Birtstraße
Wandsbek (1947): Prof. Theodor Birt (22.3.1852 Wandsbek -28.1.1933 Marburg), Altertumsforscher, Rektor der Universität Marburg
Vor 1947 hieß die Straße Roonstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Theodor-Birt-Straße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1947 bei Roonstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Theodor Birts Mutter war Evelina, geb. Haak (1816-1909), sein Vater, der Makler Johann Friedrich Birt (1807-1897). Ursprünglich sollte Theodor Birt Kaufmann werden, doch er durfte studieren. Nach dem Abitur 1872 am Hamburger Johanneum begann er Klassische Philologie in Leipzig zu studieren und setzte das Studium später in Bonn fort, wo er 1876 promovierte. „Von seiner Habilitation (1878) bis zu seinem Tode lebte er in Marburg, wobei er die akademischen Pflichten (1902/03 Rektor) mit seinen poetischen Neigungen aufs glücklichste zu verbinden wußte. Neben beachtlichen wissenschaftlichen Leistungen (…) steht eine große Zahl von Gedichten, Erzählungen, Romanen, vielfach historischen Inhalts. (…). Nicht eigentlich wissenschaftliche Arbeiten sind seine historischen Werke, in denen er die Kultur und die Persönlichkeiten des Altertums in phantasievoller Weise wiedererstehen ließ. (…). Gerade diese Werke haben ihm viele Leser gewonnen, während die Fachgelehrten das starke anekdotische Element beanstandeten und mit B. scharf ins Gericht gingen.“ 1)
Theodor Birt lehrte bis 1921 an der Marburger Universität, „seit 1886 als Ordinarius. Von 1902 bis 1903 war er Rektor der Marburger Universität.“ 2) Daneben betätigte er sich als Schriftsteller und veröffentlichte unter dem Namen Beatus Rhenanus. Birt blieb unverheiratet.
Theodor Birt schrieb 1932 das Buch „Frauen in der Antike“. Darin heißt es in der Einleitung: „Die Auslese wird freilich nur spärlich sein. Denn die Schriftsteller jener alten Zeiten liefern fast nur Männergeschichte mit Strategen und Demagogen, Senatsherren, Königen und Kaisern. Auch das Mittelalter macht es noch nicht anders; da kommen die Prälaten und Ordensstifter und Scholastiker hinzu. Die Frauen tauchen in all den Händeln nur wie ein flüchtiges Wetterleuchten auf, das den Wolkenhimmel lichtet, oder wie wenn ein Scheinwerfer, sich verirrend, einmal in eine Frauenstube leuchtet.
Mit den Römerinnen steht es nicht ganz so ungünstig; denn sie waren Okzidentalinnen wie unsere deutschen Frauen, und von den Agrippinen und Messalinen Roms trägt wohl mancher ein Erinnerungsbild in sich, oder doch ihr Name klingt in uns an, als wüßten wir von ihnen. Auch für die Historiker Tacitus und Sueton ist die Geschichte freilich nur Männerwerk; aber als wirksames Intermezzo machen sie uns gleichwohl jene Kaiserinnen schreckhaft lebendig.
Aber es sind doch nur sie, und es sind doch nur die Ausgearteten ihrer Rasse.
‚Biographien‘ antiker Frauen gibt es überhaupt nicht. Die Schriftgattung der Biographie war im Altertum nur ein jüngerer Ableger der Geschichtsschreibung, und daraus erklärt sich alles. So war es bei den Griechen; so blieb es auch in Rom. Die Königinnen und Kaiserinnen hätten es im Grunde so leicht gehabt, durch Drohung oder durch gutes Geld Schriftsteller zu gewinnen oder zu nötigen,[Fußnote] ihr Lebensbild für die Zukunft zu verewigen. Es wäre damals im Buchhandel reißend abgegangen, und auch noch heute stünde es nicht anders. Warum taten sie es nicht? War es Bescheidenheit? oder hatten sie zu viel zu verbergen? Die Kaiserin Agrippina, die ich nannte, Neros Mutter, hat in der Tat selbst Memoiren geschrieben, und sie gingen um. Sie gab da wirklich ihren Lebenslauf, aber nur als Rahmen für den Klatsch aus der hohen Gesellschaft der Kaiserstadt, wie es die russische Kaiserin Katharina auch zu tun beliebte, und sich selbst zu konterfeien, lag ihr fern.
