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Sibeliusstraße

Bahrenfeld (1969): Jean Sibelius (8.12.1865 Hämeenlinna -20.9.1957 Järvenpäa bei Helsinki), Komponist. Freimaurer.


Jean Sibelius war der Sohn von Maria Charlotte Sibelius, geb. Borg und des Militärarztes Christian Gustaf Sibelius, der bereits im Alter von 47 Jahren verstarb – damals war Jean drei Jahre alt. Seine Mutter - nun Witwe – musste Privatinsolvenz anmelden, weil sein Vater durch seinen Lebenswandel – er liebte die Jagd, das Kartenspiel und alkoholische Getränke – stark verschuldet das Zeitliche gesegnet hatte.

Im Wikipediaeintrag zu Jean Sibelius steht über dessen Werdegang u. a.: „Wie Jean Sibelius selbst neigte auch sie [die Mutter] zur Schwermut, fand aber im Gegensatz zu ihrem Sohn Rückhalt im Glauben. Lange Zeit ließ sie sich von Jean Sibelius ausschließlich mit ihrem Vornamen anreden. (…)

Nach dem Tod von Christian Gustaf Sibelius zog Maria Sibelius mit ihren zwei Kindern – das dritte war unterwegs – zu ihrer Mutter, einer Propstwitwe, und deren Ehemann Pehr Borg. (…)

Erste Klavierstunden bekam Sibelius von seiner Mutter und später von seiner Tante. (…) Bereits in seiner Schulzeit komponierte Sibelius erste Jugendwerke, die er aber zunächst in Schränken und Truhen versteckte. (…) In dieser Zeit gründete Sibelius mit Freunden ein Kinderorchester, spielte im Schulorchester, schrieb mit 16 Jahren seine erste datierbare Komposition Luftschlösser und studierte die Lehre der musikalischen Composition von Adolph Bernhard Marx. (…).

Nach seinem Abitur im Jahr 1885 begann Sibelius ein Jurastudium in Helsingfors, besuchte aber gleichzeitig das (…) Musikinstitut von Helsinki. (…)

Nach seinem Studium zog Sibelius in den Kurort Lovilsa, in dem er zehn Jahre zuvor während der Sommerfrische mit Bruder Christian und Schwester Linda ein Trio gegründet hatte.“ 1)

„Von 1889 bis 1890 studierte Sibelius in Berlin bei Albert Becker.“ 2) „Ausgelaugt und durch seinen Lebensstil in Berlin verarmt, kehrte Sibelius nach Hause zurück, wo er von Aino Järnefelt bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Nach einer Zeit der Unsicherheit verlobte er sich erst im Sommer 1890 mit ihr. Obwohl von [dem Schriftsteller] Juhani Aho umworben, hatte Aino sich sofort für Sibelius entschieden.“ 1)

Aino Järnefelt hatte Sibelist über die „Leskoviter“ kennengelernt, „eine Gruppe junger Künstler, (…). Zu dieser Gruppe gehörten auch der Schriftsteller Arvid Järnefelt und dessen Bruder, der Komponist Atmas Järnefelt. (…)“ 1) zu denen deren Schwester Aino gehörte.

Über sie gibt es einen Wikipedia-Eintrag, in dem u.a. steht: „Aino Järnefelt [10.8.1871 Helsinki – 8.6.1969 Ainola, Järvenpää] war die Tochter des finnischen Generals und Provinz-Gouverneurs Alexander Järnefelt und seiner Frau Elisabeth (geb. Clodt von Jürgensburg). [Diese war eine bedeutende Förderin der finnischen Kunst und Literatur]. [Aino] hatte sechs Geschwister, darunter den Schriftsteller Arvid Järnefelt, den Maler Eero Järnefelt und den Komponisten und Dirigenten Armas Järnefelt.

Es war ihr Bruder Armas, der seinen Kommilitonen Jean Sibelius im Winter 1889 der Familie vorstellte. Zu dieser Zeit warb auch der Schriftsteller Juhani Alno erfolglos um Aino.“ 2)

Von Oktober 1890 bis Juni 1891 studierte Sibelist dann in Wien bei Karl Goldmark und Robert Fuchs. Als er 1891 nach Finnland zurückkehrte, „arbeitete [er] zunächst in Helsinki als Musiklehrer an der Universität. Als freischaffender Komponist etablierte er sich erst Jahre später, nachdem er durch eine Staatsrente finanzielle Unabhängigkeit erlangt hatte. 1892 heiratete er Aino, (…). Aus der Ehe gingen sechs Töchter hervor: Eva (1893–1978), Ruth (1894–1976), Kirsti (1898–1900), Katarina (1903–1984), Margareta (1908–1988) und Heidi (1911–1982).“ 3)

„Seit ihrer Verlobung hatten Aino und Jean von einem eigenen Haus auf dem Lande gesprochen und hatten ab 1898 begonnen, eine Immobilie in der Nähe des Tuusula-Sees zu suchen. Als dann Jeans wohlhabender Onkel im Juli 1903 starb, erwarben sie einen Hektar Land in Järvenpää am Tuusula-See und bezahlten von dem Erbteil den Architekten Lars Somck für den Entwurf eines Hauses, dem sie nach Aino den Namen Ainola gaben.

