Lise-Meitner-Park
Bahrenfeld, seit 1997, umbenannt nach der jüdischen Kernphysikerin Prof. Dr. Lise Meitner (7.11.1878 Wien – 27.10.1968 Cambridge), vorher hieß das ehemalige Landschaftsschutzgebiet „Flottbeker Drift“
Siehe auch: Albert-Einstein-Ring, Bahrenfeld (1990): Prof. Albert Einstein (1879-1955). Begründer der allgemeinen Relativitätstheorie. Nobelpreisträger für seine Forschungen zur Quantentheorie.
Seit 1997 wird westlich des DESY-Geländes die bedeutende österreichische Physikerin Lise Meitner gewürdigt.
Lise Meitner wurde in Wien als drittes Kind des jüdischen Ehepaares Hedwig Meitner-Skovran und Philipp Meitner, Rechtsanwalt, geboren. Lise Meitner besuchte eine Bürgerschule, weil sie auf dem Mädchengymnasium nicht angenommen worden war. Nach dem Schulabschluss absolvierte sie eine Ausbildung am Lehrerinnenseminar; nach diesem Examen holte sie das Abitur nach und begann Physik, Mathematik und Philosophie zu studieren. 1906 promovierte sie im Hauptfach Physik.
1907 zog die protestantisch erzogene Lise Meitner nach dem Studium in Wien nach Berlin, wo sie sich wissenschaftlich weiterbildete und Vorlesungen von Max Planck besuchte. Dieser hielt wenig von Frauen in der Wissenschaft und äußerte sich abfällig über „die Befähigung der Frau zum wissenschaftlichen Studium und Beruf“. Dennoch erlaubte er ausnahmsweise, dass Lise Meitner an seinen Vorlesungen teilnehmen durfte. Dabei lernte sie auch den Chemiker Otto Hahn kennen. Gemeinsam arbeiteten sie als „unbezahlter Gast“ im Chemischen Institut der Berliner Universität. Allerdings durfte sich Lise Meitner nur in der „Holzwerkstatt“ im Souterrain bewegen, denn der Institutsdirektor verweigerte ihr den Zugang zu den anderen Räumen. Glücklicherweise gab es eine Hintertür, die Zugang zum Chemischen Instiut bot und durch die Lise Meitner in die Holzwerkstatt gelangen konnte. Allerdings, wenn sie zur Toilette wollte, dann musste sie in eine Gastwirtschaft gehen. Erst, nachdem 1908 endlich auch Frauen in Preußen das Recht zu studieren bekommen hatten, konnte sich Lise Meitner wissenschaftlich freier entfalten.
1909 entdeckte Otto Hahn den radioaktiven Rückstoß und mit Lise Meitner zusammen verschiedene radioaktive Nuklide. Dadurch machte sich Lise Meitner einen Namen, lernte Albert Einstein (siehe: Albert-Einstein-Ring) und Marie Curie kennen und wurde Max Plancks’ inoffizielle Assistentin.
Doch Lise Meitner stand immer im Hintergrund: Sie „war ruhig, zurückhaltend und bescheiden, Otto Hahn lebhaft. So kam es, daß er immer im Vordergrund stand, sie dagegen die Rolle seiner ‚Mitarbeiterin‘ übernahm. Auch bei Arbeiten, die Lise Meitner weitgehend alleine gemacht hatte, setzte er seinen Namen als Autor mit auf die Veröffentlichung. Allerdings merkte sie später an: ‚Er war ja soviel bekannter als ich‘, und sie glaubte: ‚Es war kein schlechter Wille bei ihm, es war Gedankenlosigkeit.‘ (…) Erst mit zunehmendem Alter wurde Lise Meitner bewußt, daß sie Nachteile durch ihr Geschlecht wie durch das forsche Auftreten ihres Kollegen Hahn erlitten hatte.“ 1)
Ab 1912 arbeitete Otto Hahn nun gegen Entgelt in der von ihm aufgebauten Forschungsabteilung Radioaktivität des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin-Dahlem. Lise Meitner arbeitete zunächst noch unbezahlt in Hahns Abteilung weiter. Als sie 1914 „von der Prager Universität das Angebot einer festen Anstellung mit der Aussicht auf eine spätere Professur [erhielt], wurde in Anerkennung ihrer Leistungen auch für sie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie eine bezahlte Stelle als wissenschaftliches Mitglied geschaffen.“ 2)
Als der Erste Weltkrieg begann, war Lise Meitner - wie auch ihre Kollegen - begeistert und beglückwünschte Otto Hahn zu seinen Entwicklungen des Chlorgaseinsatzes in der Zweiten Flandernschlacht.
