Willy-Brandt-Straße
Altstadt (2005): Willy Brandt (18.12.1913 Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm – 8.10.1992 Unkel), Bundeskanzler, Friedensnobelpreisträger.
Vorher hieß die Straße Ost-West-Straße.
Siehe auch: Fritz-Solmitz-Weg
Über Willy Brandt gibt es natürlich einen Wikipedia-Eintrag. Hier heißt es über seinen politischen Weg: „war von 1969 bis 1974 als Regierungschef einer sozialliberalen Koalition von SPD und FDP der vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Zuvor hatte er von 1966 bis 1969 während der ersten Großen Koalition im Kabinett Kiesinger das Amt des Außenministers und Vizekanzlers ausgeübt. Vom 3. Oktober 1957 bis zu seinem Eintritt in die Bundesregierung am 1. Dezember 1966 war er Regierender Bürgermeister von Berlin. Von 1964 bis 1987 war Brandt SPD-Parteivorsitzender und von 1976 bis 1992 Präsident der Sozialistischen Internationale. Unter dem Motto Wandel durch Annäherung gab Brandt als Bundeskanzler die bis Ende der 1960er Jahre an der Hallstein-Dokrin ausgerichtete Außenpolitik Westdeutschlands auf und leitete mit seiner neuen Ostpolitik eine Zäsur im politisch konfrontativen Klima des Kalten Krieges ein. Mit den Ostverträgen begann er einen Kurs der Entspannung und des Ausgleichs mit der Sowjetunion, der DDR, Polen (Kniefall von Warschau) und den übrigen Ostblockstaaten. Für diese Politik erhielt Brandt 1971 den Friedensnobelpreis.“ 1)
Im Folgenden wird das Hauptaugenmerk auf Willy Brandts familiäre Herkunft, Kindheit, Jugend und seine Beziehungen zu Frauen liegen. An dieser Stelle sei auf seine ausführliche Biografie unter www.willy-brandt-biografie.de/ 2) hingewiesen.
Willy Brandt wurde als Herbert Ernst Karl Frahm geboren, und zwar von der damals 19-jährigen Verkäuferin Martha Frahm. Der Vater hieß John Möller, arbeitete als Buchhalter und war damals 26 Jahre alt. Einen Kontakt zwischen Vater und Sohn gab es nicht.

Herbert wuchs bei seinem Großvater Ludwig Frahm auf, der als Kraftfahrer arbeitete und erneut geheiratet hatte. Werktags wurde er von einer Nachbarin des Großvaters betreut. Seine Mutter konnte ihn wegen ihrer Berufstätigkeit nur ein- bis zweimal die Woche sehen. Auch nachdem sie 1927 einen Maurerpolier geheiratet hatte, blieb Herbert bei seinem Großvater wohnen, obwohl er dessen Ehefrau nicht leiden konnte.
Die Familie Frahm war politisch in der Sozialdemokratie beheimatet. Auch Herbert schlug diesen Weg ein, war bei den „Falken“ (‚Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde‘) aktiv, später dann in der SAJ (Sozialistische Arbeiter Jugend) und trat mit 16 Jahren der SPD bei.
Ab 1930 kämpfte Herbert Frahm gegen das Erstarken der NSDAP. 1931 verliebte er sich erstmals, und zwar in die damals 17-jährige Handelsschülerin Gertrud Meyer (1914-2002), die ebenfalls Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) war. Das Paar blieb acht Jahre zusammen. Im Exil in Norwegen, wohin die beiden gegangen waren, nachdem die NSDAP die Macht übernommen hatte, übernahm Gertrud Meyer ab 1933 zentrale Positionen in der Exil-SAPD in Norwegen; von 1935-1941 war sie Mitarbeiterin des Psychoanalytikers Wilhelm Reich und ging 1936 eine Scheinehe mit Gunnar Gaasland ein, wodurch sie die norwegische Staatsbürgerschaft erhielt. Von 1939 bis 1946 lebte sie dann im Exil in den USA und kehrte 1946 nach Norwegen zurück. 3)
Bevor Herbert Frahm und gertrud Meyer ins Exil gegangen waren, hatte es noch heftige Differenzen zwischen der Lübecker SPD und ihrer Jugendorganisation SAJ gegeben. Die Folge war: Ludwig Frahm trat aus der SPD aus und schloss sich „der neuen linksrevolutionären Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) an. Frahm übernimmt die Leitung der örtlichen Parteijugend der SAPD. Der Bruch mit der SPD (…) beendet auch seine freie Mitarbeit beim ‚Lübecker Volksboten‘. Ein in Aussicht gestelltes Stipendium der SPD für ein späteres Studium muss der 17-Jährige ebenfalls abschreiben.“ 2)
Nach dem Abitur 1932 arbeitete Herbert Frahm, weil er sich ein Studium finanziell nicht leisten konnte, als Volontär bei einer Lübecker Schiffsmaklerfirma.
