Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Gustav-Freytag-Brücke

Uhlenhorst (1904): Gustav Freytag (13.7.1816 Kreuzburg-30.4.1895 Wiesbaden), Schriftsteller


Siehe auch: Gustav-Freytag-Straße

Gustav Freytag entstammte einer großbürgerlichen Familie, sein Vater war Bürgermeister. Zeit seines Lebens war Gustav Freytag finanziell unabhängig, dank des Familienvermögens. Dieser Tatbestand soll der Grund für seinen zielstrebigen Ehrgeiz und sein großes Selbstbewusstsein gewesen sein.

Im Alter von 31 Jahren heiratete Gustav Freytag die wohlhabende Schlesierin Emilie Scholz, geschiedene Gräfin Dyhrn (1811-1875). Kennengelernt hatten sie sich 1842 während eines Helgoland-Urlaubs. Damals war Emilie noch verheiratet. Als sie Gustav Freytag heiratete, brachte sie einen Sohn aus ihrer ersten Ehe mit. Emilie Freytag soll unheilbar erkrankt gewesen sein und brauchte dauerhaft Pflege. Einen Tag nachdem sie am 13. Oktober 1875 gestorben war, schrieb der 59-jährige Gustav Freytag an seinen Freund Salomon Hirzel: „Lieber Freund. Meine Frau ist gestern Mittag von mir geschieden. Ihr Ende war mild u. ohne Schmerzen. Das ist das Manuskript, welches ich Ihnen sende. Der Roman, den ich seit meiner Jugend geschrieben ist aus, und ich lege müde die Feder hin ..." Und an Heinrich von Treitschke schrieb er einige Monate später: „Noch kann ich mich in der Leere und Armuth meines Lebens nicht zurecht finden, es ist mir Alles locker geworden, da ich nicht Amt, nicht Kinder habe. Die große Pflicht meiner Tage, meine Freude und mein Stolz sind mir genommen, ich fühle mich völlig a. D. großer Schmerz macht nicht traurig, aber still. Auch an der Schreiberei finde ich keine Freude.“

In dieser Situation ging er ein Verhältnis mit seiner Haushälterin Marie Kunigunde Dietrich (1846-1896) ein. Mit ihr, der 30 Jahre Jüngeren bekam der 60-Jährige zehn Monate nach dem Tod seiner Ehefrau sein erstes Kind, geb. am 16.8.1876. Er verschwieg die Geburt seines Sohnes auch seinen engsten Freunden. Er empfand Scham darüber mit seiner Haushälterin ein Kind gezeugt zu haben. Auch die Geburt des zweiten Sohnes, ein Jahr später, hielt er geheim und war deshalb während sie schwanger war auch nur wenige Tage bei ihr gewesen.

Als dann 1879 seine private Situation nicht mehr verschwiegen werden konnte, da er mit seiner Lebensgefährtin in einem Haus zusammenlebte, sah sich der Lieblingsschriftsteller der Deutschen gezwungen, die Mutter seiner Kinder zu heiraten. Die Hochzeit wurde am 22.2.1879 im kleinsten Kreise in Siebleben begangen.

„Auch direkt nach der Trauung hatte er nicht den Mut gehabt, seine Freunde über die Hochzeit zu informieren; das geschah erst einige Wochen später. Im einem Brief an seinen Freund Albrecht von Stosch schrieb er: ‚Ich such still ein Unrecht gutzumachen. Ich habe dieser dramatischen Aktion mich unterzogen, wahrlich nicht, um mich bequem einzurichten, sondern wie ich eine liebe Kranke, die durch mich Mutter und dazu trübsinnig geworden ist, nach Vermögen aus ihrem verlassenen Status herausbringen wollte. Die Schwierigkeit war mein Alter, und daß meine Frau dreihundert Jahre jünger ist als ich, denn sie steht als ein Kind aus dem Volke ungefähr auf dem Standpunkt einer tüchtigen Patrizierin aus dem Jahre 1579 nach Sprache, Sitte, Weltanschauung.‘ In der Sprache des 19. Jahrhunderts und in der Sprache der gesellschaftlichen Oberschicht waren diese Zeilen das Eingeständnis einer erotischen Ausbeutung, wenn nicht gar eines sexuellen Missbrauchs, begangen an einer unerfahrenen jungen Frau aus der sozialen Unterschicht. Kein Wort der Zuneigung oder gar Liebe, nicht einmal Freude über die unverhoffte Vaterschaft im Alter von über über 60 Jahren,“ 1) schreibt Bernt Ture in seiner Biographie über Gustav Freytag.

