Oskar-Schlemmer-Straße
Billstedt (1971): Oskar Schlemmer (4.9.1888 Stuttgart -13.4.1943 Baden-Baden), Maler, Bühnenbildner.
Als Oskar Schlemmer, jüngster von sechs Geschwistern, ungefähr 12 Jahre alt war, starben seine Eltern Mina Neuhaus und der Kaufmann und Komödiendichter Carl Leopold Schlemmer.
Mit ca. 15 Jahren verließ Oskar Schlemmer aus finanziellen Gründen die Schule und begann eine Ausbildung als kunstgewerblicher Zeichner.
1920 heiratete er Helena Tutein (1890-1987), die sich nun „Tut Schlemmer“ nannte, weil sie auf ihren Namen nicht ganz verzichten wollte. Als eine der ersten Frauen in Deutschland hatte sie Volkswirtschaft studiert. Das Paar bekam drei Kinder. Nach Oskar Schlemmers Tod wurde Helene Schlemmer Oskar Schlemmers Nachlassverwalterin. 1969 übertrug sie der Staatsgalerie Stuttgart den bis dahin von ihr betreuten Nachlass ihres Mannes. Zu diesem Zweck veranstaltete sie im Kreise ihrer Freunde eine private Versteigerung von drei Zeichnungen ihres Mannes, deren Erlös dem Museum zum Zweck der Einrichtung eines Oskar Schlemmer-Archivs und zur Bearbeitung des Œuvre-Katalogs zugutekam. 1974 übergab sie den schriftlichen Nachlass ihres Mannes.
Oskar Schlemmer gehörte dem Bauhaus an, hatte beim Weimarer Bauhaus die Leitung der Werkstatt für Wandbildmalerei; später die für Holz- und Steinbildhauerei. Schlemmer gestaltete Bühnenbilder und Kostüme für Operneinakter.
„1925 übersiedelte das Bauhaus nach Dessau, wo Schlemmer nun auch die Bauhausbühne als eigenständige Abteilung leitete. Er verfasste den grundlegenden Artikel Mensch und Kunstfigur, in welchem er den Anspruch allgemeingültiger Typisierung mittels Maskierung und Kostümierung formulierte. In seinen Dessauer Jahren entstanden auch seine zukunftsweisenden Bauhaustänze. (…).“ 1)
Fortschrittlich im Hinblick auf die Gleichberechtigung der Frauen war Schlemmer jedoch nicht. Ebenso wie Gropius (siehe: Gropiusring) wertete Schlemmer die Kunst der Bauhauskünstlerinnen ab, die in der sogenannten Frauenklasse des Bauhauses Webarbeiten herstellten. Von Schlemmer stammt das Zitat: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“
Im Sommer 1929 wurde Schlemmer „an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe Breslau berufen, wo er bis zur Schließung 1932 unterrichtete. Er wurde mit der Leitung einer Bühnenkunstklasse beauftragt und entwickelte das Lehrgebiet Mensch und Raum. (…) Die politische Radikalisierung durch die NSDAP führte zunehmend zu Diffamierungen moderner Kunst und Künstler. Bereits 1930 war Schlemmers Wandgestaltung für das Weimarer Werkstattgebäude auf Anordnung des thüringischen Staatsministers für Inneres und Volksbildung Wilhelm Frick übermalt worden.
Ende März 1932 stellte die Breslauer Akademie durch Notverordnung ihren Lehrbetrieb weitgehend ein. Wenige Monate später siedelte Schlemmer nach Berlin über, wo er einen Lehrauftrag an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst annehmen konnte. (…),“ 1) heißt es in Wikipedia.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten bekam Schlemmer an den Berliner Vereinigten Kunstschule die fristlose Kündigung.
