Riesserstraße
Hamm (1957): Dr. Gabriel Riesser (2.4.1806 Hamburg – 22.4.1863 Hamburg), Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, Bürgerschaftsabgeordneter, Obergerichtsrat, erster Richter jüdischer Religion in Deutschland. Freimaurer.
Vorher hieß die Straße Sievekinsgallee.
Die Riesserstraße in Hamburg Hamm-Nord wurde 1957 benannt, nachdem 1938, unter der damaligen Herrschaft der Nationalsozialisten, die damals im Stadtteil Eppendorf gelegene Gabriel-Riesser-Straße in Lichtwarkstraße umbenannt worden und nach 1945 eine Rückbenennung dieser Straße in Gabriel-Riesser-Straße nicht erfolgt war. (Registratur Staatsarchiv Az. 1520-3/0. Antwort auf Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prosch (CDU), Straßen mit Namen jüdischer Bürger, Bürgerschaftsdrucksache 11/2389 vom 7.5.1984.)

Riesser blieb Zeit seines Lebens ledig.
Thomas Kreuder schreibt über die Herkunft Gabriel Riessers: „Riesser [stammte] aus einer gelehrten jüdischen Familie. Sein Großvater väterlicherseits ist Rabbiner in Oettingen. Seine Mutter Fanny [1767-1847] ist die Tochter von Raphael Cohen, der als Rabbiner für die Juden aus dem damals dänischen Altona, dem reichsfreien Hamburg und dem preußischen Wandsbek wirkt und überdies das Amt des Obersten Richters für die Juden in Dänemark versieht. Jacob Lazarus Riesser folgt mit seiner Familie dem Schwiegervater nach Altona und arbeitet dort als Sekretär des rabbinischen Gerichts. Diese Stellung muss er aufgeben, nachdem sich Raphael Cohen mit der dänischen Regierung überworfen hat und nach Hamburg wechselt. Dort, wo bald darauf Gabriel als jüngstes von fünf Kindern geboren wird, schlägt sich der hochgebildete Jacob Riesser mühsam als Hebräischlehrer und in kaufmännischen Berufen durch, unter anderem als Losverkäufer für die französische Staatslotterie. Als infolge der napoleonischen Kriege russische Truppen Hamburg besetzen, wird die Familie mittellos und zieht nach Lübeck. Dort können, wie überall in den französischen Einflussgebieten in Zentraleuropa, Juden das Bürgerrecht erhalten. Jacob Riesser wird erneut Lotteriepächter. Doch bereits 1816 muss die Familie Lübeck verlassen, da nach dem Wiener Kongress die durch das französische Regime gewährten Rechte wieder weitgehend beseitigt werden. Die Riessers kehren nach Hamburg zurück. Der vom Vater in Hebräisch und im Talmud unterwiesene Sohn Gabriel wird konsequent auf eine weltliche akademische Karriere vorbereitet. Er studiert in Kiel, Heidelberg und München Jura und wird 1826 ‚summa cum laude‘ promoviert.“ 1)
Und in Wikipedia heißt es über den weiteren Lebensweg von Gabriel Riesser: „Riesser war zeitlebens ein Verfechter der Gleichberechtigung von Juden. Er selbst war mehrfach aufgrund seines Glaubens diskriminiert worden. In Heidelberg und Jena verweigerte man ihm nach seinem Studium die Ernennung zum Privatdozenten, in Hamburg ließ man ihn 1829 nicht als Anwalt zu. Er hatte sich in seinem Zulassungsantrag auf das Gleichbehandlungsprivileg berufen, das in Hamburg während der napoleonischen Besatzung gegolten hatte, und auf eine Bestandsschutzregelung aus Artikel 16 der Bundesakte. Mit der Begründung, ihm fehle das Bürgerrecht, das er als Jude nicht bekommen konnte, wurde sein Antrag abgelehnt.“ 2)
1832 rief Riesser die Zeitschrift „Der Jude. Periodische Blätter für Religions- und Gewissensfreiheit“ ins Leben, in der er sich vornehmlich für die Emanzipation der Juden einsetzte. „Für den badischen Landtag von 1833 arbeitete er eine Denkschrift zur Judenemanzipation aus. 1833 gründete er das Comité zur Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden.“ 3)
Thomas Kreuder berichtet über Riessers weitere Aktivitäten: „Seit den so genannten ‘Hep-Hep-Revolten‘ von 1819 hatte es fast jährlich judenfeindliche Krawalle in mehreren deutschen Orten gegeben. 1835 kam es auch in Hamburg zu Ausschreitungen. Doch die ansonsten so auf ihre etablierte Ordnung bedachten Organe der ‚Freien und Hansestadt‘, die nur kurz zuvor eine Eingabe Riessers zur bürgerlichen und wirtschaftlichen Gleichstellung der Juden nicht behandelt hatten, sahen keinen Anlass zum Einschreiten.
