Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Bechsteinweg

Iserbrook (1939): Ludwig Bechstein (24.11.1801 Weimar -14.5.1860 Meiningen), Schriftsteller und Märchensammler, Bibliothekar, Archivar, Freimaurer


Siehe auch: Grimmstraße

Der Bechsteinweg wurde in der Zeit des Nationalsozialismus benannt. „Von der NS-Ideologie wurde den Märchen und Sagen aufgrund ihrer Verankerung in der mündlichen Erzähltradition eine außerordentliche Funktion zugeschrieben. Als Volksliteratur wurden sie schon im frühen 19. Jahrhundert von Vertretern der völkischen Ideologie vereinnahmt. Diese ist keineswegs originär nationalsozialistisch, macht aber eine entscheidende Dimension der NS-Ideologie insgesamt aus. (…) selbst die Märchen von Ludwig Bechstein, die zeitweilig wegen Zweifeln an dessen arischer Abstammung abgelehnt wurden, erschienen zwischen 1933 und 1945 in 75.000 Exemplaren,“ 1) schreibt Imke Folkerts.

Ludwig Bechstein war der uneheliche Sohn von Johanna Carolina Dorothea Bechstein (1775-1847). Der Vater war ein französischer Emigrant, namens Louis Dupontreau, den Ludwig Bechstein wohl nie kennengelernt hat. „Die Mutter überließ das uneheliche Kind in Weimar fremder Erziehung. Erst nach neun in Armut und Gedrücktheit verbrachten Jahren nahm sich ein Verwandter, der Forstrat Johann Matthäus B. seiner an. Er schickte ihn auf das Gymnasium nach Meiningen und danach in die Apothekerlehre nach Arnstadt. Sein früh entwickeltes dichterisches Talent machte den Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen auf ihn aufmerksam, der ihm ein dreijähriges Studienstipendium gewährte. Nach seiner Rückkehr wurde B. Bibliothekar an der herzoglichen Bibliothek, gründete den Hennebergischen altertumsforschenden Verein und übernahm 1848 auch die Leitung des Archivs. Seine beruflichen Pflichten ließen ihm genügend Zeit zur Entfaltung einer umfangreichen literarischen Tätigkeit. Als Sammler und Dichter setzte er die volkstümlichen Tendenzen der jüngeren Romantik fort, wobei jedoch seine historisch-antiquarische Beschäftigung mit dem Mittelalter eine eingeschränktere heimatkundliche Prägung erhielt und die romantischen Themen seiner Dichtungen ins Biedermeierliche transponiert wurden. Er schrieb Phantasiestücke und Volkserzählungen, entwickelte in zahlreichen Prosawerken den historischen Roman in der seit Arnims ‚Kronenwächtern‘ charakteristischen Mischung von Sage und Geschichte weiter und bearbeitete Stoffe der Volksbücher in lyrischepischer Form. Die pädagogischen Tendenzen seiner Schriftstellerei sind besonders deutlich zu erkennen durch einen Vergleich seines ‚Deutschen Märchenbuchs‘ mit den ‚Kinder- und Hausmärchen‘ der Brüder Grimm. B.s Absicht war, ein wirkliches Kinderbuch zu schaffen. Daraus lassen sich alle seine Eingriffe in die Überlieferung erklären. Er hatte den Plan, das gesamte deutsche volkstümliche Erzählgut zu sammeln. Dem Märchenbuch trat das ‚Deutsche Sagenbuch‘ zur Seite, ein ‚Deutsches Mythenbuch‘ aber blieb Versprechen. B.s theoretische Arbeiten über Volkspoesie und mittelalterliche Literatur haben seinen Sohn Reinhold zur wissenschaftlichen Germanistik geführt,“ 2) ist bei Adalbert Elschenbroich in der Neuen Deutschen Biographie nachzulesen.

Bechstein heiratete 1832 Caroline Wiskemann (1808-1834). Ein Jahr zuvor war er herzoglicher Kabinettsbibliothekar in Meiningen geworden. Das Paar bekam 1833 den Sohn Reinhold, der nach dem Tod seines Vaters 1860 die Leitung der herzoglichen Bibliothek übernahm, deren Leiter zuvor sein Vater seit der Geburt des Sohnes gewesen war.