Schlemmer zog mit seiner Familie in einen kleinen Ort nahe der Schweizer Grenze, wo er meinte vor den Nationalsozialisten sicher zu sein. 1937 zog er mit seiner Familie in einen anderen Ort. Doch bald konnte er sich mit seiner Familie finanziell nicht mehr über Wasser halten und nahm deshalb 1938 eine Anstellung in einem Malerbetrieb an. 1940 zog er mit seiner Familie nach Wuppertal, „wo er in der Firma des Lackfabrikanten Dr. Kurt Herberts die künstlerische Verwendung von Lackfarben erproben sollte. (…)
Die fremdbestimmte Lebenszeit durch Auftragsarbeiten sowie die fehlende Möglichkeit, eigenes Kunstschaffen vorantreiben zu können, lösten bei ihm in jener Zeit seelische und körperliche Erschütterungen aus, die in einen chronischen Schwächezustand mündeten. Nach diagnostizierter Gelbsucht und akutem Diabetes sowie einem Koma-Anfall folgten Aufenthalte in Krankenhäusern (…) Der Gesundheitszustand verschlechterte sich in den Folgemonaten noch weiter. Im April 1943 begab er sich in ein Sanatorium in Baden-Baden, wo er bereits nach wenigen Tagen Aufenthalt einer Herzlähmung erlag.“ 2)
Die Universität Oldenburg hat sich im Rahmen ihrer wissenschaftlichen Untersuchung der Straßennamen der Stadt OIdenburg auch mit Oskar Schlemmer und seiner Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftig und kommt zu einem differenzierten Bild, das die Bemühungen Oskar Schlemmers dazuzugehören zeigt. Im Folgenden soll die Stellungnahme wiedergegeben werden:
„Der Künstler Oskar Schlemmer (1888–1943) galt der Forschung lange Zeit ausschließlich als ‚das erste Opfer des nationalsozialistischen Bildersturms‘. Auch jüngste Beiträge zur Rolle Schlemmers während der NS-Zeit betonen in erster Linie dessen damalige sukzessive Verbannung aus der Öffentlichkeit, die ihn schließlich veranlasste, sich in die sogenannte ‚innere Emigration‘ zu begeben. Vereinzelten Stimmen zufolge greift diese ‚Meistererzählung‘ jedoch zu kurz. Zwar zählen diese Schlemmer ebenso zur Gruppe der durch das totalitäre Regime unterdrückten Kulturschaffenden, weisen anderseits aber auf dessen zahlreichen Versuche hin, seine ‚ideologische Übereinstimmung‘ bzw. seine ‚Konformität‘ mit den Leitbildern der nationalsozialistischen Machthaber –zumindest bis in die zweite Hälfte der 1930er Jahre hinein –zu demonstrieren. Peter Hahn verknüpfte beide Perspektiven und ordnete Schlemmer jenem Kreis diffamierter, gleichwohl im Inland verbliebener Personen zu, deren Haltung gegenüber dem NS-Staat kaum eindeutig beurteilt werden könne: „Eine Tendenz zur Verweigerung gegenüber dem gleichgeschalteten staatlichen Kulturbetrieb, zum ‚Abtauchen‘ ist in dieser Gruppe ebenso anzutreffen wie die Bemühung um Anerkennung auch durch den nationalsozialistischen Staat und seine Funktionäre.‘ Bereits vor Anbruch des ‚Dritten Reiches‘ wurde Schlemmer in mehrfacher Hinsicht zu einem der ersten Leidtragenden der rigorosen NS-Kulturpolitik, als Thüringen bereits 1929 durch die Einsetzung des Nationalsozialisten Wilhelm Frick als Innen- und Bildungsminister zum ‚Experimentierfeld der NSDAP-Säuberungsaktion‘ wurde. So veranlasste der unter Frick für Heimatschutz und Denkmalpflege zuständige und zum Direktor des ehemaligen Bauhauses in Weimar bestimmte Paul Schultze-Naumburg im Herbst 1930 zum einen, Schlemmers Wandmalereien, die sich im Foyer und im Treppenhaus des Werkstattgebäudes des Bauhauses befanden, zu übertünchen. Zum anderen ließ Schultze-Naumburg die Werke moderner Künstler – einschließlich derjenigen Schlemmers – aus den Ausstellungsräumen des Weimarer Landesmuseums entfernen. Schlemmers öffentlicher Protest gegen diese Maßnahmen sowie dessen anschließender Briefwechsel mit Schultze-Naumburg zeigten keine Wirkung. Im Gegenteil: Die etappenweisen ‚Akte der Ausschaltung‘ nahmen 1933 infolge der ‚Machtergreifung‘ an Fahrt auf. Zunächst wurde im März die Eröffnung einer Retrospektive zu Ehren Schlemmers in Stuttgart durch Drohgebärden lokaler NS-Repräsentanten verhindert. Der Stuttgarter ‚NS-Kurier‘ verzeichnete diese Entwicklung als Erfolg und bezeichnete Schlemmer als ‚Gegner‘ und ‚Kunstbolschewist, dessen Machwerke von manchen unverständlicherweise als ‚urdeutsche Kunst‘ bezeichnet würden. Nur einen Monat später wurde er auf einem NS-Plakat, das in der Vorhalle der Berliner Staatsschule für freie und angewandte Kunst, an der er seit 1932 lehrte, aufgehängt wurde, als ‚destruktiv-jüdisch-marxistische[s] Element‘ geschmäht. In einem Schreiben an den damaligen Leiter des preußischen Kultusministeriums, Bernhard Rust, beschwerte sich Schlemmer anschließend vehement: „Als deutscher Mensch und Künstler protestiere ich mit aller Entschiedenheit gegen die Verdächtigung, ein Jude zu sein als welcher ich gestern im Vestibül der Vereinigten Staatsschulen [...] auf schimpflichste Weise gebrandmarkt wurde. Von dem Rektoren und Präzeptoren Schlemmer in Schlüchtern, Hessen, abstammend, ist meine christlich-protestantische Herkunft bis zum Dreißigjährigen Krieg makellos nachgewiesen. Ich protestiere ebenso gegen die Anschuldigung, ein Marxist zu sein, da ich niemals einer Partei angehörte, noch mich in irgendeiner Weise parteipolitisch betätigte. Ich protestiere gegen die Beschuldigung, mich in meiner Lehrtätigkeit destruktiv-jüdisch-marxistischer Gesinnung‘ verdächtig gemacht zu haben, weil dies in meinem gegenwärtigen Unterricht [...] schlechterdings nicht möglich ist. Meine Kunst gilt in weiten Kreisen, nicht zuletzt auch des Auslandes, als typisch aufbauend im klassischen Sinn, und ich bekenne, daß es mir als Mensch und Künstler unmöglich sein würde, auch nur einen Fingerbreit von den Ideen abzuweichen, die mir als deutschem Christen in meinem Vaterland in die Seele gepflanzt wurden, und denen Ausdruck zu verleihen, seit Jahrzehnten mein ausschließliches Bestreben gilt.‘ Doch Schlemmers im weiteren Verlauf des Briefes vorgetragene Bitte, Rust möge die Behauptungen öffentlich widerlegen, blieb unbeantwortet. Stattdessen erhielt er im Mai einen Bescheid über die Kündigung seiner Lehrtätigkeit zum 1. September 1933. Weitere Ausläufer der ‚Diffamierungskampagne‘ waren die Aufnahme einiger Werke Schlemmers in die von April / Mai bis Juni in Mannheim bzw. Chemnitz gezeigten Ausstellungen Kulturbolschewistische Bilder und Kunst, die nicht aus unserer Seele kam, die zum Teil auch in anderen Städten präsentiert wurden, sowie in die Wanderausstellung Entartete Kunst, die als Vorgängerausstellung der gleichnamigen Münchner Großexposition im Jahre 1937 gilt und im Herbst 1933 erstmals in Dresden gezeigt wurde. Darüber hinaus wurden zwischen März und April Bilder Schlemmers aus der Staatlichen Gemäldesammlung in Dresden entfernt. Angesichts dieser Vorgänge wandte sich Schlemmer am 25. April 1933 an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels: ‚Tief erschüttert durch Meldungen aus verschiedenen Städten des Reichs wie Dessau, Mannheim, Dresden, wo der Museumsbesitz an modernen Bildern in ‚Schreckenskammern der Kunst‘ zusammengebracht, mit den Summen, die seinerzeit dafür bezahlt wurden, versehen, dem Gespött und der Empörung des Publikums preisgegeben werden, erlaube ich mir, mich an Sie zu wenden mit der dringenden Bitte, hier Einhalt zu gebieten.‘ Doch auch dieses Gesuch blieb erfolglos, ebenso wie Schlemmers Unterstützung für eine Initiative des NS-Studentenbundes und des Direktors der Berliner Nationalgalerie, Alois Schardt, die den Expressionismus zu einer ‚typisch deutschen, nordischen Kunst‘ erklärten und ihn gegen andere Strömungen verteidigen wollten. Schlemmer führte diese harsche Ablehnung seines Schaffens jedoch lediglich auf unterschiedliche Kunstauffassungen zurück und fühlte sich in dieser Hinsicht missverstanden und unrechtmäßigen Schmähungen ausgesetzt. Entsprechend klagte er einer Bekannten im Juni 1933: ‚Ich fühle mich rein und meine Kunst streng den nat. soz. Grundsätzen entsprechend, nämlich ‚heroisch, stählern-romantisch, unsentimental, hart, scharf, klar, typen-schaffend‘ usw. –aber wer sieht es?