Piazzetta-Ralph-Giordano
Siehe auch: Lilly-Giordano-Stieg
Barmbek-Nord, seit 2017: Ralph Giordano (23.3.1923 Hamburg -10.12.2014 Köln), Journalist, Publizist, Schriftsteller und Regisseur; hatte italienisch-jüdische Wurzeln, dadurch waren er und seine Familie während der NS-Zeit zahlreichen Diskriminierungen und Verfolgung ausgesetzt; die Familie überlebte in einem Keller in Alsterdorf bis zur Befreiung durch die britische Armee am 4. Mai 1945; danach begann er seine journalistische Tätigkeit bei der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“, beobachtete ab 1958 im Auftrag des Zentralrats der Juden in Deutschland die beginnenden NS-Prozesse; arbeitete von 1961 bis 1988 als Fernsehjournalist und produzierte über 100 Dokumentationen; veröffentlichte 1982 „Die Bertinis“, ein teilweise autobiographisches Werk über eine jüdische Familie in der NS-Zeit, das 1988 für das ZDF verfilmt wurde; Verfolgter des Nationalsozialismus
Siehe auch: Lilly-Giordano-Stieg
Vor dieser Benennung war diese Verkehrsfläche eine Teilfläche der Fuhlsbüttler Straße.
Ralph Giordano war dreimal verheiratet. Seine erste Frau Helga (geboren 1913) starb 1984 an Krebs. Mit seiner zweiten Frau Tanja war er von 1987 bis zur Scheidung 1988 verheiratet. Seine dritte Frau Roswitha Everhan (geb. 1944) heiratete er 1994. Sie starb 2002 an Krebs.
Über den Tod seiner beiden Frauen schrieb Ralph Giordano am 20. 10. 2005 im Hamburger Abendblatt unter dem Titel: „Meiner Frau wurde das Schlimmste erspart - und zwar durch aktive Sterbehilfe": „Wem die Furcht vor dem jederzeit möglichen Gewalttod zum zentralen Daseinsgefühl geworden war, wie mir in der Nazizeit; wer, wie ich, im Stadthaus, damals Sitz der Gestapo-Leitstelle Hamburg, nur noch denken konnte ‚Warum bist du nicht ungeboren geblieben?‘ - der weiß eines höher zu schätzen, als alles andere: das Leben!
Das gleich eingangs all den Gegnern aktiver Sterbehilfe ins Stammbuch, die deren Befürworten in die Nähe von Mördern und Totschlägern zu rücken belieben. Wissen diese Leute überhaupt wovon sie reden? Drohte ein ihnen naher Mensch, ja, vielleicht der naheste von allen, je zu sterben unter Schmerzen, für die es bezeichnenderweise keine Worte gibt?
Meine Frau, Helga Giordano (1913-1984), war das Glück und der Reichtum meines Lebens, und das an die vierzig Jahre lang. 1981 war Krebs diagnostiziert worden, später Metastasen festgestellt, die ins Hirn gegangen waren. Ich wußte vier Wochen vorher, wann sie sterben würde. Ich kann nicht schildern, was das bedeutete. Das Schlimmste aber, ein furchtbares Ende, blieb ihr erspart - durch aktive Sterbehilfe. Als Straftat ist sie verjährt, ich werde trotzdem keine Namen nennen. Wohl aber bekennen: Ich habe diese Hilfe gebilligt, aus meinem tiefsten Innern heraus gebilligt.
Meine zweite Frau, mein geliebtes Röschen (1944-2002), hatte ebenfalls Krebs. Ihr wurde die Gnade aktiver Sterbehilfe nicht zuteil, und das wird eine Wunde bis ans Ende meiner Tage bleiben. Mehr dazu nicht.
Wer das erlebt hat, beides, der schwätzt nicht mehr von ‚Gottes Wille‘ und anderen ideologischen Plattitüden, sondern wird sich, wie ich, von den Verneinern kein Jota in die eigene Sterbensautonomie hineinreden lassen! Denn kein Argument der apodiktischen Verweigerer aktiver Sterbehilfe hat mich überzeugen können, kein einziges.
Wenn denn überhaupt ein Apodiktum gestattet ist, dann dieses: Es kommt auf den Einzelfall an!
Davor versagen die Argumente der Bedenkenträger, werden zu bloßer Theorie, und allzu häufig auch zu einer christlich verbrämten Heuchelei, die sich zu ihrer Unterstützung fortwährend auf Gott beruft. Dazu Senator Kusch, bravouröser Initiator der ganzen ‚Kampagne‘: ‚Das ist nicht mein Gott. Der Gott, an den ich glaube, kann gar nicht den Willen haben, unheilbar und damit hoffnungslos Kranken über deren Durchhaltevermögen leiden zu lassen.‘
Mißbrauch ist nicht ausgeschlossen - richtig. Aber es deshalb beim Status quo belassen?