Auf den oben zitierten Brief von Gustav Freytag an Albrecht von Stosch antwortete von Stosch: er sei überrascht, „daß die Leidenschaft die Leiterin Ihres entsprechenden Gedankens gewesen ist. (…) Das aggressive Element dem weiblichen Geschlecht gegenüber hatte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Ich war überrascht, wie Sie im ‚Marcus König‘ – einem Roman aus dem ‚Ahnen-Zyklus‘ – so lebhaft die weiblichen Formen usw. schildern konnten, das war neu in Ihrer Kunst. Ich denke, es war schon eine Frucht des neuen Verhältnisses.‘“

Seinen Vaterpflichten ging Freytag nach, indem er mit seinen Söhnen spielte. Doch gab es zwischen Vater und Söhnen eine gewisse Distanz, bedingt durch den öffentlichen Ruhm, den der Vater genoss und der den Kindern „Ehrfurcht“ einflößte.

Im Januar 1884 starb sein sechs Jahre alter zweiter Sohn. Freytag schrieb an seinen Verleger: „Ich lebe noch in halber Erstarrung wie eine Schnecke, die sich in ihrem Häuschen verbirgt, Muth u. Thatkraft sind noch mangelhaft.“ Im Juni desselben Jahres brachte Gustav Freytag seine Frau in die Nervenheilanstalt: „Es war unvermeidlich geworden um meines Gustavs [erster Sohn] willen, der unter der kranken Zärtlichkeit der Mutter verkrüppelte; aber es ist hart für uns alle, und ich weiß noch nicht, wie ich es verwinden werde.“

Ein Jahr zuvor – im Herbst 1883 hatte Gustav Freytag die 36 Jahre jüngere Wienerin Anna Strakosch, geb. Götzel (1852 - 1911) kennengelernt. Damals war sie noch mit dem Rezitator Alexander Strakosch verheiratet gewesen. Das Paar weilte damals in Wiesbaden und nahm die Gelegenheit war, Freytag zu besuchen, um ihm Grüße des ehemaligen Burgtheaterdirektors zu überbringen. Wolfgang Jung berichtet: „Dieser Besuch hatte Folgen für Freytags Leben. 1884 entwickelte Anna Strakosch Mitleid für den vereinsamten Autor und wollte ihn aufheitern. Sie begann einen Briefwechsel und traf ihn, wenn sie Wiesbaden besuchte, im Frühjahr 1886 dauerte der Aufenthalt fast zwei Monate. Freytag nannte sie ‚Frau Ilse‘, in Anspielung auf eine Hauptgestalt aus seinem Roman ‚Die verlorene Handschrift‘ (1864), die für ihn das weibliche Ideal verkörperte. Sie wurde zu einer Vertrauten, der er über die Briefe seiner Frau aus der Nervenheilanstalt berichten konnte. Auch seine Arbeit besprach er mit ihr. (…). Für den an Scharlach erkrankten Gustav Willibald empfahl sie eine Kur in einer Kaltwasserheilanstalt in Gainfahren in Österreich. Daraufhin verbrachte Freytag mit seinem Sohn und Anna Strakosch Juni bis Anfang Oktober 1887 in Vöslau bei Wien im Haus von Annas Eltern. Das Befinden des Sohnes besserte sich durch die Kur. Für die Beziehung brachten diese Monate die Entscheidung, danach wurden viele Briefe des 71jährigen Schriftstellers an die 35jährige Jüdin zu Liebesbriefen. Alexander Strakosch war in dieser Zeit auf Vortragsreise in Amerika. (…) In den folgenden Jahren wohnte Anna Strakosch von Ende Oktober bis Anfang Juni mit ihren Kindern Mika (1875-1959), Hermance (1878-1956) und Hans (1882-1918) bei Freytag in Wiesbaden. (…). beide betrieben jetzt die Scheidung ihrer Ehen (…). Als Anna nach Österreich zurück musste, um sich um ihre im Sterben liegende Mutter und dann um ihre jüngere Schwester zu kümmern, blieben ihre Kinder bei Freytag, dem sie als Gesellschaft für seinen Sohn willkommen waren. (…) In gewisser Weise wiederholte sich die Situation von Freytags Anfangszeit in Wiesbaden, das Leben in einer nicht gesellschaftskonformen Verbindung. (…) Die Absicht der Verheiratung hielt Freytag so lange wie möglich geheim, nur mit dem Ehepaar Stosch machte er Anna 1890 bekannt. Am 10. März 1891 fand die Trauung statt, wiederum in Siebleben, in kleinem Kreis (…). Freytag schrieb dem Verleger noch am Hochzeitstag: 'Also, lieber Heinrich, ich habe wieder eine gute Hausfrau, und der schwarze Flor ist von den Wänden des Hauses entfernt u. die Thüren gastlich geöffnet. Ich denke für S. Hirzel wird diese Verbindung kein Nachtheil sein, meine Frau, die schon längst die Vertraute meiner literar. Pläne war, ist eine eifrige Advocatin für Drucker u. Verleger. Ihnen, dem Freunde, aber möchte ich sagen, daß ich in einem Zustande behaglichen Glückes bin, das ich nicht mehr erwartet habe. (...) Meine Frau läßt sich Ihnen angelegentlich empfehlen.' „Dieser Gruß deutet an, wie sich die Lage geändert hatte: seine dritte Frau bezog Freytag regelmäßig in den Kontakt zu der Verlegerfamilie und dem Herzogspaar ein. Anna Freytag brachte ihre drei Kinder mit in die Ehe, Freytag ließ sie in ihrer angestammten jüdischen Religion erziehen, dem Stiefsohn Hans ließ er in seiner Wohnung Privatstunden in Hebräisch erteilen. Das Angebot seiner Frau, die christliche Religion ihres Mannes anzunehmen, lehnte er ab. So entstand in Wiesbaden zur Zeit des erstarkenden Antisemitismus eine gemischte christlich-jüdische Familie (…)“. 2) Drei Jahre nach der Hochzeit starb Freytag mit 78 Jahren. Mika-Maria wurde 1943 ins KZ Theresienstadt deportiert und dort 1945 von den Amerikanern befreit.

