Kálmánstraße
Rahlstedt (1967): Imre Kálmán (24.10.1882 Siofok/Österreich-Ungarn – 30.10.1953 Paris), Operettenkomponist
Siehe auch: Leharstraße
Imre Kálmán gehörte mit Franz Lehar (siehe: Leharstraße) zu den Begründern der Silbernen Operettenära.
„Immerich Kálmán wurde als Imre Koppstein geboren. Er war der Sohn des jüdischen Getreidehändlers Karl Koppstein und dessen Frau Paula, geborene Singer. 1892 zog er mit seiner Familie vom Plattensee nach Budapest und änderte seinen Nachnamen bei der Aufnahmeprüfung am evangelischen Gymnasium am Deák Ferenc tér in Budapest auf Kálmán.“ 1)
Christa Harten-Flamm schreibt in der Neuen Deutschen Biographie über Kálmáns Werdegang: „Sehr bald zeigte er reges musikalisches Interesse, mußte sich aber das Geld für sein Musikstudium durch Nachhilfestunden und Adressenschreiben verdienen, 15jährig debütierte er erfolgreich als Konzertpianist, konnte jedoch infolge einer Armerkrankung sein Klavierstudium nicht mehr fortsetzen. Er studierte an der Universität Budapest Jus und gleichzeitig, nach Vorstudien bei A. Siklós, an der Landesmusikakademie (…) Komposition und Musiktheorie bei Hans Kößler. Ein Stipendium führte ihn zu den Bayreuther und Münchner Festspielen, der Robert Volkmann-Preis der Landesmusikakademie ermöglichte ihm eine Studienreise nach Berlin. Nach erfolgreichem Abschluß des 4jährigen Musikstudiums arbeitete er 1904-08 als Musikkritiker bei der Zeitung Pesti Napló, versah aber auch – seine juristischen Studien noch weiterführend – kurze Zeit den Dienst eines Advokaturskandidaten.“ 2)
1907 erhielt Kálmán den Franz-Joseph-Preis der Stadt Budapest. „K.s ungewöhnliche Begabung für das heitere Genre zeigte sich in der 1908 in Budapest |sehr erfolgreich uraufgeführten Operette ‚Tatárjárás‘, die, in deutscher Fassung ‚Ein Herbstmanöver‘ genannt, sehr bald auch in Wien, New York, London, Stockholm und Kopenhagen herauskam. Noch im selben Jahr gab er Studium und Kritikertätigkeit auf und verlegte seinen Wohnsitz nach Wien. Hier entstand für Budapest die Operette ‚Az obsitos‘ (‚Der Urlauber‘, 1910), die in Wien ‚Der gute Kamerad‘ (1911) und in einer Neufassung ‚Gold gab ich für Eisen‘ (1914) hieß, und erntete seinen zweiten großen Erfolg mit dem ‚Zigeunerprimas‘ (1912). Den größten Triumph seines Lebens feierte er 1915 mit der ‚Csárdásfürstin‘, (…). Fast jedes Jahr kam er mit einem neuen Werk heraus.“3)
In dieser Zeit lernte er 1910 die acht Jahre ältere Bardame Paula Dworziak (31.5. 1874 – 1928) kennen. Schon bald zogen sie in eine gemeinsame Wohnung. Paula Dworziak unterstützte Kálmán bei seiner Karriere, indem sie den Haushalt führte, sparsam mit Geld umging, denn damals war Kálmán noch nicht so berühmt und vermögend, und ihm durch ihre Häuslichkeit eine ruhige Atmosphäre zum Arbeiten bot. In der Öffentlichkeit wurde Paula Dworzak als Kálmáns Ehefrau wahrgenommen. Doch Kálmán heiratete sie nicht, „vermutlich, weil Paula Dworzak nicht jüdischen Glaubens war. Wie der Sohn Charles Kálmán vermutete, wollte Emmerich Kálmán möglicherweise deshalb mit Paula Dworzak keine Kinder haben, obwohl sie ‚mehrmals guter Hoffnung war‘ (Charles Kálmán im Interview mit dem Autor, München 2001)“4), schreibt Kevin Clarke in seinem Porträt über Vera Kálmán. Und Clarke erwähnt darüber hinaus, dass Kálmán: „sich nicht sicher gewesen (sei), ob die katholische Bardame als Ehefrau ins bürgerliche jüdische Elternhaus gepasst hätte.“5)
Später wurde Paula Dworziak schwer krank. Dies hinderte Kálmán nicht daran, außerhäuslichen sexuellen „Abenteuern“ nachzugehen, besonders mit Tänzerinnen. Dafür hatte er eigens eine kleine Wohnung angemietet. Da er mit diesen Amouren nicht prahlte, sondern stets diskret blieb, verziehen ihm seine Biografen diese „Seitensprünge“ und stellten sich nicht die Frage, ob die schwer erkrankte Paula Dworziak vielleicht darunter gelitten hat.
