Nernstweg
Ottensen (1950): Prof. Walther Nernst (25.6.1864 Briesen/Westpreußen – 18.11.1941 Zibelle/Oberlausitz), Chemiker, Nobelpreisträger für Chemie.
Vor 1950 hieß die Straße Schulstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Nernstweg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1950 bei Schulstraße (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Walther Hermann Nernst war der Sohn von Ottilie Nernst, geborene Nerger und des Landgerichtsrates Gustav Nernst.
Als Nernst zwölf Jahre alt war, starb seine Mutter.
Nach dem Abitur studierte Nernst Physik und schloss sein Studium 1887 mit einer Dissertation über elektromotorische Kräfte ab. Danach folgte die Habilitation. 1890 wurde Nernst Privatdozent in Göttingen, ein Jahr später erhielt er eine außerordentliche Professur. In dieser Zeit heiratete er 1892 Emma Lohmeyer (27.2.1871 – 4.5.1949 Surrey/England) die Tochter von Minna Amalie Auguste Lohmeyer, geborene Heyne-Hedersleben und des Göttinger Medizinprofessors und Chirurgen Ferdinand Lohmeyer.
Nernsts Verhältnis zu Frauen wird in einer satirischen Abhandlung wie folgt beschrieben: „Man kann von ihm behaupten, dass er neben der Wissenschaft nichts wirklich ernst nahm, als eben die Frauen, die ihn wieder nicht ernst nahmen. 'Das ist unmöglich' sagte einmal ein junger Mann im Laboratorium, dem er eine Aufgabe stellte, & er gab ihm zur Antwort: 'Wenn es möglich wäre, würde es mich nicht interessieren, es hat nur Sinn das Unmögliche zu wollen'. - Ähnlich hielt er es mit den Frauen, & mit der gleichen Ausdauer, der gleichen wissenschaftlichen Findigkeit & Gründlichkeit, vor allem mit dem gleichen Optimismus, machte er sich an die oft unmöglichen Aufgaben, die ihm sein Herz stellte. Ein Misserfolg bei einer wissenschaftlichen Arbeit konnte ihn nicht halb so erbittern, als die Ungunst einer schönen Frau. Wenn Nernst mit seinen Untergebenen engherzig, vergesslich & unaufrichtig war, so entfaltete er seine Güte in der Familie & im Verkehr mit Frauen. Bei ihnen war er, was er sonst nie war: Selbstlos, freigebig & zuverlässig. In der Chemie, pflegte er zu sagen, freue ich mich jeden Tag über die Schönheit, Folgerichtigkeit & Gesetzmässigkeit, aber die Frauen sind gerade das Gegenteil, von dem allem. Sie gehorchen nicht den einfachsten Naturgesetzen, & deshalb betrachte ich den Verkehr mit ihnen als die einzige wirkliche Erholung - weil sie so ganz ungesetzmässig sind, so ganz unberechenbar, garnicht zu bestimmen - gerade das Gegenteil von meinem Beruf, der Chemie.“ 1)
Kurt Mendelssohn schreibt in seinem Buch „Walther Nernst und seine Zeit“ aus dem Jahre 1976 über Nernsts Verhältnis zu Frauen: „Er gab einmal zu, nachdem er gerade eine junge Dame im Rigorosum geprüft hatte, daß es manchmal schwierig sei, deren Fähigkeiten mit völliger Objektivität zu überprüfen. Obgleich Nernst dazu neigte, in der Diskussion mit seinen Kollegen scharf und zynisch zu sein, war er jedoch immer ohne Unterschied höflich und voll Charme, wenn er mit Frauen sprach, auch wenn diese Physiker waren. Ganz im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen begrüßte er die Arbeit von Frauen in seinem Laboratorium, und so hatte er in der Tat auch viele unter seinen Schülern.“ 2)
Walther Nernst war der Doktorvater von Margaret Maltby (10.12.1860 Bristoville Ohio USA – 3.5.1944 New York City). Sie war die erste Frau, die 1895 in Deutschland einen Doktorgrad in Physik erhielt. Über sie steht in Wikipedia: „Margaret Maltby war die Tochter des Gutsbesitzers Edmund Maltby und von Lydia J. Maltby, geborenen Brockway. Nach der Schule studierte sie am Oberlin College in Ohio, wo sie 1882 ihren Bachalor of Arts machte. Anschließend studierte sie Naturwissenschaften am Massachusettts Institute of Technology in Boston und schloss dort 1891 mit dem Bachelor of Science ab. In dieser Zeit unterrichtete sie an Schulen in Ohio und Massachusetts.
