Kleiststraße
Eilbek (1910): Heinrich Kleist (10./18.10.1777 Frankfurt/Oder – 21.11.1811 am Stolper Loch, heute Kleiner Wannsee), Dichter. Selbsttötung mit Henriette Vogel. Kontrovers diskutiert wird, ob Kleist homosexuelle Neigungen hatte.
Siehe auch: Ifflandstraße
„Heinrich von Kleist stand als ‚Außenseiter im literarischen Leben seiner Zeit […] jenseits der etablierten Lager‘ und der Literaturepochen der Weimarer Klassik und der Romantik. Bekannt ist er vor allem für das ‚historische Ritterschauspiel‘ Das Käthchen von Heilbronn, seine Lustspiele Der zerbrochene Krug und Amphitryon, das Trauerspiel Penthesilea sowie für seine Novellen Michel Kohlhaas und Die Marquise von O..“ 1), heißt es in Wikipedia.

Heinrich von Kleist entstammte einer adligen Offiziersfamilie. Der Vater hieß Joachim Friedrich von Kleist und diente als Stabskapitän. In seiner ersten Ehe hatte er zwei Töchter gezeugt, die er in die zweite Ehe miteinbrachte. Mit seiner zweiten Ehefrau Juliane Ulrike, geb. von Pannwitz bekam er fünf Kinder, darunter Heinrich.
Als Heinrich von Kleist 11 Jahre alt war, starb sein Vater 1788. Seiner Witwe wurde keine Pension gewährt.
Wie die Familientradition es verlangte, sollte auch Heinrich von Kleist die militärische Laufbahn einschlagen. Nach der Konfirmation begab sich Kleist 1792 zwar auf diesen Weg, doch er verließ bald die Armee, „um sich bald ganz seinem Dichterberuf zu widmen. Die so gewählte Lebensform galt es zu beweisen, und Ehrgeiz blieb auch aus diesem Grund bis an das Lebensende eine Triebfeder seines schriftstellerischen Tuns.“ 2)
Kleist‘ Mutter starb 1793, als er 16 Jahre alt war. 1799 reichte Kleist sein Abschiedsgesuch beim Militär ein und begann ein Studium an der Universität Frankfurt/Oder in den Fächern Mathematik, Physik, Kulturgeschichte, Naturrecht und Kameralwissenschaften.

Ein Jahr später, 1800, verlobte er sich inoffiziell mit Wilhelmine von Zenge (20.8.1780 Berlin – 25.4.1852 Leipzig). Auch ihr Vater war beim Militär (Generalmajor August Wilhelm Hartmann von Zenge). Ihre Mutter war Carlotte Margarete von Zenge, geborene von Wulffen.
Heinrich von Kleist und Wilhelmine von Zenge kannten sich aus Kindertagen, denn die Familie von Zenge wohnte in Frankfurt an der Oder neben Heinrich von Kleist‘ Tante Auguste Helene von Massow, die den Haushalt für die fünf Waisenkinder der Familie Kleist führte, nachdem die Eltern von Kleist verstorben waren.
Als Kleist an der Frankfurter Viandrina studierte, bot er Wilhelmine an, ihr bei der Überwindung ihrer Rechtschreibschwäche behilflich zu sein.
„Wenig später gestand Kleist ihr seine Liebe und hielt um ihre Hand an. Nach anfänglichem Zögern willigte Wilhelmine ein und es kam im Frühsommer 1800 zur sogenannten ‚inoffiziellen Verlobung‘ mit der Bedingung, Kleist habe sich vor der Heirat um ein Amt zu bemühen, damit er eine Familie ernähren könne.“ 3)
Und so brach Kleist 1800 sein Universitätsstudium ab, das gerade mal drei Semester gedauert hatte, „und begann eine Tätigkeit als Volontär im preußischen Wirtschaftsministerium in Berlin, obwohl dies seinem Verständnis eines Lebensplanes ‚freier Geistesbildung‘ nicht entsprach.“ 4) Gleichzeitig soll Kleist aber auch dem Studium überdrüssig gewesen sein.