Gustav Freytag und Antisemitismus
Im Abschlussbericht des Beirates zur Überprüfung Düsseldorfer Straßen- und Platzbenennungen heißt es zum Antisemitismus bei Gustav Freytag: „Obwohl Gustav Freytag zu den populärsten Literaten seiner Zeit gehörte und im ausgehenden 19. Jahrhundert auf dem Lehrplan deutscher Gymnasien stand, hat ihn die Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts weitestgehend vergessen. Diese Entwicklung basierte nicht zuletzt auf dem Vorwurf des Antisemitismus; Freytags einst gefeierter Roman ‚Soll und Haben‘ bediente die antijüdischen Klischees des damaligen Bildungsbürgertums und trug zur Verbreitung antisemitischer Stereotype bei. Die Darstellung der jüdischen Figuren im 1855 erschienenen Werk fußt auf gängigen Vorurteilen, die sich auf Sprache, Auftreten und Verhaltensweise beziehen. So verkörpern der Händler Veitel Itzig (‚keine auffallend schöne Erscheinung‘) und die Kaufmannsfamilie Ehrenthal (‚das kriechende Wesen des Vaters‘) das Bild des hinterlistigen und habsüchtigen jüdischen Kapitals. Darüber hinaus werden diese in einen ständigen Kontrast zum deutschen Idealbild des Autors gesetzt; der Protagonist Anton Wolfahrt und die Kaufmannsfamilie Schröter repräsentieren die bürgerlichen Tugenden (Ordnung, Anstand, Leistungsbereitschaft) des 19. Jahrhunderts. Ferner greift Freytag in seinem Roman antipolnische Ressentiments auf, um eine moralische und wirtschaftliche Überlegenheit des deutschen Volkes zu demonstrieren. Dass der Schriftsteller auch außerhalb der Literaturwelt antisemitische Vorurteile pflegte, beweist der von ihm verfasste Artikel ‚Die Juden in Breslau‘ aus dem Jahr 1849, in dem er die deutsche Bürgerkultur bedroht sah: ‚Die Lage Schlesiens an der Grenze von Posen, Polen und Galizien, begünstigt ein fortwährendes Eindringen der polnischen Schacherjuden in die Provinz [...]. Da hier die Destillation anfängt, bleibt auch der meiste Schmutz bei uns sitzen.‘ Allerdings betrachten jüngere Untersuchungen zu Gustav Freytags Biographie diesen ausdrücklich nicht als überzeugten Antisemiten und verweisen in diesem Zusammenhang auf dessen Unterstützung für die Judenemanzipation ab den 1860er Jahren. Anlässlich der Wiederveröffentlichung von Richard Wagners antisemitischer Schrift ‚Das Judentum in der Musik‘ distanzierte sich der Schriftsteller: ‚Wir halten aber gegenwärtig einen ernsten Angriff auf das jüdische Wesen unter uns nach keiner Richtung für zeitgemäß, nicht in Politik, nicht in Gesellschaft, nicht in Wissenschaft und Kunst.‘ 1890 gehörte er zu den Unterzeichnern der sogenannten ‚Notabeln-Erklärung‘, die sich gegen die antisemitische Bewegung aussprach; später trat er in den ‚Verband zur Abwehr des Antisemitismus‘ ein. In einem Aufsatz, der 1893 in einer Wiener Zeitung veröffentlicht wurde, bezog Gustav Freytag abermals Stellung und griff die judenfeindlichen Propagandisten direkt an: ‚Was jetzt mit aufgebauschtem Namen die ‚antisemitische Bewegung‘ genannt wird, ist in Wahrheit noch das alte Leiden, die Judenhetze [...]. Das Getöse ist so heftig, daß [sic] auch verständige Männer fragen, was daraus werden solle. Es giebt [sic] darauf nur eine runde Antwort: Nichts wird daraus. Für den Eifer und den Haß [sic] der Feindseligen durchaus nichts.‘ “ 3)

Die Kommission, die sich in Freiburg kritisch mit den dortigen Straßennamen beschäftigte, schlug ein Ergänzungsschild unter dem Straßenschild vor mit folgendem Text: „Gustav Freytag (1816-1895). Dichter, 1855 Verfasser des Bestsellers ‚Soll und Haben‘, verbreitete antijüdische und antipolnische Stereotypen.“ 4)