Um ihre physikalische Forschungsarbeit fortzusetzen, entschloss sie sich, nach Deutschland zu gehen, wo sie ab 1893 bei Eduard Riecke und Walther Hermann Nernst an der Universität in Göttingen arbeitete.“ 3) Nach ihrer Promotion „zog Maltby weiter nach Berlin, wo sie die wissenschaftliche Assistentin von Friedrich Wilhelm Kohlrausch an der Physikalisch Technischen Reichsanstalt in Berlin-Charlottenburg wurde.
1900 kehrte sie in die USA zurück und begann ihre Lehrtätigkeit am Barnard College der Columbia University, einem College ausschließlich für Frauen. Ihre Lehrtätigkeit am Barnard College währte 31 Jahre. 1903 wurde sie außerordentliche Professorin, 1910 Juniorprofessorin und 1913 ordentliche Professorin und Vorsitzende des Fachbereichs Physik. Ihre administrative Arbeit am College ließ ihr zunehmend weniger Zeit für ihre wissenschaftliche Forschung. 1931 beendete sie ihre Lehrtätigkeit. Sie starb 1944.
Margaret Maltby war leidenschaftliche Frauenrechtlerin und engagierte sich zeitlebens für die Gleichstellung der Frau in Studium und Beruf, vor allem im naturwissenschaftlichen Bereich. Sie ermunterte ihre Studentinnen, sich nicht entweder für das Studium oder für die Familie zu entscheiden, sondern möglichst beides miteinander zu verbinden. Als langjähriges Führungsmitglied der American Association oft University Women versuchte sie auch auf politischer Ebene, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. In dieser Funktion rief sie 1926 ein Stipendiumsprogramm für studierende Frauen ins Leben.“ 4)
Nernst wurde Vater von fünf Kindern, von drei Töchtern und zwei Söhnen, die seine Frau Emma in den Jahren 1893, 1894, 1896, 1900 und 1903 auf die Welt brachte. Gleichzeitig machte Nernst berufliche Karriere und ging seinen Forschungen nach. 1894 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt; er entwickelte die nach ihm benannte Nernstlampe, womit er auch finanziell Erfolg hatte. 1905 erhielt er einen Ruf aus Berlin, wo er zum Professur für physikalische Chemie berufen wurde.
In all dieser Zeit hielt seine Ehefrau ihm den Rücken frei, besorgte mit einer Anzahl von Hausangestellten den großen Haushalt und übernahm die Erziehung der Kinder, auch in Zeiten, in denen sie schwanger war. „Nernst liebte seine Kinder, besonders die Töchter und bestand auf einem engen Familienleben mit gemeinsamen Mahlzeiten, aber er überließ die Organisation völlig seiner Frau. So hatte sie nicht nur einen großen Haushalt zu versorgen und sich um die Erziehung der fünf Kinder zu kümmern, sondern sie mußte auch jederzeit für die häufigen Besuche gerüstet sein und für Gesellschaften großen Stils. Darüber hinaus diktierte Nernst ihr alle seine Schriftstücke. Auch seine Hemden mußte sie kontrollieren, bevor sie gewaschen wurden. Er hatte nämlich die Angewohnheit, sich Notizen auf seine gestärkten Manschetten zu machen, die sie vor der Wäsche abschreiben mußte, damit sie nicht verloren gingen. Jeden Morgen stand sie um halb acht Uhr auf und machte die Kinder für die Schule zurecht, während Nernst im Bett frühstückte und nie vor zehn Uhr aufstand. (…) da er in der Nähe des Instituts wohnte, war es möglich, zum Mittagessen nach Hause zu kommen, an das sich ein Mittagsschlaf anschloß. Danach trank er zwei Tassen Kaffee, (….). Seine eigentliche Arbeit fand abends oder spät in der Nacht statt, da er nie vor zwei Uhr morgens zu Bett ging. (…).
