Ibsenweg
Blankenese (1955): Henrik Ibsen (20.3.1828 Skien – 23.5.1906 Christiania), Schriftsteller
Siehe auch: Griegstraße
Henrik Ibsen war der Sohn von Marichen Cornelia Martine Ibsen, geborene Altenburg und des Kaufmanns Knud Plesner Ibsen. Henrik Ibsen verwendete seine Mutter „‘mit den notwendigen Übertreibungen‘ als Modell für ‚Aase‘ in Peer Gynt. Sie wird von Literaturwissenschaftlern ebenfalls als Modell für ‚Inga von Varteig‘ in Die Kronprätendenten angesehen.“ 1)
Als Ibsen sieben Jahre alt war, musste sein Vater Konkurs anmelden. Die Familie lebte fortan in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Marichen Ibsen widmete sich nun der Malerei und fertigte Puppen an (siehe: Nora, oder das Puppenhaus).
Im Alter von 16 Jahren begann Ibsen aus finanziellen Gründen eine Lehre bei einem Apotheker, um später Medizin studieren zu können. Gleichzeitig widmete er sich der Literatur und begann eigene Werke zu verfassen. 1846, mit 18 Jahren wurde Ibsen Vater eines Kindes, das er mit der zehn Jahre älteren Dienstmagd Else Sophie Birkedalen bekommen hatte. Er hatte nun Unterhaltszahlungen zu leisten, was ihm finanziell schwerfiel. Zu seinem Sohn soll Ibsen keinen engeren Kontakt gehabt haben.
1850 wurde Ibsens erstes Theaterstück „Catilina“ veröffentlicht. Damals lebte er schon in Christiania (heute: Oslo) und wandte sich den utopischen Sozialisten zu. Über Ibsens damalige Zeit in Christiania schreibt Stefana Sabin: „In Kristiania holte Ibsen die Schulabschlussprüfungen nach und wollte studieren, aber er nahm mehr am gesellschaftlichen und politischen Leben als am akademischen Unterricht teil. Die revolutionäre Umbruchstimmung von 1848 hatte schließlich den entlegenen europäischen Norden erreicht, und auch in Norwegen formierte sich nicht nur eine liberale Opposition, sondern entstanden sozialistische Arbeiter- und Handwerkervereinigungen, die als Zentralorgan eine Zeitung herausgaben. Der Chefredakteur dieser ‚Zeitung der Arbeitervereinigungen‘, Theodor Abilgaard, war Ibsens Nachbar in einer ärmlichen Gegend von Kristiania, und er gewann ihn als Redaktionsmitarbeiter. Als die Zeitung - und die Arbeitervereinigung - im Sommer 1851 verboten und Abilgaard und andere Zeitungsmitarbeiter verhaftet wurden, entkam Ibsen nur, weil ein vorsichtiger Drucker herumliegende Manuskripte, darunter auch seine, vernichtet hatte.“ 2)
1851 wurde Ibsen Hausdichter und künstlerischer Leiter am Norske Theater in Bergen. Ibsen sollte jedes Jahr ein Theaterstück schreiben. In diesen Stücken setzte er sich bereits kritisch mit konservativ-nationalen Ideen auseinander.
1857 übernahm Ibsen die Leitung des Kristiania Norske Theater in Christiania. Ein Jahr später heiratete er Suzannah Thoresen (16.6.1836 Heroy, Norwegen – 3.4.1914 Kristiania/Oslo). Kennengelernt hatte sich das Paar im elterlichen Haus von Suzannah in Bergen. Ihr Vater war in zweiter Ehe mit der Schriftstellerin Magdalene Thoresen verheiratet, die einen „literarischen Salon“ führte, zu dem auch Ibsen eingeladen wurde und dabei 1856 seine zukünftige Ehefrau traf. Das Paar bekam 1859 ein Kind.