1917 entdeckten Hahn und Meitner das chemische Isotop Protactinium 231. Ein Jahr später bekam Lise Meitner eine ihrem Können angemessene Stelle und ein entsprechend angemessenes Gehalt: sie wurde Leiterin der physikalisch-radioaktiven Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie. 1922 habilitierte sie sich, durfte nun als Dozentin arbeiten und wurde 1926 außerordentliche Professorin für experimentelle Kernphysik an der Universität Berlin – und damit die erste deutsche Professorin für Physik.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Lise Meitner gemäß dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wegen ihrer jüdischen Herkunft die Lehrbefugnis entzogen. Am Kaiser-Wilhelm-Institut durfte sie jedoch noch ihre Arbeit weiter fortsetzen.
1938 konnte Lise Meitner durch Hilfe von Otto Hahn Deutschland illegal verlassen und kam nach Schweden. Dort arbeitete sie am Nobel-Institut unter schlechten Arbeitsbedingungen und gegen geringen Lohn. Entsprechend waren ihre Lebens- und Wohnverhältnisse. „Erst im Mai 1939 konnte sie gemeinsam mit ihren ebenfalls emigrierten Geschwistern in Stockholm eine kleine Wohnung mieten. Endlich stand ihr ein bescheidenes Leerzimmer zur Verfügung. In zähen Verhandlungen mit den Nazibehörden ließ unterdessen Otto Hahn in Berlin nichts unversucht, die Genehmigung zur Nachsendung ihrer Einrichtungsgegenstände und Bücher zu erwirken. In ihrer verzweifelten Lage schrieb Lise Meitner am 10. April 1939 an ihn: ‚Heute hat mir ein Rechtsanwalt, den ich vor 14 Tagen mit der Bitte aufgesucht habe, mir doch etwas behilflich zu sein, meine Sachen endlich zu bekommen, telephonisch angeboten, mir ein Bett und Bettzeug zu leihen. Ich habe es also nach mehr als 30jähriger Arbeit immerhin so weit gebracht, daß mir ein wildfremder Mensch ein Bett leiht.‘
Otto Hahn antworte ihr: ‚Es wird zwar keine Beruhigung für Dich sein, aber Du kannst mir glauben, daß mich der Skandal mit Deinem Umzug mehr Nerven kostet als alle Trans-Urane und sonstigen nicht immer angenehmen Dinge zusammengenommen.‘
Schließlich erlangte er doch die Erlaubnis, Teile des Hab und Guts der ‚Nicht-Arierin‘ Lise ‚Sarah‘ Meitner nach Schweden zu senden. (…)
Die ausgesprochen ungünstigen Arbeitsbedingungen am neugegründeten Nobel-Institut für Physik waren für die sechzigjährige Wissenschaftlerin in höchstem Maße deprimierend. (…) ‚Mir geht es sehr wenig gut. Ich habe hier eben einen Arbeitsplatz und keinerlei Stellung, die mir irgendein Recht auf etwas geben würde. Versuche Dir einmal vorzustellen, wie das wäre, wenn Du statt Deines schönen eigenen Instituts ein Arbeitszimmer in einem fremden Institut hättest, ohne jede Hilfe, ohne alle Rechte (…).‘“ 3)
Noch im selben Jahr ihrer Emigration nach Schweden entdeckte Otto Hahn die Kernspaltung. Er ließ Lise Meitner an seinen Forschungen teilhaben und fragte sie um Rat. Lise Meitner interpretierte seine Ergebnisse und überprüfte sie. Gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch publizierte sie 1939 die erste theoretische Erklärung der Kernspaltung.
