Drieschweg
Eidelstedt (1967): Prof. Dr. Hans Driesch (28.10.1867 Kreuznach – 17.4.1941 Leipzig), Zoologe, Philosoph
Diese Straße könnte auch nach seiner Ehefrau der Schriftstellerin Margarete Driesch, geb. Reifferscheidt mitbenannt werden. (Siehe dazu in der Rubrik „Verschwiegene Frauen“ auf der Startseite der Straßennamendatenbank.)
Am ehemaligen Wohnhaus in der Emil-Fuchs-Straße 1 in Leipzig, wo Hans und Margarete Driesch gewohnt haben, wird auf einer Erinnerungstafel nur an den Biologen und Philosophen Prof. Dr. Hans Driesch hingewiesen. Seine Ehefrau, die Schriftstellerin Margarete Driesch, geb, Reifferscheidt, die hier auch lebte, wird nicht erwähnt. Ebenso verschwiegen wird sie bei Straßenbenennungen.
Beginnen wir deshalb mit der Vita von Margarete Driesch, geb. Reifferscheidt (10.4.1874 Leipzig – 22.12.1946 Leipzig). Die Tochter eines gutsituierten Kaufmanns, der später mit seiner Familie nach Meran zog, wo er ein Bankgeschäft und ein Reisebüro führte, heiratete 1899 im Alter von 25 Jahren den damals 32-jährigen Privatgelehrten Hans Driesch, den sie neun Monate zuvor in Meran kennengelernt hatte.
In ihrer Jungmädchenzeit hatte Margarete Reifferscheidt eine „Höhere Töchterbildung“ erhalten. Manfred Leyh schreibt in seiner Biografie über Margarete Driesch: „Als Externe und erste Protestantin lernte sie (…) an der katholischen Klosterschule der ‚Englischen Fräulein‘ [in Meran] intensiv Italienisch, Englisch, Französisch und erhielt naturwissenschaftlichen Privatunterricht. Nach einem Intermezzo in einem Kasseler Mädchenpensionat kehrte sie nach Meran zur Pflege der herzkranken Mutter zurück, verzichtete auf den Besuch von Mädchen-Gymnasialkursen und Universitätsstudium, entwickelte ihre linguistische Neigung und begann Akte, Porträts und Landschaften zu malen.“ 1)
Nach der Hochzeit unternahm das Ehepaar Driesch viele Reisen. „Ihre ersten Reisen nach Russland, Mittelasien und Ägypten waren eine Kombination wissenschaftlicher und privater Interessen, die Margarete für Aquarellstudien sowie spätere Reiseberichte nutzte. Mit ihren Exlibris war sie auf der Leipziger Weltausstellung für Buchgewerbe und Graphik 1914 vertreten.“ 2)
Als festen Wohnsitz hatte das Paar Heidelberg gewählt, wo auch die beiden Kinder geboren wurden: Curt Wilhelm Cäsar (15.05.1904 Heidelberg – 03.06.1988 Köln), Komponist und Musikschriftsteller und Ingeborg Lina Josefine (09.02.1906 Heidelberg – 03.11.1986 Genf), Violinistin, anerkannte Bergkletterin und Autorin.
„Margarete engagierte sich im Heidelberger Verein ‚Frauenbildung – Frauenstudium‘ und gründete auf Bitten der Vorsitzenden und Schriftstellerin Marianne Weber ein Heim für den ‚Kaufmännischen Verein weiblicher Angestellter‘ mit Stellenvermittlung“, 3) so Manfred Leyh.
Margarete Driesch begleitete ihren Mann auf seinen Reisen, die Kinder wurden währenddessen zu Hause vom Dienstpersonal betreut.
Als Hans Driesch 1907/1908 als Biologe in der meeresbiologischen Forschungsstation in Neapel arbeitete, wohin ihn Margarete Driesch begleitet hatte, erledigte sie nicht nur seine Geschäftspost, sondern begann zu schreiben: Zeitschriftenaufsätze „über Frauenthemen und die Berichterstattung über deutsche Außenpolitik“ 4), so Manfred Leyh.
Margarete und Hans Driesch waren Pazifisten. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, äußerte sie: „Der Krieg fand uns stets in Opposition zum Krieg.“ 5) „Sie publizierte z. B. unter dem Pseudonym Maja 1916 in einer Schweizer Zeitschrift Ideen für das Zustandekommen eines Verhandlungsfriedens und äußerte ihre depressiven Gefühle bei Erhalt von Todesnachrichten von Freunden im Gedenkblatt ‚Wie sie Opfer wurden‘.“6)
Manfred Leyh berichtet über Margarete Driesch‘ weiteres Leben und Werdegang: „Nach Habilitation 1909, Privatdozentendasein in Heidelberg und einer Philosophie-Professur 1919 in Köln folgte 1921 für Dr. Hans Driesch der Lehrstuhl an der Universität Leipzig. In ihrer Geburtsstadt bewies Margarete ihr schriftstellerisches Können und verkörperte Qualitätsjournalismus nach gemeinsamen neun Monaten in China und Reisen nach Japan, den USA, Südamerika, Skandinavien und dem Baltikum. In China hielt sie Vorlesungen über die Entwicklung der deutschen Frauenbewegung.
Vor allem als Berichterstatterin der Völkerbundtagungen 1924 und 1926 sowie der Genfer Abrüstungskonferenz 1932 (im Auftrag der Süddeutschen Sonntagszeitung/München) interviewte sie die bedeutendsten Staatsmänner sowie die wenigen Frauen beim Völkerbund.
