Elfriede-Lohse-Wächtler-Weg
Barmbek-Süd, seit 2008, benannt nach Elfriede Lohse-Wächtler (4.12.1899 Dresden- Löbtau – 31.7.1940 Pirna), Malerin, Opfer des Nationalsozialismus
Ein Erinnerungsstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof.
Aufgewachsen in einem bürgerlichen Elternhaus, der Vater kaufmännischer Angestellter und Versicherungsagent, versuchten die Eltern die künstlerische Laufbahn ihrer Tochter als Malerin zu verhindern. 1915 begann Elfriede Lohse-Wächtler ein Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule Dresden. Der Vater wollte, dass sie „Mode und weibliche Handarbeiten“ studiere, um Kostüm- und Modellschneiderin zu werden, was einem „züchtigen Weibe“ in seinen Augen entsprach. Doch Elfriede Lohse-Wächtler hatte ihren eigenen Kopf und wechselte 1916 das Fach, studierte nun „Angewandte Graphik“, um freischaffende Künstlerin zu werden. Daraufhin gab es Streit mit dem Vater, und Elfriede Lohse-Wächtler verließ ihr Elternhaus im Alter von sechzehn Jahren. Sie teilte sich nun ein Zimmer mit ihrer Freundin Londa Freiin von Berg, der späteren Ehefrau des Malers Conrad Felixmüller. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie sich mit Batikarbeiten. Außerdem belegte sie von 1916 bis 1919 Mal- und Zeichenkurse an der Dresdner Kunstakademie.

Elfriede Lohse-Wächtler verkehrte in der Dresdner Boheme, war eine Anhängerin des Dadaismus, bildete sich politisch und sozial und besuchte Veranstaltungen des Spartakusbundes. Sie schnitt sich die Zöpfe ab, trug Herrenhüte und Männerhosen, rauchte Pfeife und Zigarren und gab sich den männlichen Namen „Nikolaus“, um dem Makel der damaligen verpönten „Frauenkunst“ entgegenzuwirken. Sie fand Anschluss bei der Dresdner „Sezession Gruppe 1919“ und lernte den Freundeskreis um Otto Dix, Otto Griebel und Conrad Felixmüller kennen. Im Atelier von Conrad Felixmüller mietete sie sich ein und finanzierte ihren Lebensunterhalt mit Batiken, Postkarten- und Illustrationsarbeiten.
1921 heiratete sie den Maler und Opernsänger Kurt Lohse. Sie zogen in die Sächsische Schweiz oberhalb von Wehlen und führten dort ein ungebundenes Leben. Doch Kurt Lohse soll verschwenderisch und rücksichtslos gewesen sein und nicht nur sein Geld, sondern auch das seiner Frau ausgegeben haben, so dass Armut und Schulden der Wegbegleiter des Paares wurden. Das Paar trennte sich. Kurt Lohse zog 1925 nach Hamburg, wo er eine Stelle als Chorsänger annahm. Dort erkrankte er, und Elfriede Lohse-Wächtler folgte ihm, um ihn zu pflegen. Bald hatte Kurt Lohse eine andere Frau. 1926 trennte man sich erneut. Kurt Lohse zog zu seiner Freundin, die 1927 das erste von fünf Kindern mit Kurt Lohse bekam. Für Elfriede Lohse-Wächtler, die aus wirtschaftlichen Gründen ihre Schwangerschaften abgebrochen und darüber hinaus auch noch eine Fehlgeburt erlitten hatte, ein tiefer Schock.
Elfriede Lohse-Wächtler lebte weiterhin in finanziell sehr engen Verhältnissen. Dennoch hatte sie in Hamburg eine ihrer kreativsten Schaffenszeiten. Zwischen 1927 und 1931 entstanden einige ihrer Hauptwerke in Öl, Pastell und Aquarell. Sie malte Portraits, Paarbeziehungen, Bilder aus dem Prostituierten- und Arbeitermilieu.
Im Jahre 1928 hatte sie mit dem „Bund Hamburger Künstlerinnen und Kunstfreundinnen“ ihre erste, viel beachtete Ausstellung im Stil der Neuen Sachlichkeit. Ein Kritiker lobte sie als „eine der stärksten Hamburger Begabungen“ und hob besonders die „ausgezeichneten Aquarelle“ der bis dahin unbekannten Malerin hervor.
Auf Grund ihrer materiellen Schwierigkeiten und emotionalen Vereinsamung erlitt Elfriede Lohse-Wächtler 1929 einen Nervenzusammenbruch. Sie kam für sieben Wochen in die psychiatrische Klinik Hamburg-Friedrichsberg. Ihr Bruder und der gemeinsame Freund Johannes A. Baader – bekannt geworden als Dadaist – hatten sie dorthin gebracht. Im März 1929 schrieb Johannes A. Baader an Otto Dix: „Wären Geld und Haus und Menschen, die sich ihr ausschließlich widmen könnten, vorhanden gewesen, so hätte sich die Einweisung in die psychiatrische Klinik (vielleicht) erübrigt. Das Einschnappen in die pathologische Situation ist ausgelöst worden durch das allmählich eintretende völlige Versagen der Existenzmöglichkeit; dazu kam das Ringen zwischen Kurt Lohse und ihr, und die Notwendigkeit, den Besitz von K. L. (dem sie zutiefst und unaufhörlich verknüpft ist) mit einer anderen Frau zu teilen. So rettete sie sich, wie der psychologische Terminus lautet, in die Krankheit.“
In der Klinik malte sie die „Friedrichsberger Köpfe“, ca. 60 Zeichnungen und Pastelle als Kopf- und Körperstudien von psychisch Kranken.
