Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Anzengruberstraße

Wilstorf (1928): Ludwig Anzengruber (29.11.1839 Alservorstadt von Wien – 10.12.1889 Wien), österreichischer Buchhändler und Schriftsteller


Siehe auch: Millöckerweg

Zuvor hieß die Straße seit 1889 Schmidtstraße, benannt nach Leendert Schmidt (1.5.1804 Hamburg – 23.5.1872 Hamburg), Grundbesitzer, Hamburger Kaufmann und Hofbesitzer. 1927 wurde die Straße auf Wunsch der Bewohnenden dieser Straße, „die zu einem großen Teil aus Österreich stammten, nach dem österreichischem Volksschriftsteller Ludwig Anzengruber (…)“[1] benannt.

Anzengrubers Vater war ein Hofbuchhalter und schrieb selbst Gedichte und Theaterstücke – allerdings erfolglos.

Als Ludwig Anzengruber fünf Jahre alt war, starb sein Vater. Seine Mutter Maria, geb. Herbich (gest. 1875), die „einen starken Bildungstrieb [hatte und sich] mit dem Malen von Blumenstücken beschäftigte und sogar versuchte auf eigene Faust die klassischen Sprachen zu lernen“[2] konnte sich und ihren Sohn mit der Witwenrente kaum ernähren. Unterstützung kam von der Großmutter Barbara Herbich. Sie war eine gute Köchin und erzählte ihren Enkeln nachmittags, wenn sie strickte, Märchen. Das hinterließ bei Ludwig Anzengruber bleibenden Eindruck. Doch als er fünfzehn Jahre alt war, starb seine Großmutter und seine Mutter geriet dadurch in eine finanziell sehr prekäre Lage. Dennoch unterstützte Maria Anzengruber ihren Sohn weiterhin auch finanziell. Sie gab ihm die Bibliothek des Vaters, so dass er sich literarisch weiterbilden konnte und ermöglichte ihm eine schulische Ausbildung, die er allerdings aus finanziellen Gründen 1855 in der ersten Klasse der Oberrealschule abbrechen musste. Die Mutter stand ihrem Sohn auch in den folgenden Jahren zur Seite, als er versuchte, Schauspieler zu werden. „Mochte auch (..) der Mutter, die als Tochter eines Provisors eine gewisse soziale Stellung beanspruchen konnte, die Schauspiellaufbahn des Sohnes durchaus nicht erwünscht sein, sie gab nicht allein ihre Einwilligung, sondern begleitete ihn treulich und hilfreich (…) auf den Wander- und Irrfahrten,“[1] schreibt Adolphine Blanka Ernst in ihrer Dissertation über die Frauencharaktere und Frauenprobleme bei Ludwig Anzengruber.

Zehn Jahre lang zog sie mit ihm und den Wandertruppen, bei denen er engagiert war, durch Deutschland.

Doch seine Schauspielerlaufbahn war nicht vom Erfolg gekrönt. So begann er zu schreiben, wozu ihn seine Mutter immer wieder ermuntert hatte und womit er 1870 endlich seinen Durchbruch erlebte.

In all dieser Zeit war ihm seine Mutter: „nicht nur die Ernährerin, sondern sie leitete mit ernstem, zielbewußtem Sinn, mit liebender Hand und innigen Verständnis die Entwicklung des eigenartigen, träumerischen, schwierig veranlagten Knaben.“ 1) Und Anzengruber sträubte sich nicht dagegen, empfand sich auch nicht als bevormundet. Nein, es bestand ein sehr inniges Verhältnis zwischen Mutter und Sohn. Nach dem Tod seiner Mutter schrieb er an Rosegger: „Ich habe nicht nur das Weib, das mich geboren, die Mutter, die für mich Unmündiges gesorgt, ich habe meine beste Freundin verloren. Ein Stück meines Herzens, meiner Seele.“[2] „Der Gedanke an die Mutter war ihm immer der erste bei jedem Ereignis seines Lebens, immer und immer wieder zauberte die Phantasie ihr Bild ihm vor, er glaubt sie auf der Straße kommen zu sehen, er glaubt sie reden zu hören, alles hat Bezug auf sie,“[1] so Adolphine Blanka Ernst.

1873 heiratete der 36-Jährige, gegen den Willen seiner Mutter, die 16-jährige Adelinde Lipka (1857–1914), die Schwester seines Jugendfreundes Franz Lipka. Anzengruber kannte sie seit Kindertagen und lebte mit seiner Mutter zur Zeit der Hochzeit im Haus der Familie Lipka zur Miete. Ihre „elfenhafte Erscheinung und eine dem Wesen angemessene Kindlichkeit“[2] scheinen ihn gefesselt zu haben.

