Gerberstraße
Altona (1872/1880): Nach den Gerberhandwerkern.
Siehe auch: Hammenmacherstieg
Seit 2015 heißt der Beruf des Gerbers „Fachkraft für Lederherstellung und Gerbereitechnik“.
Das Regionalmuseum Bad Frankenhausen informiert über das Gerberhandwerk: „Das Gerben, die Verarbeitung von Fellen zu Leder, gehört zu den ältesten handwerklichen Tätigkeiten des Menschen. Entsprechend den verschiedenen Herstellungstechniken von Leder erfolgte wahrscheinlich im Mittelalter eine zunehmende Spezialisierung in diesem Handwerkszweig. Nach den in Mitteleuropa üblichen Gerbverfahren etablierten sich Loh-, Weiß- und Sämischgerber. Namengebend für die einzelnen Gerbergruppen war die Art der verwendeten Gerbmittel. Lohgerber benötigten zur Bearbeitung für das von ihnen hergestellte Leder zerkleinerte Fichten-, Eichen- oder Weidenrinde, die sogenannte Lohe. Sie stellten z.B. Leder für Sättel, Zaumzeug, Sohlen und Schuhe her. Weißgerber hingegen produzierten durch die Verwendung von Alaun die feineren, weichen Ledersorten, die insbesondere zu Jacken, Westen, Hosen und Handschuhen weiterverarbeitet wurden. Die Sämischgerber wiederum erzeugten durch die Anwendung von Fett und Tran die wasserabweisenden Ledersorten, vor allem für Stiefel.
In den großen deutschen Städten schlossen sich die Gerber bereits ab dem 14. Jh. zu eigenständigen Zünften (Innungen) zusammen.“ 1)
Über Frauen im Gerberhandwerk schreibt Erich Buchberger in seiner Diplomarbeit „Lederer, Weißgerber und Sämischmacher. Alltag und Akteure, Normen und Technik im frühneuzeitlichen Gerberhandwerk mit Beispielen aus Steyr und einer Darstellung der Gerberei in Ternberg“: „Nicht nur aus religiösen Gründen verlangte die Zunft eine unbedingte Eheschließung vor Eintritt in die Meisterschaft. Für den Unterhalt des Meisterhaushalts mit Kindern, Lehrjungen und Gesellen – fallweise sorgte man noch für greise Eltern – war eine erfolgreiche Betriebsführung die wichtigste Grundlage, die ohne die Meisterin nicht möglich gewesen wäre. In wohlhabenderen Betrieben leistete man sich auch Mägde und Knechte, die sich, aus ärmeren Handwerksfamilien und dem bäuerlichen Umfeld kommend, einen bescheidenen Verdienst erarbeiteten. Die Aufgabe der Meisterin beschränkte sich dabei nicht von vornherein auf die Haushaltsführung und Reproduktion. Fachliche Kompetenz bewiesen die Ehefrauen beispielsweise in Lübeck beim Ein- und Verkauf von Rohstoffen und Produkten am Markt. (…)“ 2).
Und über Meistertöchter heißt es bei Erich Buchberger: „Für Meistertöchter war die Mitarbeit in ihrer Kindheit und Jugend im elterlichen Betrieb wohl auch eine inoffizielle Ausbildung im Handwerk. Heirateten sie später einen Gesellen oder Meistersohn innerhalb des Gerberhandwerks, profitierten sie von ihren Fertigkeiten, erweiterten diese und waren im Fall des Ablebens ihres Ehemanns durchaus in der Lage, als Witwe den Betrieb weiter zu führen. (…)
Ein gewisses Kalkül in der Partnerwahl hinsichtlich der erfolgreichen Weiterführung des (schwieger-) elterlichen Betriebs ist auch im Handwerk nicht von der Hand zu weisen. Soweit es ging, heiratete man innerhalb des Handwerks. Gesellen ehelichten die verwitwete Meisterin, umgekehrt konnten Gerbersöhne, die nicht die elterliche Werkstatt weiterführten, durch die Ehe mit einer Meisterstochter zu einer eigenen Werkstätte gelangen. Auf diese Weise entstanden Gerberdynastien, die über Generationen das Gewerbe einer ganzen Region in ihrer Hand hatten.“ 3)
Auch Doris Bulach behandelt in ihrem Buch „Handwerk im Stadtraum“ die Meisterfrauen und Meisterwitwen im Gerberhandwerk: „Ehefrauen bildeten die zweite tragende Säule im Amt. Sie sorgten zusammen mit ihren Männern und eventuellen Kindern für das Funktionieren und die Kontinuität im Handwerk. Ein Handwerksbetrieb konnte umfassend nur durch gemeinsame Verantwortlichkeit von Meister und Meisterfrau betrieben werden. Soziale Selbstständigkeit war nur von beiden gemeinsam, nicht alleine zu erreichen. Dies zeigt deutlich ein Statut der Lübecker Gerber. Erst einem verheirateten Meister war es 1454 gestattet, in ‚vollem Umfang‘ zu gerben, erst seine Eheschließung machte ihn zu einem vollwertigen Mitglied des Amtes. (…). Meisterfrauen waren wie ihre Männer Mitglieder im Amt, wie ihre Männer nahmen sie an gemeinsamen Mahlzeiten und Festen teil. (…) Frauen, die einen Meister ehelichten, (…), wurden wie dieser in das Amt aufgenommen, ohne – abgesehen meist von ihrer ehrlichen und ehelichen Geburt – zusätzliche Voraussetzungen, wie den Erwerb des Bürgerrechtes, erfüllen zu müssen.
