Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Nettelbeckstraße

Bahrenfeld (1913): Joachim Nettelbeck (20.9.1738 Kolberg -29.1.1824 Kolberg), Schiffskapitän, Bürgermeister von Kolberg, Verteidigung der Festung Kolbergs gegen französische Truppen. Ging als „Volksheld“ in die Geschichte ein.


Dieser „Volksheld“ arbeitete auch als Steuermann auf einem Sklavenschiff. „Vor der afrikanischen Küste kommandierte er Boote, von denen aus Waffen, Tabak, Schnaps und Textilien bei örtlichen Machthabern gegen Sklaven eingetauscht wurden,“ 1) schreibt Malte Steinhoff in seinem Artikel über „Hamburgs Straßen der Schande“. Bei freedom-roads erfahren wir: Nettelbeck war „in seiner Jugend als Kapitän niederländischer Sklavenschiffe am Menschenhandel beteiligt und über Jahrzehnte als Koloniallobbyist aktiv“. 2)

Nach Nettelbeck sind in mehreren deutschen Städten Straßen benannt worden. Diejenigen Städte, die sich mit ihren Straßennamen auseinandersetzen erwähnen alle die Verstrickung Nettelbecks in die deutschen Kolonialbestrebungen. So heißt es auf der Website von „Stadtgeschichte München“: „Im weiteren 19. Jahrhundert wurde Nettelbecks Leben als Seemann angesichts der angestrebten deutschen Seegeltung zum Vorbild für die zur Seefahrt drängende Jugend. Weil er autobiografisch von seiner dreimal gescheiterten Idee, nach dem Vorbild des Großen Kurfürsten Kolonien zu erwerben, berichtet hatte, zählte Nettelbeck obendrein als früher Anwalt deutscher Kolonialbestrebungen.“ 3)

Nettelbeck veröffentlichte 1821/22 seine Autobiografie unter dem Titel „Die abenteuerliche Lebensgeschichte eines aufrechten Deutschen“.

Auch in Dortmund gibt es eine Nettelbeckstraße, gelegen am Dortmunder Kanalhafen. „Die Benennung erfolgte, so die Unterlage des Stadtarchivs, für den ‚heldenmütigen Verteidiger der kleinen Festung Kolberg gegen die Franzosen 1807‘. 4) Aus diesem Grunde wurde auch die in Hamburg Bahrenfeld gelegene Straße nach Nettelbeck benannt.
Nettelbeck war der Sohn von Katharina Sophia Nettelbeck, geborene Greiff und des Brauers Johann David Nettelbeck. „Als Elfjähriger durfte Nettelbeck auf dem Schiff seines Onkels ausnahmsweise nach Amsterdam mitreisen. Dort schlich er sich im Hafen an Bord eines holländischen Ozeanseglers und kam erst auf offener See wieder zum Vorschein. Das Schiff erwies sich als Sklavenschiff, (…).5)

Nach Kolberg zurückgelehrt ging Nettelbeck bis zu seiner Konfirmation wieder zur Schule und begann dann eine Seemannsausbildung und fuhr dann auf Schiffen.

„1762 heiratete Nettelbeck in Königsberg Regina Charlotte Meller, mit der er mehrere Kinder hatte. Bei Kriegsende [des Siebenjährigen Krieges] war Nettelbeck als Reeder in Königsberg sein eigener Kapitän und befuhr die Ostsee.
Aus wirtschaftlichen Gründen musste er 1769 die Selbständigkeit aufgeben, hatte aber einen so guten Ruf als Seemann, dass er im Jahre 1770 Königlich-Preußischer Schiffskapitän in Stettin wurde. Diese aussichtsreiche Stellung verlor Nettelbeck nach wenigen Monaten wegen eines Konfliktes mit einem Vertreter der Krone, einem preußischen Infanterieoffizier, dem er die Anerkennung verweigert hatte.

Danach verlegte Nettelbeck seinen Wohnsitz nach Kolberg. Eine Kapitänsstelle bekam er nicht. Stellungslos geworden, heuerte Nettelbeck 1771 in Amsterdam auf einem holländischen Sklavenschiff als Obersteuermann an. Es befuhr im Dreieckshandel die Route Europa – Guinea – Surinam – Europa, (…).“ 6)

Nettelbeck war ein Verfechter des Kolonialismus. Nachdem er noch auf anderen Schiffen und anderen Routen gefahren war, kehrte er nach Kolberg zurück und schickte König Friedrich dem Großen eine Denkschrift, in der er „die Inbesitznahme eines noch nicht kolonisierten Küstenstreifens am Corantijn zwischen Berbice und Surinam [empfahl]. Dort sollten auf Sklavenarbeit beruhende Zucker- und Kaffeeplantagen angelegt werden, damit der Import dieser Produkte nicht länger Preußens Außenhandelsbilanz verschlechtere. Friedrich erteilte Nettelbeck keine Antwort.“ 7)

Nettelbeck fuhr nun nicht mehr zur See, machte sich „1775 als Eigner einer Quatze selbstständig und erwarb 1776 das Kolberger Bürgerrecht. Aber der Erfolg blieb aus, die Ehe scheiterte und wegen eines Wirtschaftsdeliktes erhielt er eine Vermögensstrafe. Als zu dieser Zeit am 26. April 1777 der Blitz in den Turm der Marienkirche fuhr, war Nettelbeck, unterstützt von seinem zehnjährigen Sohn, der einzige, der sich in die Höhe wagte, um den Brandherd zu löschen. Ohne diese Tat hätte sich das Feuer im riesigen Dachstuhl der Kirche ausgebreitet, Funkenflug und herabstürzende Trümmer hätten bewirken können, dass Kolberg in Flammen aufgeht. Die Stadt ehrte ihn, wenngleich sie ihm die Bestrafung nicht erließ.