Nach dem Einzug 1904 waren Ainos erste Jahre in Järvenpää von finanziellen Problemen und dem ausschweifenden Lebensstil ihres Ehemanns geprägt. [Die finanziellen Probleme gab es auch schon zuvor, bedingt u. a. durch Sibelius‘ Alkoholkonsum. Nun kamen noch die Schulden fürs Haus und die Kosten fürs Personal hinzu, R. B.]. Um die Familie zu versorgen, legte Aino einen Gemüsegarten an. Nachdem das Paar das Schulgeld nicht aufbringen konnte, musste sie [Aino] zudem die Töchter zuhause unterrichten. 1907 verbrachte sie zur Erholung einige Zeit im Hyvinkää-Sanatorium. [Die finanziellen Sorgen hatten sie nervlich sehr belastet. R. B.]

1908 musste sich Jean Sibelius einer Kehlkopf-Operation unterziehen und verzichtete die nächsten sieben Jahre auf Alkohol. Diese sieben Jahre bezeichnete Aino später als die schönsten ihres Lebens. (…).“ 2)

„Mit der russischen Februarrevolution 1917 begann der Bürgerkrieg in Finnland. Es standen sich das schwedischsprachige Bürgertum, das mit Deutschland sympathisierte, und das finnischsprachige Proletariat, das mit Russland sympathisierte, gegenüber. Die Kämpfe erreichten Ainola; Robert Kajanus erwirkte einen Geleitbrief für Sibelius und seine Familie und verhalf ihnen somit zur Flucht. Die Familienmitglieder kamen in drei Unterkünften unter, Sibelius selbst in der Nervenheilanstalt, in der sein Bruder Kitty als Oberarzt arbeitete. Dort komponierte er die Kantaten Das eigene Land. Das Lied der Erde und Die Hymne von der Erde. (…).“ 1)

Nach dem Ersten Weltkrieg „lehnte er eine Berufung an die 1921 gegründete (…) Musikschule in Rochester im Bundesstaat New York ab, weil er an seinen pädagogischen Fähigkeiten sowie an seinen Englischkenntnissen zweifelte. Während Sibelius’ internationale Erfolge seinen Status als Nationalheld in Finnland festigten und er zahlreiche Denkmäler und Auszeichnungen bekam, verschlimmerte sich sein Tremor, den er mit erhöhtem Konsum von Whiskey und Zigarren zu mildern versuchte. (…).

Im Jahr 1926 unternahm er seine letzte Konzertreise und dirigierte sein letztes Sinfoniekonzert; im Jahr 1931 beendete Sibelius sein kompositorisches Schaffen. (…) Ehefrau Aino wiederum hatte wiederholt mit Sibelius’ alkoholbedingten Eskapaden zu kämpfen. Sibelius wiederum flüchtete sich in den Alkohol, als alle Einnahmen nicht ausreichten, die Kredite zu tilgen

Zu Sibelius’ Spätwerk gehören die 7. Sinfonie C-Dur op. 105, die Sinfonische Dichtung Tapiola sowie seine letzten Werke op. 113 und op. 114 (komponiert um 1929), eine freimaurische Ritualmusik für die Loge Suomi Lodge No. 1 in Helsinki, der er seit dem 18. August 1922 angehörte, sowie Cinq Esquisses für Klavier und die ebenfalls im Jahr 1929 komponierten sieben Stücke für Klavier und Violine op. 115 und op. 116“ 1)

Nachdem Sibelius 1925 seinen 60. Geburtstag begangen hatte, wurde seine „Staatspension (..) verdreifacht; Landsleute des Komponisten sammelten bei einer Sammelaktion knapp 300.000 Mark für Sibelius. (…) [ 1927 ] war Sibelius (..) erstmals schuldenfrei, wodurch sich auch die Beziehung zu Aino entspannte.“ 1)

