Nöltingstraße
Ottensen (1951): Emile Nölting (20.8.1812 Mannheim – 19.4.1899 Hamburg), Kaufmann und Merchant Banker.
Siehe auch: Sophienterrasse
Vor 1951 hieß die Straße Mittelstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Nöltingstraße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarten preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1951 bei Mittelstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Jacques Emile Louis Alexandre, genannt Emile, war der älteste Sohn des Kaufmanns Carl Joseph Nölting und dessen Frau Henriette. 1816 zogen Carl und Henriette Nölting mit ihren Kindern von Mannheim nach Hamburg, wo Carl Nölting 1820 eine Stelle als Senatskanzlist bekam. Ab 1829 machte Emile Nölting bei der Hamburger Firma Tanner & Brook eine kaufmännische Lehre und fand dann eine Stelle im Kontor von Joh. Dan. Schirmer, das Schiffe und Frachten hauptsächlich zu den dänisch-westindischen Inseln in der Karibik makelte.
1836 zog es den 24-Jährigen, der die französische Sprache gut beherrschte, nach Haiti, wo er in der Hauptstadt Port-au-Prince bei J. R. Bernard & Co. angestellt wurde. Zwei Jahre später heiratete er dort Florida Richeux, Tochter eines vermögenden Plantagenbesitzers. Aus der Ehe gingen drei Söhne hervor. Vermutlich finanziell unterstützt durch den Schwiegervater, konnte Nölting sich 1840 als Teilhaber in die Firma J. R. Bernard & Co. einkaufen. 1844 eröffnete er mit seinem Schulfreund Julius Friedrich Wilhelm Reimers die Firma Nölting, Reimers & Co. in Port-au-Prince mit Niederlassungen in Cap-Haïtien und auf der dänisch-westindischen Insel St. Thomas, deren Hafen ein Knotenpunkt des karibischen Schiffsverkehrs war. Mit Reimers und dem Kaufmann Hermann Münchmeyer, der 1848 aus Haiti zurückgekehrt war, gründete Nölting das Handelskontor Münchmeyer, Reimers & Nölting in Hamburg. Aus der Hansestadt exportierten die Geschäftspartner Eisenwaren, Hüte, bedruckte Baumwollstoffe und alkoholische Getränke nach Haiti. Von dort sowie von den dänisch-westindischen und weiteren benachbarten Inseln wurden Kolonialwaren wie Zucker, Baumwolle, Kaffee, Tabak und Sisal, die von den Sklavenplantagen kamen, nach Hamburg verschifft. Dänemark hatte als erstes Land ab 1792 den Sklavenhandel verboten. Impulsgebend mögen die seit 1733 wiederholten Aufstände auf den eigenen westindischen Inseln gewesen sein ebenso wie die Haitianische Revolution 1791-1793. Auf der französischen Zuckerinsel hatten sich die versklavten Menschen aus eigener Kraft dauerhaft befreien können. Der Schwarze General François-Dominique Toussaint Louverture, der die Revolution führte, wird heute mit Denkmälern in verschiedenen Ländern gewürdigt. In den dänischen Kolonien existierte die Sklaverei faktisch bis mindestens 1848. Um den Arbeitskräftemangel, der nach der Abolition herrschte, auszugleichen, warben die Plantagenbesitzer Menschen aus den kolonisierten Ländern Asiens an und führten neue Formen extrem ungleicher Kontraktarbeit ein. Von Zwangsarbeit bzw. von niedrigem Lohnniveau profitierten auch Nöltings Niederlassungen.
1846 starb Emile Nöltings Ehefrau Florida. 1850 heiratete er die in Port-au-Prince geborene Louise Alexandrine Clara Windsor. Aus dieser Ehe stammten zwei Töchter. Der Hamburger Kaufmann pflegte enge Beziehungen zum haitianischen Präsidenten, dem späteren Kaiser Faustin I., was zweifelsohne günstig auf seine Handelsunternehmungen wirkte. Faustin-Élie Soulouque ließ sich 1852 krönen und führte ein diktatorisches und verschwenderisches Regime. Clara Nölting gehörte zum Kreis der Hofdamen im Palast. Als Faustins Thron zu wanken begann, als die Insel im Machtkampf nicht zur Ruhe kam, litten auch die Geschäfte der kaisertreuen Kolonialkaufleute. 1853 verließ Nölting Haiti und zog mit seiner Familie in die Hauptstadt der englischen Textilindustrie, Manchester, von wo aus er weiterhin Handel mit Haiti betrieb. Nach drei Jahren kehrte er schließlich nach Hamburg zurück. In der ersten Weltwirtschaftskrise von 1857 gingen viele Hamburger Kaufleute bankrott, auch Nölting, Reimers und Münchmeyer mussten ihr Firmennetzwerk zwischen Hamburg und Haiti liquidieren. In dieser Zeit der boomenden Industrialisierung, der fallenden Handelsbeschränkungen und der rasanten Öffnung neuer Märkte vor allem in Amerika gelang es Nölting, mit neuen Geschäftspartnern und riskanten Geldtransaktionen geschickt zu spekulieren. Nun vermögend geworden, konnte er 1857 das Hamburger Bürgerrecht erwerben und 1858 die Im- und Exportfirma Emile Nölting & Co. gründen. Mit seinem aus Hannover stammenden Schwager Carl Anton Adolf „Charles“ Purgold tat er sich mit der Niederlassung Nölting, Purgold & Co. in Port-au-Prince zusammen.
Die vielen Ämter, die ihm jetzt angetragen wurden, waren für sein Geschäft förderlich. 1859 nahm ihn die „Hamburger Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns“ – die Wahlkörperschaft der Commerz-Deputation, aus der 1867 die Handelskammer hervorging – als Mitglied auf und wählte ihn zum Handelsrichter. Im selben Jahr wurde er vom Kaiser Faustin I. zum dänischen Konsul von Haiti ernannt, sechs Jahre später war er als Generalkonsul von Haiti in Hamburg tätig. Auch in zahlreichen weiteren Funktionen wirkte Nölting mit: als Vorstandsvorsitzender der von Hamburger Kolonialkaufleuten gegründeten Commerz- und Discontobank (später Commerzbank) und der London und Hanseatic Bank, als Mitbegründer der Bavaria Brauerei und des Hamburger Freihafens gewann Nölting unaufhaltsam an Prestige. 1877 war er Mitglied des Gründungskomitees des katholischen Marienkrankenhauses in Hamburg, 1883 konvertierte er schließlich selbst zum katholischen Glauben. Daraufhin schenkte er der Gemeinde St. Marien in Altona das Grundstück an der Reitbahn, auf dem heute das Pfarrhaus steht. 1890 übertrug er seinem Sohn Edgar die Firma Emile Nölting & Co. Als er 1899 starb, hinterließ er seinen Erben über acht Millionen Mark, mehrere Herrensitze und Firmenbeteiligungen. Entsprechend seinem Testament wurde an der Pastorenstraße in der Neustadt das katholische Nölting-Stift gegründet, das Ende der 1960er-Jahre dem Bau der Katholischen Akademie weichen musste. Heute wird das Familienunternehmen Nölting in der fünften Generation weitergeführt.
Text: HMJokinen, Mitarbeit: Frauke Steinhäuser