„Suzannah Ibsen tat sich als literarische Beraterin, besonders bei der Gestaltung der Frauenrollen im Werk ihres Mannes, hervor. So setzte sie durch, dass in Ibsens Drama Et dukkehjem (Nora oder ein Puppenheim) Nora ihren Mann Helmer verlässt. 1858 übersetzte sie das Theaterstück Graf Waldemar des deutschen Schriftstellers Gustav Freytag für das ‚Kristiania norsk Theater‘ ins Norwegische.“ 3)
Suzannah Ibsen und auch Ibsens Schwiegermutter Magdalene Thoresen waren Anhängerinnen der damaligen Frauenbewegung. So wurde Ibsen in diesem Sinne von seiner Frau beeinflusst. Gleichzeitig aber hielt er an Regeln einer konventionellen Ehe fest. Da er oft auf Reisen war, seine Frau aber lieber zu Hause blieb, verbrachte er oft die „Sommerfrische“ allein. Kathrin Bragagna schreibt in ihrer Diplomarbeit „Die Sache der Frau. Emanzipation und Feminismus in Henrik Ibsens Die Frau vom Meere“ dazu: „Während einer dieser Sommerfrischen lernte Ibsen in Gossensaß die junge Wienerin Emilie Bardach kennen. Die beiden verband ein inniges Verhältnis und auch nach der Sommerfrische schrieb Emilie Briefe an Ibsen (…). Die Briefe lassen darauf schließen, dass sich der alternde Ibsen zu Emilie Bardach hingezogen fühlte. Da der Dichter sich aber immer vor einem Skandal fürchtete, dürfte er wohl der Versuchung widerstanden haben und seiner Frau treu geblieben sein.“ 4)
Nachdem das Norske Theater in Christiania 1864 in Konkurs gegangen war, wurde Ibsens finanzielle Situation, die bis dahin eh nicht „berauschend“ gewesen war, noch prekärer. So verließ er mit seiner Frau das Land. Im „freiwilligen Exil“ wurde er zuerst von Mäzenen aus Norwegen finanziell unterstützt.
Ibsen blieb 27 Jahre im Exil, zunächst in Rom und dann in Dresden und München. Seine finanzielle Lage verbesserte sich erst in den 1870er-Jahren, als seine Stücke in Norwegen und Deutschland mit Erfolg auf die Bühne gebracht wurden.
Ibsen schrieb im Exil seine wichtigsten Theaterstücke, so zum Beispiel Peer Gynt (1876) für das Edvard Grieg (siehe: Griegstraße) die Musik für die Bühnenfassung schrieb. Mit seinem Stück „Stützen der Gesellschaft“ (1877) wechselte Ibsen in eine neue dramatische Gattung, in den Naturalismus, wozu auch Ibsens weitere Werke zählten wie „Nora oder Ein Puppenhaus (1879), Gespenster (1881), Ein Volksfeind (1882) und Die Wildente (1884).
Stefana Sabin äußert zu den aufgeführten Stücken: „Weil sie einen sozialkritischen Rahmen hatten und darin individuelle Lebensentwürfe entfaltet wurden, galten diese Dramen als realistisch, aber weil ihre Figuren ausser Stimmungen und Verstimmungen wenig erlebten und in Selbstreflexion verharrten, galten sie als Ideenstücke. Ibsens Männerfiguren litten an einem selbstgemachten Unglück, das sich aus Machtdrang und emotioneller Starre konstituierte, und mussten irgendwann ihr ‚ganzes verpfuschtes, verfehltes Leben‘ erkennen. Seine Bühnenpopularität aber begründeten seine Frauengestalten, die zwischen Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung in ihrem Unglück gefangen und trotzdem in ihrem Freiheitsdrang ungebrochen waren. Und es war das weibliche Publikum, das, wie eine umfangreiche Korrespondenz zeigt, in der dichterischen Suggestivkraft dieser Figuren alltagspsychologische Dimensionen erkannte.“ 5)
Diese gesellschaftskritischen Stücke erfuhren aber auch erhebliche Gegenwehr. „Beispielsweise waren die Gespenster (mit den Themen Ehebruch und syphilitische Paralyse) an vielen Theatern in Europa lange Zeit verboten und wurden daher in Chicago uraufgeführt.“ 6)
Ibsen ließ die Frauen in seinen Stücken aus den Konventionen ausbrechen, er selbst blieb den bürgerlichen Konventionen verhaftet. Kathrin Bragagna äußert: „Theoretisch war seine Ehe also eine emanzipierte, während sein moralisches Empfinden ihm jedoch nicht zugestand, seine Vorstellungen auch umzusetzen. Dazu kommt, dass Ibsen hohen Wert auf die Gültigkeit von Gelöbnissen legte und deshalb schon seine Frau nicht verlassen konnte oder wollte, schließlich war die Ehe nicht unglücklich. Ibsen befürwortete eine Scheidung nur im s c h l i m m s t e n Falle, nicht – wie man ihn interpretierte - in jedem Fall.“ 7)
Ibsen hat durch seine Stücke die damalige Frauenbewegung unterstützt und beeinflusst. Dies zeigt besonders sein Stück „Nora, ein Puppenheim“, in dem Nora Mann und Kinder verließ. Aber, so Kathrin Bragagna: „Hätte er nicht so großartige Vorbilder, wie seine Schwiegermutter Magdalene Thoresen oder Camilla Collett, die beide in der Frauenbewegung aktiv waren, für seine weiblichen Figuren gehabt, wäre er nicht im Stande gewesen, diese zu porträtieren.“ 8) Doch dabei blieb es bei Ibsen auch. Die Frauenbewegung selbst hat er nicht aktiv unterstützt, so lehnte er eine Ehrenmitgliedschaft im Verein für die Sache der Frau ab.