„In den 1930er Jahren verließen alle Töchter das Elternhaus und Aino wollte nach Helsinki umziehen, um näher bei den Kindern zu sein. Deshalb verlebten Aino und ihr Mann in den nächsten Jahren einige Zeit in Helsinki. 1941 kehrten sie aber auf Grund möglicher Luftangriffe durch die sowjetische Luftwaffe nach Ainola zurück. Jean und Aino blieben dort bis zum Ende ihres Lebens. (…).“ 2)

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde Sibelius – so heißt es in seinem Wikipedia-Eintrag: „ab 1933 [in Deutschland von der dortigen nationalsozialistischen Regierung, R. B.] musikalisch instrumentalisiert und bekam unter anderem zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1935 die Goethe-Medaille mit einer von Adolf Hitler unterzeichneten Urkunde zugesandt. Trotz Wissens um die Judenverfolgung nahm Sibelius die Ehrung an, hat sich aber entgegen der Behauptung des Sibelius-Gegners Theodor W. Adorno niemals zum Dritten Reich bekannt. Um 1930 hatte Sibelius gemeinsam mit Aino zwar mit der Lapua-Bewegung, einer außerparlamentarischen, rechtsradikalen Opposition aus Österbotten sympathisiert, sich dann aber distanziert, als diese zu politischen Morden sowie der Entführung eines ehemaligen Staatspräsidenten überging.

Nach dem Überfall der Sowjetunion auf Finnland am 30. November 1939 im Rahmen des Zweiten Weltkrieges kehrte die Familie Sibelius nach vorübergehenden Abwesenheiten im Sommer 1941 endgültig nach Ainola zurück. Als Finnen an der Seite deutscher Truppen gegen die Sowjetunion marschierten, befürwortete Sibelius dies unter anderem aus Angst vor dem Bolschewismus, ohne aber deswegen mit der Ideologie NS-Deutschlands zu sympathisieren.

Zum Völkermord äußerte sich Sibelius nicht; in einem Tagebucheintrag von 1943 wundert er sich selbst darüber, warum er in der Vergangenheit den ‚Arierparagraphen‘ ernst genommen hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Sibelius auf Grund seiner Instrumentalisierung durch die NS-Regierung nur von wenigen deutschen Dirigenten gespielt.“1)

Die Sibelius Gesellschaft Deutschland e. V. schreibt auf ihrer Website zu der zeitweise vorhandenen Nichtbeachtung der Werke von Sibelius lediglich: „In Skandinavien, Großbritannien und Amerika wurde das Werk des finnischen Komponisten stets vorbehaltlos anerkannt und aufgeführt. In Deutschland, wo viele seiner Kompositionen verlegt worden sind, hat man ihm diese Aufmerksamkeit nicht immer geschenkt. Erst in den späten sechziger Jahren hat eine vorurteilsfreiere Würdigung des Komponisten auch in Deutschland eingesetzt.“ 4)

Corinne Holtz ging 2015 in ihrem Rundfunkbeitrag „Ein Mythos wird entblättert: Sibelius im Gegenlicht“ für den SRF der Frage nach Sibelius‘ Einstellung zum Nationalsozialismus nach. So äußert sie z. B.: „‘Sibelius war sicher kein Nazi‘, er sei jedoch ein strikter Anti-Kommunist gewesen und habe sich die Huldigungen durch das sogenannte Dritte Reich gerne gefallen lassen, sagt Erkki Kohonen, Direktor der Sibelius Hometown Foundation. So kürte man den Komponisten 1935 mit der silbernen Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft und rief 1942 die erste deutsche Sibelius-Gesellschaft ins Leben. Das stiess den nazikritischen Kreisen auf. 1937 hatte sich erstmals der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno mit der folgenreichen ‚Fussnote‘ zu Wort gemeldet und die ökonomisierte Begeisterung für den ‚Magier‘aus Finnland zerpflückt. Sibelius schwieg. ‚Das war ein grosser Fehler‘, sagt Mäkelä [finnischer Musikwissenschaftler], ‚ihm lag es daran, allen zu gefallen.‘ Gefälligkeitsmusik hingegen hatte der auch von den USA und England hofierte Komponist keine komponiert. (…). Über sein Schweigen als Komponist wird spekuliert.

