Rohlfsweg
Stellingen (1949): Gerhard Rohlfs (14.4.1831 Vegesack (Bremen) - 2.6.1896 Rüngsdorf), Afrikaforscher. Fremdenlegionär in Algerien, Arzt in Fés, Forschungsreisen durch Afrika.
Vor 1949 hieß die Straße Erlenstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Gerhard-Rohlfs-Weg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1940 bei Erlenstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg: 133-1 II, 38. Anlage 2. Große Umbenennung von 1938. Die neu vorgeschlagenen Straßennamen nach Stadtteilen geordnet unter Angabe der verwendeten Benennungsmotive)
Im Vorwort der von dem Heimatforscher Horst Gnettner verfassten Biographie über Gerhard Rohlfs schreibt der Althistoriker Hans Kloft über Rohlfs: „Als er 1896 im Alter von 65 Jahren starb, war er nicht nur in Deutschland ein bekannter und bewunderter Mann. Abenteuerliche Reisen in Afrika hatten sein Ansehen als Afrikaforscher begründet, das er über Bücher, Aufsätze und Zeitungsberichte beim deutschen Bildungsbürgertum zu verbreiten verstand. Eine weit gespannte Korrespondenz mit Politikern, berühmten Wissenschaftlern und Schriftstellern seiner Zeit unterstreicht seine Rolle als bedeutende und in gewissem Sinne auch einflußreiche Persönlichkeit. Aber er trat auch in voller Überzeugung für das Eingreifen und die Besitznahme europäischer Mächte in Afrika ein, ein offen propagiertes koloniales und imperiales Interesse, das im Deutschen Reich, vor allem in der Aera nach Bismarck, immer mehr Anhänger fand.“ 1)
Gerhard Rohlfs war der Sohn von Marie Adelheid Wernsing und des Landarztes Gottfried Heinrich Rohlfs. In der Neuen Deutschen Biographie heißt es über seine schulische und weitere Entwicklung: „R. verließ zwei Gymnasien ohne Abschluß und trat 1849 als Freiwilliger in den Militärdienst ein; im Krieg gegen Dänemark wurde er nach der Schlacht von Idstedt 1850 zum Leutnant befördert. Ein Medizinstudium an verschiedenen Universitäten brach er zugunsten einer langjährigen Verpflichtung zum Militärdienst ab, der er sich jedoch durch Desertion entzog. 1856-60 kämpfte er bei der franz. Fremdenlegion in Algerien. Seit 1861 in Marokko Militär- und Leibarzt des Sultans und seines Harems in Fes, erwirkte er 1862 seine Entlassung und begann seine Reise- und Expeditionstätigkeit in Afrika. Der zunächst wenig erfahrene Autodidakt hatte Krankheiten, Ausraubungen und Mordanschläge zu erdulden, die ihn lebenslang zeichneten. R. verstand seine Reisen durchaus auch unter kolonialpolitischen Aspekten. Sein nach Algier gereister Bruder Hermann übermittelte R.s erste schriftliche Unterlagen an August Petermann (1822–78) nach Gotha, der diese und weitere Berichte R.s seit 1863 veröffentlichte und ihn finanziell förderte.“2)
Rohlfs: „gelangte als erster Europäer in die Oasen von Tafilet, Twat und Tidikelt. In Salah, dem Hauptort der Tidikelt-Oasen, galt Rohlfs als französischer Spion. Dies zwang ihn, seine Pläne aufzugeben und über Ghadames an die Mittelmeerküste nach Tripolis zurückzukehren. (…) Im Januar 1865 kehrte Rohlfs nach Deutschland zurück, das er fast zehn Jahre zuvor verlassen hatte. (…).
