Rückertstraße
Eilbek (1866): Friedrich Rückert (16.5.1788 Schweinfurt – 31.1.1866 Neuses bei Coburg), Dichter, Übersetzer für orientalische Sprachen. Freimaurer.
Friedrich Rückert wurde als Sohn von Maria Barbara, geb. Schoppachin (1766-1835) und des Advokaten Johann Adam Rückert (1763-1831) in Schweinfurt am „Markt 2“ geboren. Seine Mutter stammte aus einem alteingesessenen Schweinfurter Ratsgeschlecht. Ihre Mutter, also Friedrich Rückerts Großmutter, Sabina Barbara, geb. Stör (1728-1794) wurde nach acht Ehejahren von ihrem ersten Ehemann, ein Coburger Kaufmann, verlassen. Kurz darauf ging sie eine Liaison mit dem 13 Jahre jüngeren Schweinfurter Juristen Johann Friedrich Schoppach (1741-1787) ein. Gemeinsam bekamen sie die uneheliche Tochter Maria Barbara, Friedrichs Rückerts Mutter. Zwei Jahre nach der Geburt der Tochter trennte sich Sabina Barbara von ihrem Geliebten, um den 14 Jahre jüngeren Kaufmann Johann Philipp Till (1742-1769) zu heiraten. Er starb nach drei Ehejahren infolge eines Duells. Schließlich kehrte Sabina Barbara zu ihrem einstigen Geliebten und Vater ihrer Tochter zurück und heiratete ihn.
Wegen ihrer gesellschaftlich hohen Stellung hatte sich Rückerts Großmutter ein Leben nach ihren Liebesvorstellungen leisten können. „Rückert war sich zeitlebens der Rolle, die seine Herkunft mütterlicherseits für sein Verhältnis zu Schweinfurt als Heimatstadt spielte, sehr wohl bewußt, weshalb er häufiger von seiner ‚Mutterstadt‘ als von der sprachlich eigentlich üblichen Vaterstadt sprach.“ 1)
Friedrich Rückerts erste große Liebe hieß Agnes Müller (1796-1812). Sie starb wenige Monate nach dem Kennenlernen am 9.6.1812 im Alter von 16 Jahren an einem Blutsturz. Ihr Grab befindet sich in Rentweinsdorf. „Sie war die Tochter des Mannes, der damals als Rentmann für die Finanzen in Rentweinsdorf zuständig war. Durch des Vaters Beruf gehörte die Jugendliche Agnes Müller zu den Kreisen der Oberschicht und verkehrte am Wochenende immer wieder in dem Freilichtvergnügungspark bei den Gereuther Tannen. Auch der junge Rückert kegelte, tanzte und vergnügte sich an diesem Platz.“ 2) So lernten sich die beiden kennen und lieben. Bei Agnes Müllers Beerdigung war der damals 24-jährige Rückert zugegen und nahm sich eine Haarlocke der Verstorbenen zur Erinnerung. Diese band er sich um den Hals. Den Tod seiner großen Liebe verarbeitete er in seinen 41 Gesängen „Agnes Totenfeier".
Wenige Monate später lernte Rückert im Wirtshaus „Auf der Specke“ in Eyrichshof die Wirtstochter Marie Elisabeth Geuss (geb. 20.2.1796) kennen. „Es interessierte sie, wie er dichtete, und so überließ die Familie dem Poeten ein Gästezimmer in ihrem Haus. Mehr aber empfand die Wirtstochter nicht für Rückert. Nur wenige Monate hielt diese Liaison, dann merkte auch Friedrich Rückert, dass es bei dieser Frau nichts zu holen sei. Ein Wiedersehen der beiden ergab sich einige Jahre später in Coburg. Doch fielen dabei keine Worte.“ 3)
Ihr, die Marilies genannt wurde und die Rückert in „Amaryllis“ (die Bittere) umbenannte, widmete Rückert 70 leidenschaftliche Sonette. So entstand 1812 „Amaryllis, ein Sommer auf dem Lande“. In diesen Sonetten „verdichtet er seine Leidenschaft, seinen Zorn, seine spärlichen Glücksmomente. Schimpf- und Kosenamen künden vom Wechselbad der Gefühle: Liebling, junge wilde Hecke, Thessalierin, einziges Lamm, Fürstin, feindselige Fee, Unempfindliche, Tolle, schöne glatte kalte goldene Schlange, schöne scheue Taube, süßeste der Spinnerinnen, Kaltgesinnte.‘ Doch alles ist vergebens. Außer einigen Küssen und scheuen Zärtlichkeiten scheint der Dichter von Marielies nicht das bekommen zu haben, dem sein Sinnen und Trachten galt. Seinem Freund Stockmar klagt er: ‚Meine Bittre quält mich bis zum Tod; sie ist ein Satan, und ich ein Narr.‘ Zwischen Jauchzen und Trübsinn bewegt sich seine Gefühlslage. Mal packt ihn die Begeisterung für die Poesie, mal hadert er mit sich und seinem Schicksal. Einerseits ist ihm die Welt abhanden gekommen, nörgelt er an sich herum, verfällt in Selbstzweifel und Passivität, andererseits entwirft er große Zukunftspläne. Es dauert einige Zeit, bis er die Aussichtslosigkeit seines Werbens erkennt und den Laufpass akzeptiert. (…)“ 4)