Für die Griechinnen aber – und wir fragen jetzt zunächst nach den Griechinnen der sogenannten Idealzeit des klassischen Griechentums, jener Zeit, als die republikanischen Staatsverfassungen noch alle Schichten der Bevölkerung in Bewegung setzten – für diese Griechinnen ist das betrübende Wort bezeichnend, das von Perikles stammt: ‚Die beste Frau ist, von der man nicht redet.‘ Nichts charakteristischer als das; die Frauen soll das Geheimnis umgeben. Warum? Waren sie zu kostbar für die triviale Welt? Oder hatten auch sie schon Sünden zu verbergen?
Wer aber hat uns das Perikleswort erhalten? Thukydides ist es, der griechische Historiker führenden Charakters, der bis heute das Muster und Vorbild wissenschaftlicher Geschichtsschreibung im Sinne Leopold Rankes gewesen ist. Und siehe da, wer die acht Bücher des Thukydides durchliest, findet auf keiner Seite eine Frau erwähnt, auch wo wir ihre Nennung erwarten, mit der einzigen Ausnahme, daß einmal in der Stadt Argos ein Tempel in Brand geriet. Die Kränze, die man der Gottheit dargebracht hatte, waren mutmaßlich der Opferflamme zu nahe gekommen, und daran trug die Priesterin, die Verwalterin des Heiligtums, schuld.
Nur als Priesterinnen sind Frauen damals Staatsbeamtinnen gewesen; so auch in Rom die Vestalinnen, die Roms Lebenslicht, die Herdflamme der Göttin Vesta, hüteten. Auch als Priesterinnen der Liebesgöttin Aphrodite waren solche griechischen Frauen ehrwürdige Personen, [Fußnote] makellos auch die junge Hero, die in der Poesie weiterlebt und zu der in der romantischen Legende Leander, der Liebende, das wilde Meer durchschwamm. Sein Tod war ihr Tod; sie hatte, ihres Amtes vergessend, ihr Herz an ihn verloren.
Eifrig waren die Griechen seit Aristoteles bemüht, so wie man es auch heut versucht, aus der Körperbildung den Charakter der Menschen zu erklären. Man nannte das ‚Physiognomonik‘, und Reste dieser alten Studien liegen uns in zwei Bänden noch vor.[Fußnote] Aber auch sie enttäuschen uns schwer; denn auch da wird fast nur auf Männer acht gegeben, und wir hören, daß, wer frauenhaft weiche Haare hat, furchtsam ist; der Mann mit großen Ohren ist dumm und unverschämt, aber lebt lange; die aufgestülpte Nase deutet auf Rührseligkeit. Alle Körperteile werden so durchgenommen, vor allem aber der Ausdruck des Auges, wo wir erfahren, daß fröhlich blickende, graublaue Augen den Tapferen verraten; wer rein-blaue Augen hat mit feuchtem Glanz, ist ein guter Mensch. Steht einer vor dir mit weißem Teint, schwarzem Haar und dazu verquollenen, schwachen Augen, so wisse, das ist ein Wollüstling. Rollende Augen hat der Wüterich usf.
Nur einmal wird uns auch der Körper der Frau genau beschrieben.[Fußnote] Jeder liebenswürdige Ton fehlt da; aber wir hören doch, daß ihr Fleisch zarter und weicher, ihre Füße schöner als beim Mann, daß ihr Teint durchgängig weiß, mitunter auch blaßdunkel zu sein pflegte, ihr Auge schwarz, tiefschwarz oder annähernd schwarz. Übrigens soll, wie es da heißt, auch manches, was vom Manne gilt, für sie mit gelten. Dies also dürfen wir im Sinn behalten, wenn im Verfolg meiner Erzählung bedeutende Frauen vor uns treten. Wenn die junge Königstochter Kleopatra, die, aus der Heimat vertrieben, durch List zu Julius Cäsar in den Palast gelangte, diesen großen Weltüberwinder beim ersten Anblick bis zur Unterjochung gewann, – wir dürfen uns denken: aus tiefschwarzem Auge hat ihn ihr Blick da getroffen, aber aus glitzernd lachendem Auge, wie es die Augen der siegreich werbenden Frauen sind. Rollende Augen aber sind die Augen der Wut? Die also standen der Furie Pheretime im Angesicht, als sie die Stadt Barka eingenommen, die Rebellen besiegt hatte und an deren Frauen die furchtbarste sadistische Rache nahm.