Es hat ganz den Anschein, daß Nernsts Fähigkeit, hart zu arbeiten und gleichzeitig das Leben voll zu genießen, von Emma weitgehend geteilt wurde. Im Frühjahr des Jahres 1914 reisten sie beide nach Südamerika, wo er von einer Reihe von Universitäten Einladungen zu Vorlesungen erhalten hatte. Dafür mußte er Spanisch lernen, und Emma überwachte seinen Fortschritt in derselben Weise, wie sie die Schularbeiten der Kinder beaufsichtigte. Sie genoß die Reise offensichtlich sehr und führte eine Art Tagebuch für die Kinder.“ 5)
Wie so viele Menschen begeisterte sich auch Nernst für den Ersten Weltkrieg. Er entwickelte und experimentierte mit Sprengstoffen, um die Wirkung der Geschosse zu erhöhen. So heißt es in Wikipedia über Nernst: „Am 19. Oktober 1914 unterzeichnete Nernst als Vertreter der Wissenschaft die ‚Dianisidin-Convention‘, ein geheimes Abkommen, mitunterzeichnet von einem Vertreter des Kriegsministeriums (Major im Großen Hauptquartier Theodor Michelis) und Vertretern der chemischen Industrie (…).
Es sollte sich in den folgenden Jahren zeigen, dass Nernst nicht nur die Geschosse und Geschütze ständig zu ‚verbessern‘ suchte, sondern aus seiner physikalischen Sicht auch vielfach zu chemischen Aspekten Stellung bezog und die Entwicklung und Erprobung bestimmter auch tödlich wirkender Kampfstoffe mit vorantrieb. (…).“ 6) Nernst war Leiter des Fachausschusses III (Physik) der 1916 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft (KWKW), „der sich unter anderem mit ballistischen Fragen der neuen Gasgranaten und dem physikalischen Verhalten der freigesetzten Kampfstoffe unter unterschiedlichen Temperaturen befasste. (…)
Der Radikalisierung der Mittel und dem Erwartungsdruck des deutschen Militärs konnte sich Nernst nicht entziehen.“ 7) Nernst experimentierte nun auch mit Phosgen „Erstmals geschah dies probeweise Ende Mai sowohl an der Westfront gegen französische Soldaten, als auch an der Ostfront.[ (..) Eine weitere von Nernst geförderte Entwicklung war die Freisetzung von Phosgen aus der chemischen Reaktion zweier pulverförmiger Stoffe, die in ‚T-Hexa-Granaten‘ verschossen wurden. (…) Außerdem brachte die Kommission als ‚K-Stoff‘ Methylchlorformiat, das flüssige Umsetzungsprodukt von Methanol und Phosgen, zum Einsatz. Am 29. Juli 1915 wurden von Nernst entwickelte ‚C-Minen‘, die den K-Stoff enthielten, mit ebenfalls von ihm entwickelten Minenwerfern in seiner Anwesenheit erstmals an der russischen Front eingesetzt. (…) Auf Grund dieser ‚durch praktische Probe an der Front‘ erworbenen Erkenntnisse erstattete Nernst Anfang August 1915 an das Kriegsministerium ein ‚Gutachten über die Wirkung der Gasminen, verschossen mit dem mittleren Minenwerfer‘. Er fand die Wirkung dieser tödlichen Grünkreuz-Waffe allerdings noch verbesserungsbedürftig. So sorgte er sich, dass sie im Winter nachlassen könnte. (…)“ 8)