Im jungen Medium Rundfunk hielt sie vier Vorträge, verfasste über 100 Zeitungsartikel und Aphorismen. In ihren öffentlichen Vorträgen mit eigenen Lichtbildern erwies sie sich als Internationalistin gegen Kriegsgefahr und wachsende nationale Vorurteile.
Besonders hervorzuheben sind dabei Publikationen wie das Sammelwerk ‚Frauen jenseits der Ozeane‘. Ihre Zeitzeuginnen aus Abessinien, Indien, Afghanistan, China, Japan und Amerika demonstrierten, ‚daß man die Kultur eines Volkes nach seinen Frauen beurteilen‘ sollte. Das einzige gemeinsame Buchprojekt mit ihrem Mann ist ‚Fern-Ost. Als Gäste Jung-Chinas‘ (1924), wobei zwei Drittel der Kapitel von ihr stammen.
Zwei Jahre leitete sie die Leipziger Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF), zog sich aber zurück, weil sie sich für zu ungeduldig und ‚autokratisch‘ hielt.
1932 in den Frauen-Ausschuss des ‚Deutschen Museums‘ München berufen, sorgte Margarete für die Erweiterung der Auslands-Sammlung der Bibliothek des Deutschen Museums. Das in Prag unter Leitung von Dr. P. Husárek wirkende Generalsekretariat des internationalen Comités zur Herausgabe des dreisprachigen Monumentalwerkes ‚Bedeutende Frauen der Gegenwart‘ hatte 1936 (!) die Absicht, auch das couragierte Wirken von Margarete Driesch ‚am kulturellen Leben‘ Deutschlands und ‚an der gesamten zivilisierten Welt darzustellen‘.“ 7)
Margarete Driesch äußerte einmal über ihre Beziehung zu ihrem Ehemann Hans Driesch: „Mein Mann gestaltete sein Leben für seine Arbeit und ich entwickelte aus meinem Leben heraus meine Arbeit“ (Margarete Driesch, UBL, NL Hans Driesch, 250/3.3)
Hans Driesch
Hans Adolf Eduard Driesch‘s (28.10.1867 Kreuznach – 16.04.1941 Leipzig) Mutter war Josephine Driesch, geb. Raudenkolb, Tochter eines Cellisten an der Hofkapelle Schwerin. Hans Driesch‘ s Vater war Paul Driesch, Kaufmann in Gold- und Silberwaren aus Hamburg.
In der Neuen Deutschen Biografie steht über Hans Driesch’s beruflichen Werdegang u. a.: Studium der Zoologie, Promotion, Forschungstätigkeiten, u. a. an der zoologischen Station in Neapel: „brachten D. zur Ablehnung der damals vorherrschenden mechanistischen Erklärung des Lebensgeschehens. In den folgenden Jahren entwickelte er seine Theorie von der Autonomie des Lebendigen.“ 8)
Das Jahr 1898, in dem er auch Margarete Reifferscheidt kennenlernte und sich mit ihr verlobte, „brachte seine endgültige Stellungnahme zum Grundproblem der Biologie: die Entscheidung zum Vitalismus.“ 9)
Im Jahr 1900 beendete er seine Forschungstätigkeit in Neapel, wohin ihn seine Frau begleitet hatte, „und wurde für 20 Jahre, mit Unterbrechungen durch Reisen, [mit seiner Frau] unter anderem nach Rußland, in Heidelberg als Privatgelehrter seßhaft. Die experimentelle Arbeit trat ab 1902 mehr und mehr in den Hintergrund und wurde 1909 durch eine letzte Experimentaluntersuchung abgeschlossen; schon seit der Jahrhundertwende überwog die theoretische Auseinandersetzung mit naturphilosophischen Problemen, und schließlich wandte er sich ganz der Philosophie zu. (…). Auf einstimmigen Beschluß der naturwissenschaftlichen Fakultät in Heidelberg habilitierte er sich 1909, wechselte dann aber in die philosophische Fakultät über, (…).“ 10)
Wie auch seine Ehefrau war Hans Driesch gegen Krieg eingestellt und ein überzeugter Pazifist. Der Krieg und besonders der Erste Weltkrieg: „schien ihm ‚als größtes Unheil der Menschheit, dieser Krieg geradezu als Wahnsinn‘. 1919 nahm er eine Berufung als Professor für systematische Philosophie nach Köln an, 1921 den Ruf nach Leipzig. Als Gastprofessor las er 1922/23 in China, 1926/27 in den USA und in Buenos Aires.“ 11)
Das Ehepaar Driesch in der Zeit des Nationalsozialismus
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Hans Driesch 1933 zwangsemiritiert. Seine philosophische und pazifistische Einstellung passte nicht ins NS-System. Hans Driesch erhielt „zeitweilg Reise- und Redeverbot, auch [Margarete Driesch] war mit ihren journalistischen Beiträgen zur Völkerverständigung und der IFFF-Tätigkeit den Nationalsozialisten suspekt. Obwohl finanziell durch Immobilieneigentum in der Leipziger Könneritzstraße und durch das Erbe in Meran abgesichert, (…), litt sie gesundheitlich durch den Tod ihres Mannes 1941 und den Bombenkrieg 1943–1945. Sie starb kurz vor Weihnachten 1946 (…).“ 12)