Ramazan-Avci-Platz
Hohenfelde (2012); vorher Bahnhofsvorplatz ohne Namen. Ramazan Avcı (1959 Isparta – 1985 Hamburg), Opfer neonazistischer Gewalt, türkischstämmiger Kfz-Mechaniker.
Diese Verkehrsfläche gehörte zuvor zur Verkehrsfläche Landwehr.
Ramazan Avcı kam am 20. Dezember 1959 in dem Dorf Gönen, das zur südanatolischen Stadt Isparta gehört, auf die Welt. Seine Eltern sind Hediye und Halil Avcı. Er war das vierte Kind der Familie. Nachdem er die Grundschule und Mittelschule absolviert hatte, besuchte er das Gymnasium in Isparta. Nach dem Gymnasium ging er auf die Berufsfachschule für Automechanik. Mit 22 Jahren kam er nach Deutschland. Auch sein jüngerer Bruder Veli und sein älterer Bruder Hüseyin lebten in Hamburg. Da Ramazan Avcı ein gut ausgebildeter Automechaniker war, fand er sofort Arbeit. Er arbeitete in einer Autowerkstatt in der Gluckstraße. Nach Feierabend ging er einem Zweitjob bei einer Büroreinigungsfirma nach. Dort lernte er Gülistan Ayaz kennen. Sie stammte aus Eskişehir und war bereits 1971 nach Deutschland gekommen. Nachdem sie etwa zehn Jahre bei ihrem Vater in der Nähe von Bonn gelebt hatte, zog sie 1981 zu ihren Angehörigen nach Stuttgart und Ende 1984 zu ihrem Bruder nach Hamburg-Billstedt. In Hamburg begann sie bei der Reinigungsfirma zu arbeiten, bei der auch Ramazan Avcı im Zweitjob tätig war. Ramazan Avcı verliebte sich in Gülistan. Um ihr seine Liebe zu gestehen, lud er sie zum Kaffeetrinken in das nah gelegene Einkaufszentrum Hamburger Straße ein. Nachdem sich das Paar gegenseitig ihren Familien vorgestellt hatte, beschloss es zu heiraten. Da Ramazan Avcı zwar von seiner ersten Frau getrennt lebte, aber die offiziellen Scheidungsformalitäten nicht vollzogen waren, entschied man sich Ende 1985, in die Türkei zu reisen und dort zu heiraten. Das Paar bezog eine Wohnung im Mühlenkamp und erwartete bereits für das Ende desselben Jahres Nachwuchs. Ramazan Avcı hatte schon eine Wohnung in der Türkei gekauft, und das junge Paar beschloss, nach der Geburt ihres Kindes Deutschland zu verlassen und sich für immer in der Türkei niederzulassen. Am Tattag, Sonnabend den 21. Dezember 1985, um etwa 21.45 Uhr verließ Ramazan Avcı die Wohnung, um zusammen mit seinem jüngeren Bruder Veli und dem gemeinsamen Freund Halis sein Auto in der Nähe der S-Bahnstation Landwehr zu parken, denn am Sonntag wollte Ramazan Avcı das Auto auf dem privaten Automarkt, der dort in der Nähe stattfinden sollte, verkaufen. Von dem Geld wollte er ein günstigeres Auto und ein Kinderbett erwerben. Beim Verlassen seiner Wohnung soll er zu seiner Frau gesagt haben: „Spätestens in einer halben Stunde bin ich zurück.“ Da Gülistan Ayaz hochschwanger war, blieb die Freundin von Halis bei ihr in der Wohnung. Nachdem die drei Männer das Auto abgestellt hatten, begaben sie sich zur Bushaltestelle am S-Bahnhof Landwehr, um mit dem Bus zurück nach Hause zu fahren. Vor der als Skinheadtreff bekannten Bahnhofskneipe „Landwehr“ standen Neonazis und Skinheads und beschimpften und schlugen die drei Türken. Avcı versuchte sich mit Pfefferspray, das er in der Tasche hatte, zu wehren. Veli und Halis konnten sich im letzten Moment in den Bus, der an der