Warum tun notorische Verweigerer aktiver Sterbehilfe eigentlich immer so, als ob die Folge der Legalisierung in allererster Linie finstere Aktivitäten eigensüchtiger Enkel und Erben sein würde? Warum denken sie, typisch deutsch, zuerst an potentielle Täter , und nicht an die realen Opfer eines grausamen Sterbens, das Tag um Tag unter uns stattfindet, weil aktive Sterbehilfe auch im Deutschland von 2005 immer noch strafbar ist? Hermann Schreiber hat vollkommen recht, wenn er sagt, daß von nur allzu vielen Medizinern das Sterben eines Patienten als persönliche Niederlage aufgefaßt wird, und sie deshalb, mit dieser Blockade in sich, gar nicht im Stande seien, dem Sterben seinen Schrecken zu nehmen. Was ergänzt werden kann durch die Feststellung, daß andere Ärzte wohl Sterbehilfe leisten möchten, es infolge der Rechtsunsicherheit jedoch nicht tun und in dieser Zwickmühle ihr eigenes Schicksal über das von qualvoll Sterbenden stellen. Bleibt zu hoffen, daß auf diesem ungut aufgeschobenen Gebiet intern dennoch so manches von humaner Hand geschieht, was Menschen vor ihrem letzten Atemzug die allergrößte Qual erspart.
Nota bene: Die Gegner der aktiven Sterbehilfe sind in der Minderheit, alle Demoskopien weisen aus, daß eine Mehrheit von Deutschen dafür ist.
Nun ist es ja nicht unbekannt, daß gerade ich deutschen Mehrheitsmeinungen eher kritisch gegenüberstehe.
Dieses Mal aber besteht Übereinstimmung.“ 1)
Die Jüdische Allgemeine Zeitung druckte am 20.11.2014 unter dem Titel „Namenlose Trauer, unsagbare Erleichterung“ einen Auszug aus der Dankesrede von Ralph Giordano ab, die er anlässlich der Verleihung des Arthur-Koestler-Sonderpreises 2014 der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben am 14. November in Berlin gehalten hatte und in der er auf das Sterben seiner Frau Helga eingeht : „ Sie war das Glück und der Reichtum meines Lebens, über 40 Jahre hin, nachdem wir uns bald nach der Befreiung kennengelernt hatten, im August 1945. Alles, was in mir gut ist – und da ist keineswegs alles gut, wie in jedem von uns –, all das hat sie mobilisiert. Egal, ob nach langer oder kurzer Trennung, bei ihrem Anblick wurde die Welt licht – eine wunderbare Erfahrung, die ich ihr verdankte.
Sie war zehn Jahre älter als ich, eine Dekade, die keine andere Wirkung hatte, als die Bindung umso unverbrüchlicher zu machen. Ihr Lieblingslied war ‚Mr. Sandman‘, ihre Lieblingssendung (wie die meine) der britische Dauerbrenner Der Doktor und das liebe Vieh. Sie aß gern und hatte eine unnachahmliche Fertigkeit, ihre Korpulenz zu ironisieren. Das Gesicht war so wunderbar geblieben wie am ersten Tage unserer Begegnung. Ein Dasein ohne sie war nicht vorstellbar.
Im März 1981 dann die Diagnose – Krebs. Gefolgt von dreidreiviertel Jahren zwischen Hoffen und Bangen. Mal kletterten, mal sanken die Werte bei den regelmäßigen Messungen. Bis sie immer höher stiegen, die Metastasen das Hirn erreichten und der Griff an den Kopf mit schmerzverzerrtem Gesicht immer häufiger wurde. Wie in den schlimmsten Zeiten der Verfolgung hatte ich nur einen Wunsch: aus einem schrecklichen Traum zu erwachen.
Hilfe Im November 1984 dann die Gewissheit, das sichere Ende – nur noch wenige Wochen, vielleicht nur Tage –, was vor ihr verborgen gehalten werden musste. Ich kenne keine Situation, die schwerer zu ertragen wäre als diese. Es sei denn meine ebenso flehentlichen wie vergeblichen Bittgänge bei Ärzten, zur Erlösung beizutragen. Selten habe ich mich so allein gefühlt wie bei dieser vergeblichen Odyssee um aktive Sterbehilfe. Fündig wurde ich dann aber doch – damals ein hochvermintes Gelände.
