalleutnants Ernst Friedrich Otto von Bonin (1761–1822) und dessen Ehefrau Sophie, geborene von Podewils aus dem Hause Lupow (1772–1828).“ 1)
Das pommersche Adelsgeschlecht der von Bonins ist bis ins 13 Jahrhundert zurückzuführen. Wie es im Adel über Jahrhunderte üblich war, wurden die Jungen auf eine militärische Laufbahn hin erzogen. So schreibt Marcus C. Funck in seiner Dissertation über den Adel im preußisch-deutschen Offizierkorps: „Jungen (und Mädchen) lernten schon im Kindesalter die Namen von Heerführern und Regimentern, waren voll in das Garnisonsleben integriert und bezogen in Kriegermontur [die Jungen] ihre Spiele auf militärische Vorgänge.Vor allem aber lernten sie schon lange vor ihrer Militärzeit den Umgang mit Waffen. Der Zugang zu Waffen, deren Vernichtungskraft mit dem Alter der Söhne kontinuierlich anstieg, galt als Selbstverständlichkeit. Ein Königssohn ebenso wie Gutsbesitzer- oder Offizierssöhne schildern wie v.a. mittels jagdlicher Initiationsriten Schieß-und Tötungsfähigkeit eingeübt wurden. Mit Pusterohrund Schleuder (mit sechs Jahren), Tesching und Flinte (mit sieben und neun Jahren) gingen die Söhne auf Jagd gegen Insekten, Spatzen und Ratten (…) Es wäre stark übertrieben, aus der frühen jagdlichen Orientierung der Kinder generell eine höhere Tötungsbereitschaft im Adel abzuleiten, doch wird man diese frühe Gewöhnung an Waffen und die frühe Einübung des emotionslosen und kaltblütigen Tötens eines direkten Gegenübers in einem bürgerlichen Erziehungsprogramm nur schwer finden können. (…) Aus den Schilderungen der Kindheit ragen generell die Erinnerungen an den ‚über allem schwebenden‘ Vater heraus, der ‚mit strenger Hand seine Untergebenen [hier: seine Kinder] regiert und soldatischen Gehorsam einfordert‘ und nach dem nur noch ‚Kaiser und Gott‘ kamen. Der Vater gab die ‚Strenge des Regiments‘ sowie die Mittel der Charaktererziehung vor, deren Grundlage nicht nur in der preußischen Variante die gewalttätige Erziehung zur Härte (gegen sich selbst) als Voraussetzung für Haltung, Ehrenhaftigkeit und Herrschaftsfähigkeit war. So gehörten schon bei geringen Vergehen Schläge mit der Reitpeitsche (…), ‚Jagdhiebe‘ und ‚Schellen‘ zu den gewöhnlichen Bestrafungsmitteln. (…) Soldatisch anmutende Idealbilder geistiger und physischer Zähigkeit bzw. ‚Härte‘ prägten die Umgangsformen in den Kinderzimmern und Speisesälen unzähliger Gutshäuser. (…)“ 2)
Schon mit 13 Jahren – heute würde man sagen als Kindersoldat - „kämpfte B. bei Jena mit und erlebte die Kapitulation von Lübeck. Als Leutnant nahm er am Befreiungskrieg teil und stieg bis 1842 zum Oberst auf. 1848 wurde er mit der Führung eines Truppenkorps gegen Dänemark beauftragt. Unter Wrangel führte er bei Schleswig am 23.4.1848 durch sein Eingreifen die Entscheidung herbei. Auch an den siegreichen Gefechten bei Fridericia und Düppel nahm er teil. Nach dem Waffenstillstand von Malmö wurde er Kommandierender General in den Herzogtümern Schleswig-Holstein, wo er die Armee in kurzer Zeit mit großem Erfolg neu aufbaute und verstärkte. Nach Kündigung des Waffenstillstands durch Dänemark zog er durch Nord-Schleswig und erstürmte Kolfing im April 1849. Dann aber verrannte er sich in die Belagerung von Fridericia trotz mehrfacher Warnung. Da er die Festung von der See her nicht absperren konnte, erhielten die Dänen Verstärkung und schlugen am 6.7.1849 seine Truppen zurück.“ 3) In diesem Sprachduktus wird Bonins militärische Karriere und Kriegsführung 1955 in der Neuen Deutschen Biographie beschrieben.
