Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Schendelstieg

Langenbek (1988): Eugen Schendel (5.12.1890 Reichenbach – 15.6.1943 KZ Auschwitz ermordet), jüdischer Kaufmann aus Harburg. Opfer des Nationalsozialismus. Stolperstein: Am Radeland 26


An dem Teil der Straße Am Radeland auf der nördlichen Seite der Bahnstrecke Harburg-Cuxhaven, an dem heute die Hamburger S-Bahn (S 3) den Tunnel verlässt und auf dem DB-Bahndamm weiterfährt, befanden sich auch in den 1940er-Jahren bereits viele Schrebergärten. Es ist unklar, wann und warum der Kaufmann Eugen Isidor Schendel, der aus einer jüdischen Familie aus dem Vogtland stammte, sich hier privat niederließ. Beruflich war er vornehmlich auf der anderen Seite der Elbe tätig.

Dort hatte er 1927 ein Stoffgeschäft mit einem großen Tuchlager in der Bergstraße 28/Ecke Alsterdamm (heute Ballindamm) eröffnet, das bald wegen seines reichhaltigen und exquisiten Warenangebots zu den Top-Adressen Hamburgs in dieser Branche zählte. Vor allem seine hochwertigen englischen Stoffe waren bei den Kunden sehr gefragt. Viele bekannte Hamburger Schneider wussten, dass sie bei Eugen Schendel gut bedient wurden und sein Lager zu jeder Zeit gut sortiert war.

Sein Kundenkreis erstreckte sich über ganz Norddeutschland, und deshalb war er auch als Handelsvertreter viel unterwegs. An solchen und auch an anderen Tagen konnte er sich im Geschäft voll und ganz auf die tatkräftige Mithilfe seiner nichtjüdischen Ehefrau Martha, geb. Gerloff (geb. 17.1.1891), verlassen.

Als die jüdischen Geschäftsleute 1938 zunehmend aus dem deutschen Wirtschaftsleben verdrängt wurden, versuchte auch Eugen Schendel, zu retten, was noch zu retten war. Er transferierte einen Teil seines Vermögens nach Dänemark, wo er sich eine neue Existenz schaffen wollte. Doch bevor es dazu kam, wurde er am 8. November 1938 im Zuge der großen Verhaftungsaktion nach dem reichsweiten Pogrom von der Gestapo festgenommen und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert. Nach zwei Wochen gelangte er wieder auf freien Fuß. Anschließend musste er sich mit einem Fünftel seines Vermögens an der „Sühneleistung" beteiligen, die allen Juden für die Beseitigung der in der Pogromnacht verursachten Schäden auferlegt wurde.

Aufgrund der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 12. November 1938 war Eugen Schendel gezwungen, sein Geschäft und sein Tuchlager in der Bergstraße weit unter Marktpreis zu verkaufen. In den folgenden Wochen und Monaten versuchte er, sich finanziell als Handelsvertreter über Wasser zu halten.

Am 4. Mai 1941 wurde er erneut in „Schutzhaft" genommen und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel eingeliefert, weil er als Jude nicht rechtzeitig sein Radiogerät, wie gesetzlich vorgeschrieben, abgeliefert hatte. Diesmal dauerte die Haft einen Monat und einen Tag. Ab 19. September 1941 musste auch er – wie alle anderen deutschen Juden – den „Gelben Stern" tragen.

Im Frühjahr 1942 tauchte Eugen Isidor Schendel unter. Es spricht einiges dafür, dass er in dieser Zeit auch bei Alma Schultz in der Heimfelder Straße 80 Zuflucht fand, denn über sie wurde später berichtet, sie habe in ihrer Wohnung in der Heimfelder Straße 80 vier Wochen lang „einen jüdischen Kaufmann versteckt", der verhaftet worden sei, als er „seine Frau Am Radeland besuchen" wollte.

Am 31. Dezember 1942 wurde Eugen Schendel von der Polizei gefasst und abermals in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Ihm wurde nun vorgeworfen, seine Ehefrau verlassen und seine Unterhaltspflicht versäumt zu haben. Die folgenden Tage und Wochen wurden für Martha Schendel zu einer Zerreißprobe. Nachdem neue Ehen zwischen Juden und Nichtjuden seit der Verkündung der Nürnberger Gesetze verboten waren, versuchten die Nationalsozialisten, auch die Zahl der bestehenden Mischehen zu verringern. Dabei setzten sie die jüdischen wie die nichtjüdischen Partner stark unter Druck. Letzteren wurde für den Fall einer Scheidung die „Rückkehr in den deutschen Blutsverband" mit allen Vorteilen in Aussicht gestellt.

Gestapobeamter Walter Wohlers vom „Judenreferat" gab Martha Schendel zu verstehen, dass ihr Mann nur zu retten sei, wenn sie sich von ihm scheiden ließe. In ihrer Verzweiflung erklärte Martha Schendel sich zu diesem Schritt bereit. Ihre Ehe mit Eugen Isidor Schendel wurde am 4. Februar 1943 geschieden, „da der Beklagte im Mai 1942 unter Verletzung der für ihn geltenden Aufenthaltsbestimmungen die Klägerin verlassen (...) und seitdem nicht mehr für sie gesorgt hat, [womit] er sich einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht [hat].“

Martha Schendels Hoffnungen erwiesen sich als trügerisch. Ihr Mann verlor nach der Auflösung der Ehe mit seiner nichtjüdischen Frau den letzten bis dahin noch wirksamen Schutz vor einer Deportation, was ihr allerdings nicht bewusst gewesen war. 16 Tage später wurde er mit einem Sammeltransport über Berlin nach Auschwitz gebracht. Dort starb er am 15. Juni 1943.

Im späteren Wiedergutmachungsverfahren Martha Schendels wurde die Scheidung für ungültig erklärt. Max Plaut, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg von 1938-1943, bescheinigte ihr nach seiner Rückkehr aus dem Exil: „Dass Sie sich damals scheiden ließen, geschah auf Veranlassung des Gestapobeamten Wohlers, der Ihnen den Tod Ihres Mannes als Folge der Einweisung in das KZ Auschwitz androhte, falls Sie sich nicht scheiden ließen. Andernfalls bestand die Hoffnung, dass er lebend durchkäme. Auf Grund mehrfacher Erfahrung in dieser Hinsicht hatten Sie keine andere Wahl, wenn Sie Ihren Mann retten wollten.“

Text: Klaus Möller, Text entnommen www.stolpersteine-hamburg.de