Von-Scheliha-Straße
Bergedorf/Allermöhe (1995): Rudolf von Scheliha (31.5.1897 Zessel – 22.12.1942 Berlin-Plötzensee), Legationsrat. Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus.
Rudolf von Scheliha war der Sohn eines schlesischen Rittergutsbesitzers. Im März 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger. Im weiteren Verlauf des I. Weltkrieges wurde er mehrfach verwundet. Von 1919 bis 1921 studierte er in Breslau Jura. Als Vorsitzender des Allgemeinen Studentenausschusses bezog er öffentlich Stellung gegen antisemitische Ausschreitungen. Im Februar 1922 begann er seine Tätigkeit in der Hamburger Außenhandelsstelle des Auswärtigen Amtes. Nur sechs Monate später wechselte er als Attaché nach Berlin, wo er in der Osteuropa-Abteilung arbeitete. Im Dezember 1924 wurde er endgültig in den diplomatischen Dienst übernommen. In der Folgezeit arbeitete er in den Auslandsvertretungen des Deutschen Reiches in Prag, Konstantinopel, Ankara, Kattowitz, Warschau und Brünn. 1932 wurde er an die Deutschen Gesandtschaft in Warschau versetzt. Von Scheliha trat am 1. Juli 1933 in die NSDAP ein. Doch in Warschau trat er in Verbindung mit den unterschiedlichsten NS-Gegnern. An allen seinen Einsatzorten setzte sich von Schehila für die Freilassung und Ausreise von Verfolgten des NS-Regimes ein. Kurz vor Beginn des II. Weltkriegs kehrte er nach Berlin zurück. In seiner neuen Funktion als Referatsleiter in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes erfuhr er von deutschen Übergriffen und Gewaltverbrechen an der polnischen Bevölkerung. So legte er z. B. „heimlich eine Sammlung von Dokumenten über die Grausamkeiten der Gestapo und insbesondere über Morde an Juden in Polen an, die auch Fotografien von neu eingerichteten Vernichtungslagern enthielt. Dieses Dossier zeigte er im Juni 1941 der polnischen Gräfin Klementyna Mankowska, die ihn in Berlin besuchte, um diese Details der polnischen Widerstandsbewegung und den Alliierten bekannt zu machen. (…) Im Februar 1942 beendete Scheliha seine Versuche, Exilpolen als Helfer für deutsche Propaganda vorzuschlagen und auszugeben, um diese und sich nicht noch mehr zu gefährden. In diesem Frühjahr reiste er mehrmals in die Schweiz und übermittelte ihm bekannt gewordene Informationen über die ‚Aktion T4‘, darunter Predigten des Bischofs Clemens August Graf von Galen gegen die Ermordungen von Geisteskranken, an die Alliierten. Ebenso übermittelte er Berichte über die ‚Endlösung der Judenfrage‘ wie den Bau und Betrieb weiterer Vernichtungslager und Hitlers Befehl zur ‚Ausrottung‘ der europäischen Juden. Im Herbst 1942 versuchten in Moskau ausgebildete deutsche Exilkommunisten, mit Scheliha direkten Kontakt aufzunehmen, um über ihn kriegswichtige Nachrichten aus dem Auswärtigen Amt zu erhalten. Die Gestapo beobachtete Scheliha seit langem wegen seiner kritischen Einstellung gegen die NS-Politik in Polen und suchte eine Gelegenheit, ihn auszuschalten. Diese ergab sich mit der Enttarnung verschiedener westeuropäischer und Berliner Widerstandsgruppen, die von einer Gestapo-Sonderkommission als ‚Rote Kapelle ‘ zusammengefasst wurden. Am 29. Oktober 1942 wurde Heinrich Koenen in der Wohnung Ilse Stöbes verhaftet. Er hatte unter anderem eine Mikroverfilmung bei sich mit dem Nachweis einer Überweisung von 1937 auf ein Schweizer Bankkonto Schelihas. Am 29. Oktober 1942 wurde Scheliha von der Gestapo festgenommen und als einer der ersten