1821 lernte er dann in Coburg eine Frau kennen, die seine Liebe erwiderte und mit der es noch im selben Jahr zur Heirat kam. Sie hieß Luise Wiethaus-Fischer (1797-1857) und war die Tochter des Archivars Fischer, bei dem Rückert Quartier bezogen hatte. Rückert widmete ihr den von ihm 1821 verfassten und 1834 gedruckten Gedichtezyklus „Liebesfrühling.“
„So wahr die Sonne scheinet, / So wahr die Wolke weinet, / So wahr die Flamme sprüht, / So wahr der Frühling blüht; / So wahr hab’ ich empfunden, / Wie ich dich halt’ umwunden: / Du liebst mich, wie ich dich, / Dich lieb’ ich, wie du mich.“
Das Paar bekam zehn Kinder. Drei von ihnen starben früh. Rückert widmete ihnen seine Kindertodtenlieder (Winter 1833/34).
Luise Rückert hielt ihrem Mann den Rücken frei von den „Dingen des Alltags“. Um seine Familie zu versorgen, da er als Publizist nicht genügend verdiente, nahm er 1826 eine Professur für orientalische Sprachen in Erlangen und später 1841 in Berlin an. 1848 wurde er aus dem preußischen Staatsdienst entlassen und zog mit seiner Familie auf sein Gut in Neuses, das seine Frau Luise mit in die Ehe gebracht hatte.
Allgemein heißt es, dass kaum eine Frau der Weltliteratur so mit Gedichten geehrt wurde wie Luise Rückert. Die Lieder, mit denen Rückert seine Frau besungen hat, sind von vielen Komponisten vertont worden.
Luise Rückert war aber nicht nur eine gute Hausfrau und Mutter, sondern sie konnte auch sehr gut Briefe schreiben.
Zum 150. Todestag von Luise Rückert hielt am 14. Juni 2007 die SPD-Abgeordnete Ursula Lanig aus Erlangen ein Grußwort:
„Warum ehren wir Luise Rückert hier in Erlangen?
Wir gedenken heute an dieser Stelle Luise Rückerts, geb. Wiethaus, der Gattin des Orientalisten und Dichters Friedrich Rückert und Mutter seiner sechs Kinder. Am 26.6.2007 jährt sich ihr Todestag zum 150. Male. Ihr Leben war beispielhaft für den Alltag von Professorengattinnen im 19. Jahrhundert: da die Professoren damals vor allem in ihren Privatwohnungen unterrichteten, wurde zum einen eine geräumige Wohnung benötigt, zum anderen war man in dieser Wohnung nicht ‚privat im Kreise der Familie‘, wie wir das heute gewohnt sind. Über den Alltag Luise Rückerts informiert Ingeborg Forssman, (…) in dem höchst lesenswerten Buch ‚Die Erlangischen Mädchen sind recht schön und artig...‘, das Nadja Bennewitz und Gaby Franger zum Stadtjubiläum 2002 herausgegeben haben. Luise Rückert kann (beinahe) als Erlangerin gelten: Ihre Mutter Luise Magdalene Wiethaus geb. Doppelmeyer stammte aus dem Gasthof ‚Blaue Glocke‘ in der Hauptstraße. Luise Rückert kehrte 1826 also quasi heim, als sie mit Friedrich Rückert nach Erlangen zog. (Der Dichter hatte sich 1811 in Jena habilitiert und wurde hier Professor für orientalische Sprachen). 1830 zogen die beiden in dieses Haus, sie brachten 2 Kinder mit, 3 wurden hier geboren, und waren froh über die große Wohnung. Luise schreibt an ihren Vater: ‚Wir bekommen 8 heizbare Zimmer ... und eine Unzahl Kammern und Remisen, eine sehr gut eingerichtete Küche, Hof, eigenen Garten ... Die Hauptsache ist: dass kein Eigentümer im Haus wohnt‘. In diesem Haus wohnte die Familie Rückert auch, als die beiden Kinder Ernst und Luise mit 5 und 3 Jahren starben, Julius war wenige Stunden nach der Geburt gestorben – für Luise und Friedrich Rückert ein schwerer Schicksalsschlag. Die berühmten, 1872 erst posthum veröffentlichten ‚Kindertotenlieder‘, von denen Gustav Mahler 6 vertonte, legen davon ein berührendes Zeugnis ab. Eigentümerin des Eggloffsteinschen Palais [in dem die Familie Rückert wohnte; R.B.] war schon damals die Stadt Erlangen. Allerdings hat sie den Rückerts sieben Jahre später wieder gekündigt, aus ‚Eigenbedarf‘, wie man heute sagen würde. Auch dies traf Luise tief, denn sie musste alle Umzüge organisieren; dieser war in Erlangen schon der dritte, und ein vierter folgte noch. Friedrich Rückert war die Stadt, auch durch die vielen Umzüge, allmählich verleidet, und er verließ sie 1841 nicht ungern, zumal er in Berlin ein weit höheres Gehalt bekam. Aber Luise bewahrte Erlangen eine freundliche Erinnerung, und sie schrieb in einem Brief aus Berlin ‚Ich ginge doch mit höchster Freude gleich wieder ins stille Erlangen‘.