Nach einigen Monaten Aufenthalt in Europa ging Rohlfs als offiziell unterstützter Forschungsreisender erneut nach Tripolis, um von dort (Abreise Mai 1865) das Hoggar-Massiv zu erforschen und nach Timbuktu weiterzuziehen.“ 3)
In Murzuk behandelte Rohlfs, der in seinem Werk „Quer durch Afrika“ die Praxis des Sklavenhandels beschreibt, dessen Gegner Rohlfs gewesen sein soll, einen Sklavenhändler. Dieser übergab ihm als Bezahlung für die erfolgreiche ärztliche Behandlung einen 8-jährigen Jungen, der Ab del Faradj (geboren um 1856, gestorben am 16.2.1931 in Ancona/Italien) genannt wurde, als Sklaven. Rohlfs „behielt“ ihn, nannte ihn Henry Noel (französisch für: Weihnachten), weil er den Jungen um die Weihnachtszeit „geschenkt“ bekommen hatte. „Weil Rohlfs den Jungen nicht allein zurücklassen wollte, begleitete er Rohlfs auf seiner weiteren Reise. Rohlfs nahm ihn später mit nach Berlin, wo ihn der König von Preußen Wilhelm I. auf seine Kosten erziehen ließ.“ 4)
Isabella Schwaderer schreibt in ihrer Abhandlung „Gerhard Rohlfs. Wie waren Forschungsreisende am deutschen kolonialen Denken beteiligt“ sowohl über Rohlfs Gegnerschaft der Sklaverei als auch über das Kind Henry: „Sein Engagement zur Abschaffung der Sklaverei stimmte mit der allgemeinen Meinung in Europa überein; in seinem persönlichen Umgang mit afrikanischen Menschen, insbesondere mit Henry zeigt er sich jedoch als von vorherrschenden rassistischen Theorien beeinflusst und stets überzeugt von seiner und der europäischen Überlegenheit gegenüber den Bewohner*innen der erforschten Region.“ 5)
Und über Henry kommt Isabella Schwaderer zu dem Schluss: „Aus seinem familiären und kulturellen Kontext sehr früh gewaltsam entrissen, erfährt Henry durch den Mann, der ihn ‚gerettet‘ oder in einem undurchsichtigen Handel erworben hat, keine menschenwürdige Behandlung. Rohlfs wird ihn zwar später nach Deutschland bringen, die Verantwortung für seine Erziehung und eine neue Familie wird er jedoch schnell und gerne an andere abgeben.“ 6)
Das Bild, auf dem Henry und Rohlfs zu sehen ist, interpretiert Isabella Schwaderer wie folgt: „Auf dem hier gezeigten Bild wird Henry in einem phantastischen, an einen Zirkus erinnernden Kostüm mit den breiten goldenen Tressen und der orientalisch anmutenden Seidenhose als ein ‚perfektes Accessoire‘ für das im Fotostudio entstandene Porträt Rohlfs‘ missbraucht. Dieser hatte sich inzwischen vom Fremdenlegionär zum respektierten Gelehrten und erfolgreichen Vortragsreisenden gewandelt. Henry mit dem abwesenden, traurigen Blick vervollständigt den mit exotischen Pflanzen versehenen Hintergrund die Selbstinszenierung des Porträtierten, der damit seine ‚Expertise‘ durch einen lebendigen Beweis unterstreicht. Wenn Rohlfs auch als dezidierter Gegner des Sklavenhandels auftrat, perpetuierte er mit diesem Bild das binäre Konstrukt von Herrn und Diener, was die Voraussetzung ist für eine Vorstellung von weißer Überlegenheit.“7)
In Wikipedia ist Henry Noels weiterer Weg und der Umgang mit ihm wie folgt beschrieben: „Im Herbst 1873 verließ Henry Noël in Begleitung von Gerhard Rohlfs Deutschland. Obwohl die Expedition außerordentlich gut ausgestattet war, blieb Noël in Assiut zurück, da Rohlfs befürchtete, dass er den Strapazen der Reise nicht gewachsen sei. Nach Beendigung der Expedition reiste Rohlfs nach Deutschland zurück. Henry Noël blieb in Kairo in der Obhut des deutschen Missionars Trautevetter. Er suchte oft das deutsche Konsulat in Kairo auf und hoffte auf eine Anstellung. Der Kaiser unterstützte ihn weiterhin finanziell. (…).