„Um seine Krisen zu verarbeiten, begab er sich auf Reisen, oft begleitet von seiner Halbschwester Ulrike von Kleist. Auch nach der Verlobung mit Wilhelmine von Zenge ging Kleist auf Reisen.
Hatte er schon keine genauen Vorstellungen von seiner Lebensplanung, so hatte er doch klare Vorstellungen von der Rolle seiner zukünftigen Ehefrau, bzw. grundsätzlich von der Rolle der Frau. Lena Kaiser schreibt dazu: „Doch trotz, oder vielleicht gerade wegen, eigener mangelnder Lebensplanung und Erfolgen hatte Kleist sehr genaue Vorstellungen über die Zukunft und Bildung seiner Verlobten. Dies äußerte sich in zahlreichen überlieferten Briefen, in denen Kleist der drei Jahre jüngeren Wilhelmine gegenüber einen überheblich schulmeisterlichen Ton anschlägt. So schickt er ihr mehrere kleine Abhandlungen über die Beziehung der Eheleute zueinander, in denen er völlige Hingabe und Aufopferung seitens der Frau fordert: ‚Der Mann ist nicht bloß der Mann seiner Frau, er ist auch ein Bürger des Staates; die Frau hingegen ist nichts, als die Frau ihres Mannes; der Mann hat nicht bloß Verpflichtungen gegen seine Frau, er hat auch Verpflichtungen gegen sein Vaterland; die Frau hingegen hat keine anderen Verpflichtungen, als Verpflichtungen gegen ihren Mann; das Glück des Weibes ist zwar ein unerlaßlicher, aber nicht der einzige Gegenstand des Mannes […]; das Glück des Mannes hingegen ist der einzige Gegenstand der Frau; […]‘‚ (…)
Kaum ein Brief an seine Verlobte vergeht ohne Ermahnungen: ‚Du kannst doch Deine Lektion noch auswendig? Du liesest doch zuweilen meine Instruktion durch?‘ Er stellt ihr kleine Arbeitsaufträge und korrigiert diese dann: ‚Du hast mir in Deinem vorigen Briefe geschrieben, Dein angefangner Aufsatz sei bald fertig. Schicke ihn mir nach Wien, sobald er vollendet ist. Du hast noch viele Fragen von mir unbeantwortet gelassen und sie werden Dir Stoff genug geben, wenn Du nur denken und schreiben willst.‘ Dies lässt eher auf ein Verhältnis zwischen Lehrer und Schülerin, als auf die Beziehung zwischen einem jungen, verliebten Paar schließen und so ist Kleist auch nicht sehr überzeugt von Wilhelmines Auffassungsgabe und äußert verschiedentlich die Sorge, sie zu überfordern oder nicht verstanden zu werden. (…)
Im Mai 1802 wird schließlich die Verlobung gelöst, Kleist hat den Plan in der Schweiz ein einfaches Leben zu führen. Nachdem Wilhelmine Einwände dagegen erhoben hat, wie er ihr gemeinsames Leben gestalten will, bittet Kleist sie, ihm nicht mehr zu schreiben. In seinem Abschiedsbrief rügt er sie: ‚Ich werde wahrscheinlicher Weise niemals in mein Vaterland zurückkehren. Ihr Weiber versteht in der Regel ein Wort in der deutschen Sprache nicht, es heißt Ehrgeiz. […] Kurz, kann ich nicht mit Ruhm im Vaterland erscheinen, geschieht es nie.‘“ 5)
Wilhelmine hatte sich aber eh schon in einen anderen verliebt, und zwar in den außerordentlichen Professor für Philosophie und Theologie, Wilhelm Trautgott Krug, der oft Gast im Hause von Zenges war. Und auch er hatte Gefallen an ihr gefunden „wegen ihrer sanften Gemütsart“. 6)
Das Paar heiratete 1804 und zog nach Königsberg, wo Krug Nachfolger von Immanuel Kant (siehe: Kantstraße) wurde und das Paar Eltern von sechs Kindern wurde.