Zwischen 1933 und 1939: „Als Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht kommt, leistet Herbert Frahm sofort Widerstand. Um sich vor der Verfolgung durch die Nazis zu schützen, gibt er sich den Namen Willy Brandt. Im April 1933 geht er ins Exil nach Norwegen. Für die linkssozialistische SAPD baut Brandt in Oslo einen Auslandsstützpunkt auf. Von hier aus setzt er den Kampf gegen Hitlers Diktatur fort, weswegen ihn die deutschen Behörden 1938 ausbürgern. In Norwegen steht Willy Brandt in enger Verbindung mit der Arbeiterpartei DNA, die ihn politisch stark beeinflusst. Auf Reisen durch Europa knüpft er in den 1930er Jahren auch viele internationale Kontakte.“ 2)
Als Gertrud Meyer 1939 Oslo verließ, um in die USA ins Exil zu gehen, war die Beziehung zwischen ihr und Willy Brandt schon sehr brüchig. „Er trifft die neun Jahre ältere Kulturwissenschaftlerin Carlotta Thorkildsen (1904-1980) wieder, die er seit 1935 vom Studium (…) kannte. Beide verlieben sich ineinander und leben bald zusammen in einer Wohnung in der Nähe der Osloer Universitätsbibliothek.“ 2) 1941 wurde in Oslo die gemeinsame Tochter Ninja geboren. Da war Willy Brandt schon ins Exil nach Schweden geflohen. Mitte 1941 konnte dann auch Carlotta mit dem Kind nach Stockholm/Schweden emigrieren. Willy Brandt arbeitete damals als Journalist, Carlotta in der Pressestelle der norwegischen Gesandtschaft.
„Zu Beginn des Jahres 1944 ist Willy Brandt infolge einer Gelbsucht arg geschwächt. Seinen 30. Geburtstag am 18. Dezember 1943 hat er mit hohem Fieber im Bett verbringen müssen. Noch Wochen danach kann er kaum arbeiten und ist viel zu Hause. In dieser Zeit verlieben er und Rut Bergaust sich ineinander. Die 23-jährige Norwegerin hilft im Haushalt von Willy und seiner Frau Carlotta und versorgt tagsüber deren kleine Tochter Ninja.
Die neue Liebesbeziehung, die beide ab Sommer 1944 nicht mehr verheimlichen, führt zu schweren Konflikten. Weder Carlotta noch Ruts Mann, der bald todkrank wird [er stirbt 1946 im Alter von 28 Jahren], wollen ihre Ehen aufgeben. Monatelang geht es hin und her. Willys Trennung von Carlotta ist erst besiegelt, als sie zum Jahreswechsel 1944/45 mit Ninja die gemeinsame Wohnung in Hammarbyhöjden verlässt.“ 2) 1948 kam es zur Scheidung.
Rut Bergaust, geb. Hansen (10.1.1920 Hamar/Norwegen – 28.7.2006 Berlin) entstammte ebenfalls einer sozialistischen Arbeiterfamilie. Ihr Vater, ein Chauffeur und Kutscher, war jung gestorben, so dass seine Witwe mit Mitte dreißig mit vier Kindern ohne Arbeit und soziale Absicherung dastand. Sie bekam dann in einer Milchfabrik Arbeit.
