Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Ruckteschellweg

Eilbek (1948): Nicolai von Ruckteschell (21.12.1853 Simferopol/Krim – 19.10.1910 Hamburg), Pastor an der Friedenskirche in Eilbek.


Vor 1948 hieß die Straße Jungfernstieg oder Jungmannstraße. Es gibt verschiedene Angaben. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Ruckteschellweg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1948 bei Jungfernstieg oder Jungmannstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946). Und bezüglich der Jungmannstraße vgl.: Staatsarchiv Hamburg: 133-1 II, 38. Anlage 2. Die neu vorgeschlagenen Straßennamen nach Stadtteilen geordnet unter Angabe der verwendeteten Benennungsmotive)

Nicolai Carl Sergius von Ruckteschell: „war der Sohn von Alwill Eduard Reinhold von Ruckteschell und Marie Juliane Luise geb. Sellheim.“ 1)

Dazu schreibt Pastor Günther Severin: Der „Vater war Zivilgouverneur der Krim, fiel in Ungnade und lebte dann in Reval (Tallin), dem Zentrum der evangelischen Baltendeutschen. Seine Mutter kränkelte viel und suchte Heilung in deutschen Bädern. Dahin nahm sie ihren Sohn Nicolai mit. Er zeigte starke Neigung zum Beruf des Schauspielers. Die Mutter hatte andere Pläne. Sie schickte den Sohn nach Neuendettelsau, damit er von dem bedeutenden Erweckungstheologen Wilhelm Löhe konfirmiert werde. Dieser Mann bewirkte, dass Nicolai Theologie studierte, in Dorpat, wo sein späterer Schwiegervater Professor war.“ 2)

Im November 1879 wurde Nicolai von Ruckteschell in St. Petersburg ordiniert. Er arbeitete dann als Pastor am Evangelischen Hospital in St. Petersburg und wurde dort Rektor der Diakonissenanstalt. 3)

„Es kam zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen ihm und einem orthodoxen Russen, der evangelisch werden wollte. Das aber war streng verboten. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. So gab der Pastor dem flehentlichen Bitten des Russen nach und reichte ihm das Abendmahl nach lutherischem Ritus. Der Russe aber war ein ‚agent provocateur‘ V. Ruckteschell wurde angeklagt und zur Verbannung nach Sibirien verurteilt, er, seine Frau und seine fünf Kinder.“ 4)

Von Ruckteschell war damals mit der Baronin Catherina Helene von Engelhardt (1859-1930) verheiratet. Mit ihr bekam er während der Ehezeit 14 Kinder.

„Die Schwester der Zarin, eine deutsche Prinzessin, Patin eines der Ruckteschellschen Kinder, erreichte Nicolais Begnadigung. Er musste aber das Russische Reich verlassen.“5)

Von Ruckteschell kam mit seiner Familie nach Hamburg und wurde am 20. Dezember 1889 als Hilfsprediger an der Friedenskirche Hamburg Eilbek eingestellt, wo er am 19. Oktober 1890 Pastor wurde und dort bis zu seinem Tod 1910 wirkte. 6)

„Er erwarb sich einen Ruf als ‚gewaltiger Prediger‘. Von Ruckteschell wich vom Herkömmlichen ab. Beispielsweise führte er einen jährlichen ‚Gemeindeausflug‘ ein. Auch gründete er den sogenannten Freitagabend, eine wöchentliche Begegnungsstätte für Arbeiter und andere Bevölkerungsgruppen.“ 7)

Von Ruckteschell: „hielt eine christlich-soziale Partei für falsch. Er wollte lieber die SPD gewinnen. An dieser Partei störte ihn nur zweierlei: die Kirchenfeindlichkeit und die Internationalität. So wurden Partei und Gemeinde keine Freunde, obwohl v. Ruckteschell ein sozial sehr engagierter Pastor war. Die Gemeindepflege half den Eilbeker Armen durch Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, vor allem aber durch finanzielle Hilfe bei der Regulierung von Mieteschulden, bei der Auslösung von Pfandscheinen, durch Spenden von Kohlen und Nahrungsmitteln. Während der Cholera-Epidemie besuchte er ohne Furcht erkrankte Eilbeker. Er selbst verlor durch die Cholera übrigens eine Tochter. Nach der Primuskatastrophe, deren Opfer weitgehend Sozialdemokraten waren, kam es zu einer Art Burgfrieden.

Die Eilbeker Sozialdemokraten sahen nach dem Spendenaufkommen die Kirche nicht mehr als Institution zur Volksverdummung.“ 8)

„Gemeinsam lasen von Ruckteschell und Interessierte im Rahmen der ‚Klassischen Abende‘ in der Friedenskirche klassische Literatur. Auf Betreiben von Ruckteschell wurde zudem ein neues Gemeindehaus errichtet, welches einen Treffpunkt für alle darstellen sollte. Es wurde 1908 eingeweiht und 1943 bei alliierten Luftangriffen zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschloss die Gemeinde, anstelle des Gemeindehauses ein Altenheim zu errichten.“ 9) Diese wurde nach ihm benannt.

Pastor Günther Severin schreibt weiter über Nicolai Ruckteschell: „Nicolai v. Ruckteschell war ein wenig konventioneller Mann. (…). Er war auch ein sehr spontaner Mann. Er strafte z.B. mit der Reitpeitsche zwei Jungen ab, die bei ihm bettelten und dann falsche Angaben über die Adresse ihrer Eltern machten. Das führte zu dem so genannten Eilbeker Prügelskandal. (…). Eine alte Dame im Ruckteschell-Heim sagte mir, sie wundere sich, dass dieses Heim nach dem prügelnden Pastor benannt worden sei. (…)

1908 ehrte ihn die Kieler Universität mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde: Er habe theoretisch und vor allem praktisch die Bedeutung der einzelnen Gemeinde für die Kirche herausgestellt.“ 10)
Ruckteschell starb in Hamburg an Krebs.