Ulrike von Kleist
Kleist‘ Halbschwester Ulrike von Kleist (26.4.1774 Frankfurt/Oder – 5.2.1849 Frankfurt/Oder) war diejenige, die ihn auf seinen zahlreichen Reisen begleitete, die ihn stützte und auf ihn aufpasste. Kleist schrieb einmal an sie „Amphibion du, das in zwei Welten stets lebst, schwanke nicht länger und wähle dir endlich ein sichres Geschlecht!“ Was steckte hinter diesen Worten? „Das von der Natur ein wenig vernachlässigte Mädchen spazierte mit Vorliebe in Männerkleidung umher, ein Rohrstöckchen in der energischen Hand. In diesem saloppen Aufzug erregte sie die Spottlust der höfischen Weimarer Gesellschaft. Der Bruder prophezeite ihr, dass sie nie einen Mann finden werde, womit er recht behielt – zu seinem Vorteil; denn Ulrike opferte ihr ganzes Vermögen dem lebensuntüchtigen, zwischen seelischen und wirtschaftlichen Katastrophen taumelnden Dichter.“ 7)
Lena Kaiser schreibt über Ulrike von Kleist: „Im Gegensatz zu Kleist, der immer über seine Verhältnisse lebte, war Ulrike gut situiert. Sie konnte früher als ihr jüngerer Bruder über das väterliche Erbe verfügen und hatte auch von ihrer Mutter etwas geerbt. Kaum ein Brief Kleists an seine Schwester, in dem er sie nicht direkt: ‚Wir ersuchen Dich also, wenn es Dir möglich ist, 100 Dukaten nach Wien zu schicken, […]‘ oder indirekt ‚Du wirst meine gerechte Forderungen erfüllen, auch ohne es versprochen zu haben.‘ um Geld angeht.“ 8)
Und weiter heißt es bei Lena Kaiser über die Beziehung von Heinrich von Kleist zu seiner Schwester Ulrike: „Durchweg wirft er Ulrike ihre mangelnden weiblichen Attribute vor und klagt über ihre männlichen Charakterzüge. (…). Auch anderen Frauen gegenüber äußert er sich wiederholt sehr abwertend über das, seiner Meinung nach, unnatürliche Wesen Ulrikes, da sie sich auf der gemeinsamen, von ihr finanzierten Reise nicht weiblich genug verhält: ‚O es gibt kein Wesen in der Welt, das ich so ehre, wie meine Schwester. Aber welchen Missgriff hat die Natur begangen, als sie ein Wesen bildete, das weder Mann noch Weib ist, und gleichsam wie eine Amphibie zwischen zwei Gattungen schwankt?‘“9)
Ulrikes große Leidenschaft war das Reisen - und das konnte sie mit ihrem Bruder ausleben. Und obwohl sie sich aufopfernd um ihren Bruder kümmerte, reichte ihm, der die völlige Aufopferung der Frau für den Mann verlangte, das wohl nicht. „Noch in seinem Abschiedsbrief an Marie von Kleist [einer Cousine] äußert er sich gekränkt und vorwurfsvoll über diesen Mangel: ‚Sie hat, dünkt mich, die Kunst nicht verstanden sich aufzuopfern, ganz für das, was man liebt, in Grund und Boden zu gehen […]‘“. 10)
Auch als sich Ulrike von Kleist nach Frankfurt an der Oder zurückgezogen hatte und dort allein lebte – obwohl ihr Bruder sie immer wieder gebeten hatte, mit ihm einen gemeinsamen Haushalt zu führen - sorgte sie weiterhin für ihren Bruder, blieb aber ganz bewusst selbstständig. In seinem letzten Brief vor seiner Selbsttötung an sie heißt es: ‚Du hast an mir getan, ich sage nicht, was in Kräften einer Schwester, sondern in Kräften eines Menschen stand, um mich zu retten. Möge Dir der Himmel einen Tod schenken, nur halb an Freude und unaussprechlicher Heiterkeit dem meinen gleich…“ 11)
„Mit dem Tode Heinrich von Kleists am 21. November 1811 versiegen die Nachrichten über das weitere Leben Ulrikes weitestgehend. Sie soll in den Jahren um 1820 in Frankfurt (Oder) eine Pension für höhere Töchter eingerichtet haben und ist wohl unverheiratet geblieben.“12)