„Zweimal bekleidete er für kurze Zeit (1852 und 1858/59) den Posten eines Kriegsministers.“ 3) Beim ersten Mal in dieser Position trat er schon nach zwei Jahren Amtszeit zurück, „weil er während des Krimkriegs die preußische Politik von russischem Einfluss zu befreien gesucht hatte, erhielt das Kommando der 12. Division in Neisse und wurde 20. März 1856 Vizegouverneur der Festung Mainz. 1858 wurde er vom Prinzregenten wieder mit dem Kriegsministerium betraut, aber im Dezember 1859 wegen Meinungsverschiedenheiten bei der Reorganisation der Armee wieder entlassen und zum Kommandierenden General des VIII. Armee-Korps in Koblenz ernannt.“ 1)
1821, damals noch im Rang eines Hauptmannes, heiratete Bonin Sophie Mathilde Dequer de Jouy (15.5.1800–9-10.1869 Biberach). Ihr Vater war der französische Generalpostdirektor für Lothringen. Das Paar hatte sieben Kinder, geboren 1822, 1824, 1826, 1828, 1831, 1834 und 1846.
Marcus C. Funck schreibt über das Leben der Offiziersfrauen: „In Differenz zu der retrospektiven Marginalisierung von Offiziersfrauen im geselligen Offiziersalltag und der Beschränkung weiblicher Tätigkeit auf den karitativen Bereich nutzten die Frauen und Töchter insbesondere älterer Offiziere vorhandene Spielräume zur Gestaltung des nicht militärischen Alltags. Anlässe für kontrollierte gesellige Begegnungen zwischen den Geschlechtern gab es zuhauf: Hof- und Gesellschaftsbälle, Regimentsfeiern und Empfänge. Die Konventionen des aristokratisch-ritterlichen Männlichkeitsentwurfes forderten sogar die aktive gesellige Mitarbeit von Frauen in Regimentsgeschäften, (…) Das Regiment als der eigentliche soziale und kulturelle Ort des aristokratischen Offizierskonzepts wurde auch in der Geschlechterperspektive erweiterte Familie gedacht, der sämtliche Offiziere und Angehörige zugerechnet wurden. Die Offiziersfrauen und -töchter führten ein Haus, hielten Hof und repräsentierten das männliche Offizierkorps außerhalb der fachmilitärischen Sphäre, d.h. sie galten in ihrer spezifischen Funktion als anerkannte Mitglieder des Regiments, weshalb die Vorgesetzten mit Argusaugen über die Verheiratungen ihrer Offiziere wachten. Bei der Bedeutung des geselligen Lebens für ganze Offizierskarrieren nimmt es nicht Wunder, daß Frauen über Geschmacksurteile auch in Personalentscheidungen eingreifen konnten. Das Haus des Kommandeurs war Heiratsmarkt und Ort der gesellschaftlichen Beobachtung und Prüfung. Machte sich ein Offizier im Damenverkehr ‚unmöglich‘, verstieß er gegen die strenge Etikette, so konnte es um seine Karriere geschehen sein, ganz gleich, welche militärischen Qualitäten er mitbrachte. Denn es waren die geladenen Frauen, die Offiziersgattinnen und -töchter, die sorgsam darüber wachten, ob der Cotillon oder die Quadrille ordnungsgemäß vorgeführt wurden. Bei repräsentativen Gelegenheiten war es hochgeborenen Damen sogar erlaubt, die strenge Polarität der Geschlechterordnung zu durchbrechen, wenngleich sie dabei Männerrollen bekleideten: Frauen fürstlicher Häuser beispielsweise, die einem Regiment als ‚Inhaberin‘ vorstanden, trugen bei offiziellen Anlässen dessen Uniform. Ausgerechnet die als liberal verdächtigte und in Offizierskreisen wenig angesehene ‚Kaiserin Friedrich‘ zog durch Tragen der Husarenuniform ihres Regiments erhöhte Aufmerksamkeit auf sich. Auch an den häufigen offiziellen