Auch Rut kam als junges Mädchen zur Arbeiterbewegung und ging später in den norwegischen Widerstand (Verbreitung von Nachrichten), als Nazideutschland Norwegen besetzte. Auch sie floh nach Schweden und lebte in Stockholm. In Stockholm heiratete sie einen Jugendfreund aus der sozialistischen Arbeiterjugend. Über die Hochzeit schreibt sie in ihren Erinnerungen: „Wir tanzten. Und ich sah zum ersten Mal Willy Brandt. Er war umschwärmt von Damen, und er hatte offenbar nichts dagegen. Seine Frau Carlotta war auch da, sie war klein und lebhaft und hatte dunkle Augen. An diesem Abend deutete nichts darauf hin, daß wir, Willy Brandt und ich, zueinanderfinden würden für den größten Teil eines langen Lebens.“ 4)
Rut arbeitete zuerst als Hausangestellte, später dann – wie auch Carlotta – in der Pressestelle der norwegischen Gesandtschaft; so dass sich Rut, Carlotta und Willy Brandt bei abendlichen Zusammenkünften näher kennenlernten. Dazu Rut Brandt: „Der Name Willy Brandt war schon vor dem Krieg ein Begriff für mich von seinen Zeitungsartikeln über Nazideutschland. In Stockholm kannten wir ihn als einen der Redakteure des Norwegisch-Schwedischen Pressebüros. Er vermittelte Nachrichten aus dem besetzten Norwegen an schwedische Zeitungen. Willy und ich trafen uns schon im Sommer 1944 häufiger, als ich allein war. Wir gingen aus, aßen zusammen und gingen tanzen. Wir waren verliebt und verheimlichten es nicht. Willy hat in einem seiner Bücher geschrieben, wir fühlten uns ‚zueinander hingezogen und blieben beieinander‘. So einfach war es natürlich nicht. Er war verheiratet und hatte ein Kind, ich war verheiratet und hatte einen kranken Mann. Die Probleme schienen unüberwindlich. Wir sprachen auch nie über eine gemeinsame Zukunft. Ich hatte Gewissensbisse wegen Brunn [ihrem Ehemann], der todkrank in Falun lag und natürlich etwas ahnte. Er verlangte, daß ich zu ihm nach Falun ziehen sollte. Das war nicht möglich, und ich wollte es auch nicht. Willy war auch nicht imstande, sich zu entscheiden. Er zog zuhause aus und wieder ein, mietete sich dann ein Zimmer in der Innenstadt. In einem seiner Abschiedsbriefe aus der ersten Zeit schrieb er: ‚Aber man muß wohl herausfinden, was eine Beziehung tatsächlich ist, was sie sein sollte und was sie sein darf.‘ Willy meinte, daß es nicht mehr ginge, sagte aber zum Schluß: ‚Vielleicht können wir Sonntag zusammen essen, wenn ich Zeit finde. (…).‘ ich schrieb ihm (…) nach einem schwierigen Besuch bei Brunn Ostern 1945, jetzt müsse Schluß sein. Als ich zurück nach Stockholm kam, stand Willy auf dem Bahnsteig.
Für Carlotta war es verständlicherweise nicht leicht, und zunächst wollte sie mich nicht sehen. Aber schon in den ersten Jahren, als ich in Berlin war, hatten wir Briefkontakt, und in einem ihrer Briefe schreibt sie: „Und wenn es nun so gehen mußte, das Ninja eine ‚Stiefmutter‘ haben sollte, so war mir niemand lieber als Du.‘“ 5)
Nach der Befreiung vom Faschismus überlegte Willy Brandt, wie sein weiterer Lebensweg verlaufen sollte. 1947 erklärte er Rut: „ich muß unter mein improvisiertes und vagabundierendes Leben einen Strich setzen …Ich muß einen ordentlichen Neuanfang finden und darf es nicht treiben lassen wie in den letzten Jahren.‘ Wir hatten uns nichts versprochen. Wir hätten uns nichts versprechen können, selbst wenn wir gewollt hätten, weil keiner von uns von alten Verpflichtungen frei war. Und wir waren wohl beide von dem Gedanken an neue Bindungen erschreckt. Willy schrieb mir zwischen lieben Worten oft warnend über sein Bedürfnis nach Unabhängigkeit: ‚Selbstverständlich soll man sich einander anpassen, aber niemals so, daß man sich selbst aufgibt.‘ Er fürchtete, daß er für eheliche Verhältnisse nicht geschaffen sei: man fühle sich leicht in einem Netz von Rücksichtnahme gefangen, und das könne dazu führen, daß die Ehe die Liebe töte, man glaube allzu leicht, daß man einander besitze.