Haltestelle stand, retten. Der Busfahrer fuhr sofort los. Inzwischen kamen immer mehr Neonazis aus der Kneipe raus. Sie hatten Axtstiele, Schlagringe und Baseballschläger in der Hand. Einige fuhren mit dem Auto sogar dem Bus hinterher. Etwa 25 bis 30 Neonazis jagten Ramazan Avcı, der in Panik versuchte, auf die andere Seite der stark befahrenen Straße zu gelangen. Dabei wurde er von einem Auto (das vermutlich einer der Skinheads fuhr) angefahren und fiel auf den Asphalt. Die Skinheads und Neonazis stürzten sich auf Avcı und prügelten auf das Brutalste auf ihn ein. Ramazan Avcıs Schädeldecke wurde regelrecht zertrümmert. Er wurde in das Krankenhaus St. Georg gebracht, wo er trotz mehrerer Notoperationen am Heiligabend verstarb. Zehn Tage nach seinem Tod kam sein Sohn auf die Welt. Er bekam den Namen des Vaters. Fünf aus der Skinhead- und Neonaziszene bekannte und zum Teil vorbestrafte Täter im Alter zwischen 18 und 24 Jahren wurden wegen „Körperverletzung mit Todesfolge“ zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und zehn Jahren verurteilt. Das Gericht sah ein rassistisches Motiv und Mordabsicht als nicht gegeben an. Ramazan Avcı wurde in seinem Geburtsort Gönen begraben. Die Witwe Gülistan ließ auf den Grabstein den Spruch: „Ich wurde in Deutschland von Ausländerfeinden ermordet. Nicht einmal meinen Sohn habe ich sehen können. Ramazan Avcı“ einmeißeln. Lange Zeit wurde Ramazan Avcı vergessen. Zum 25. Jahrestag des Mordes im Jahre 2010 wurde im November 2010 auf Initiative des Rechtsanwalts Ünal Zeran, der als Jurastudent und aktives Mitglied des Volkshauses der Türkei e.V. nach dem Mord an Avcı viele antirassistische Protestmärsche und Kundgebungen mitorganisiert hatte, die Ramazan Avcı Initiative gegründet – zu einer Zeit, als die NSU-Morde noch unter „Döner Morde“ liefen und die Polizei die Täter unter den Verwandten der Opfer, der ausländischen Mafia, suchte. Am 21.12.2010 organisierte die Ramazan-Avcı-Initiative zusammen mit der Witwe Gülistan und dem Sohn Ramazan Avcı zum 25. Jahrestag der Mordtat eine Gedenk- und Trauerkundgebung am S-Bahnhof Landwehr. Die Initiative setzte sich in den folgenden Monaten intensiv für die Umbenennung der Straße „Landwehr“ in „Ramazan-Avci-Straße“ ein. Mit Bezirks- und Senatsstellen wurden Gespräche geführt. Wegen der langwierigen und großen bürokratischen Hürden bei einer Straßenumbenennung forderte die Initiative nach Rücksprache mit Gülistan Ayaz, die mit ihrem Sohn Ramazan in Hamburg leben, als ersten Schritt, die Benennung des Vorplatzes des S-Bahnhofs Landwehr, der Bushaltestelle sowie der Fahrradstation nach Ramazan Avcı. Zur Umsetzung dieser Minimalforderung war Gülistans Wunsch, „nach einem Vierteljahrhundert endlich einen Platz der Trauer haben zu wollen“, maßgeblich, und die Behörden gaben ihr Einverständnis. Mit dem zufälligen Auffliegen der NSU-Terrorzelle im November 2011 vollzog sich nun auch die Benennung des Ramazan-Avci-Platzes sehr schnell, so dass am 19. Dezember 2012 mit einer offiziellen Zeremonie, an der Familienmitglieder, Bezirks- und Senatsvertreter und Vertreter der türkischen Gemeinde teilnahmen, die Namensgebung vollzogen wurde.
Text: Kemal Dogan