Schweinfurthweg
Tonndorf (1951): Georg August Schweinfurth (29.12.1836 Riga -19.9.1925 Berlin), Afrikarreisender, Botaniker
Vorher hieß der Weg Am Hochbahnerheim.
Im folgenden Text wird das N-Wort im historischen Zitat voll ausgeschrieben. 1)
Schweinfurth entstammte einer großbürgerlichen und pietistischen Winzerfamilie aus Baden-Württemberg. Um der Rekrutierung für Napoleons Russlandfeldzug zu entgehen, war sein Vater nach Riga ausgewandert. Dort hatte er einen florierenden Weinhandel aufgebaut, mit dem er ganz Russland belieferte und der ihm erheblichen Wohlstand bescherte.
Nach dem Studium u. a. der Botanik, Ethnologie, Paläontologie und Ägyptologie in Heidelberg, München und Berlin führte Georg Schweinfurth von 1863 bis 1866 ausgedehnte botanische Feldstudien in Ägypten, im Ostsudan und in den Küstengebieten des Roten Meers durch und verfasste eine Dissertation über die Pflanzen in den Ländern am Nil. Er studierte geografische Begebenheiten, und mit seinen Erkenntnissen konnten die Karten der Europäer über Afrika weiter präzisiert werden. Finanziert wurde die erste Reise durch seine Mutter, die ihm dafür eine größere Summe aus dem Erbe des Vaters auszahlte.
1869 beauftragte ihn die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin mit der weiteren botanischen Erforschung des Niltals. Diese Expedition wurde finanziert von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die dabei nicht nur rein wissenschaftliche Ziele verfolgte. Nach dem Vorbild der Royal Geographical Society in London hatten sich im Deutschen Reich zahlreiche geografische Gesellschaften gegründet, aus denen sukzessive Kolonialvereine hervorgingen. „Forschungsreisende“ waren Kolonialpioniere, die den afrikanischen Kontinent nach Flora und Fauna, Verkehrswegen und Bodenschätzen untersuchten und ihre Reiseerfahrungen in Publikationen und Vorträgen in Europa verbreiteten. Sie ebneten den Weg für Missionare, Kaufleute und Kolonialtruppen und somit für die weitere Kolonisierung der Länder. Im Wettlauf der europäischen Großmächte um Kolonialgebiete wurde Schweinfurth von der Berliner Akademie beauftragt, „unbekanntes Gebiet in Afrika“ zu erforschen. Von 1868 bis 1871 reiste er über Ägypten nach Khartoum und von dort bis an den Quellfluss des Kongo. Dabei nahm er bereitwillig den Schutz der Karawanen der Elfenbein- und Sklavenhändler in Anspruch, die auf den Routen über Handelsstationen und Söldner, Boote und Schiffe verfügten.
Auf seinen Reisen sammelte der Botaniker nicht nur Pflanzen, sondern auch menschliche Schädel. Er hatte zudem den Auftrag, möglichst detaillierte Informationen zu gewinnen über die Menschen, die er aufsuchte. Er studierte die Lebensweisen der Bongo und Baaka, Schilluk und Dinka sowie weiterer Gemeinschaften. Er porträtierte sie und nahm ihre Körpermaße ab, zuweilen auch unter Zwang: „Mohammed (...) schleppte nun ein seltsames Männlein trotz seines Sträubens vor mein Zelt. (...) ängstlich schreiend klammerte es sich an Mohammed fest und warf scheue Blicke nach allen Seiten. (...) Den kleinen Mann zeichnen und ausfragen war nicht leicht. (...) Er wurde gemessen, gezeichnet, gefüttert, beschenkt und bis zur Erschöpfung ausgefragt.“ Seine Beobachtungen notierte Schweinfurt penibel: „[…] Bartwuchs an Kinn, Backen und Oberlippe findet sich nur außerordentlich vereinzelt, und selbst in solchen Fällen erreicht das Haar kaum 1,5 Centimeter Länge.“ Die Azande und Mangbetu im Kongo bezichtigte er des Kannibalismus, ohne jemals Augenzeuge entsprechender Rituale gewesen zu sein. Die heutige Forschung wirft Schweinfurth vor, dass er sich mit seinen ausgiebigen Beschreibungen über den vermeintlichen Kannibalismus bloß profilieren wollte und dass er versucht war zu verhindern, dass seine Leserschaft Mitgefühl oder gar Sympathie für die Menschen entwickelte, die er beschrieb. Wie viele „Afrikaforscher“ der Kolonialzeit glaubte auch Schweinfurth, dass einige Gemeinschaften durch den Sklavenhandel „sichtbar dem Untergang“ geweiht wären, darum gelte es, insbesondere diese in den wissenschaftlichen Fokus zu nehmen. Seine unfreiwilligen „Forschungsobjekte“ fand der Herrenmensch in den Karawansereien: „Auch kann ich mit Massen operieren, denn hier sind immer einige 300 bis 500 Sklaven auf Lager, abgesehen von den dienstbaren Sklaven, die noch weit zahlreicher sind, sowie schließlich die in der Nachbarschaft angesiedelten Neger, zusammen mindestens 5.000, mit denen ich machen kann, was ich will.