Zwar arbeitete Noël vormittags beim deutschen Konsulat als Hilfsschreiber, erhielt hierfür aber kein Geld. Gerhard Rohlfs wandte sich an den Kaiser, der eine weitere finanzielle Unterstützung zusagte. Die weiteren Bemühungen Noëls um eine amtliche Anstellung blieben erfolglos. Schließlich gelang es ihm, als Offiziersanwärter in das Freiwilligen-Bataillon der Kairoer Zitadelle aufgenommen zu werden. 1877 bestand er die Rekrutenausbildung. Der Kaiser gewährte weiterhin einen Geldzuschuss. (…). Unter den harten Bedingungen leidend meldete er [Noel] sich krank (…). Der deutsche Arzt Rottmann diagnostizierte einen Bronchialkatarrh und bemerkte eine offensichtliche Nervosität bei Noël. (…). Nachdem der Kaiser von den Schwierigkeiten Noëls erfahren hatte, schlug er Gerhard Rohlfs vor, ihn auf seine nächste Expedition ins Innere Afrikas mitzunehmen. Das deutsche Konsulat in Kairo wurde beauftragt, Henry Noël dem Forscher nach Malta entgegenzuschicken. Doch der seelische Zustand Noëls verschlechterte sich. Er flüchtete sich in Fantasiewelten. (…). Mit Überredung und Gewalt wurde Noël durch den deutschen Konsul auf ein Schiff nach Malta gebracht. Dort fand ein Treffen mit Gerhard Rohlfs statt, in dem Noël Wahnvorstellungen äußerte. Rohlfs musste erkennen, dass es unverantwortlich wäre, Noël auf eine derartig gefährliche Expedition mitzunehmen, und übergab Noël in die Obhut des Konsuls Ferro, bis der Kaiser eine Entscheidung getroffen hatte, dann reiste er ab. (…) Nach einer nochmaligen Untersuchung durch Rottmann in Kairo und einem Bericht an den Kaiser entschied dieser, dass Noël in die Nervenheilanstalt Ancona in Italien gebracht werden sollte. Diese Entscheidung geschah hinsichtlich des dortigen milden Klimas und auch deshalb, weil das Deutsche Reich dort ein Konsulat unterhielt. Durch das Konsulat wurde dem Kaiserehepaar regelmäßig Bericht über Noël erstattet. Am 16. Mai 1879 wurde Noël in die Nervenheilanstalt Manicomio von Ancona, (…) eingewiesen. Die Kosten wurden vom Kaiser bestritten. Noël war dort ein Patient 1. Klasse. Er bewohnte einen eigenen Pavillon. (…) Nach dem Tode von Wilhelm I. und Friedrich III. übernahm Wilhelm II. die Kosten für die Unterbringung. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm der Deutsche Staat die finanziellen Verpflichtungen. Henry Noël verbrachte 52 Jahre in der Heilanstalt. (…).“ 8)
Isabella Schwaderer dagegen analysiert sehr kritisch den Umgang mit Henry Noel: „Henry konnte schließlich weder in Deutschland noch später in Afrika ein selbstbestimmtes Leben führen. Zeit seines Lebens kämpfte Henry Noël um die Anerkennung seines ‚Retters‘ und ‚Ziehvaters‘, eine Rolle, die Rohlfs jedoch nie annehmen wollte. Er starb am 16. Februar 1931 in einer Nervenheilanstalt im italienischen Ancona, wo er 52 Jahre lang gelebt hatte. Man kann ahnen, wie ihn die Verschleppung, Versklavung und Ablehnung von Rohlfs traumatisiert haben. Die Dehumanisierung durch Sklavendienst, Umbenennung und der Bruch mit Heimat, Familie und sozialem Umfeld in einem solch frühen Alter, zudem die ständige Objektifizierung in Bild und Wort sind aufgrund der Quellenlage nicht direkt, aber indirekt durch seine psychischen Folgen und den Klinikaufenthalt belegt.“ 9)