Frauen waren aber Amtsmitglieder mit stärker eingeschränkten Rechten und Pflichten als die Meister. Sie und ihre Töchter garantierten in erster Linie wohl die Versorgung der Hausgemeinschaft, sie übernahmen Hilfsarbeiten in der Werkstatt, wie es 1466 bei den Lübecker Schuhmachern sichtbar wird. Diese konnten von ihren Frauen nur im eigenen Wohnhaus beim Gerben unterstützt werden, die dabei in die gemeinsamen vier Amtsgerbhäuser lediglich Feuerholz herbeitragen und für die Befeuerung sorgen durften. In manchen Ämtern übernahmen Frauen den Verkauf der fertigen Produkte oder erwarben Rohstoffe oder weitere Waren auf dem Markt. Der Radius des Handelns und Auftretens von Meisterfrauen erstreckte sich innerhalb der Stadt jedoch weit über Haus, Werkstatt und Markt hinaus. In den Kirchen waren sie zusammen mit den übrigen Amtsmitgliedern bei Gottesdiensten präsent, stifteten dort Messen, Vikarien und Almosen und aßen und tranken in den Versammlungshäusern und Krügen zusammen mit ihren Ehemännern zu bestimmten Anlässen und Feierlichkeiten.
Bei Abwesenheit oder dem Tod ihrer Ehemänner oder Väter mussten Frauen dazu befähigt sein, die laufenden Geschäfte der Werkstatt zumindest eine gewisse Zeit weiterzuführen oder zum Abschluss zu bringen, sie mussten mit Geld umgehen und für die Aufrechterhaltung der Hauswirtschaft Sorge tragen können. Hatten die Witwen Nachkommen, so war die Erziehung und Versorgung dieser ‚Amtskinder‘ zu gewährleisten.
Über Ausbildung und Tätigkeiten der Meisterfrauen, ihrer Töchter oder Mägde in Lederämtern ist wenig zu erfahren.
Allerdings weisen einige spärliche Quellen zumindest auf eine Befähigung von Meistertöchtern für ein Handwerk hin. So vermachte der Lübecker Schuhmacher Johann Slaverskorp 1353 sein gesamtes Werkzeug seiner Tochter, die offenbar damit umzugehen verstand. Einem Lübecker Kürschner wurde 1522 zusammen mit seiner Frau sogar gestattet, deren Tochter aus voriger Ehe in die Lehre zu nehmen. (…) Zwar existierten für Mädchen keine regulären Ausbildungsmöglichkeiten, auszugehen ist jedoch davon, dass sich schon Mädchen im Handwerkerhaushalt ihrer Eltern gewisse handwerkliche Fähigkeiten aneigneten, die sie als Ehefrauen weiter ausbauten, so dass sie, ohne regulär ausgebildet zu sein, in der Lage waren, einen Handwerksbetrieb zu führen. (…)
Eine besondere Rolle innerhalb des Amtes erhielten Frauen, die durch den Tod ihrer Ehemänner zu Witwen wurden. Sie waren allein oder zusammen mit ihren Kindern die Erbinnen des Hauses, der Werkstatt und der handwerklichen Produktionsmittel. Diese Räume und Gerätschaften wollte das Amt ebenso wenig verlieren wie die Fähigkeiten und das Wissen der Witwen. Erst mit dem Tod der Meister geraten diese Frauen in den Fokus der Statuten, vor allem in Hinblick auf ihre Zukunft. Dabei zeigt sich deutlich, dass sie in der Lage waren, die Funktionen ihrer verstorbenen Ehemänner sofort zu übernehmen. In der Regel versuchten die Amtsstatuten Witwen jedoch daran zu hindern, die gesamten rechtlichen Positionen der verstorbenen Meister einzunehmen, auch wenn es zahlreiche Hinweise auf selbstständige Frauen (sulvesvrouwen) vor allem aus Lübeck gibt. In den meisten Fällen findet sich in den Ämtern für Witwen mit Kindern ein Fortführungsrecht, während jene ohne Kinder und ohne erneuten Heiratswunsch innerhalb des Amtes oft nach Jahr und Tag aus dem Amt ausgeschlossen wurden. (…).“ 4)