1924 und 1926 hatte Kálmán mit seinen damals uraufgeführten Operetten „Gräfin Mariza“ (1924) und „Die Zigeunerprinzessin“ (1926) sehr großen Erfolg und machten ihn über Europas Grenzen hinaus bis nach Amerika berühmt.
1928 lernte Kálmán im Wiener Café Sacher die als Kleindarstellerin in Filmen auftretende Vera Makinska (22.8.1907 Perm – 25.11.1999 Zürich) kennen. Zuvor war im Februar des Jahres Paula Dworzak gestorben. Vera Makinska gab sich Kálmán gegenüber als russische Adlige aus.
Für Vera Makinska, geboren als Marya Mendelsons und Tochter des jüdischen Kaufmanns Philipp Mendelsohn und der Sophie Mendelsohn, mietete Kálmán ein Pensionszimmer und verschaffte ihr eine kleine Filmrolle. „Noch während der ersten Aufführungsserie wurde Vera Kálmán schwanger, jedoch von Kálmán zum Schwangerschaftsabbruch gedrängt, (…), so dass sich die Frage einer Eheschließung und eines öffentlichen Bekenntnisses des Komponisten zu Vera Kálmán nicht stellte, die aus Sicht des ‚eingefleischten Junggesellen‘ Kálmán sicher nicht mehr als ein Amuse war. Doch schon im Februar 1929 wurde Vera Kálmán abermals schwanger und entschloss sich, das Kind diesmal zu behalten. Kálmán, um sein bürgerliches Ansehen in der Wiener Öffentlichkeit besorgt und mit den Vorbereitungen zu seinem 50. Geburtstag beschäftigt (…), wollte den Skandal eines unehelichen Kindes vermeiden und heiratete Vera Kálmán am 9. November 1929 in der Jüdischen Kultusgemeinde Wiens. Eine Woche später, am 17. November, wurde Sohn Karl Emmerich Fedor Kálmán geboren.“6)
Über die eheliche Beziehung dieser beiden Personen schreibt Kevin Clarke: „Im Lauf der folgenden Jahre war trotz erheblicher Reibungen zwischen den Ehepartnern die Rollenverteilung klar geregelt: Kálmán war der berühmte Komponist, der im Rampenlicht stand und dessen Werke für Reichtum und öffentliche Aufmerksamkeit sorgten, Vera Kálmán eine Art ‚trophy wife‘ an seiner Seite, die freimütig das Geld ihres Gatten ausgab (…).