Zurückkommend auf Rohlfs: Dieser war mit Leontine (Lony) Behrens (1850-1917) verheiratet. Die beiden lernten sich 1870 kennen, als der damals 39-jährige Junggeselle zu einem Vortrag in Riga weilte. Dort nahm er Quartier bei dem Weinkaufmann Alexander Schweinfurth. Hier lebte auch Schweinfurths Nichte, die damals 19-jährige Leontine Behrens. Sechs Tage nach seiner Ankunft machte Rohlfs der jungen Dame einen Heiratsantrag. Einen Tag später reiste er nach St. Petersburg. Nach sechswöchiger Verlobungszeit, in der sich die beiden kaum gesehen hatten, wurde geheiratet. Rohlfs schreibt an seine Geschwister über seine Frau: „Ich denke, Eure zukünftige Schwägerin wird Euch gefallen, sie ist hübsch, einfach, kindlich, gut und ohne Ansprüche, 19 Jahre alt. Selbstverständlich musikalisch und gut erzogen.“ Das Paar zog nach Weimar.
Doch wenige Wochen nach der Hochzeit musste Rohlfs auf Geheiß des preußischen Auswärtigen Amtes in Berlin seine Sachen packen, um in den deutsch-französischen Krieg zu ziehen, was er offenbar nicht unwillig tat, schreiben Meike Lütkens, Werner Parusel und Peter Gaida in ihrer Gruppenarbeit zur Biographie des Bremer Afrikaforschers Gerhard Rohlfs und zitieren Rohlfs: .‚Sei nicht traurig‘, ermahnt er seine junge Frau schriftlich, ‚sondern erinnere Dich der Frauen der Römer und Griechen, welche ihre Männer zum Kampfe anfeuerten, wenn es galt, fürs Vaterland zu streiten, und der alten Deutschen, deren Frauen selbst in den Krieg zogen‘, (…).“ 10)
Rohlfs begnügte sich nicht damit, nur die Rolle eines Ehegatten zu übernehmen, er war der Überzeugung, dass er seine Gattin – wie zuvor deren Eltern – weiterhin zu erziehen hätte.
„Mit Eifer arbeitete er an ihrer Bildung, legte ihr interessante und wertvolle Sachen zum Lesen vor, ja er ließ sie sogar Aufsätze machen, die er dann durchsah. Auch ihre Handschrift suchte er zu verbessern.‘ (…)
Großherzog Carl Alexander, der Rohlfs verehrt (…) beschenkt ihn mit einem Grundstück an der Paulinenstraße [Weimar], unweit des Bahnhofs. Und dort wird eine Villa errichtet, die das Paar am 25. August 1873 bezieht: Großbürgerlich, großräumig und großzügig, als eine angemessene Art kulturell - gesellschaftlichen Schwerpunkts des Städtchens, manifestiert dieses Haus den inzwischen erfolgten Eintritt Rohlfs’ in das - nicht-merkantile - Großbürgertum.“ 11)
Der Großherzog schenkte Rohlfs später ein weiteres Grundstück, auf dem Rohlfs – nach dem er die alte Villa verkauft hatte – eine neue, noch größere Villa erbauen ließ und diese 1881 bezog. 1890 zog das Ehepaar Rohlfs an den Rhein.
Frau Rohlfs spielte gern und gut Klavier. Das Ehepaar Rohlfs freundete sich mit Franz Liszt (siehe: Lisztstraße) an, der zwischen 1869 und 1886 in Weimar wohnte und mit dem Frau Rohlfs vierhändig am Klavier spielte. Frau Rohlfs begleitete ihren Mann dreimal nach Afrika, machte dabei aber nicht die gesamten Reisen mit.