“ Schweinfurth hatte in Europa „Antisklaverei-Konferenzen“ besucht und hielt gerne die Fahne der Bewegung hoch. Auf seinen Reisen hatte er dennoch keine Berührungsängste, sich den Karawanen der Sklavenhändler anzuschließen. Ebenso sah er sich berechtigt, sich unbegrenzt an versklavten Menschen zu „bedienen“. Der vermeintliche „Sklavereigegner“ entlarvte sich hier als ein neuer Kolonialherr über Leib und Leben. So hatte Schweinfurth den 15-jährigen Nsewue gegen seinen Willen „mitgenommen“: „Ich ließ mir die zahlreichen Unarten und kleinen Teufeleien, die seiner Rasse eigen waren, ohne Murren gefallen“. Nsewue musste Schweinfurth auf den anstrengenden Forschungsreisen begleiten, wobei er 1871 an Dysenterie starb. „Zum Andenken an manches Vergangene“ „kaufte“ Schweinfurth einen weiteren „Negerknaben“ aus der Gemeinschaft der Bongo, dessen ursprünglicher Name Lebbe war. Die Dinka, die ihn geraubt hatten, nannten ihn Tihm, und ein Sklavenhändler hatte ihm schließlich den arabischen Namen Allagabo („Gottesgeschenk“) Tim gegeben. Nach Schweinfurths Auffassung würde Allagabo Tim als „zivilisierter Mensch“ ein weitaus besseres Leben in Deutschland führen können, als ihm „seine wilde Heimat“ je bieten könne.
1873/74 begleitete Schweinfurth den Bremer Abenteurer und späteren Kolonialbeamten Friedrich Gerhard Rohlfs (siehe: Rohlfsweg) auf einer Expedition in die Libysche Wüste. Nach dieser Reise ließ er sich in Kairo nieder, wo er 1875 die Geographische Gesellschaft gründete. Von dort aus folgten weitere Reisen in die Arabische Wüste. Im Alter von 50 Jahren zog er 1888 mit Allagabo Tim nach Berlin: „Ich betrachtete ihn fortan als mein neues Adoptivkind.“ Mit 13 Jahren schloss Allagabo Tim eine Buchbinderlehre ab, arbeitete als Kellner im Hamburger „Alster-Hotel“, dann fuhr er zur See und war schließlich im Schaustellergewerbe tätig. Schweinfurth wurde zum Ehrenmitglied der Deutschen Kolonialgesellschaft ernannt, ab 1891 war er Mitglied des Kolonialrats und Komiteevorsitzender in der kolonialen Carl-Peters-Stiftung. Er mischte sich nun aktiv in die Kolonialpolitik ein und beriet das Reichskolonialamt im Hinblick auf Landnahme und Verwaltung in den deutschen Kolonialgebieten. In seiner Berliner Rede von 1886 machte er auf die enge Verknüpfung zwischen „Afrikaforschern“ und Kolonialpionieren aufmerksam: „Wir Reisende und Forscher waren bislang wie die Dichter, welche die vergangene Größe der Nation besangen und von der zukünftigen träumten; jetzt müssen die eigentlichen Kämpfer herantreten, um für Deutschland zu streiten. Abenteurer nennt sie der Unverstand und die Scheelsucht der Unvermögenden. Aber ein Abenteurer ist jeder handelnd auftretende Poet, wenn er die Leier mit dem Schwert und den Griffel mit dem Spaten vertauscht.“
Schweinfurth wurde im Berliner Botanischen Garten beigesetzt, für seine „besonderen Verdienste“ wurde seine letzte Ruhestätte später zum Ehrengrab erklärt. Straßennamen in mehreren deutschen Städten ehren den Kolonialpionier. Der Schweinfurthweg in Hamburg-Tonndorf, mit dem der „Afrikaforscher“ gewürdigt wird, hieß bis 1951 Hochbahnerheim.
Text: HMJokinen, Mitarbeit: Frauke Steinhäuser
Hinter dem N-Wort steckt die Bezeichnung „Neger“, die stark diskriminierend ist. Das N-Wort tauchte erstmalig im Zusammenhang mit dem transatlantischen Menschenhandel, mit Kolonialismus und „Rassentheorien“ auf. Das Wort wird im vorliegenden Text ausschließlich im historischen Zitat ausgeschrieben, weil damit deutlich gemacht werden soll, wie rassistisch die beschriebenen Kolonialakteure gedacht und gehandelt haben.