Inzwischen war Lise Meitner zu einer überzeugten Pazifistin geworden. „Gewiss hätten sich ihre Arbeitsbedingungen und Lebensumstände schlagartig verbessert, wenn sie die während des Krieges mehrfach gemachten Angebote angenommen hätte, sich an den Arbeiten der englischen und amerikanischen Physiker zur Schaffung der Atombombe zu beteiligen. Das Ansinnen, mit ihren Kenntnissen die Entwicklung einer furchtbaren Massenvernichtungswaffe zu begünstigen, lehnte sie konsequent ab. (…)
Erst in der Nachkriegszeit verbesserte sich Lise Meitners Lage schrittweise. 1946 wurde sie für ein halbes Jahr als Gastprofessor an die Katholische Universität in Baltimore berufen. (…)
Im Jahre 1947 verließ sie das Forschungsinstitut für Physik der Schwedischen Akademie der Wissenschaften und übernahm die Leitung eines kleinen Laboratoriums an der Technischen Hochschule in Stockholm. Als Beraterin wechselte sie schließlich 1953 an ein von S. Eklund geleitetes Institut über, an dem im Auftrage der Königlichen Akademie der Ingenieurwissenschaften ein Forschungsreaktor aufgebaut wurde.“ 4)
Als Lise Meitner 1948 das Angebot erhielt, die Leitung des Otto-Hahn-Instituts in Mainz zu übernehmen, lehnte sie mit folgenden Worten ab. „(…) Jedenfalls glaube ich, daß ich nicht die Stelle in Mainz übernehmen kann. Ich habe wenig Angst vor den ungünstigen Lebensverhältnissen, aber sehr erhebliche Bedenken gegenüber der geistigen Mentalität. Allem, wo ich etwa außerhalb der Physik anderer Meinung sein würde als die Mitarbeiter, würde sicher mit den Worten begegnet werden: Sie versteht natürlich die deutschen Verhältnisse nicht, weil sie Österreicherin ist oder weil sie jüdischer Abstammung ist. (…) Das bedeutet, daß ich nicht mit dem Vertrauen der jüngeren Mitarbeiter rechnen könnte, das ich einmal besessen habe (…). Es würde ein ähnlicher Kampf werden, wie ich ihn in den Jahren 33-38 mit sehr wenig Erfolg geführt habe – und heute ist mir sehr klar, daß ich ein großes moralisches Unrecht begangen habe, daß ich nicht 33 weggegangen bin; denn letzten Endes habe ich durch mein Bleiben doch den Hitlerismus unterstützt. Dieses moralische Bedenken besteht ja heute nicht, aber meine persönliche Situation würde bei der allgemeinen Mentalität nicht sehr verschieden von der damaligen sein und ich würde nicht wirklich das Vertrauen meiner Mitarbeiter haben und daher nicht wirklich von Nutzen sein können (…).“ 5)
1966 erhielt sie zusammen mit Otto Hahn und Fritz Strassmann den Enrico-Fermi-Preis für die Entdeckung der Kernspaltung. Der Nobelpreis für Chemie für diese Entdeckung war 1944 allerdings nur an Otto Hahn gegangen. Lise Meitner wurde nicht bedacht. Lise Meitner schrieb dazu an ihre Freundin: „Hahn hat sicherlich den Nobelpreis für Chemie voll verdient, da ist wirklich kein Zweifel. Aber ich glaube, dass Frisch und ich etwas nicht Unwesentliches zur Aufklärung des Uranspaltungsprozesses beigetragen haben – wie er zustande kommt und dass er mit einer so großen Energieentwicklung verbunden ist, lag Hahn ganz fern.“
Lise Meitner musste auch feststellen, dass „‘Hahn (..) in keinem der Interviews, wo er über unsere Lebensarbeit sprach, unsere langjährige Zusammenarbeit oder auch nur meinen Namen erwähnt‘. (…) Lise Meitner war ein vornehmer Mensch, und gegenüber Otto Hahn empfand sie noch immer Freundschaft, obwohl ihr Verhältnis nun gespalten war. Nur einmal wehrte sie sich, nachdem sie von einem Artikel und Vortrag erfuhr, in dem sie als langjährige Mitarbeiterin Hahns bezeichnet wurde: ‚Versuche, Dich in meine Lage hineinzudenken! Soll mir nach den letzten 15 Jahren (…) auch noch meine wissenschaftliche Vergangenheit genommen werden? Ist das fair? Und warum geschieht es? Was würdest Du sagen, wenn Du auch charakterisiert würdest als der langjährige Mitarbeiter von mir?‘“ 6)
Im Alter von 82 Jahren ging Lise Meitner in den Ruhestand und zog 1960 zu ihrem Neffen Otto Frisch nach Cambridge, um nicht allein zu sein. Ein Jahr zuvor war in Berlin das Hahn-Meitner-Institut für Kernforschung eingeweiht worden.
Lise Meitner starb wenige Monate nach dem Tod Otto Hahns.