Das Ehepaar Rohlfs blieb kinderlos. Der Rohlfs Biograph Horst Gnettner äußert Anfang des 21. Jahrhunderts nach althergebrachter Meinung, dass meist Frauen an der Kinderlosigkeit „schuldig“ sind, die Vermutung, dass die gefährliche Unterleibsentzündung, an der Frau Rohlfs nach siebenjähriger Ehe 1877 erkrankte, der Grund für die Kinderlosigkeit gewesen sein könne.
Meike Lütkens, Werner Parusel und Peter Gaida gehen in ihrer Gruppenarbeit zur Biographie des Bremer Afrikaforschers Gerhard Rohlfs auch auf die Beziehung zwischen Rohlfs und Franz Adolf Lüderitz ein und thematisieren dabei auch Rohlfs Einstellung zum Kolonialismus: „Im Jahre 1884 tritt bremischer merkantiler Geist an den Afrikaforscher heran: In Gestalt von Franz Adolf Lüderitz, geboren in Bremen am 16. Juli 1834. Dieser Großkaufmann, Bremer Bürger, ursprünglich im Tabakhandel, hatte 1878 die Firma seines Vaters übernommen und war - gemeinsam mit seinem Bruder August - bereits Besitzer einer Handelsfaktorei im Bereich von Lagos/Sklavenküste.
Lüderitz hielt Ausschau nach weiteren Unternehmungen: Zusammen mit dem jungen Heinrich Vogelsang, Sohn des Bremer Tabak- und Zigarrenfabrikanten C.E. Vogelsang, im Dienste der Bremer Firma Friedrich M. Vietor afrikaerfahren, faßte er die Möglichkeit ins Auge, eine Kolonie auf dem schwarzen Kontinent zu gründen. Vogelsang war, als Lüderitz’ Emissionär, im April 1883 in Angra Pequena an Land gegangen, später Lüderitzbucht. Das Gebiet dieser Bucht wurde von ihm für Lüderitz erworben: (…)
Lüderitz tritt 1884 an das Auswärtige Amt heran, spricht mit Bismarck, zusammen mit Rohlfs, (…) auf Friedrichsruh.. (…)“ 12)
Die beiden Männer freundeten sich an. „Am Ende hat Lüderitz - vermutlich mit Hilfe seitens Rohlfs’ - sein Ziel erreicht: Am 7. August 1884 wird in Angra Pequena die Reichsflagge gehißt: Lüderitz’ Besitzungen stehen unter dem Schutz des Deutschen Reiches.“ 13)
Meike Lütkens, Werner Parusel und Peter Gaida, resümieren: „(…) Die von Lüderitz offenbar gesuchte Verbindung zu Rohlfs (…) war, von Rohlfs her betrachtet, keineswegs ohne affektiv - affirmative Zuneigung zu Lüderitz’ Aktivitäten: In seinem 1884 veröffentlichten Buch ‚Angra Pequena‘ begrüßt Rohlfs enthusiastisch den Landerwerb des Bremers - nur fünf Jahre vor der Antikolonialismusrede Bebels [siehe: Bebelallee, August-Bebel-Straße] im Reichstag: ‚Ein freudiges Gefühl durchbebte die Brust eines jeden Deutschen, als im Sommer 1883 die Zeitungen die wunderbare Mär verkündeten, ein Deutscher habe ein bisher unabhängig gewesenes Gebiet an der Westküste von Afrika als eigen erworben.‘“ 14)
Rohlfs war ein starker Befürworter des Kolonialismus. „1882 veröffentlichte er in ‚Unsere Zeit‘ einen langen Artikel mit dem Titel ‘Welche Länder können Deutsche noch erwerben?‘, in dem er seine Ansichten zur kolonialen Frage darlegt. (…) Aus Rohlfs Briefen geht nicht hervor, daß er sich finanziell an einem der zahlreichen zur Erschließung der deutschen Kolonien geplanten Unternehmen beteiligt hätte. Allerdings war er kurzfristig Landbesitzer in Afrika. Als er Konsul in Sansibar war, unterstützte er die Brüder Denhardt, die in Ostafrika das Witu-Land für Deutschland erworben hatten,“ 15) schreibt Horst Gnettner.