Meine Frau stirbt am 9. Dezember 1984, mit 71 Jahren und in ihrem Bett – durch einen ‚Eingriff‘, den ich mitvorbereitet und gebilligt, von Grund auf gebilligt hatte. Sie geht human aus dem Leben – mit aktiver Sterbehilfe, in einer Situation, an der es nichts zu deuteln gab: Das Allerschlimmste, das Unschilderbare, das Sterben in der Schmerzapokalypse, für die es keine Worte gibt, war ihr erspart geblieben. Der ‚Helfer‘ hatte sich nach Recht und Gesetz schuldig gemacht. Ich habe es ‚Erlösung‘ genannt, für die es keine Alternative gab.
Was da in seiner Gleichzeitigkeit geschieht, übersteigt eigentlich die Kräfte einer Person: namenlose Trauer um den Tod des geliebtesten Menschen, neben der unsagbaren Erleichterung über die Erlösung. Obwohl ein wortgewohnter Mann, versagt mir an dieser Stelle die Feder.
Wenn ich im Waldteil des Elmshorner Friedhofs vor das Grab trete, vor den großen Stein, auf dem einst auch meine Annalen eingeschlagen sein werden, dann weine ich, wie bei der Bestattung vor 30 Jahren schon. Es ist der Überlebende, der den Preis für ein tiefes Gefühl zahlen muss.
Über diesem Sterben lag lange Schweigen, bis ich es nach mehr als 20 Jahren brach. Das aber erst, nachdem die fundamentalistischen Gegner jedweder Sterbehilfe öffentlich das große Wort ergriffen und sich dabei nicht entblödet hatten, die Befürworter ‚Mörder‘ und ‚Faschisten‘ zu schimpfen, mich eingeschlossen. Wissen diese Leute eigentlich, was sie da tun und wovon sie sprechen? Haben sie eine Vorstellung von dem Druck, der da waltet und der sich in mir bis heute noch nicht völlig verflüchtigt hat? Mithelfen, den Menschen zu töten, der das Kostbarste war, das man hatte? (…)
Natürlich, wenn es um Leben und Tod geht, schließt sich jede Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit aus. Natürlich flammt bei uns sofort die Schreckensvokabel ‚Euthanasie‘ auf, wenn es um Sterbehilfe geht. Aber da ich in der Bundesrepublik keinerlei Nähe zu diesem staatlich angeordneten NS-Massenverbrechen sehe, empört mich dessen Instrumentalisierung, ruft mich der offene Missbrauch auf den Plan, macht mich die Nivellierung von heutiger Sterbehilfe mit der ‚Tötung unwerten Lebens unterm Hakenkreuz‘ fassungslos.
Natürlich sind andere Meinungen als die eigene zu achten, solange sie nicht ins Kriminelle verfallen. Aber ich verspüre in mir eine wachsende Abneigung gegen Polemik im öffentlichen Diskurs über Sterbehilfe. Was selbstverständlich Kritik nicht ausschließen oder auch nur einengen soll. (…)“ 2)
Ralph Giordano war der Sohn von Lilly Giordano, geb. Seligmann-Lehmkuhl (16.1.1897 Hamburg – 1.1.1980 Hamburg) (siehe: Lilly-Giordano-Stieg) und Alfons Giardano.
Lilly Giordano wurde als uneheliches Kind von Selma Seligmann geboren und wuchs überwiegend bei ihren Großeltern auf. Ihr Vater war ein wohlhabender Jude aus Straßburg, „der verschwand, als seine Tochter sechs Jahre alt war. Bald nach 1900 heiratete die Mutter den Bauschlosser und entschiedenen Sozialdemokraten Rudolph Lehmkuhl, der von da an als Stiefvater Lillys fungierte. (…) Als Lilly schon als Kind musikalische Begabung zeigte, förderten ihre Großeltern sie, indem sie ihr ein Klavier kauften und sie in einem der Hamburger Musikinstitute zum Klavierstudium anmeldeten. Am 4. Mai 1917 schloss sie mit dem ‚Reifezeugnis der Lehrbefähigung für Elementar- und Mittelstufe‘ mit sehr gutem Erfolg ab (…). Seitdem gab sie privat Klavierstunden und war zudem in der Saison 1919/1920 als Dozentin am Klaerschen Konservatorium in Blankenese, das damals zu Altona gehörte, tätig. 1921 lernte sie den Pianisten Alfons Giordano kennen und heiratete ihn im Jahr darauf. Das Paar bekam insgesamt vier Kinder, eins davon ist der spätere Schriftsteller Ralph Giordano, der 1923 geboren wurde.