Auch ich war unsicher, und das irritierte ihn. (…) Sollte es etwas mit uns werden, dann müßte er es selber wollen.“ 6)
1947 kam Willy Brandt nach Berlin. „In der Vier-Mächte Stadt arbeitet er als Presseattaché in der Norwegischen Militärmission. 1948 wechselt Brandt in die deutsche Politik und wird wieder deutscher Staatsbürger. Sein allmählicher Aufstieg in der Berliner SPD vollzieht sich vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zwischen Ost und West. (…) Im Bonner Bundestag und im West-Berliner Parlament, dessen Präsident er 1955 wird, setzt Brandt sich leidenschaftlich für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ein. (…) Kurz nach Ostern 1947 kommt Willy Brandts Freundin Rut Bergaust nach Berlin. Er hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit auch sie in der Norwegischen Militärmission arbeiten kann. Dort ist Rut im Rang eines Fähnrichs als Büroassistentin angestellt. (…)
Nach einigen Wochen zieht die 27-Jährige zu Brandt in eine Villa in der Marathonallee im Berliner Westend, wo noch drei weitere norwegische Offiziere untergebracht sind. Willys Scheidung von seiner ersten Ehefrau Carlotta, von der er seit mehr als zwei Jahren getrennt lebt, erfolgt im Herbst 1947.“ 2)
Im September 1948 heirateten Rut und Willy. Einen Monat später wurde das erste Kind der beiden geboren: Peter. Dazu Rut Brandt in ihren Erinnerungen: „Deutsche wird man nicht ohne weiteres, und es war auch nicht so einfach, Frau Brandt zu werden. Auch wenn Willy seit fünfzehn Jahren für jedermann ‚Willy‘ war, war er immer noch ‚Herbert‘ für seine Mutter und Herbert Ernst Karl Frahm für die Behörden, als wir heirateten. Ich hieß Frau Frahm, als ich im Krankenhaus lag und Peter gebar. (…)
Willy wurde kurze Zeit später in Kiel wieder eingebürgert, und seinen Decknamen Willy Brandt bekam er dann vom Polizeipräsidenten in Berlin zugeeignet. Aber mich machte die Ehe nicht automatisch zur deutschen Staatsbürgerin. Der deutsche Staat existierte 1948 noch nicht, so daß es niemanden gab., der mir eine deutsche Staatsangehörigkeit hätte zuerkennen können. Für einige weitere Jahre blieb ich Norwegerin. Dagegen hatte ich auch nichts einzuwenden. (…). Am Anfang der fünfziger Jahre beantragte ich die deutsche Staatsbürgerschaft und verlor dabei meine norwegische“ 7)
Als Willy Brandt Präsident des Abgeordnetenhauses wurde, schrieb Rut Brandt, dass sie weinte. „Otto Suhr, der bisherige Präsident, wurde nach der Wahl im Dezember 1954 regierender Bürgermeister, und Willy folgte ihm nach auf dem Präsidentenposten. Ich gönnte ihm, daß er seine Ambitionen erfüllen konnte, aber ich hatte keinerlei Ambitionen, ins Rampenlicht zu treten. Ich hatte Angst vor dem Unbekannten. Jetzt musste ich repräsentieren und nicht nur Ehefrau., Mutter und ich selbst sein.“ 8) 1951 war der zweite Sohn: Lars, geboren.
Als Willy Brandt 1957 regierender Bürgermeister von Berlin wurde, teilte er der Presse mit, dass er sich mehr um seine Familie kümmern wolle. Dazu Rut Brandt: „Aber im Rathaus wurde es abends später und später, und die Reisen wurden immer häufiger.“ 9) Aber sie schreibt auch, dass ihr Mann zwar zuhause keine Zeit für die Kinder hatte, er dennoch an sie dachte, wenn er auf Reisen war und ihnen Ansichtskarten schickte.10)
Willy Brandt litt an Depressionen und musste immer mal wieder zur Kur, wo er seinen Zigaretten- und Alkoholkonsum reduzierte.