In Wikipedia heißt es über die Verantwortung, die Nernst mit seinen Forschungen übernahm, die schließlich alle das Ziel hatten, im Krieg den „Feind zu töten“: Nernst hat „ausweislich amtlicher und persönlicher Dokumente spätestens 1915 den Einsatz tödlicher Kampfstoffe, den andere vor allem unter Leitung von Haber entwickelt hatten, durch eigene Forschungen, Einsatzbeobachtungen und Beratungen begünstigt oder gar erst ermöglicht und mehrfach seine Zustimmung zur Anwendung dieser Waffen deutlich gemacht. Er hat in langjähriger enger Zusammenarbeit mit Max Bauer, Carl Duisberg und Fritz Haber die notwendigen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass tödlich wirkende Kampfstoffe ‚erfolgreich‘ zum Einsatz kommen konnten, indem er hierfür geeignete Geschosse und Geschütze entwickelte. Auch konnte es für Nernst kein Geheimnis sein, dass bei der Praxis des ‚Buntschießens‘ primär nicht tödlich wirkende Kampfstoffe dazu dienten, als ‚Maskenbrecher‘ das Einwirken tödlich wirkender Kampfstoffe zu ermöglichen. Und schließlich hat Nernst auch selbst Geschosse entwickelt, die tödlich wirkende Kampfstoffe wie Chlorgas, Phosgen und Diphosgen enthielten, und er hat sich durch häufige Besuche an der Front von der Wirksamkeit seiner Entwicklungen überzeugt und bei Bedarf dem deutschen Militär ‚Verbesserungen‘ vorgeschlagen. (…)“ 9)
Während des Ersten Weltkrieges wurden die beiden Söhne des Ehepaares Nernst als Soldaten getötet.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs kursierten Listen, auf den Namen von Kriegsverbrechern aufgeführt waren, darunter auch Nernsts Name. „Nach Inkrafttreten des Friedensvertrags am 16. Juli 1919 war für einige Monate unklar, ob die Siegermächte tatsächlich auf Auslieferung von Wissenschaftlern wie Nernst zur Ermittlung wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen bestehen würden. Um seine Familie finanziell abzusichern, verkaufte Nernst sein im Jahr zuvor angeschafftes Rittergut in Dargersdorf bei Templin und setzte sich selbst 1919 ähnlich wie Haber zunächst nach Schweden, dann in die Schweiz ab. (…)
Zwar hatte die Reichsregierung Mitte Dezember 1919 ein Gesetz zur Verfolgung von Kriegsverbrechen erlassen. Das war aber nicht Ausdruck eigener Absichten, sondern eine den Siegermächten geschuldete Formalie. Tatsächlich teilten die Siegermächte dem Deutschen Reich wie erhofft Mitte Februar 1920 mit, dass sie die deutsche Zusage, Kriegsvergehen vor dem Reichsgericht zu verfolgen, zum Anlass nähmen, ihre Auslieferungsbegehren zurückzustellen, bis von deutscher Seite Urteile vorliegen würden. Das wirkliche Verhalten der Reichsregierung ließ die betroffenen Wissenschaftler aber erkennen, dass ihre Tätigkeiten für den Gaskrieg von deutscher Seite nie ernsthaft untersucht, sie also vom Reichsgericht nicht verurteilt werden würden, was wiederum eine Auslieferung ans Ausland ausschloss. Damit durften diese Wissenschaftler sicher sein, dass eine realistische Gefahr einer Strafverfolgung wegen Beteiligung an der Kampfstoff-Forschung nicht mehr bestand. So kehrte Nernst ebenso wie Haber Ende 1919 wieder nach Deutschland zurück und nahm seine Tätigkeit in Berlin wieder auf.“ 10)
1920 wurde Nernst der Nobelpreis für Chemie verliehen und zwar für seinen „Dritten Hauptsatz der Thermodynamik“.