und inoffiziellen Regimentsjagden nahmen geladene Offiziersfrauen ganz selbstverständlich nicht nur in Uniform, sondern auch bewaffnet teil, um aktiv ihre Schießkünste zu beweisen. Abgesichert durch die strengen Standeskonventionen integrierte der aristokratische Offiziers- und Männlichkeitsentwurf standesgemäße Frauen, die aktiv den Verhaltenscode zu kontrollieren sowie Verstöße anzuzeigen hatten und so das System der doppelten Ungleichheit, Männer gegenüber Frauen und Männer gegenüber Männern – stabilisierten. (…).“ 4)
In seiner bemerkenswerten Dissertation verdeutlicht Marcus C. Funck, warum im Adel die Militärlaufbahn auf der Führungsebene von so immenser Bedeutung war: „Der Anspruch des Adels auf militärische Führungspositionen basierte auf der Vorstellung, daß vermeintlich zeitlose ‚kriegerische Tugenden’ sich nicht ohne weiteres erwerben lassen würden, sondern auf generationentiefer Weitergabe durch Vererbung und Erziehung beruhten. Diese Tugenden waren eingebettet in allgemeine, auch nichtmilitärische Wertsetzungen, die adliges Selbstverständnis und adligen Habitus bestimmten und an anderer Stelle als ‚Adeligkeit‘ bezeichnet wurden.
Der Adel entwickelte gemäß seinen spezifischen Traditionen und Bedürfnissen einen eigenen militärischen Code, der über verschiedene Kanäle den Standesgenossen wie der bürgerlichen Öffentlichkeit vermittelt wurde. Mittels dieses Codes, der aus als genuin adlig erachteten Tugenden bestand, sollten inneradlige Bindungen verstärkt, die Außengrenzen zur bürgerlichen Gesellschaft deutlich konturiert und dem militärischen Dienst überhaupt erst gemeinsamer Sinn und Orientierung verliehen werden. (…)
Die Figur des ‚modernen Ritters‘ und der mit dem Begriff der ‚Ritterlichkeit‘ bezeichnete Verhaltenskodex, beinhaltet die Vorstellung von der Möglichkeit einer ganzheitlichen, formvollendeten Lebensweise, die sich bürgerlich-rationalen Erklärungen und Beschränkungen zu entziehen vermag. (…)
Der ständige Appell an vorbildhafte Todesbereitschaft und Opfertum gehört zum festen Bestandteil des adligen Kulturmodells, dies natürlich in der Erwartung auf Heldentum und somit erneuter Zuweisung von Vorrang und Ehre.
(…). Das ‚ächte Rittertum‘, so eine der historische Tiefe suggerierenden Formeln, bestach zunächst, für jedermann offensichtlich, durch eine imposante, aristokratische äußere Erscheinung: Großgewachsen und schmal tailliert, in formvollendeter, sicherer Haltung, mit einem durch die Cäsarennase verstärkten schneidig-kühlen, zuweilen blasiert anmutenden Gesichtsausdruck spiegelte die äußere uniformierte Erscheinung die innere Haltung, das unverwechselbare, aristokratische Wesen des Offiziers. Anders ausgedrückt: Der Offizier war ein schöner Mann. (…) Jedes einzelne Uniformstück verstärkte noch die oben genannten äußeren Merkmale: Grenadiermütze, Federbusch, Stehkragen, Bauchbinde, eng anliegende Hosen, Schaftstiefel, Sporen und Schleppsäbel bildeten unterstützt durch die farbliche Komposition ein System von Zeichen und Symbolen, das ganz der Adelswelt verpflichtet war. (…)