Mit den Klavierstunden, die sie in ihrer Mietwohnung in der Hufnerstraße in Hamburg-Barmbek gab, trug sie in den nächsten Jahren zum Lebensunterhalt der Familie bei.“ 3)
1935 wurde Lilly Giordano wegen ihrer jüdischen Herkunft aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot.
„Im Herbst 1942 wurden Lilly und Alfons Giordano in die Gestapoleitstelle in Hamburg befohlen, wo dem ‚arischen‘ Ehemann nahegelegt wurde, sich von seiner ‚jüdischen‘ Frau scheiden zu lassen. Giordano, dessen Impulsivität sich schon früher oft und unerwartet Bahn gebrochen hatte, bekam einen Tobsuchtsanfall und drohte damit, in seiner ersten Heimat Italien von den Zumutungen der deutschen Polizei zu berichten. Die Gestapo ließ die beiden wieder gehen, doch ab jetzt war es klar, dass das Leben von Frau und Kindern einzig davon abhing, dass Alfons Giordano zu ihnen hielt, damit der Status einer ‚privilegierten Mischehe‘ – so die Nomenklatur der Nazis – aufrecht erhalten blieb. 1943 wurde das Berufsverbot, das für Lilly Giordano schon seit 1935 galt, auch auf ihren Mann ausgedehnt.“ 4)
1943 wurde die Familie ausgebombt. Sie fand Zuflucht in Bösdorf, doch 1944 wurden Lilly und Alfons denunziert und sie musste zurück nach Hamburg, wo die beiden Zwangsarbeit leisten mussten. Lilly Giordano musste in Hamburg Bahrenfeld in den Firmen Heldmann und Bommelmann, die Rattengift produzierten, unter schlimmsten hygienischen Bedingungen Sortier- und Einfüllarbeiten verrichten, was zu starken gesundheitlichen Schäden führte.
„Im Februar 1945 wurde Lilly Giordano von der Gestapo erneut aufgefordert, sich zur „Verschickung“ bereit zu halten, was wohl ihren Tod bedeutet hätte. Dies nahm Sohn Ralph zum Anlass, die Familie in ein bereits vorher ausgekundschaftetes Versteck in der Alsterdorfer Straße in Hamburg-Alsterdorf zu bringen, wo die fünf Personen vom 14. Februar an bis zur Befreiung am 4. Mai unter unerträglichen Bedingungen, unterstützt von ihrer früheren Nachbarin Grete Schulz, dahinvegetierten und am Ende auch überlebten.
Nach dem Krieg konnte Lilly Giordano mit Mann und Kindern eine Wohnung in der Elbchaussee beziehen. Doch selbst hier noch waren sie antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt; gegen verleumderische Handzettel mit der Aufschrift ‚Judenschweine raus!‘ strengten sie eine Strafanzeige gegen Unbekannt an, die zu Ermittlungen bis ins Jahr 1954 führte, ohne dass Täter gefasst wurden (…). Lilly Giordano traute sich zu, wieder als Klavierlehrerin zu arbeiten, hatte aber kein Instrument mehr und bat deshalb – wegen Ausbombung – um Soforthilfe beim Amt für Wiedergutmachung. Diese wurde nicht gewährt. Zehn Jahre lang kämpfte sie um Anerkennung als an Beruf und Gesundheit schwer Geschädigte. Am Ende wurde ihr eine monatliche Rente in Höhe von 250,- DM zugestanden, die sich freilich Jahr für Jahr erhöhte. Den Beruf als Klavierlehrerin konnte sie jedoch nicht wieder aufnehmen. Sie lebte einige Jahre in Altona, wo sie ihrem Mann bei dem Versuch half, ein Geschäft aufzubauen: erst eine Leihbibliothek, dann einen Waschsalon; am Schluss blieben aber nur Schulden übrig. 1963 zog sie mit Mann und Tochter nach Hamburg-Langenhorn um. Hier starb Alfons Giordano im Oktober 1972. Ihre behinderte Tochter [geboren 1946] kam 1978 in die Alsterdorfer Anstalten. Lilly Giordano – inzwischen 82jährig – ging 1979 in das nicht weit davon entfernte Pflegeheim Alsterberg. Hier starb sie am 1. Jan. 1980.“ 5) Sie wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet. Da ihre Grabstätte bereits geräumt wurde, erinnert der Verein Garten der Frauen e. V. mit einem Erinnerungsstein im Garten der Frauen an sie.