‘ Schlemmers Ungewissheit hinsichtlich des zukünftigen Stellenwertes seiner Kunst innerhalb des ‚Dritten Reiches‘ fand im Oktober 1933 und im Frühsommer 1934 weiteren Niederschlag. So setzte er sich zunächst kritisch in schriftlicher Korrespondenz mit dem damaligen Vorsitzenden der Dichter-Sektion der Preußischen Akademie der Künste, Gottfried Benn, und dessen –später auch in Buchform publizierter –Rundfunkrede ‚Der neue Staat und die Intellektuellen‘, in der Benn ‚für die Opferung der individuellen Freiheit [der Künstler] zugunsten der Staatsräson plädiert‘ hatte, auseinander. Dieser Selbstzensur stellte sich Schlemmer entschieden entgegen und beklagte außerdem die ‚blindwütige Verfolgung, Bilderstürme und [Errichtung der] Schreckenskammern‘ im Zuge der letzten Monate sowie die kunstpolitischen Verfehlungen bzw. Unzulänglichkeiten des neuen Regimes. Im Frühjahr 1934 folgte ein Briefwechsel mit Klaus Graf von Baudissin, dem damaligen Direktor des Folkwang-Museums in Essen, der zuvor die Ausschreibung eines Wettbewerbs zur Gestaltung eines dortigen Raumes veröffentlicht hatte. Schlemmer, der eben diesen Raum nur wenige Jahre zuvor nach langjähriger Arbeit (1928–1931) mit seinem ‚Folkwang-Zyklus‘ versehen hatte, zeigte sich um sein dortiges Werk besorgt und bemühte sich, Baudissin, für den Kunst ausschließlich der ‚Bewegung‘ zu dienen hatte, vor diesem Hintergrund zu einer Grundsatzdebatte bezüglich der Frage, ‚was in Zukunft als wahre nationalsozialistische Kunst gelten‘ solle, zu bewegen. Erneut unternahm Schlemmer hier den Versuch, sein Kunstideal mit den Ideen der Nationalsozialisten in Einklang zu bringen: ‚Ist denn der Nationalsozialismus nicht auch eine Form-Idee? Ein ganzes Reich soll doch geformt werden, neu geformt! Einem außerordentlichen Inhalt, hier freilich weit die Kunst-Inhalte überragend, weil Menschen das Material sind und unmittelbares Leben, –soll hier Form gegeben werden. Der Staatsmann sucht die Staatskomposition wie der Künstler in seinem bescheideneren Rahmen die Kunstkomposition sucht. Der Staatsmann ist darum auch notwendigerweise Konstruktivist, so greulich dieser Begriff in Ihren Ohren auch [zu] klingen scheint.‘ Schlemmers Argumente verfehlten jedoch zum wiederholten Male ihre Wirkung. So wurde er zum einen nicht zum Wettbewerb zugelassen, zum anderen wurde sein ‚Zyklus‘ abgetragen und magaziniert. Trotz dieser Vielzahl an Rückschlägen ‚rang‘ Schlemmer weiterhin ‚um seine Position zum und im Nationalsozialismus‘ und beteiligte sich im weiteren Verlauf des Jahres am Wettbewerb zur Ausgestaltung des Kongreßsaals im Münchner Deutschen Museum, den das Propagandaministerium ausgelobt hatte. Otto Karl Werckmeister gilt Schlemmers hier vorgelegter Entwurf als finaler –und gescheiterter –Anpassungsversuch: ‚Die Kompositionsskizzen dichtgedrängter, eurhythmisch bewegter [und auf einen zentralen ‚Sonnenjüngling‘ zustrebender, CN] Menschenmassen, die Schlemmer für den Münchner Wettbewerb einreichte, zwei davon sogar mit Hitlergruß, sollten den Schlußchor von Beethovens Neunter Symphonie mit Schillers Text ‚Seid umschlungen Millionen‘ veranschaulichen.‘ Schlemmer zeigte sich enttäuscht über die Ablehnung seines Vorschlages und kommentierte die Entscheidung der Jury in seinem Tagebuch trotzig: ‚Ich habe, als einziger, die Volksgemeinschaft darzustellen versucht, die sonst in keinem Entwurf [...] vertreten war.