Benatzkyweg
Rahlstedt (1972): Ralph Benatzky (5.6.1884 Mährisch-Budwitz -16.10.1957 Zürich), Operettenkomponist
Siehe auch: Kálmánstraße
In erster Ehe war Ralph Benatzky von 1909 bis 1914 verheiratet mit der Sängerin und Schauspielerin Fédi Férard (eigentlich Eugenie Ninon Decloux) (geb.1.2.1887 Grenoble). 1910 promovierte Benatzky zum Dr. phil. Mit seiner Frau: „(…), die Heinrich Mann zur Konzeption der 'Lola' aus dem Roman PROFESSOR UNRAT anregte, gelingt der Durchbruch. Bald singt man quer durchs Kaiserreich: ‚In Büsum gibt's einen Keuschheitsverein‘.“ 1)
1914 lernte Benatzky Josma Selim, eigentlich Hedwig Fischer (23.2.1887 - 25.8.1929 Berlin) kennen, eine damals vor ihrer Ehe mit Benatzky schon bekannte Chansonnière. Nach einem Konzert, auf dem Benatzky mit seiner Frau Fédi Ferard aufgetreten war, war Josma Selim auf den Komponisten zugegangen und hatte sich eine Liedkomposition von ihm gewünscht. Doch Benatzky war zunächst nicht darauf eingegangen. Aus diesem Gepränkel entwickelte sich ein Liebesverhältnis. Noch im Jahr des Kennenlernens heirateten die beiden und traten fortan fast nur noch gemeinsam auf. Im Wikipedia Eintrag zu Josma Selim heißt es: „Josma Selim [soll] ihre Gesangsnummern lapidar etwa mit diesen Worten anmoderiert [haben]: ‚Und jetzt ein Wienerlied, ‚Ich muß wieder einmal in Grinzing sein’. Musik und Worte wie bei allen meinen Liedern von Doktor Ralph Benatzky. Am Flügel der Komponist.‘ (…) Benatzky schrieb für seine Frau unzählige Couplets und Lieder, eine Synthese aus dem Wienerwald und dem französischen Chanson. Fortan traten beide mit ihrem eigenen Chanson-Programm ‚Heitere Muse‘ im Wiener Kabarett ‚Simplicissimus‘ und bei Gastspielen in den europäischen Hauptstädten auf. Das Erfolgsrezept des gefeierten Künstlerpaares waren Benatzkys brillante Texte und seine ausgefeilten Melodien, die Josma Selim mit Charme und Witz vortrug. Im Jahr 1924 beschloss das Paar, ‚wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten‘ nach Berlin zu ziehen, (…).“2)
Später kam es zwischen den beiden zu einer tiefen Ehekrise. 1929 starb Josma Selim, -Inge Jens dazu, die zu Benatzky geforscht hat:„wie es offiziell heißt - an den Folgen einer Lungenentzündung, die sie sich bei einer Bootspartie auf dem Wannsee zugezogen hatte. In einem ergreifenden Tagebuch-Eintrag vom 11. November des gleichen Jahres gibt Ralph Benatzky Rechenschaft über die ‚heikle Intensität‘ und die dunklen Seiten einer Künstlerehe, die zum Schluss zusätzlich durch eine intensive Beziehung zu der Staatsopern-Tänzerin Mela Hoffmann gefährdet wurde. Im März 1930 heiratet Benatzky [die Tänzerin] Mela Hoffmann, gesch. Rothmüller[22.7.1905 Wien -1983] - 'Kirschi', wie er sie ihrer dunklen Augen wegen nennt - und dokumentiert mit der Wahl seiner Partnerin auch für sich selbst, dass es im Künstlerischen so wie im Privaten keine Fortsetzung des Bisherigen geben wird. Der Komponist und Poet wendet sich anderen Formen zu: Der Operette und dem musikalischen Lustspiel, einer Gattung, in der er mit MEINE SCHWESTER UND ICH oder BEZAUBERNDES FRÄULEIN Triumphe feiert. Hier, in einer kabarettistisch gefärbten Musik-Story findet er am leichtesten den eigenen Ton. Doch der Schaffensprozess wird zeitlebens als mühsam empfunden – ‚Ich glaube, man ringt sich nur über die große Anstrengung zur Leichtigkeit durch‘ (Tagebuch 16. März 1930).“ 3)
Benatzky soll bereits in den 1920er-Jahren die Gefahr durch den Nationalsozialismus erkannt haben. Fritz Hennenberg schreibt dazu: „schon im Juni 1924 [machte er sich] über das ‚hakenkreuzlerische Leben‘ auf der ostfriesischen Insel Borkum lustig: ‚Urgermanen mit Wampe und Nackenspeck, mit rückwärts rasiertem und oben hahnenkammartig durch eine Scheitelfrisur gekrönten Schädel, langbeinige, hängebusige Germaninnen, arisch-arrogant oder hühnerhaft, provinzlerisch-gackernd...‘ Der Wahlsieg der Nazis 1933 kommt für ihn nicht überraschend; der Nationalsozialist ist für ihn ‚in seiner blonden, goischen Präpotenz, Großschnauzigkeit, arroganten Halbbildung, die auf Schlagworte fliegt und von ihrer Bedeutung durchdrungen ist ... vielperzentig der Typus der Piefkeschen Mehrheit‘. Doch hängt er der Illusion nach, dass die Nazis, an die Macht gekommen, 75 Prozent ihrer Forschheit aufgeben und Kompromisse schließen würden. Über die Terroraktionen Hitlers gegen den Marxismus und Kommunismus empörte er sich auf seine Weise und sah sie als den Auftakt zu Hitlers Untergang an. (…)
Als Benatzky Hitlers erste Auftritte als Reichskanzler verfolgt, nennt er ihn zwar einen ‚Phraseur‘, zeigt sich aber von der Rhetorik durchaus beeindruckt. Er fragt sich, wie sich die neuen Tendenzen ‚aufs Theater und so‘ auswirken werden.