Mit der künstlerischen Produktion ihres Mannes hatte sie nichts zu tun. Im Gegenteil, Kálmán schien froh zu sein, wenn Vera Kálmán nicht anwesend war, damit er ungestört arbeiten konnte, während er ihr wiederholt Privatdetektive nachschickte. Das Paar bekam noch zwei weitere Kinder, Elisabeth und Yvonne (…). Das liebevoll-fürsorgliche Verhältnis Kálmáns zu seinen Kindern stand im größtmöglichen Gegensatz zum Verhältnis Vera Kálmáns zu Karl, Elizabeth und Yvonne. ‚Sie holte uns nur hervor, wenn Besuch anwesend war, und präsentierte uns wie Hunde oder bunte Papageien‘, erinnert sich Charles Kálmán. (…). Vera Kálmán selbst schreibt in ihrer letzten Autobiografie: ‚Ich wußte um meine Wirkung und gestehe, ich war eitel und zeigte es gern.‘“ 7)
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in Deutschland und dem Anschluss Österreichs emigrierte die Familie 1938 „nach Zürich, Paris [dort ließ sie sich katholisch taufen] und schließlich nach New York (…), wo ihm 1947 die amerikanische Staatsbürgerschaft zuerkannt wurde.“ 8)
Hier in den USA übernahm Vera Kálmán die Dolmetscherinnenrolle für ihren Mann, der schlecht Englisch sprach. In den USA war Kálmán nicht mehr der gefeierte Komponist, kaum jemand wollte seine Werke spielen. „Aufgrund seines Vermögens und geschickter Börseninvestitionen in den Vereinigten Staaten konnten die Kálmáns indes in Wohlstand leben – zuerst in Hollywood, dann in New York in der 417 Park Avenue. Doch als Vera Kálmán in New York einen Parfümhändler namens Raymond kennen lernte, verließ sie Emmerich Kálmán. Sie ließ sich 1942 scheiden, musste aber feststellen, dass ihre Ehepläne mit Raymond sich zerschlugen, weil dieser sich nicht ebenfalls scheiden ließ.“ 9)
Ein Jahr nach der Scheidung kehrte Vera Kálmán zu ihrem Ex-Ehemann zurück. Das Paar heiratete 1944 erneut. Nun übernahm Vera Kálmán die Managerinnenrolle für ihren Mann. Sie kümmerte sich um „Sponsoren für die Broadwayproduktion seiner neuen Werke“.10) Seine Operette „Marinka“ wurde 1945 im Winter Garden Theatre und Ethel Barrymore Theatre gespielt.
1949 kehrte die Familie Kálmán nach Europa zurück. Kálmáns Werke wurden wieder gespielt. „Geschwächt durch die emotionale Erschütterung der Nachricht, dass seine in Ungarn zurückgebliebenen Schwestern bei einem Gewaltmarsch ins KZ umgekommen waren, einem Herzinfarkt 1947, einem Schlaganfall 1950 sowie einer Kampagne gegen ihn in der österreichischen Presse, die verlangte, den ‚Dollarmillionär‘ zu enteignen und sein Haus in Wien zu konfiszieren, um es den ‚armen‘ Wienern zu überlassen, ließ sich die Familie Kálmán in Paris nieder.“ 11)
Nach dem Tod ihres Mannes wurde Vera Kálmán seine Nachlassverwalterin. Sie „war als glamouröse ‚Operettenwitwe‘ ab den 1960er Jahren eines der prominentesten Gesichter der internationalen Operettenszene, im Fernsehen und in Zeitschriften. Mit ihrem Einsatz für bestimmte Werke ihres Mannes schaffte sie es, Stücke Emmerich Kálmáns wie ‚Die Csárdásfürstin‘ und ‚Gräfin Mariza‘ – beide während der Nazi-Zeit als ‚entartet‘ verboten – dauerhaft ins Repertoire deutscher und internationaler Bühnen zurückzuführen.“ 12)
Kevin Clarke urteilt über Vera Kálmán: „Vera Kálmán war zusammen mit Kirschi Benatzky (1905-1983) [siehe: Benatzkyweg] und Einzi Stolz (1912-2004) [siehe: Stolzweg] eine der legendären ‚drei streitbaren Witwen‘ und eines der prominesten Gesichter der deutschsprachigen Operettenszene in den 1960er bis -90er Jahren. Es ist ihr Verdienst, dass Emmerich Kálmán (1882-1953) bis heute einer der an deutschen und internationalen Bühnen meistgespielten Operettenkomponisten ist. Aber dieser Einsatz beschränkte sich auf eine nur kleine Zahl von Kálmán-Werken, die gezielt beworben und damit nach dem Ende der Nazi-Herrschaft wieder bekannt gemacht wurde, wodurch sich ein einseitiges Bild des Komponisten festsetzte. Außerdem wurde durch Vera Kálmán eine wissenschaftlich basierte Auseinandersetzung mit Leben und Werk Kálmáns erschwert, da sie bis zu ihrem Tod wiederholt Buchautoren mit einstweiligen Verfügungen drohte, die eine Geschichte Kálmáns erzählen wollten, die im Widerspruch zu ihren eigenen Legenden gestanden hätte. (…).“13)