Rohlfs war 1885 in seiner Eigenschaft als Generalkonsul des Deutschen Reiches auf Sansibar, nicht nur auf Salme Prinzessin von Sansibar gestoßen, mit der er auch nach ihrer Heirat mit dem Hamburger Kaufmann Ruete noch Kontakt hielt (siehe zu ihr unter: Teressa-Platz). Er traf auch den damals herrschenden Sultan Bargash bin Said. Rohlfs Auftrag hieß, sich mit dem Sultan anzufreunden, um einen für Deutschland günstigen Handelsvertrag auszuhandeln, um so die britische Konkurrenz zu verdrängen. Doch, so Meike Lütkens, Werner Parusel und Peter Gaida:
„Rohlfs gerät unverzüglich in ein Dilemma: Sein britischer Rivale, Sir John Kirk, stellt sich nicht nur als ein liebenswürdiger Gentleman heraus, ist nicht nur ausgebildeter Mediziner: Er ist Forscherkollege von Rang, hat von 1858 bis 1863 gemeinsam mit dem berühmten Livingstone am Sambesi gewirkt. (…)
Und diesen Menschen, so Rohlfs’ Verpflichtung, soll er aus dessen Position des bevorzugten Vertrauten und Ratgebers Bargash bin Saids verdrängen. Solch sophistischer Aufgabe sieht Rohlfs sich nicht gewachsen. Auch der Sultan sieht sich der Frage nicht gewachsen, ob und weshalb er die Bevormundung seitens einer fremden Macht gegen die einer zweiten eintauschen soll.“ 16)
Rohlfs kritisiert auch den vom Sultan betriebenen illegalen Sklavenhandel.
„Rohlfs’ offener Zorn trifft auch die dubiosen Geschäfte, Dr. Carl Peters’ und seiner 1885 gegründeten ‚Deutsch - Ostafrikanischen Gesellschaft‘: Diese bietet in Deutschland Areale auf dem afrikanischen Festland westlich von Sansibar zum Kauf an und verspricht unbefugt, für diesen Landerwerb, der in Wahrheit ein ungesichertes privatrechtliches Unternehmen ist, den Schutz des Deutschen Reiches.
So handelt Rohlfs, der Generalkonsul, und handelt sich unverzüglich Bismarck’s schroffen Tadel ein: Philantropismus liege ‚außerhalb Ihrer Aufgaben‘, ebenso ‚die Beteiligung an der Anti - Sklaverei - Politik der Engländer‘.
Nach nur fünfmonatiger Amtszeit wird Rohlfs im Sommer 1885 zur Berichterstattung nach Berlin beordert, läßt seine Frau auf der Insel, erfährt in Aden durch Zufall, daß sein Nachfolger bereits in Sansibar eingetroffen sei, und in Berlin, daß er selbst abberufen ist. Eine Begründung wird ihm nicht gegeben (…).“16)
Isabella Schwaderer resümiert über Rohlfs und die Beteiligung von Forschungsreisenden am Kolonialismus: „Unbekanntes Land zu bereisen und kartographieren war in der Zeit des entstehenden Kolonialismus ein erster Schritt hin zu seiner militärischen Unterwerfung. (…) Rohlfs hatte eine sehr dezidiert positive Haltung zum deutschen Kolonialstreben und beteiligte sich an der Meinungsbildung dazu in seinen Vorträgen und Artikeln.“ 17)