Sonst hören wir in jenen Schriften beiläufig noch, und zwar unter des Aristoteles Namen, daß die Frauen, obschon das schwächere Geschlecht, vordringlicher im Wesen seien.[Fußnote] Dies wird sich uns gelegentlich bestätigen. Heißt es jedoch zugleich, daß sie von Natur bösartiger als wir Männer, so scheint da ein beklagenswerter Misogyn zu sprechen, und keinesfalls soll uns weder er abschrecken, noch was wir von jener Pheretime gehört haben und noch hören werden.
Kommen wir zur Sache. Es handelt sich um Südländerinnen, deren Temperament anders als unseres ist – das ist vorauszuschicken – und um ein Volk, das, den Asiaten nächstbenachbart, ja selbst zum Teil auf der Küste Kleinasiens ansässig, unmittelbar und durch regsten Verkehr den Einflüssen des Orients ausgesetzt war.
Kulturvölker waren, wie die Griechen, auch die Lyder, die Perser und die Ägypter, die man mit zu den Asiaten zählte. Schon seit Urzeiten hatten sie alle nichts mehr mit den Primitiven gemein, den Negervölkern, die man im Innern Afrikas sah, bei denen die Frau nur wie ein Werkzeug verknechtet das Wasser schleppte, das Vieh hütete, den Acker pflügte, während der Mann umschweifend und herrenhaft auf Krieg und Raub ausging, auch jagte und fischte. Wo Städte, Großstädte und Königreiche im Stil der Pharaonen entstehen, ändert sich alles; die Klassen teilen sich; ein dienender Stand entsteht, und der Frau erwachsen andere Pflichten, die höher greifen. Das zeigt uns schon Homer, wenn er ins häusliche Leben der Kleinkönige im griechischen Lande uns Einblick gewährt.
Aber der vornehme Perser hatte seinen Harem, und auch bei den ägyptischen Großen ist die Vielweiberei, die sie bei den Negerhäuptlingen sahen, unanstößig gewesen. Wie anders stand die griechische Ehefrau da! Für den Griechen war die Monogamie Gesetz, ob geschrieben, ob ungeschrieben, wie für den Römer und Germanen. Nur selten wird die Kebse im Haus geduldet; aber es geht ihr schlecht, und sie ist rechtlos. Der Gatte hat die Gattin neben sich als Herrin im Haus, wie Odysseus die Penelope. Macht er sonst noch auf Weiber Jagd, muß er die Hetäre draußen suchen; ihr ist die Tür verschlossen; die Hausfrau hat den Schlüssel. Die Kebse aber wird zur Dienerin im Haus, im Ersatz des Sklaven. Sonst hat der Mann nur männliche Bedienung.[Fußnote]
Nun aber erhebt sich die Frauenfrage. Die Frage war ernst damals wie heut. Auch in Griechenland war das weibliche Geschlecht in beängstigender Überzahl; denn zu viele Männer starben weg, schon im Jünglingsalter. Das machten die Kriege, die jeder Sommer brachte, aber auch der Handel über See; auch er war Kampf; denn die Schiffe waren nicht so seetüchtig wie heute, und auch das Mittelmeer im Sturm griff nach dem Leben und verlangte seine Opfer. Die Frauen dagegen blieben daheim und starben nicht, wenn sie nicht an ihren Kindern starben. Das war Frauenlos. Die Göttin Artemis gab zwar acht; sie war die Hüterin und Helferin der Gebärenden. Nicht immer half sie, aber sie half doch oft, wenn sie gnädig gesonnen. Man mußte nur richtig beten. (…)
Vor etwa zwei Generationen war bei uns in Deutschland die Frauenfrage noch nicht laut geworden; es war fast noch so wie in Goethes Zeit; die ledigen Töchter machten sich im Elternhaus nützlich, soweit dies nötig, trieben sonst ihre Liebhabereien, wurden zu lieben Tanten, wenn sie alterten, und zeigten sich da in Rat und Tat oft doppelt nützlich. Erst die Not hat heut die Frauenberufe geschaffen. Die Frauenemanzipation setzte ein; die Suffragetten kamen mit dem Frauenstimmrecht, und unsere Töchter suchen nun ihr Brot als Diakonissen, in der Schreibstube und Apotheke, studieren und wachsen mit oder ohne Doktortitel hinein in den Ärzteberuf, sind juristischer Beirat oder Fabrikinspektorin oder sitzen als gewählte Volksvertreter in den Parlamenten.