Die junge Mutter starb ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes Reinhold.„In seiner Trauer begibt sich der Lyriker auf eine lange Reise nach Belgien und Frankreich. Doch selbst eine Begegnung mit Heinrich Heine kann nicht verhindern, dass Ludwig Bechstein bis 1843 keine Gedichte mehr verfasst.“ 3) Zwei Jahre nach ihrem Tod heiratete Bechstein 1836 Therese Schulz (1806-1876). Das Paar bekam sieben Kinder. Davon erreichten nur drei Kinder das Erwachsenenalter.

Bechstein war im 19. Jahrhundert der beliebteste Märchenherausgeber. Eines seiner gesammelten Märchen ist das Märchen vom Ritter Blaubart, der seine Ehefrauen tötete: „Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut und lebte auf seinem Schlosse herrlich und in Freuden. Er hatte einen blauen Bart, davon man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß, aber sein wahrer Name ist verloren gegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet, allein man hatte gehört, daß alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne daß man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte Lust, denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes schönes Schloß zu Gaste und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitvertreib und so viel Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, daß sich endlich die jüngste der Schwestern ein Herz faßte und sich entschloß, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.

Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: ‚Ich muß verreisen und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloß, Haus und Hof, mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern, in alle diese kannst du zu jeder Zeit eintreten. Aber dieser kleine goldne Schlüssel schließt das hinterste Kabinett am Ende der großen Zimmerreihe. In dieses, meine Teure, muß ich dir verbieten zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein Leben sind. Würdest du dieses Kabinett öffnen, so erwartet dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müßte dir dann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!‘ Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen goldnen Schlüssel nicht annehmen, indes mußte sie dies tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem Mann mit dem Versprechen, daß es ihr nie einfallen werde, jenes Kabinett aufzuschließen und es zu betreten.

Als der Ritter fort war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gerne auf die Jagd gingen; und nun wurden mit Lust alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses durchmustert, und so kamen die Schwestern auch endlich an das Kabinett. Die Frau wollte, obschon sie selbst große Neugierde trug, durchaus nicht öffnen, aber die Schwester lachte ob ihrer Bedenklichkeit und meinte, daß Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. Und so wurde der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloß gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Türe auf, und in dem sparsam erhellten Zimmer zeigten sich – ein entsetzlicher Anblick! – die blutigen Häupter aller früheren Frauen Ritter Blaubarts, die ebensowenig wie die jetzige dem Drang der Neugier hatten widerstehen können und die der böse Mann alle mit eigner Hand enthauptet hatte. Vom Tod geschüttelt, wichen jetzt die Frau und ihre Schwester zurück; vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen, und ebensowenig gelang es, die Türe wieder zuzumachen, denn das Schloß war bezaubert, und indem verkündeten Hörner die Ankunft Berittner vor dem Tore der Burg. Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd zurück erwartete, aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen, und als diese ihm bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, so fragte er nach dem Schlüssel; sie wollte den Schlüssel holen, und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, so verwandelten sich alle seine Gebärden, und er schrie: ‚Weib, du mußt nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, du schlechte Magd, daß du meine einzige geringe Bitte, meinen ernsten Befehl nicht beachtet hast? Bereite dich zum Tode! Es ist aus mit dir!‘ Voll Entsetzen und Todesangst eilte die Frau zu ihrer Schwester und bat sie, geschwind auf die Turmzinne zu steigen und nach ihren Brüdern zu spähen und diesen, sobald sie sie erblicke, ein Notzeichen zu geben, während sie sich auf den Boden warf und zu Gott um ihr Leben flehte. Und dazwischen rief sie: ‚Schwester! Siehst du noch niemand?‘

‚Niemand!‘ klang die trostlose Antwort. ‚Weib, komm herunter!‘ schrie Ritter Blaubart, ‚deine Frist ist aus!‘ ‚Schwester! Siehst du niemand?‘ schrie die Zitternde. ‚Eine Staubwolke – aber ach, es sind Schafe!‘ antwortete die Schwester. ‚Weib, komm herunter, oder ich hole dich!‘ schrie Ritter Blaubart. ‚Erbarmen! Ich komme ja sogleich! Schwester! Siehst du niemand?‘ ‚Zwei Ritter kommen zu Roß daher, sie sahen mein Zeichen, sie reiten wie der Wind.‘- ‚Weib! Jetzt hole ich dich!‘ donnerte Blaubarts Stimme, und da kam er die Treppe herauf. Aber die Frau gewann Mut, warf ihre Zimmertüre ins Schloß und hielt sie fest, und dabei schrie sie samt ihrer Schwester so laut um Hilfe, wie sie beide nur konnten. Indessen eilten die Brüder wie der Blitz herbei, stürmten die Treppe hinauf und kamen eben dazu, wie Ritter Blaubart die Türe sprengte und mit gezücktem Schwert in das Zimmer drang. Ein kurzes Gefecht, und Ritter Blaubart lag tot am Boden. Die Frau war erlöst, konnte aber die Folgen ihrer Neugier lange nicht verwinden.“ 4)

