Reyesweg
Barmbek-Süd (1912): Prof. Dr. Daniel Wilhelm Reye (22.1.1833 Ritzebüttel - 15.2.1912 Hamburg)1), Direktor des Staatskrankenhauses Friedrichsberg.
Siehe auch: Jette-Müller-Weg
Nach dem Studium der Medizin und der Promotion 1855 ging Wilhelm Reye 1855 nach Hamburg, „wo er versuchte, eine Stelle als ‘Gehülfswundarzt‘ am Allgemeinen Krankenhaus St. Georg zu bekommen“. 2)
Nachdem drei Jahre später Ludwig Meyer ans Krankenhaus gekommen war und die Leitung der „Irrenabteilung“ übernommen hatte, wurde Wilhelm Reye sein Assistent.
Nachdem dann 1862 die ‚Irren-, Heil- und Pflegeanstalt Friedrichsberg‘ eröffnet wurde, die Patienten aufnahm, „die zuvor im Krankenhaus St. Georg behandelt worden waren“3) und im Krankenhaus St. Georg nur die chronisch kranken Personen verblieben, übernahm Wilhelm Reye, nun in der Funktion eines externen Sekundärarztes die Behandlung.
Als Ludwig Meyer den Ruf an die Universität Göttingen angenommen hatte, wurde Reye 1866 Leiter der damaligen „Irrenanstalt Friedrichsberg“ und blieb dies 42 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1908. In dieser Zeit wurde Reye Vater von vier Kindern, geboren 1868, 1870, 1878, 1880 und 1882. Verheiratet war er mit Clara Catharina Auguste Brandt (29.4.1842 Hamburg – 17.3.1919 Hamburg). 4)
Über Reyes Arbeitsplatz schreibt Kai Sammet: „Die bei Reyes Dienstantritt 164 Betten umfassende Anstalt wurde im Laufe weniger Jahre zu einer der größten im deutschsprachigen Raum: 1900 versorgte sie 1250 Patienten, 1908 1400. Dieser rapide Anstieg, der dem Bevölkerungswachstum Hamburgs parallel ging, machte Neubauten in Friedrichsberg und Anpassungen der gesamten Versorgungslandschaft psychisch Kranker in Hamburg nötig (…). Reye (…) erwies sich in dieser Situation als der richtige Mann, der für Hamburg eine spezifische Subgruppierung devianten Verhaltens geschickt verwaltete. Er zeigte sich zurückhaltend, wenn es um Modernisierungen ging. Das ärztliche Personal wurde nur vorsichtig den veränderten Patientenzahlen angepasst.“ 5)
Reinhard Otto schreibt in seinem Buch „150 Jahre Friedrichberg. Von der Irrenanstalt zur Klinik im Wohnpark“ über den Werdegang Reyes: „Unter ihm gab es ab 1880 kaum noch Neuerungen im medizinischen Bereich. Stattdessen war er immer bemüht, den Standort Friedrichsberg wie ein Sanatorium dazustellen. (…) Insgesamt wurde seine einmalige Amtszeit von 42 Jahren später, je nach Sichtweise, mit den Begriffen Kontinuität oder Stillstand bewertet. (…)“ 6)
Wichtig war Daniel Wilhelm Reye, dass die Hamburger „tonangebende“ Gesellschaft die Anstalt akzeptierte. „Dies“, so Reinhard Otto: „gestaltete sich aber von Jahr zu Jahr schwieriger. Zum einen entstanden bis zur Jahrhundertwende einige teure, privat betriebene Sanatorien, so beispielsweise an der Eichenstraße in Stadtteil Eimsbüttel, in die bevorzugt Erkrankte aus der Oberschicht eingewiesen wurden. Zum anderen war das Anstaltsgelände mittlerweile durch die vordringende städtische Besiedelung von drei Seiten her zunehmend eingekreist. (…) Da sich auch die Belegungsdichte in Friedrichsberg kontinuierlich erhöhte, sank parallel hierzu die positive Bewertung des Standortes bei den vermeintlich so wichtigen ‚Herrschaften‘ aus den einflussreichen Hamburger Familien.“7)
Reye ließ zwischen 1878 und 1885 Neubauten - Baracken und „Siechenhäuser“ - auf dem Gelände errichten. Für die Menschen, die es sich finanziell leisten konnten, wurden Pensionärsabteilungen eingerichtet.
Bei der Finanzierung der zusätzlichen Bauten halfen viele Vereine mit, so auch der „Frauenverein für die Geisteskranken“. Dieser gab Geld zum Beispiel für die Beschaffung von Gartenpavillons, einer Kegelbahn und auch eines Klavierflügels.
„Erst in einem Schreiben vom Februar 1888 wies Reye darauf hin, dass eine Erweiterung Friedrichsberg nicht mehr sinnvoll sei, da die Überfüllung eine zweite Anstalt nötig machte. So wurde 1893 die ‚landwirtschaftliche Kolonie für Geisteskranke zu Langenhorn‘ für 200 arme, arbeitsfähige chronisch Kranke eröffnet“, 8) so Kai Sammet in seinem Artikel über Daniel Wilhelm Reye.
Für die zahlungskräftigen Kranken sorgte Reye besonders. Für sie „verfolgte Reye beständig den Ausbau und die Verbesserung der Außenanlagen. Er ließ ab ca. 1880 seltene Bäume anpflanzen ein Wegenetz und Teiche anlegen. (…).“ 9)
Auch bei der Behandlung der Patienten spielten die sozialen Unterschiede eine Rolle. So schreibt Reinhard Otto: „Der Behandlungsschwerpunkt in Friedrichsberg lag mit ausdrücklicher Billigung durch Prof. Reye darauf, den Patienten den Aufenthalt in der Anstalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Der dafür betriebene Aufwand war allerdings je nach sozialer Herkunft der Insassen sehr unterschiedlich. (…)
Beim Umgang mit den Patienten, den man nur bedingt als Therapie bezeichnen konnte, verfolgte Professor Reye recht liberale bzw. offene Ansätze. So erlaubte er während seiner Amtszeit den Insassen regelmäßigen dosierten Genuss von Branntwein oder Cognac sowie den Männern das Rauchen von Zigarren. Die damit einhergehenden Risiken wie Alkoholabhängigkeit oder Brandgefahr betrachtete er als gering. Wichtiger war es ihm, solche bürgerlichen Rituale, zu denen auch die Nutzung des Klavier- und Lesezimmers gehörte, als Teil des Anstaltslebens dazustellen.“ 10)
Als Heilmethoden wurden in erster Linie strikte Bettruhe, Dauerbäder, kalte Güsse und feuchte Packungen verordnet. Auch wurden Schlaf- und Beruhigungsmittel verabreicht und sogenannte Tobsüchtige wurden in mit Gummi ausgekleidete Tobezellen gesteckt. 11)
Eine Patientin von Reye war die Hamburger „Zitronenjette“. Nach ihr wurde 2007 der Jette-Müller-Weg in Ohlsdorf benannt. Die alkoholkranke Zitronenverkäuferin wurde 1894 von der Polizei in die „Irrenanstalt Friedrichberg“ gebracht. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod zwanzig Jahre lang und wurde mit Kartoffelschälen und Gemüseputzen beschäftigt.