Im Jahr darauf verlässt Riesser Hamburg und zieht mit der Familie seines älteren Bruders Raphael ins kurhessische Bockenheim bei Frankfurt am Main in der Hoffnung, auf der Grundlage der dort seit napoleonischer Zeit unverändert gebliebenen Gesetze endlich das Bürgerrecht zu erlangen; er bleibt erfolglos. Gleichwohl sind die kommenden Jahre für ihn eine fruchtbare Zeit. Er unterstützt die Anliegen süddeutscher Juden in mehreren, an verschiedene Gesetzgebungsorgane gerichtete Gutachten und publiziert fast pausenlos, zumeist in seinen ‚Jüdischen Briefen zur Abwehr und Verständigung‘. (…). Als die Hamburger Bürgerschaft 1840 entscheidet, nach Ableben eines jüdischen Notars die Stelle mit Blick auf die eigenständigen Regelungen des jüdischen Familienrechts und gestützt auf die in diesem Falle herangezogene Bundesakte fortzuführen und mit Riesser zu besetzen, kehrt er nach Hamburg zurück. Er kann nun einen Beruf ausüben, der sich in dieser Zeit zunehmend spezialisiert und sich schrittweise zu einer juristischen Profession entwickelt.“ 4)
Gabriel Riesser war von 1840 bis 1843 Mitglied der Direktion des Hamburger Tempelvereins sowie im März 1848 Abgeordneter im Frankfurter Vorparlament. Für das Herzogtum Lauenburg war er im Mai 1848 bis Mai 1849 Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Dazu Thomas Kreuder: „Auf seinen Vorschlag hin wurde ein allgemeines Wahlrecht verabschiedet, wonach ‚jeder volljährige Deutsche ohne Bedingung seines Standes, Vermögens und Glaubensbekenntnisses Wähler und wählbar‘ war. (…) Im Paulskirchenparlament ist Gabriel Riesser in seinem Element. Er widmet sich insbesondere Verfassungsfragen und erwirbt sich schnell einen exzellenten Ruf. Am 29. August 1848 lernt die Öffentlichkeit den Redner Riesser kennen. Ganz auf der Linie der weit verbreiteten ‚Besserungskonzepte‘ zur allmählichen Integration der Juden beantragt der Abgeordnete Moritz Mohl, den im liberalen Geiste formulierten Verfassungsartikel zu den Bürgerrechten um die Klausel zu ergänzen, dass ‚die eigentümlichen Verhältnisse des israelitischen Volksstamms ... Gegenstand besonderer Gesetzgebung ... werden‘. Nach Mohl trat Riesser an das Rednerpult und erwiderte spontan, doch argumentativ durch seine langjährige Auseinandersetzung mit allen sattsam bekannten Vorurteilen seiner Zeit bestens vorbereitet. Wie schon in seinen Schriften verband Riesser in der Rede persönliches Erleben mit prinzipiellen Darlegungen. Er schließt mit der meisterhaften Wendung, die Entscheidung sei längst gefallen. Nun gehe es schlicht darum, vereinzelte reaktionäre Zuckungen abzuwehren: ‚Und so lebe ich denn in der festen Zuversicht, dass die gute Sache bereits gesiegt hat, ungeachtet der letzten Aufwallungen des bösen Willens von wenigen Seiten her.‘“ 5)
Riesser wurde Vizepräsident der Deutschen Nationalversammlung, das erste frei gewählte gesamtdeutsche Parlament. Dieses Parlament hatte eine Verfassung zu einer konstitutionellen Monarchie verabschiedet. Der Preußische König Friedrich Wilhelm IV. sollte deshalb Kaiser werden. Sven Kummereincke schreibt dazu: „Der uralte Traum der deutschen Einheit, mit einem frei gewählten Parlament im Zentrum, schien greifbar nahe.“ 6) Doch der König lehnte 1849 ab. Sven Kummereincke: „Er hatte es nie ernsthaft erwogen. Derr sprunghafte, romantisch veranlagte Preuße glaubte daran, ein Monarch von ‚Gottes Gnaden‘ zu sein. Schon im Dezember 1848 schrieb er einem Berater: ‚Jeder deutsche Edelmann, der ein Kreuz oder einen Strich im Wappen führt, ist hundertmal zu gut dazu, um solch ein Diadem aus Dreck und Letten der Revolution, des Treubruchs und des Hochverrrats geschmiedet, anzunehmen‘. Die Reaktionäre bekamen nun Oberwasser, die wieder aufflammende Revolution wurde von preußischen Truppen zusammengeschossen., Der gut ein Jahr währende Traum von Einheit und Freiheit war geplatzt. Riesser zog sich frustriert und Erholung suchend nach Bad Godesberg zurück“ 7) und trat am 26. Mai 1849 aus der Nationalversammlung aus.
„Nachdem im Februar 1849 die Grundrechte des deutschen Volkes der Paulskirchenverfassung in Kraft getreten waren, konnte Riesser Hamburger Bürger werden. (…). 1857 legte er sein Amt als Notar nieder. Von 1859 bis 1862 war er Mitglied, zeitweise auch Vorsitzender der Hamburgischen Bürgerschaft, die durch die Verfassungsreform von 1859 von der Versammlung der Haus- und Grundbesitzer zur Volksvertretung geworden war. Zudem wurde er 1859 Obergerichtsrat und damit der erste jüdische Richter in Deutschland.“ 8)