Karin Ulrike Hermann befasste sich in ihrer Arbeit „Die Rolle der Hexe in den Märchen der Brüder Grimm und Ludwig Bechsteins.“ mit der Rolle der Frau in den Märchen der Gebrüder Grimm und Ludwig Beckstein. Sie schreibt: „Die Märchen der Bruder Grimm und Bechsteins bieten einseitige Modelle für das Benehmen von Jungen und Madchen, in dem die bösen Gestalten fast alle Frauen in Form von Hexen, Stiefmüttern und Feen sind, wahrend es nur sehr wenige böse Manner gibt, und wenn, sie hauptsächlich in Gestalt von Riesen, Menschenfressern und Räubern auftreten. Des weiteren werden, (…) die bösen Frauengestalten am Ende alle mit dem Tode bestraft, während die bösen Männergestalten frei ausgehen. Diese einseitige Erzählweise war Teil einer historischen Entwicklung, in dessen Zuge die Brüder Grimm und Bechstein ihre Märchen niederschrieben, teils um zu unterhalten und teils um Moralkodexe für Kinder festzulegen. Und Teil dieser pädagogischen Absicht war es, die gängigen Verhaltensweisen für Jungen und Mädchen zu unterstützen, d.h., die Jungen zu aktivem Verhalten zu ermuntern und die Mädchen im Hause zu halten. So wurde z.B. das Spinnen in den Märchen als oberste Tugend für Mädchen gepriesen, während für faule Mädchen ein garstiges Schicksal ausgemalt wurde. Und aktive Frauen wurden am Ende für ihr Verhalten bestraft, während passive Mädchen zur Belohnung mit einem Prinzen verheiratet wurden. In diesem Zuge der pädagogischen Belehrung taten die Brüder Grimm und Bechstein ihr Teil, die Märchenhexe zu der Schreckgestalt zu machen, als die man sie heute kennt: die böse Alte mit krummem Buckel, roten Augen und Hakennase, wobei Bechsteins Anspruch als Märchenerzähler literarischer war, und wir ihm somit eln viel detaillierteres Bild der Hexe verdanken.“5)

Otto Brunken, Bettina Hurrelmann und Klaus-Ulrich Pech schreiben z. B. über die im Märchen immer wieder vorkommende böse Stiefmutter: „Bechsteins Märchen beginnen und enden häufiger mit Müttern, die noch leben, als dies in vielen Märchensammlungen der Zeit der Fall ist, so dass die Figur der bösen Stiefmutter, die stets eine Art Hexe ist, nicht in gleichem Ausmaße vorkommt, wie z. B. in den KHM der Brüder Grimm. Im Vorwort zum Neuen deutschen Märchenbuch erklärt Bechstein ausdrücklich auf ‚eine nur zu häufig zu begegnende Richtung im Kindermärchen‘ verzichten zu wollen, ‚auf böse Stifemütter, und zwar vielleicht aus einem beachtungs- und empfehlungswerten ethischen Grunde. Nichts lesen Kinder lieber als Märchen, und unter den vielen tausend Kindern, in deren Hände alljährlich Märchenbücher gelangen, sind gewiß sehr viele sogenannte Stiefkinder. Fühlt nun ein solches Kind, nachdem es eine Menge Märchen gelesen hat, darin böse Stiefmütter auftreten (die Stiefmütter der Märchen sind alle durchgängig böse), sich irgend von einer eigenen Stiefmutter – einerlei ob verdienter oder unverdienter Weise - verletzt oder gekränkt, so setzt sich in der jungen Seele durch Vergleiche die Abneigung gegen seine Pflegerin fest, und diese Abneigung kann so mächtig wachsen, dass sie den Frieden und das Glück der Familie trübt, und die Herzen lebenslänglich einander entfremdet.‘“ 6)

Auch Bechsteins erstes Kind aus seiner ersten Ehe bekam eine sogenannte Stiefmutter.