Seine chemischen Versuche, um, die Ballistik der Kampfmittel zu verbessern, setzte Nernst stets in einen politischen Kontext. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges bejahte er den „obrigkeitsstaatlichen Nationalismus (…) emanzipiert[e] sich ab Mitte des Ersten Weltkriegs zunehmend zu Gunsten demokratischer und vorurteilsfreier Stellungnahmen. Einstein [siehe: Albert-Einstein-Ring] fasste daher die Haltung Nernsts 1942 in einem Nachruf so zusammen: ‚Nernst war weder ein Nationalist noch ein Militarist. […] Er war vielmehr begabt mit einer sehr weitreichenden Freiheit von Vorurteilen‘. (…)
Nernst traf sich auf eigene Anregung hin im inoffiziellen Auftrag seines Freundes und Reichskanzlers Theobald von Bethmann Hollweg von Mai 1915 bis November 1916 mehrfach in Brüssel mit dem Bankier und Philanthropen Franz Moses Philippson, (…), um die Möglichkeit von Friedensverhandlungen zu sondieren. (…). Mit diesen Aktivitäten stand Nernst zwar im Einklang mit der Friedensresolution des Reichstags vom 19. Juli 1917. Diese war aber maßgeblich von den Sozialdemokraten, der seit 1912 mit Abstand größten Fraktion, unterstützt worden, und sowohl das Parlament als solches als auch speziell die Sozialdemokraten waren damals für Professoren von Herkunft und Position Nernsts eher anstößige Bundesgenossen. (…) Die politische Meinung der Mehrheit von Nernsts akademischen Kollegen wurde deutlich, als im Oktober 1917 etwa 1100 deutsche Hochschullehrer ein Manifest ‚Die deutschen Hochschullehrer gegen die Reichstagsmehrheit‘ unterzeichneten, in dem sie sich gegen Friedensverhandlungen erklärten und den Volksvertretern das Recht zu Beschlüssen zu Gunsten solcher Verhandlungen absprachen, da der noch vor Kriegsbeginn gewählte Reichstag den ‚Volkswillen in der jetzt völlig veränderten Situation nicht mehr in unzweifelhafter Weise zum Ausdruck‘ bringe. Nernst hatte sich damals also in deutlicher Weise exponiert. (…).“ 11)
In der NS-Zeit: „Nernst hatte keinen Einwand dagegen, dass seine Töchter Angela und Hilde in jüdische Familien heirateten, unter dem Druck der nationalsozialistischen Diskriminierung emigrierten sie ins Ausland. (…). Dem nationalsozialistischen Regime war klar, dass Nernst keiner der Ihren war. Daraus machte er auch kein Hehl, so löste er einen Skandal aus, als er sich weigerte, in Sitzungen der Berliner Akademie der Wissenschaften zum Singen des Horst-Wessel-Lied aufzustehen. Nernst verlor seinen Sitz im Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft und wurde auch in anderen akademischen Einrichtungen durch die Nationalsozialisten nach Möglichkeit ausgegrenzt. Schließlich gab er die Berliner Villa am Karlsbad auf. (…).. 1939 erlitt er einen Schlaganfall, sein Zustand verschlechterte sich zusehends. 1941 ließ Nernst seine persönlichen Aufzeichnungen verbrennen, vermutlich, weil er fürchtete, nach seinem Tod könnten sie in die Hände des Regimes fallen und Dritte kompromittieren. Nernst starb am 18. November 1941 auf dem Rittergut (…).“ 12)
Auch in anderen deutschen Städten gibt es nach Nernst benannte Verkehrsflächen. Der Beirat zur Überprüfung Düsseldorfer Straßen- und Platzbenennungen schreibt in seinem Abschlussbericht über den dortigen Nernstweg: „Obwohl Walther Nernst aufgrund seiner Verdienste auf dem Gebiet der Thermodynamik in Fachkreisen zu den renommiertesten deutschen Physikern zählt und als großer Förderer der Wissenschaften zu Lebzeiten hochgeschätzt wurde, ist sein Name der Allgemeinheit mittlerweile relativ unbekannt. Studien zu seiner Biographie zeichnen das Bild eines politisch interessierten Gelehrten, der sich ebenso für die Kriegsforschung wie für den Frieden einsetzte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gehörte Walther Nernst zu den Unterzeichnern des Propaganda-Manifests ‚An die Kulturwelt!