Aus den Zwängen des Uniformtragens ergaben sich charakteristische Körperhaltungen und Körperbewegungen, die ebenfalls weniger der bürgerlichen Lebenswelt entstammten und dort bestenfalls fehlplaziert wirkten, sondern vielmehr angestammten adligen Körperidealen entsprachen. Wer Schaftstiefel und Schleppsäbel trug, der mußte schon aus Sicherheitsgründen aufrecht gehen, konnte aus Gründen der Kleiderordnung nicht anders als Haltung bewahren, (…) Vorbildliche Haltung meinte zunächst ganz im Sinne des Wortes: Gerade stehen. Selbst in schwierigen Lagen sollte der Adlige seinen Körper kontrollieren, ja beherrschen können, was am eindrucksvollsten für Schlachtsituationen beschrieben wird, in denen sich adlige Offiziere bewußt Todesgefahren aussetzen, nur um die Haltung nicht zu verlieren. (…) In einer Beschreibung der eigenwilligen Personalpolitik des sehr auf äußere Formen achtenden Chef des Generalstabs Alfred v. Schlieffen faßte ein Generalstabsoffizier die Vorteile der generationenlangen Arbeit am Äußeren in adligen Familien in diesem Sinne zusammen: ‚Das ist freilich gewiß, daß in den traditionellen Lebensformen alter Geschlechter die Arbeit von Generationen steckt. Haltung und Gebärde sind nicht etwas, das sich jeder ohne weiteres anzueignen imstande ist.‘ Fest verankert in der adligen Vorstellungswelt war die Wechselseitigkeit von physischen und psychischen Qualitätsmerkmalen – in der äußeren Gestalt drückt sich die innere Haltung aus und umgekehrt, erst im gelungenen Zusammenspiel zeigt sich die natürliche Überlegenheit. So war die äußere Erscheinung des Offiziers niemals nur Selbstzweck, sondern korrespondierte mit einem festen Set von Tugenden und Werthaltungen: Fürstentreue und Vaterlandsliebe, Führungsgabe und Willenskraft, Disziplin und Pflichtbewußtsein, Todesverachtung und Heldenmut, (innere) Haltung und Ehrenhaftigkeit. Die Figur des Ritters schien am besten geeignet, die höchst spannungsvolle Einheit dieses Katalogs zu bewahren, die höfischen und kriegerischen Elemente zu gleichen Teilen in sich zu vereinen. Je nach Kontext trat der „moderne Ritter“ als Kriegergestalt oder als Kavalier auf. (…)
Unter dem Titel ‚Der Offizier. Das moderne Rittertum‘ versuchte das Militär-Wochenblatt 1889 (…) nicht nur eine Definition der vornehmen Ritterlichkeit, sondern lieferte auch ausführliche Verhaltensrichtlinien für den geselligen Umgang der Offiziere: ‚Nichts steht dem jungen Offizier schöner an, als ein gewandtes, sittlich höfliches Benehmen beim Umgange mit dem schönen Geschlechte, dem er in ritterlicher Verehrung seine Huldigungen darbringt. Die Frauen seien ihm unantastbare Geschöpfe; von den Antastbaren halte er sich scheu zurück; [...] Die hülflose Dame, die seinem Schutze als Ehrenmann sich anvertraut, sei sicher wie hinter Klostermauern. Gleichmäßig höflich, zart und aufmerksam sei er gegen die einfache Bürgersfrau wie gegen die Blüthe der Aristokratie, gegen die alte Matrone wie gegen die junge sich aufschließende Knospe der Mädchenwelt. In mehr als 20 Schlachten und Gefechten habe ich die Erfahrung gemacht, daß die flotten Tänzer des Ballsaals auch meist die besten und trefflichsten Vortänzer im blutigen Kriegstanze waren.‘ Kriegerische Tüchtigkeit resultierte demnach aus der Kombination von militärischer Leistung und vornehmer Geselligkeit, auch gegenüber dem weiblichen Geschlecht, das eine war ohne das andere nicht zu denken. In einer derart aufgebauten aristokratischen Offizierswelt war der Ehrenmann Beschützer und Verehrer der Frau zugleich, der Dienst in Frieden und Krieg nicht zuletzt ein moderner Minnedienst an der unerreichbaren Dame.“ 5)