Als er auf Einladung der norwegischen Gesellschaft für Frauenrechte eine Rede hielt, „sagte Ibsen, er wisse nicht, was für Rechte Frauenrechte seien, ihm gehe es allgemein um Freiheit, um ein freies Leben.“ 9)
Kathrin Bragagna kommt zu dem Schluss: „Gerne spielte er in Gedanken durch, was durch gewisse (notwendige) Veränderungen geschehen würde, aber außerhalb seiner Familie und seiner Dramen setzte er keine Gedanken in die Tat um. „Ibsen setzt sich theoretisch mit Problemen auseinander. Er erkennt die Probleme seiner Zeit und bringt auch Lösungsvorschläge dafür ein, allerdings scheitern diese an der Umsetzung. Sein sozialer Status innerhalb der Gesellschaft ist ihm zu wichtig, als dass er ihn für die Umsetzung seiner revolutionären Vorstellungen und Ideen aufs Spiel setzen würde. (…)“.10)
Über Ibsens Verhältnis zu Frauen äußert Melanie Arzenheimer in ihrer Rezension des Buches von Gunna Wendt „Henrik Ibsen und die Frauen“ aus dem Jahr 2021: „Eine besondere Rolle spielte (…) die Schriftstellerin Laura Kieler. Sie war eine Bekannte von Henrik Ibsen und das Vorbild für die Hauptfigur in Ibsens berühmtestes Stück ‚Nora oder Ein Puppenheim‘. Um ihren kranken Mann zu unterstützen, leiht sie sich heimlich Geld, das sie aber nicht zurückzahlen kann. Sie bittet Suzannah Ibsen, auf ihren Mann einzuwirken, damit dieser sich beim Verleger Frederik Hegel für die Veröffentlichung ihres Manuskripts einsetze. Aber Ibsen hält das Werk für Pfusch. Laura Kieler versucht durch einen gefälschten Wechsel an Geld zu kommen, wird aber dabei erwischt und landet nach einem Zusammenbruch in der Nervenheilanstalt. Nach der Scheidung von ihrem Mann versöhnt sie sich wieder mit ihm. Und Ibsen? Gunna Wendt beschreibt wie Ibsen, der die moderne Gesellschaft als reine Männergesellschaft kritisierte, seine Nora erschaffen hat, aber das reale Vorbild nie in seine künstlerische Arbeit mit ein bezog. ‚Manchmal fühlte sich Ibsen durch die Eigenständigkeit seiner selbst geschaffenen Figuren überfordert, allen voran Nora,'“11) schreibt Gunna Wendt. „Auch im wahren Leben ergibt sich durch Ehefrau, Schwiegermutter und die Feministin Camilla Collett eine weiblich Übermacht, die den Schriftsteller beinahe einschüchtert.“ 11)
Camilla Collett war eine Anhängerin der Frauenbewegung und schrieb Romane, in denen sie sich mit der Rolle der Frau in der damaligen norwegischen Gesellschaft beschäftigte. Sie war mit Ibsen befreundet und stand mit ihm in Briefkontakt. Sie hatten sich 1871 in Dresden kennengelernt. Kathrin Braggagna schreibt über das Verhältnis der beiden. „Kurz zuvor war John Stuart Mills The Subjection of Women (1869) erschienen und Colletts Interesse für dieses Werk führte sie mit Suzannah Thoresen, Ibsens Frau, zusammen.
Während die beiden Frauen in einem guten Verhältnis zueinander standen, bewunderte Collett zwar Ibsens Werk, kam jedoch menschlich nicht mit ihm zurecht. Sie hielt ihn für egoistisch, besonders im Umgang mit Frauen, und warf ihm vor, zu wenig auf seine eigene Frau einzugehen. Diese allerdings hatte mehr Einfluss auf Ibsen, als Collett wahrhaben wollte. Zu Hause brachte Suzannah die Werke und Ideen von Mill und Collett immer wieder ins Gespräch ein und machte so Ibsen mit den beiden bekannt. (…) mit der Zeit lernten sich die beiden gegenseitig schätzen. (…).
Als 1888 Die Frau vom Meere erschien war Collett sehr gerührt, denn sie erkannte ihre eigene Lebensgeschichte in diesem Stück wieder.“ 12)
Nach 27 Jahren im Exil kehrte Ibsen 1891 nach Norwegen zurück. Nach zwei Schlaganfällen starb er 1906 in seiner Wohnung in Kristiania. Seine Frau überlebte ihn um acht Jahre.