Die Strafe hatte Nettelbecks Existenz vernichtet und er musste 1777 wieder Seemann werden, befuhr aber nicht mehr die Weltmeere. Diesmal hatte er Erfolg, wurde erneut Kapitän, verdiente gut und besaß schließlich ein Schiff. Als er es durch Schiffbruch im Jahre 1783 verlor, blieb er dennoch ein vermögender Mann.

Er gab nun das Seemannsleben auf und ließ sich als Brauer und Schnapsbrenner mit eigenem Ausschank endgültig in Kolberg nieder.“ 8)

In seinem neuen Leben blieb Nettelbeck aber weiterhin von der Idee des Kolonialismus besessen. „Als 1786 Friedrich Wilhelm II. den preußischen Thron bestieg, versuchte Nettelbeck ihn für seinen Kolonialplan einzunehmen. Er überreichte dem König anlässlich seiner pommerschen Huldigung in Köslin eine überarbeitete Denkschrift. Jetzt sollte auch in Westafrika eine Niederlassung zur Beschaffung von Sklaven für die Plantagenarbeit erworben werden, (…). Der König überwies das Schreiben der Preußischen Seehandlung, woraufhin die Pommersche Kriegs- und Domänenkammer Nettelbeck umgehend mitteilte: ‚Da seine Königliche Majestät geruht hätten, auf jene Vorschläge nicht einzugehen, so könnte auch die Seehandlung sich nicht darauf einlassen.‘“ 9)

1797 heiratete Nettelbeck Anna Maria Schleusner, die Witwe des Alt-Stettiner Schiffskapitäns Joachim Buske. Auch diese Ehe scheiterte.

„Mit den Jahren galt Nettelbeck trotz seiner Neigung zum Streit und einer zweiten Scheidung in Kolberg als angesehener Bürger. Im Jahre 1805 wurde er als Vertreter der Brauer und Brenner zum Mitglied der Zehnmänner, einer Ständevertretung mit Stadtverwaltungsfunktionen, gewählt. Er versah das Amt der Aufsicht über die Feuerlöschanstalten, die Stadtbrunnen, das Röhrenwesen und die Wasserkunst. Ebenfalls gehörte er seit 1805 den Segelhausältesten, einem Seegericht, als Königlicher Schiffsvermesser an.“10)

Während des vierten Koalitionskrieges musste Kolberg 1807 gegen französische Truppen verteidigt werden. Über Nettelbecks diesbezüglichen Einsatz bei der Verteidigung heißt es in der Neuen Deutschen Biographie: „Er hatte entscheidenden Anteil an der Verteidigung Kolbergs gegen die franz. Truppen. Nach der Ankunft Neithard v. Gneisenaus [siehe: Gneisenaustraße]} organisierte N. die Abwehr einer weit überlegenen Truppenzahl mit großem Erfolg, so daß Kolberg eine der wenigen preuß. Festungen war, die 1806/07 nicht kapitulierten. Seine Hartnäckigkeit, materielle Opferbereitschaft und Ergebenheit dem König gegenüber ließen N. rasch zur Legende werden, die gegen Ende des 2. Weltkriegs propagandistisch aufgewärmt wurde. Vom König persönlich geschätzt, erwirkte er staatliche Hilfe zum Wiederaufbau der durch die Belagerung schwer beschädigten Stadt. Dennoch wurde N., der sich mit der Bürgerschaft zeitweise überworfen hatte, nach der preuß. Kommunalreform zunächst nicht in den Stadtrat gewählt. Er ließ diesen daraufhin vom König auflösen und setzte – nach der nunmehr erfolgten Wahl – gegenüber den städtischen Gremien seinen autoritären Stil fort. Diese Spannungen trugen ebenso wie sein Alter und seine Krankheit dazu bei, daß er 1822 nicht wiedergewählt wurde, was er als Herabsetzung empfand. Vergeblich war sein Vorschlag an den König, Preußen solle sich in Erinnerung an die brandenburg. Besitzungen in Afrika vom Ende des 17. Jh. wieder um Kolonien bemühen.“11)

1814 heiratete Nettelbeck erneut. Damals war er bereits 74 Jahre alt und seine Auserwählte Albertine Löwe (1777-1837) 37 Jahre jünger. Ein Jahr später wurde Nettelbeck Vater einer Tochter.

„Angesichts des 1814 bevorstehenden Sieges über Frankreich unternahm Nettelbeck einen dritten und letzten Versuch, die Staatsspitze mit seinen Kolonialplänen zu erreichen. Diesmal wandte er sich nicht direkt an den König, sondern an seinen neuen und einflussreichen Gönner Gneisenau. Preußen solle als Kompensation für seine Kriegskosten mit britischer Genehmigung eine ‚bereits unter Cultur stehende Kolonie‘ in Westindien erhalten, um dort Kolonialwaren zu produzieren. Nettelbeck schlug Französisch-Guavana, Dominica oder Grenada vor. Gneisenau belehrte ihn jedoch, es sei das ‚System‘ des preußischen Staates, keine Kolonien zu haben, um nicht in die Abhängigkeit der Seemächte zu geraten. (…)

In der Zeit des Nationalsozialismus unterhielt das Reichsfinanzministerium seit 1935 den Zollkreuzer Nettelbeck. (…).
Ein Höhepunkt der Instrumentalisierung Nettelbecks war am Ende des Zweiten Weltkriegs der Durchhalte-Film Kolberg, der Nettelbeck als einen zu allem entschlossenen Kämpfer und Siegespropheten zeigte, verkörpert von Heinrich George. Er wurde mit seiner Versicherung zitiert, die Kolberger würden sich „lieber unter Schutthaufen begraben lassen, als ihre Stadt zu übergeben“. (…).“ 12)