Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Jette-Müller-Weg

Ohlsdorf, seit 2007, benannt nach Johanne Henriette Marie Müller (18.7.1841 Dessau - 8.7.1916 Hamburg). Als „Zitronenjette“ bekannt, verkaufte sie tagsüber am Graskeller und nachts in den Kneipen Hamburgs Zitronen; ihre Lebensgeschichte wurde noch zu ihren Lebzeiten in ein Theaterstück gefasst, dadurch wurde sie zu einem Hamburger Original


Ein Erinnerungsstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof.

Zitronenjette wurde zum Hamburger Original, weil sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach. Über ihre Kleinwüchsigkeit, ihren so genannten Schwachsinn und ihre Alkoholerkrankung belustigte sich Hamburgs Bevölkerung.

Menschen, die anders sind als die Masse, ob gewollt oder auch ungewollt, scheinen beim Gros der Bevölkerung sowohl Faszination als auch Ablehnung hervorzurufen. Mit der Etikettierung solcher „ungewöhnlicher“ Menschen als „Originale“ kann die Bevölkerung ihnen einen Platz zuweisen. Gibt sie dem Original gar noch den Zusatz ihrer Heimatstadt - z. B. Hamburg -, lässt die Bevölkerung ein Stück Integration dieser Person zu. Damit wird dem Gefühl der Faszination Rechnung getragen. Gleichzeitig bleiben diese „anderen“ Menschen durch den ihnen zugewiesenen Platz als „Original“ außerhalb der Gesellschaft. Dies wiederum ist Ausdruck der ablehnenden Haltung ihnen gegenüber.

Geboren wurde Johanne Henriette Müller als uneheliches Kind. Wenige Monate nach der Geburt zog ihre Mutter mit ihr nach Hamburg. Die Mutter heiratete und die Familie wohnte im Gängeviertel. Als der Vater an einem Schlaganfall starb, zog Johanne Henriette mit ihrer jüngeren Schwester zusammen. Sie lebten zuerst in der Rothesoodstraße und zuletzt am Teilfeld, Ecke Herrengraben.

In ihrer Kindheit war sie bereits von ihrer Mutter zum Handeln mit Zitronen angehalten worden. Diese Tätigkeit übte sie bis zu ihrer Einweisung in die „Irrenanstalt Friedrichsberg“ aus. Zu diesem Zeitpunkt war sie 53 Jahre alt.

Zitronenjette hatte ein leidvolles Leben ertragen müssen. Johanne Henriette Müller war kleinwüchsig, 130 cm lang und 35 Kilo leicht, und fiel damit aus dem Rahmen des als normal angesehenen Erscheinungsbildes. Aber damit nicht genug: Johanne Müller galt auch als geistig ein wenig zurückgeblieben. Das führte dazu, dass viele Kundinnen und Kunden sie übers Ohr hauten, wenn sie in den Gassen und Straßen der Innenstadt ihre Zitronen feilbot. Niemand machte sich Gedanken über Zitronenjettes desolate wirtschaftliche Situation: sie war arm. Und kaum jemand dachte daran, was man ihr seelisch antat, wenn sie zum Gespött der Straßenjugend wurde, die grölend hinter ihr herlief. Wenn Zitronenjette abends in den Kneipen ihre Zitronen anbot, machten sich Kneipenbesucher einen Spaß daraus, ihr ein großes Glas Schnaps bringen zu lassen, welches sie zur allgemeinen Belustigung auf einen Zug leerte. Die Folge war: sie wurde alkoholkrank und trank nun auch schon am Tage eine Flasche Kümmelschnaps aus. Danach fand sie oft kaum noch den Heimweg in die Neustadt zum Teilfeld 56.

1894 wurde Zitronenjette schließlich von der Polizei in die „Irrenanstalt Friedrichsberg“ eingeliefert. Dort lebte sie fast zwanzig Jahre lang und wurde mit Kartoffelschälen und Gemüseputzen beschäftigt. Zeitungsberichten und Erzählungen zufolge soll sie dort einen „friedlichen Lebensabend“ genossen haben. Kein Wort von schmerzhaften Entzugserscheinungen, denn dort wurde ihr der Alkohol selbstverständlich vorenthalten.

Berühmt und zum Hamburger Original wurde die Zitronenjette, weil sie „anders“ war und weil Menschen sich auf Kosten dieses Umstandes belustigten. Ihren Leiden wurde kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen gab sie den Stoff für eine Lokalposse, die um 1900, also noch zu Lebzeiten der Zitronenjette, von Theodor Francke geschrieben und im Ernst-Drucker-Theater auf St. Pauli aufgeführt wurde. In der Hauptrolle der damals als Darsteller weiblicher Rollen dieser Art berühmte Wilhelm Seybold. 1940 schrieb Paul Möhring eine neue „Zitronenjette“. Er wollte keine Lokalposse auf Kosten der Zitronenjette, sondern ein Stück, das die Zuschauerinnen und Zuschauer sowohl zum Lachen als auch zum Weinen bringen sollte. Mehrere Hundert Male wurde seine „Zitronenjette“ aufgeführt.