‘ Im Angesicht der Lockerung kulturpolitischer Restriktionen aufgrund der Ausrichtung der Olympiade von 1936 in Berlin schienen Schlemmers Werke für eine kurze Periode wieder akzeptabel zu werden. So wurde er durch den Hamburger Kunstverein aufgefordert, sich an der Ausstellung Malerei und Plastik in Deutschland zu beteiligen, die von Juli bis September in der Hansestadt gezeigt werden sollte. Bereits zehn Tage nach der Eröffnung ließ der Präsident der Reichskammer für Bildende Künste, Adolf Ziegler, die Exposition jedoch schließen. Doch auch dieser Misserfolg demotivierte Schlemmer nur kurzfristig, wie seine wiederholten Anfragen an die Reichskammer der Bildenden Künste, der er nach Vorlage seines ‚Ariernachweises‘ als freischaffender Künstler angehörte, belegen. So wandte er sich im März 1937 an die entsprechenden Verantwortlichen mit ‚dem Ersuchen, mir in irgendeiner Weise zur Fortsetzung meiner künstlerischen Studien, auch auf pädagogischem Gebiet, zu helfen‘. Nur wenige Wochen zuvor hatte er in einem Brief an den Kunstkritiker Frank Nemitz zudem erneut versucht, die Verfemung seiner Bilder als Missverständnis darzustellen: ‚Warum sollen gerade heute nun Tugenden in der Kunst verachtet werden, die im Staatspolitischen ihre Parallelen haben?‘ Erst die Präsentation einiger seiner Werke auf der großflächig angelegten Propagandaausstellung Entartete Kunst in München von Juli bis November 1937 und die Beschlagnahmung vieler seiner Arbeiten scheinen Schlemmer die Unumstößlichkeit seiner isolierten Lage deutlich gemacht zu haben. Ohne Aussicht auf eine Fortsetzung seiner künstlerischen Karriere auf öffentlicher Bühne nahm Schlemmer ab 1938 eine Tätigkeit bei der Malerfirma Albrecht Kämmeres in Stuttgart auf und widmete sich neben der Bemalung von verschiedenen Innenräumen und Fassaden auch der Technik des Tarnmalerei. Hier entwickelte er Konzepte für Tarnanstriche zum Schutz von ‚wichtigen Versorgungszentren und Industrieanlagen, die durch ihre Größe bei Luftangriffen gefährdet waren‘ – unter anderem bearbeitete er an dieser Stelle Aufträge des Reichsluftfahrtministeriums und des regionalen Luftgaukommandos. Von 1940 bis 1943 war Schlemmer schließlich für eine Wuppertaler Lackfabrik tätig. Während dieser Anstellung nutzte er die in seinem Tagebuch vorgenommenen Aufzeichnungen zudem, um über seine persönliche Entwicklung im Anschluss an die ‚Machtergreifung‘ zu reflektieren –und dies mit selbstkritischem Ergebnis: ‚Wenn eines, so hätte ich 1933 verschwinden sollen, ins Ausland, wo mich keiner kennt, anstatt eben doch vor einem Forum des künstlerischen Gewissens das unwürdige Schauspiel des Verkaufs seiner Seele um ein paar Silberlinge zu geben. Werde ich dieses nagenden Gefühls jemals Herr werden? Ein Beispiel einer verantwortungsvollen Tat geben?‘“ 3)
Die Tochter: Karin Schlemmer
Die Tochter Karin Schlemmer (1921-1981) wurde eine bekannte Schauspielerin. Sie gehörte von 1949 bis zu ihrem Tod 1981 dem Ensemble des Staatstheaters Stuttgart an.
Karin Schlemmer hatte noch zwei jüngere Geschwister: Ute-Jaina, geboren 1922 und Tilman, geboren 1925. Die Familie wohnte in Dessau in einem der Meisterhäuser des Bauhauses. Die Kinder lernten musizieren; Karin erhielt auch Tanzunterricht. Ihrer besonderen Vorliebe galt dem barfüßigen Ausdruckstanz.
Als sie in den vierziger Jahren nach Stuttgart zog, wollte sie als Tänzerin arbeiten, der Schauspieler und Regisseur Fred Schroer aber sagte ‚Mensch, bist du komisch‘ – und Karin Schlemmer wechselte zum Schauspiel. (…)
„Karin war mit dem Schauspieldirektor Fritz Bücklmaier verheiratet, der aber tragisch in Folge einer Blinddarmentzündung starb. Sie hatten sich vergeblich ein Kind gewünscht. Nach seinem Tod, im Jahr 1964 kam Janine auf die Welt – ihr Vater war ein damals noch junger Schauspieler, der bald nach Hamburg zog. So war auch Karin alleinerziehend. (…).“ 4)