In unserer Stadt findet sich im botanischen Garten mit der Bienenbeute ein anrührendes Denkmal, das Luise mit ihren beiden verstorbenen Kindern zeigt. Die Tafel, die wir heute enthüllen, erinnert nicht nur an Luise, sondern an die ganze Familie, besonders auch an den berühmten Dichter! (…).“ 5)
Luise Rückert starb nach langer lymphatischer Erkrankung. Kurz vor ihrem Tode, als sich die Krankheit verschlimmerte, schrieb Friedrich Rückert am 18. Juni 1857 an Friedrich Schubart: „Meine liebe Frau ist seit mehreren Wochen eine sterbende, sie mir erhalten zu sehen, kann ich kaum hoffen; wie es aber mit mir nach ihrem Verluste werden soll, seh’ ich noch gar nicht ab, denn ich verliere in ihr nicht nur die liebevolle Gefährtin, sondern auch meine Geschäftsführerin, die mir alle weltliche Sorgen abgenommen hatte, die nun auf meine müden Schultern zurückfallen sollen.“
Nach dem Tod Luises 1857 soll sich seine Schwiegertochter Alma, geb. Froriep (1832-1910) die nächsten neun Jahre um Rückert gekümmert haben. Ihr dankte er zu Weihnachten 1865 mit einem Gedicht:
„Zeitungsbringerin,
Fliegenwedelschwingerin,
(…)
Unbelohnt Taglöhnerin,
Allzeit frohe Frönerin,
Liebliche Verwöhnerin:
Nimm dies Liebeszeichen hin,
Wie ich dir dankbar bin.“ 6)
Alma war seit 1856 mit Rückerts Sohn Emil August Theodor (1826-1880) verheiratet, der den Lebensunterhalt seiner Familie als Rittergutsbesitzer bestreitete.
Die Tochter Marie (1835–1920), das achte Kind des Ehepaares Rückert, blieb unverheiratet und veröffentlichte nach Rückerts Tod Teile von dessen Alterslyrik („Poetisches Tagebuch“).
Gedicht von Friedrich Rückert: Die achtundzwanzig Frauen des Mondes
„Der Mond, der keusche Mond, hat achtundzwanzig Frauen, Die jede sich ihr Haus umher am Himmel bauen. Er zieht von einem Haus zum andern jede Nacht, Ein Monat lang, bis er den ganzen Weg vollbracht. Von einer wandert er zur andern, Nacht für Nacht, Bis er den Weg von vorn im nächsten Monat macht. Gern möchte jede ganz für sich allein ihn haben, Die andern leiden`s nicht, die sich auch wollen laben. Doch jede hält zurück den eilenden Verräter, Daß er kommt jede Nacht fast um ein Stündchen später. Die Frauen alle sind betrübt um seine Flucht, Doch von zwiefacher Art ist ihre Eifersucht. Der vierzehn ersten will ihn jede besser pflegen, Und vierzehn Nacht lang wird er heller stets deswegen. Und bei der vierzehnten ist seine Wonne voll, Die vierzehn folgenden erfüllet das mit Groll. Und um die Wette plagt jede der ungelinden Stets ungelinder ihn, bis er voll Gram muß schwinden. Von ihnen rettet er mit ganz geschwundnem Glanz Sich zu den ersten, die ihn wieder pflegen ganz.