Die Judenhetze der Nazis sieht er als inszeniert und als ‚Augenauswischerei‘, als Ablenkungsmanöver an; die mörderischen Folgen scheinen undenkbar zu sein. Immerhin gerät er als einer der Ersten ins Visier: Er ist mit einer Jüdin verheiratet, seine Librettisten sind weitgehend Juden, und umgehend wird auch er zum Juden erklärt. So bereits im Frühjahr 1933 in der Zeitschrift ‚Deutsche Kulturwacht‘. Sein Berliner Verleger fordert bei ihm eine beglaubigte Abschrift des Taufscheins und den Stammbaum an, ansonsten habe er in Deutschland keine Chance. Ein Dementi wird veröffentlicht; doch gilt er nunmehr, seiner Mitarbeiter wegen, als ‚Judensöldling‘. Zwar wird er im Oktober von dem für das Theater zuständigen Reichskommissar Hans Hinkel als ‚Arier‘ anerkannt; als aber 1935 ‚Das musikalische Juden-ABC‘ erscheint, ist er dort aufgenommen.
Bei der Neuauflage wird es richtiggestellt; doch die Verunsicherung bleibt, und die Angriffe gehen weiter. Der Fall wird an höchste Stellen getragen, und 1938 beschäftigt sich Goebbels persönlich damit. Die Untersuchung bestätigt den Ariernachweis, und am 15. Juli notiert Goebbels in seinem Tagebuch, dass Benatzky nunmehr ‚freigegeben‘ sei. (…)
Benatzky gilt zwar als ‚nichtarisch versippt‘, ist aber Mitglied der Reichskulturkammer und mit ministeriellen Sondergenehmigungen tätig. 1937 hat er die Musik zu dem ersten Zarah-Leander-Film der Ufa ‚Zu neuen Ufern‘ komponiert. Dann wird er wegen seiner jüdischen Frau ausgebootet.
Überraschenderweise knüpft die Ufa 1939 eine neue Verbindung zu ihm und bietet ihm einen Film mit Zarah Leander an; seinem Tagebuch nach hat er die Sache verzögert. 1941 – längst ist er nach New York emigriert – trifft ein neuer Auftrag ein, nun gleich für vier Filme. Benatzky schlägt ein; noch am 20. Mai des folgenden Jahres – seit dem 11. Dezember 1941 stehen Deutschland und die USA im Kriegszustand – depeschiert ihm sein Schweizer Mittelsmann, dass der Ufa-Vertrag einzuhalten sei. Am 9. Juli 1942 vermerkt Benatzky im Tagebuch, dass er die Titel für den Zarah-Leander-Film ‚rechtzeitig und ordnungsgemäß‘ geliefert habe. Am 3. März 1943 kommt der Ufa-Film ‚Damals‘ in die Kinos. Für die Musik zeichnet Lothar Brühne; und doch ist im Vorspann eigens vermerkt, dass Benatzky – der Emigrant! – ein Chanson beigesteuert hat.“ 4)
Schon 1932 hatte das Ehepaar Benatzky Deutschland verlassen und war in die Schweiz gezogen. „Die Okkupation der Tschechoslowakei im Frühjahr 1939, die ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aufoktroyiert und damit vor allem seine jüdische Frau unmittelbar gefährdet, zwingt ihn, die endgültige Flucht aus Europa zu erwägen. Nach wochenlanger Orakelbefragung - seinem Aberglauben in glückbringende Zahlenkombinationen und zukunftsweisende Worte - bricht das Ehepaar [1940] zum zweiten Mal in die USA auf. Diesmal bleibt es in New York. Der Emigrant versucht, alte Verbindungen wiederherzustellen und neue zu knüpfen: Grete Mosheim, Max Reinhardt, Erwin Piscator, Erich Wolfgang Korngold, Marlene Dietrich...an alten Freunden ist dank Hitler kein Mangel auf dem neuen Kontinent. Aber trotz aller Anstrengungen - Benatzky komponiert, adaptiert, übersetzt - sieht er keinen Erfolg: Neue Arbeitsmöglichkeiten erschließen sich nicht, das Fremde bleibt unzugänglich. Die Vergeblichkeit der Bemühungen steigert die lebenslängliche Furcht vor Armut zu einer Existenzangst, die in keinem Verhältnis zu den realen Lebensbedingungen steht. Die früh angelegte Neigung zu Melancholie und Depression bricht wieder auf, das Heimweh erstickt jeden Arbeitselan.“5)
1946 kehrte Benatzky in die Schweiz zurück, lebte zurückgezogen in Zürich und starb dort 1957 in einem Sanatorium an einem Herzschlag. Seine Frau überlebte ihn um 26 Jahre.