Einem Journalisten nannte er im Rückblick psychische Gründe, hervorgerufen durch ‚Zerstörung und Massenmord‘. (…).“ 5)

Nach dem Tod von Jean Sibelius „half Aino den Schriftstellern Santeri Levas and Erik W. Tawaststjerna dabei, eine Biografie von Jean Sibelius zu schreiben.“ 2)

Mit Sibelius Werk hat sich auch Kathrin Messerschmidt befasst und darüber ihre Promotion am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Kiel geschrieben und 2007 für die Website unizeit der Christian-Albrechts-Universität Kiel einen Beitrag verfasst. Darin schreibt sie z. B.: „Erneuerer der Musik oder Paradebeispiel für naturverbundenes Künstlertum: Die Meinungen über den finnischen Komponisten Jean Sibelius (1865 – 1957) gehen weit auseinander. In Skandinavien, Großbritannien und Amerika wurde sein Werk stets vorbehaltlos anerkannt und aufgeführt, während beim deutschen Publikum, im deutschsprachigen Feuilleton und der akademischen Kritik seine Musik auf ein extrem geteiltes Echo stieß. Die Reaktionen reichen von Ablehnung, ja Verachtung und satirischer Polemik bis zu großer Verehrung und Vereinnahmung für unterschiedliche politische und ideologische Ziele. Nicht nur von der Heimatbundbewegung des frühen 20. Jahrhunderts und von nationalen Strömungen bis hin zum Nationalsozialismus, sondern auch von der DDR wurde Sibelius vereinnahmt. Er galt als Komponist ‚nordischer‘ Klarheit und Stärke, finnischer Geschichte und Nationalität oder als künstlerischer Vertreter des ‚Arbeiter- und Bauernstaates‘ Finnland. (…).

Tatsächlich stand Sibelius weder einer heimatkünstlerischen noch der nationalsozialistischen, geschweige denn einer sozialistischen Ideologie nachweislich nahe. (…). Er sah sich selbst nicht in erster Linie als Nationalkomponist.

Im Zentrum der Kritik und der Begeisterung standen neben den symphonischen Dichtungen vor allem die Symphonien. Gerade diese Gattung jedoch wurde allgemein als eine ‚deutsche‘ Gattung angesehen, deren wichtigste Repräsentanten neben Ludwig van Beethoven [siehe: Beethovenstraße] zum Beispiel Johannes Brahms [siehe: Johannes-Brahms-Platz] und Gustav Mahler [siehe: Gustav-Mahler-Platz] hießen. Gerade im deutschsprachigen Raum musste sich Sibelius also an den Maßstäben einer zu seiner Zeit bereits fast 200 Jahre alten und in Deutschland eifrig verteidigten Tradition messen lassen. Als zentrales Kriterium für eine ‚gelungene‘ Symphonie galt zum Beispiel der Einfall eines angemessenen ‚Themas‘ für die Symphonie. Ein solches ‚Thema‘ sollte – wie das Thema einer Rede – eine nachvollziehbare Einheit und Gliederung des musikalischen Gedankengangs sichern, eine logische Entwicklung durchmachen und zuletzt in einer neuen Formulierung zu einem ‚Ergebnis‘ kommen, also ein Fazit des Werks ziehen.

Gerade in diesem zentralen Punkt weicht Sibelius’ Musik nun von der Tradition ab. Statt mit fest umrissenen musikalischen Themen arbeitet er in seinen Symphonien vielfach mit eher ausgreifenden, kaum mit den alten Begriffen fassbaren ‚Klangereignissen‘. Er inszeniert ‚Belichtungswechsel‘ in der Musik durch schnelle, unvorbereitete harmonische Färbungen oder starke Gegensätze in der Instrumentierung. Statische Klangfelder, in denen nichts zu passieren scheint, werden durch Phasen beschleunigter Veränderungen des Materials abgelöst, die kaum logisch, sondern eher assoziativ zu nennen sind und fast zufällig wirken. (…). Fast unwillkürlich lassen solche Ereignisse bisweilen Bilder von Nebeln, Sümpfen, zerklüfteten Felsen oder sonderbaren Geistern und Göttern vor dem inneren Auge des Hörers erscheinen.

Es ist diese Bildhaftigkeit, die manchem Hörer bis heute merkwürdig vorkommt. Die hergebrachten Kriterien einer ‚absoluten‘ Symphonik, deren musikalische Bedeutung vor allem auf dem Thema und seinem Entwicklungspotenzial beruht, greifen hier nicht. Gleichzeitig eröffnet eben diese Art der Komposition mit Klangcharakteren, mit musikalischen Ereignissen und Stillstand die Vereinnahmung für alle möglichen nationalen, ideologischen und gesellschaftlichen Zwecke.

Sibelius' Musik ist ‚finnisch‘, indem es ihr gelingt, eine assoziative Bildhaftigkeit in die abstrakte musikalische Struktur hineinzutragen, die den Hörer dazu einlädt, sie mit seinen jeweiligen Vorstellungen von Finnland (als politische Nation, als unberührtes ‚germanisches‘ Land, als ‚nordisches‘ Reiseziel) zu verbinden. Sie ist modern, indem sie die Normen und Regeln ihrer Tradition auf sehr individuelle Weise bricht und konstruktiv erweitert.“ 6)