angeblichen Mitglieder der Roten Kapelle wegen Landesverrat angeklagt. Tatsächlich hatte er zu dem Widerstandskreis um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack keinen direkten Kontakt gehabt, und ihm waren die Verbindungen von Ilse Stöbe und Rudolf Herrnstadt zur Sowjetunion nicht bekannt. In der Anklage wurde ihm jedoch von Sowjets bezahlte Spionage vorgeworfen. In den Vernehmungen wurde er ebenfalls gefoltert. Daraufhin bestätigte er die konstruierten Vorwürfe, auch um anderen Kontaktpersonen das Leben zu retten. Obwohl er das Foltergeständnis in der Verhandlung widerrief, verurteilte das Reichskriegsgericht Rudolf von Scheliha am 14. Dezember 1942 wegen angeblichen Landesverrats zum Tode. Am 22. Dezember 1942 wurde er im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet.“ 1)
Verheiratet war von Scheliha mit Maria Louise von Medinger (geb. 1904). Das Paar hatte zwei Töchter. Auch Maria Louise von Scheliha war im Oktober 1942 von der Gestapo verhaftet worden, wurde aber einen Monat später aus der Haft entlassen. Als sie 1952 einen Antrag auf „Wiedergutmachung“ stellte, wurde dieser abgelehnt mit der Begründung, der Betreffende sei kein Widerständler, sondern ein Landesverräter gewesen. „Ihr blieb auch die Auszahlung eines Witwengeldes mit der Begründung verwehrt, dass ihr Mann vor der Hinrichtung seinen Beamtenstatus verloren habe. „Marie Louise von Scheliha gab nicht auf und bat 1956 Bundespräsident Theodor Heuss [siehe: Theodor-Heuss-Platz] um die ‚Gewährung eines Gnadenerweises‘, dem letzten Endes stattgegeben wurde. Was sich daraus ergab, war ein ‚jederzeit widerruflicher Unterhaltsbeitrag in Höhe des gesetzlichen Witwengeldes‘. Damit war sie schlechter gestellt als die Witwen vieler verurteilter NS-Täter, die in den Genuss der vollen Pension ihrer Männer kamen.“ 2)
„In der westdeutschen Geschichtsschreibung wurde Scheliha bis 1986 nicht als Widerstandskämpfer, sondern als Spion in sowjetischen Diensten angesehen. Dabei wurden die Verhör- und Gestapoakten weiterhin unkritisch als ‚Quellen‘ kolportiert, wozu ehemalige NS-Ankläger wie Manfred Roeder und Alexander Kraell, der ehemalige Präsident des 2. Senats des Reichkriegsgerichts, nach 1945 beitrugen. Am 20. Juli 1961 bedachte das Auswärtige Amt in Bonn elf seiner als Widerstandskämpfer hingerichtete Mitarbeiter mit einer Gedenktafel (…) Rudolf von Scheliha wurde darauf nicht erwähnt, da ihm weiterhin Weitergabe von Informationen an die Sowjetunion zur Last gelegt und dieses als ‚Verrat‘ betrachtet wurde.“ 1)
Die verarmte Maria Louise von Scheliha ließ sich nicht unterkriegen und kämpfte weiter. 1993 bat sie „.das württembergische Landesamt für Besoldung und Versorgung um die Auszahlung der vollen Ruhestandsbezüge. Doch wurde dieses Ansinnen mit der Begründung verworfen, dass Rudolf von Scheliha in einem ‚ordnungsgemäßen Verfahren‘ zum Tode verurteilt worden sei.“ 2)
„Erst neuere Forschung zur Roten Kapelle, besonders die Biografie von Ulrich Sahm, erreichte eine Revision dieser Einschätzung. Daraufhin urteilte das Kölner Verwaltungsgericht im Oktober 1995, dass Scheliha nicht wegen Spionage, sondern in einem Scheinverfahren wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zum Tode verurteilt worden sei und hob das Urteil von 1942 auf.“ 1) Noch im selben Jahr wurde neben der oben erwähnten Gedenktafel eine Zusatztafel „mit der Inschrift ‚Rudolf von Scheliha 1897-1942‘ angebracht“. 1)