So geht`s dem Ehemann des Himmels, weil beschieden Ihm sind mehr Frauen, als verträgt des Hauses Frieden. Ja, wohnte jede nicht im eignen Haus geschieden, In einem Hause ging`s noch wen`ger als hienieden. Darum begnüge du dich fein jahrein jahraus Mit einem einz`gen Weib in einem einz`gen Haus; Daß mit der einen du dich besser mögest stehn, Als dort der arme Mann mit acht und zweimal zehn. Doch wenn`s der Himmel will, so stecken achtundzwanzig Mondfrauen auch vereint in einer mondenglanzig. Dann, wenn du wechselweis von achtundzwanzig Launen Gepflegt wirst und geplagt, so laß dich`s nicht erstaunen. Doch wenn mondgläubig du und mondandächtig bist, Vernimm, zur Heirat wann du wählen sollst die Frist. Im ersten Viertel, wann Mondfrauenlieb`im Steigen, Im letzten Viertel nicht, wann sie ist schlimm im Neigen. Im ersten Viertel, nicht dem Vollmond selbst zu nah`;
Denn auf die Fülle folgt die schlimme Neige ja.“
Rückert als Professor für Orientalistik
Rückert machte ‚die Deutschen mit den homoerotischen Aspekten der islamischen Literatur vertraut‘. In diesem Anliegen traf er sich mit August von Platen [siehe: Platenstraße], der sich Rückert anvertraute und ihm mitteilte, dass alle seine ‚Hafiz‘-gedichte ‚aus dem innersten Gefühle des Dichters für eine liebenswürdige Persönlichkeit‘ – seinen Freund Otto von Bülow – geschrieben worden seien“, schreiben Bernhard Rosenkranz und Gottfried Lorenz in ihrem Buch „Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt.“ 7)
In seinem Gedicht „Esma“ macht Rückert deutlich, dass der Prophet Muhammed die Frauen in ihrer angestammten Rolle als Hausfrau und Mutter ebenso ebenbürtig vor Gott bewertet wie die Männer mit ihren angestammten Privilegien in einem Patriarchat.
Wen preisen wir in diesem Lied?
Esma, die Tochter des Irsid,
Die vor Mohammed den Propheten
Als Abgesandtin kam getreten,
Und sprach: Du bist uns, Gottgesandter,
Statt Väter, Mütter und Verwandter;
Gott segne und befriede dich!
Es ist in fern und nahen Gauen
Nicht eine unter allen Frauen,
Die ebenso nicht denkt wie ich.
Du bist gesandt an groß und kleine,
Der Männer und der Frau’n Gemeine,
Und alle glauben unverwandt
An dich und den, der dich gesandt.
Doch wir die Frau’n sind eingeengt,
In euer Haus zurückgedrängt,
Um aufzunehmen eure Lüste,
und eure Kinder an die Brüste;
Indessen ihr, die Männer frei
Der Volksversammlung wohnet bei
Und der Versammlung zum Gebet,
Aus Wallfahrt und auf Reisen geht,
Und, was der größte Vorzug bleibt,
Des heil’gen Krieges Werk betreibt.
Wenn ihr nun seid gezogen aus
Als Pilger oder Überwinder,
So hüten wir für euch das Haus,
Und ziehen groß für euch die Kinder.
Wird, Gottgesandter, nach dem allen
Uns gleicher Lohn wie euch zufallen?
Da wandte der Prophet zu seinen
Gefährten sich: Will es euch scheinen,
Dass jemals bessre Red’ ein Mann
Als dieses Weib für sich begann?
Dann sprach er: Geh mit Gottvertrauen,
O Weib, und sag’ es allen Frauen:
Wo eine ihrem Gatten treu,
In rechter Zucht und rechter scheu,
An Demut und an Sanftmut reich,
Tut ihre Pflicht, das wieget gleich
Dem andren all, und nicht am Lohne
Sei sie verkürzt vor Gottes Throne.
Da ging sie hin mit frohem Gang,
Von Freude Strahlend Aug’ und Wang’,
Anstimmend Gottes Lobgesang. „ 8)
Rückert und Antisemitismus
Der Historiker Felix Sassmannshausen schreibt in seinem für das Land Berlin verfassten Dossier über Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: „In seinen Gedichten bedient sich Rückert teilweise traditionell antijüdischer Motive.“ 9) Sassmannshausen gibt als Handlungsempfehlung für den Umgang mit diesem Straßennamen: „Dünne Quellenlage, weitere Forschung, gegebenenfalls Kontextualisierung.“ 10)