Dies alles lag der Antike ganz fern. Man dachte radikaler oder barbarischer, faßte das Übel an der Wurzel, und nach des Vaters Entscheidung wurden, wie die Mißgeborenen, so auch die überflüssigen Töchter nach der Geburt ausgesetzt, mochte aus ihnen werden, was da wollte. Viele fielen so den Mädchenhändlern in die Hände und füllten die Bordelle. Man verkaufte die Töchter auch geradezu an die Besitzer solcher Frauenhäuser. Es kam auch vor, daß die Oheime in der Familie, die Hagestolz geblieben, unter Zwang die ledig gebliebene arme Nichte heiraten mußten.[Fußnote] Das alles war Herkommen; wir hören kaum von Tadel, und von einem Notzustand berufsloser Frauen wissen uns die betreffenden Instanzen, die im Altertum von Staat und Gesellschaft handeln, nichts mitzuteilen.“ 3)
Theodor Birt stand der im 19. Jhd. viel diskutierten und von den Vertreterinnen der damaligen Frauenbewegung geforderten Gleichberechtigung der Geschlechter ablehnend gegenüber. So äußerte er sich in einer Universitätsrede, in der er auf die Gefahren der modernen Zeit, die eine Bedrohung für das Bürgertum darstellen, auch zur Frauenbewegung: Theodor Birt „ sprach von Bevölkerungswachstum (‚Der Platz wird enge‘), von den imperialistischen Bestrebungen der Großmächte; dann wieder im Telegrammstil: ‚Japan Weltmacht‘; (…) ‚numerische Uebermacht des arbeitenden Standes‘, (…) d. h. er nennt beim Namen, was das deutsche protestantische Bürgertum als Bedrohung sieht, genauer, was die Männer dieses Bürgertums als Bedrohung sehen, denn ohne jeden Übergang und ohne jede Vorbereitung kommt Birt auf die Frauen zu sprechen. ‚Die Frau unsres Jahrhunderts ist aus der schlanken Tracht des Empire in die Crinoline, aus der Crinoline in den Hosenrock der Reformkleidung gefahren‘ - in den Hosenrock gefahren.
Und nochmals beschwört er die Gefahren der neuen Zeit – mörderische Konkurrenz, betäubender Verkehr, Nervösität – und nochmals stößt er unversehens und unvermittelt auf die Frauen: die Großstädterin im Konzert, Demoiselle in der Malstunde, ‚Damen veröffentlichen in Versen ihre Gefühle! Man‘ - das heißt die Frau -‘stöbert mit Neugier in den intimsten Briefwechseln: die Zeit ist indiskret – wie die moderne Beleuchtung!‘ Kurz: ‚Wir leben in der Zeit des Pathologischen‘. Es bedarf keiner großen Interpretationskünste, zu sehen, daß hier vom Fortschritt die Rede ist, von seiner Ambivalenz, von seinen Bedrohungen, und daß in dieser Frontlage die Frauen auf der Seite des Unheimlichen sind – wenigstens aber am Ufer des Ungeklärten, am Ufer der offenen Fragen. In einem seiner Gedichte zu Zeitproblemen – ‚Frauenfrage‘ - reimte Theodor Birt ganz passend:
Und was die Frau’n betrifft, nun so behagen
Mir Frau’nantworten mehr als Frauenfragen.
Frägt nur der Mann, antwortet nur das Weib,
dann wird uns allen wohl an Seel und Leib.“ 4)
Theodor Birt war auch nicht frei von antisemitischen Äußerungen. Der auch als „fleißger Kriegspublizist“ bezeichnete Wissenschaftler: „ließ etwa in der Vertrautheit seines am 31. Juli 1914 begonnenen Tagebuches seinen antisemitischen Ansichten freien Lauf. Despektierlich bemerkte er anlässlich der anberaumten Einquartierungen in der Universitätsstadt, wie ‚opferfreudig‘ doch das ‚feine humane Judentum‘ sei.‘“ 5)
Als der Erste Weltkrieg begann, fühlte sich Birt zum „Kriegsdienst mit der Feder“ berufen – und äußerte damit seine Kriegsbegeisterung.