‘, in dem die intellektuelle Elite jegliche Kriegsschuld Deutschlands abstritt und den Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz der deutschen Kultur legitimierte. Nachdem bereits seine Söhne einberufen worden waren, meldete sich der Physiker im Alter von fünfzig Jahren zum Militärdienst und transportierte als Mitglied des ‚Kaiserlichen Freiwilligen Automobilkorps‘ Dokumente an die Westfront. In dieser Funktion erlebte er im September 1914 sowohl den deutschen Vormarsch auf Paris als auch die anschließende erste Schlacht an der Marne, die mit dem Rückzug der deutschen Truppen endete. Obwohl Walther Nernst bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr an einen deutschen Sieg glaubte, stellte er sich dennoch in den Dienst der militärischen Forschung, um zumindest einen ‚erkämpften Frieden‘ zu erreichen. Angesichts des erstarrten Stellungskriegs setzte die Oberste Heeresleitung ihre Hoffnung in neuartige Kampfstoffe, um den Gegner gezielt schädigen und außer Gefecht setzen zu können. In Zusammenarbeit mit dem Chemiker Carl Duisberg (‚Nernst-Duisberg-Kommission‘) widmete sich Nernst der Entwicklung von chemischen Artilleriegeschossen und experimentierte sowohl mit Reiz- als auch mit gefährlichen Lungenkampfstoffen (Niespulver, Tränengas, Phosgen, Chlorgas), die mittels Granaten und Minenwerfern an den Feind gebracht werden sollten. Als wissenschaftlicher Beirat des ‚Minenwerferbataillons I‘ testete er deren Wirkung persönlich an der Front; für seine Verdienste in der Kriegsforschung erhielt der Physiochemiker das Eiserne Kreuz I. Klasse. Bis Kriegsende leitete er den Fachausschuss Physik der 1916 gegründeten ‚Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft‘ und arbeitete an der Entwicklung neuer Kampfstoff-Geschosse sowie entsprechender Geschütze. (…). Trotz seines wissenschaftlichen Engagements im Ersten Weltkrieg setzte sich der Physiker wiederholt für Friedensverhandlungen mit den Entente-Ländern ein, um eine endgültige Niederlage des Deutschen Reiches zu verhindern. Darüber hinaus warnte er die Oberste Heeresleitung 1917 vergeblich vor dem Kriegseintritt der technisch überlegenen Vereinigten Staaten. Nach dem Zusammenbruch der politischen Ordnung und dem Sturz der Monarchie bekannte sich Walther Nernst öffentlich zur neuen Republik und wandte sich gegen den aufkommenden gesellschaftlichen Antisemitismus. Angesichts der Ermordung des Reichsaußenministers Walther Rathenau [siehe: Rathenaustraße] zu Beginn der 1920er Jahre durch die rechtsradikale ‚Organisation Consul‘ rief er die liberalen Kräfte zum Zusammenhalt auf: ‘Möge der Abscheu vor der Freveltat und zugleich die Verurteilung roher Gewalt, ja selbst, wenn es sich nur um die gewaltsame Mißachtung [sic] der Meinung Andersdenkender handelt, die Gutgesinnten zu gemeinsamer Arbeit vereinen[...].‘ Im Jahr der nationalsozialistischen Machtergreifung zog sich Walther Nernst weitestgehend aus dem Wissenschaftsbetrieb zurück und ging auf Distanz zum NS-Regime. Dennoch stellte er sich 1940 in bereits schlechtem Gesundheitszustand ein letztes Mal für militärische Aufgaben zur Verfügung und wurde mit der Verbesserung von Torpedoantrieben der Marine betraut, scheiterte jedoch an den unzureichenden Arbeitsbedingungen und starb ein Jahr später.“ 13)
Und auch die Expertinnen- und Expertenkommission für Straßennamen in Graz beschäftigte sich mit „ihrer“ Nernststraße und schreibt: „im Oktober 1914 wurde vom deutschen Kriegsministerium die ‚Nernst-Duisberg-Kommission‘ eingesetzt, zu der neben Walther Nernst auch Carl Duisberg und Fritz Haber gehörten. Diese stellten ihre Forschungen in den Dienst der Kriegsmaschinerie und befürworteten den Einsatz tödlicher Kampfstoffe. Daneben entwickelten sie spezielle Geschosse als Voraussetzung für den Einsatz giftiger Kampfstoffe. Zusätzlich dazu soll Nernst auch an der Entwicklung von Geschossen mit Chlorgas beteiligt gewesen sein (…). Nach Kriegsende war Nernst von 1922 bis 1924 Präsident der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin-Charlottenburg, ehe er auf den Lehrstuhl für Physik an der Universität Berlin zurückkehrte. 1933 trat er in den Ruhestand und zog sich auf sein Rittergut in der Oberlausitz zurück. (…).“ 14)