Diese Bilder wurden in einem Hamburger Kunstsalon gezeigt und erhielten gute Kritiken. Elfriede Lohse-Wächtler wurde bekannt, was sich allerdings finanziell nicht positiv auswirkte. Bis 1931 nahm Elfriede Lohse-Wächtler an zahlreichen Ausstellungen teil, u. a. in der Hamburger Kunsthalle. Die Hamburger Kritikerin Anna Banaschewski widmete der Künstlerin den ersten monographischen Aufsatz in der Zeitschrift „Der Kreis“. Sie hob insbesondere die „eminente psychologische Intuitionsgabe“ von Elfriede Lohse-Wächtler hervor. Im Anschluss an die Ausstellung im Kunstsalon Maria Kunde erwarb die Hamburger Kunsthalle im Jahr 1929 zwei Bilder der „Friedrichsberger Köpfe“. Die meisten dieser Bilder sind heute verschollen, einige sind in Privatbesitz.

Die Stabilisierungsphase nach dem ersten Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik war nicht von langer Dauer. Innerlich zerfahren, rastlos arbeitend, in größter Armut – es fehlte manchmal sogar an Geld für das Briefporto –, trieb es die Künstlerin zu anderen gesellschaftlichen Außenseiterinnen und Außenseitern. Vorübergehend lebte sie als Obdachlose im Hamburger Prostituiertenmilieu. Bahnhofswartehallen, der Hafen, die Straßen wurden zu ihren häufigsten Aufenthaltsorten und zu Themen großartiger Bilder. Ihre Selbstportraits, aber auch die Bilder von Arbeitern, Marktfrauen, Prostituierten und „Zigeunern“ sind einerseits geprägt von fast schon übersteigertem Realismus, andererseits von ihrer schonungslosen Anteilnahme an der Not anderer Menschen.
Im Jahr 1931 kehrte sie vollkommen mittellos und psychisch stark angegriffen in ihr Elternhaus nach Dresden zurück. Sehr bald schon kam es hier zu erneuten heftigen Auseinandersetzungen mit ihrem Vater. Als sie im darauf folgenden Frühjahr wegen einer Fußverletzung im Krankenhaus in Dresden behandelt werden musste, nutzte der Vater diese Gelegenheit, sie von dort ohne Umweg über das Elternhaus in die Krankenanstalt Arnsdorf bringen zu lassen. Die dortige Diagonise lautete: Schizophrenie.
Das war im Juni 1932, ein gutes halbes Jahr vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Als der Vater die Aufnahme seiner Tochter in Arnsdorf erwirkte, konnte er nicht ahnen, dass er sie damit letztlich ihren Mördern auslieferte. Schon nach wenigen Wochen in der Krankenanstalt Arnsdorf flehte sie ihre Eltern an, sie wieder heimzuholen. Doch alle ihre verzweifelten Bitten blieben vergebens. Acht Jahre, bis zu ihrer Ermordung in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein, sollte sie die Klinik Arnsdorf nicht mehr verlassen. Nur in der Anfangszeit ihres Aufenthaltes in Arnsdorf hatte sie das Recht, gemeinsam mit ihren Eltern Ausflüge in die Umgebung zu machen, wo sie gerne skizzierte und zeichnete; u. a. zum Schloss Wesenstein in der näheren Umgebung von Pirna.
Anfangs konnte sie in der Anstalt noch schöpferisch tätig sein. Sie hielt z. B. mit dem Farbstift die Frauen in der Krankenstube fest. Doch nachdem sich Kurt Lohse 1935 von ihr wegen ihrer „unheilbaren Geisteskrankheit“ hatte scheiden lassen und sie entmündigt und zwangssterilisiert worden war, zerbrach vollends ihre Schaffenskraft.
1937 wurde Elfriede Lohse-Wächtlers Werk von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ diffamiert und zum Teil zerstört. 1940 kam sie in die Landes-Heil- und Pfleganstalt Pirna-Sonnenstein und wurde dort im Rahmen der nationalsozialistischen Euthanasie-Aktion T4 getötet.
1989 erfuhren ihre Werke bei einer Präsentation in Reinbek bei Hamburg eine Rehabilitation. 1994 wurde der Förderkreis Elfriede Lohse-Wächtler gegründet. 1996 kam eine Monographie über sie heraus: „Elfriede Lohse-Wächtler 1899 - 1940. Leben und Werk von Georg Reinhardt“. Es folgten Ausstellungen u. a. in Dresden, Hamburg-Altona und Aschaffenburg.
Elfriede Lohse-Wächtlers Zeichnungen und Aquarelle werden als kunsthistorisch einmalig gelobt. Die Kunsthistorikerin Hildegard Reinhardt schreibt: „Es ist kein anderer Fall bekannt, in dem eine Malerin während der eigenen Hospitalisierung die Verbildlichung psychisch Kranker zu ihrem Thema erhob.“
Der im Allgemeinen Krankenhaus Eilbek wiederhergestellte Rosengarten ist nach Elfriede Lohse-Wächtler benannt.
Einige Textpassagen von Marianne und Rolf Rosowski,
Nachlassverwaltung von Elfriede Lohse-Wächtler, aus deren Beitrag über Elfriede Lohse-Wächtler in der Publikation: Rita Bake: Der Garten der Frauen. Hamburg 2013, S. 143ff.