Zum Tod von Heinrich von Kleist und zu Henriette Vogel
„Nahezu mittellos und innerlich ‚so wund, daß mir, ich möchte fast sagen, wenn ich die Nase aus dem Fenster stecke, das Tageslicht wehe tut, das mir darauf schimmert‘ (Brief an Marie von Kleist vom 10. November 1811) nahmen die Gedanken an einen Suizid aufgrund von Geldsorgen und der stetigen Kritik seiner Werke überhand.“ 13)
Und noch ein weiterer Grund für seinen Suizid spielte eine Rolle: „Als Kleist Ende Oktober 1811 seine Geschwister in Frankfurt/Oder besuchte, wurde er „als ein ganz nichtsnutziges Glied der menschlichen Gesellschaft‘ beschimpft. „Zehn Tage vor dem Freitod kommt er im Brief an Marie von Kleist, eine angeheiratete Cousine, [auf seinen Freitod] zu sprechen. Er teilt ihr mit, daß es ihm ganz unmöglich sei, länger zu leben, und bezieht sich dabei auf Erfahrungen mit den nächsten Verwandten: ‚Ich habe meine Geschwister immer … von Herzen lieb gehabt; so wenig ich davon gesprochen habe, so gewiß ist es, daß es einer meiner herzlichsten und innigsten Wünsche war, ihnen einmal, durch meine Arbeiten und Werke, recht viel Freude und Ehre zu machen …, aber der Gedanke, das Verdienst, das ich doch zuletzt, es sei nun groß oder klein, habe, gar nicht anerkannt zu sehn, und mich von ihnen als ein ganz nichtsnutziges Glied der menschlichen Gesellschaft, das keiner Teilnahme mehr wert sei, betrachtet zu sehn, ist mir überaus schmerzhaft …‘ (10.11.1811).“ 14)
Allein wollte Kleist den Weg in den Suizid nicht gehen. Und so fand er eine Begleiterin: die unheilbar an Krebs erkrankte Henriette Vogel (9.5.1780 Berlin – 21.11.1811 am Stolper See). Sie war die Tochter von Caroline-Marie Tugendreich Keber, geborene Saft und des Kaufmanns Carl Adolph Keber. 1799 hatte die damals 19-jährige Henriette Keber den Landrentmeister Friedrich Ludwig Vogel geheiratet. Das Paar bekam vier Kinder, von denen drei als Säuglinge verstarben.
„Henriette Vogel lernte Heinrich von Kleist vermutlich 1809 durch dessen Freund Adam Müller, einen Mitschüler ihres Mannes Louis Vogel im Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin, kennen und schloss, da sie beide Ähnlichkeiten beieinander fanden, bald Freundschaft mit ihm. Sie teilten die Liebe zur Musik, und laut Ernest Peguilhen soll Henriette Vogel ihren Freund gebeten haben, ihr die Kriegskunst zu erläutern sowie das Fechten beizubringen. Das Verhältnis zwischen beiden wurde im Herbst 1811 inniger, blieb jedoch, laut Zeitgenossen, keine leidenschaftliche, sondern eine rein geistige Liebe. Berühmt wurde Henriette Vogels ‚Liebeslitanei‘, die sie an Heinrich von Kleist im November 1811 verfasste, in dem sie ihn mit Koseworten und Liebesnamen überhäuft. (…)
Laut Obduktionsbericht war Henriette Vogel unheilbar an Gebärmutterkrebs erkrankt. (…) Ob sie einen qualvollen Tod gefürchtet hat, ist nicht belegt. Sie äußerte jedoch des Öfteren den Wunsch, zu sterben, wagte aber nicht, sich selbst das Leben zu nehmen. Mit Kleist, der selbst seit seiner Jugend solche Gedanken gehegt hatte, hatte sie also, wie umgekehrt auch er, den idealen Partner zum Sterben gefunden.(…).“15)
Kleist und Henriette Vogel kamen überein, dass er zuerst sie und dann sich erschießen sollte. Und so kam es dann auch.
„Begraben wurden Kleist und Henriette Vogel an Ort und Stelle, da der Suizid damals gesellschaftlich und kirchlich geächtet war, was eine Bestattung auf einem Friedhof verbot (Friedhöfe standen in dieser Zeit ausschließlich in kirchlicher Verwaltung).“ 16)