Das Paar bekam drei Kinder. Doch die Verbindung verlief unglücklich. Die finanziellen Probleme und hohen Schulden führten zu Ehekrisen. Seine sehr junge, 18 Jahre jüngere Frau soll herzlos gegenüber seiner Mutter gewesen und mit dem Haushaltsgeld nicht sparsam umgegangen sein. Außerdem soll sie oberflächlich gewesen sein und kein Verständnis für sein literarisches Schaffen gehabt haben.[3] Und er? Freunde haben berichtet, dass er ein „durchaus selbstherrlicher, unbequemer Charakter gewesen sei“.[2]

Ausschlaggebend für die ungedeihliche Ehe war auch die weiterhin sehr enge Bindung zwischen Mutter und Sohn, in die durch die Heirat des Sohnes ein fremdes Element eingedrungen war. So empfand es Anzengruber und er schrieb über seine Ehefrau: „Ein fremdes Element in mein Leben hineingetragen durch das Weib, durch das schmerzliche Erwachsen aus Träumen der Jugend.“[2] Auch äußerte er sich 1863 über die Liebe zu Frauen – außer zur Mutter - folgendermaßen: „Mit der Liebe hab‘ ichs nicht, ich muss mein alles an die Freundschaft setzen.“[2]

Anzengrubers Mutter starb zwei Jahre nach seiner Hochzeit. Doch die Verbindung zu ihr ließ Anzengruber nicht abreißen. „So lange er lebte, war sie ihm die Nächste, (…). Alles Tüchtige, was er im Leben wirkte, wollte er als ein ihr gestiftetes Denkmal betrachtet wissen. Er gelobte an ihrem Grabe, seine Ehre zu wahren und zu leben ‚gleich als wäre sie noch zur Stunde auf Erden und gälte es, ihr Freude zu machen.‘“[2]

1889 ließen sich die Eheleute Anzengruber nach immerhin 16 Jahren Ehe scheiden.

Freundschaft verband Anzengruber mit seiner Kusine Frau von Holzinger und mit der Dichterin Ada Christen, die er Kollegin nannte. „Flüchtige Beziehungen unterhielt er mit den Darstellerinnen seiner Frauenrollen. Marie Geistiger, die erste enthusiastische Darstellerin der Anna Birnmeier.“[2]

Im Wikipedia-Eintrag zu Ludwig Anzengruber heißt es: „Sein Frauenbild (…) von den Stereotypen seiner Zeit geprägt.“[3]

Adolphine Blanka Ernst beschreibt in ihrer vor hundert Jahren erschienenen Dissertation Anzengrubers Frauenbild u. a. wie folgt: „In seiner Auffassung und besonders in der Betonung des sittlichen Zwecks der Familie ist er eigenartig. (…) Er gesteht dem Individuum, besonders der Frau, nicht das Recht der eigenartigen Entwicklung zu, welches sie ihrem Berufe entfremden würde. Er erkennt die Emanzipation nicht an. Die Frauen, die er kennt, dürfen ihren Beruf nur in der Familie ausfüllen, trotzdem es doch so nahe gelegen hätte, einen andern Beruf zu behandeln, da er nicht allein Schauspielerinnen kannte, sondern auch eine Dichterin zur Freundin hatte.“[2]

Anzengrubers Idealweib war die, die „einfach, mit gesunden Anschauungen [ganz] Weib sein und bleiben [will], dem Manne eine Gehilfin und sein bester Kamerad. Darum gibt sie sich auch nicht mit Fragen über das eigene Recht und des Mannes Recht ab, ob er herrschen soll oder sie. Ihr Ziel, das Beste für die Familie zu erreichen, behält sie fest im Auge, und so kann sie und will sie alles werden, was nötig ist, um den Mann zu ergänzen.“[2]

Im Endbericht der ExpertInnenkommission für Straßennamen in Graz wurde die dortige Anzengrubergasse als problematisch eingestuft, und zwar, weil Anzengruber eine „frauenfeindliche Einstellung“[4] besaß und „antijüdische Stereotype im posthum erschienenen Werk ‚der ewige Jud‘“[4] bediente. Zu Letzterem heißt es in Wikipedia: „Während es in seinem zu Lebzeiten veröffentlichten Werk keine negative Judenfigur gibt, stellte er im posthum erschienenen Der ewige Jud sowohl Juden als auch Antisemiten satirisch dar.“[3]

Und auch Felix Sassmannshausen schreibt in seinem Dossier zu Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: "Anzengruber kolportierte antijüdische Stereotype in seinem posthum erschienenen Werk 'Der ewige Jud'".[5]

Text: Rita Bake