Über ihre Stellung als Kanzlergattin schreibt Rut Brandt: „Mir war immer zuwider, Gefühle in der Politik zu offen und demonstrativ zu zeigen. Es lag mir auch nicht, mich in den Wahlkämpfen als Willy Brandts glückliche und bewundernde Ehefrau hinzustellen. Auch als Außenminister- und Kanzlerfrau habe ich nicht so viel gemacht, wie man es vielleicht gern gesehen hätte.
Nicht aus Mangel an politischem Interesse. Im Gegenteil: es gab Gelegenheiten, wo ich gern dabei gewesen wäre. Aber da paßte ich dann nicht in die Landschaft. (…) Willy Brandt auf Knien vor dem Denkmal im Warschauer Ghetto, ein Bild, das um die Welt ging und immer wieder erscheint. Ich saß versteinert vor dem Fernseher und litt mit ihm, ich wußte, daß ich niemals eine so ernsthafte Geste zustandegebracht hätte, eine so persönliche, tief bewegende Handlung vor den Augen von Hunderten von Journalisten und Kameralinsen, die für die ganze Welt zuschauten. Es war mir wichtig zu wissen, ob es eine spontane Geste gewesen war, ob er nicht anders gekonnt hatte an diesem Ort. Das war die erste Frage, die ich ihm stellte, als er zurückkam. ‚hattest du dir das vorher überlegt?‘ Er zuckte die Schultern und sagte: ‚irgend etwas mußte man tun‘“. 11)
1974 trat Willy Brandt wegen der Guillaume-Affäre zurück. Günter Guillaume war von Willy Brandt als einer der Kanzlerreferenten angestellt worden. Es stellte sich heraus, dass er für die DDR Spionage betrieben hatte.
In Verbindung mit der Guillaume Affaire wurde auch – so Rut Brandt in ihren Erinnerungen – über Willy Brandts Privatleben geschrieben und dass er immer wieder „Frauengeschichten“ hatte. „Willys Neigung in diese Richtung war mir nicht unbekannt, aber jetzt kam es trotzdem überraschend und schockierte mich. Ich hatte angenommen – vielleicht etwas naiv -, daß das wohl nicht so einfach wäre, wenn er als Kanzler ständig von Sicherheitsbeamten und vielen anderen Leuten umgeben wäre. Es war entsetzlich, wie diese Dinge in den Zeitungen ausgebreitet und hochgespielt wurden (…).
Sie kamen zu mir von der Partei und sagten, ich sollte es nicht so ernst nehmen. Das seien doch nur Bagatellen, und ich sollte Verständnis zeigen. Aber so leicht war das für mich nicht. (…)
Er kam spät nach Hause, vielleicht gegen 23 Uhr, aber ich war noch auf. Ich fragte, ob an diesen Frauengeschichten etwas wahr sei. Er ging schnell darüber hinweg und sagte, daß das alles unwichtig sei. Aber er erzählte, daß er ein ernstes Verhältnis gehabt habe, das über zwei Jahre gegangen, aber jetzt zu Ende sei. Ich schrie auf und sagte, jetzt sei es genug, ich würde gehen. Aber bald gewann die Vernunft wieder Oberhand über mich. Jetzt durfte ich nicht gehen und es für ihn noch schwerer machen. Und wir hatten Matthias, der erst zwölf Jahre alt war und Vater und Mutter brauchte.“ 12)
Dass solche „Frauengeschichten“ – ein sehr abwertender Begriff, der sicherlich die Gefühle der involvierten Frauen verletzt – wohl zum Alltag einiger Männer in Machtpositionen gehören und von der männlich dominierten Gesellschaft akzeptiert werden, weil ein Mann angeblich durch solche Affairen seine Männlichkeit beweisen kann, zeigt sich an einem Ausspruch Willy Brandts, den Rut Brandt in ihren Erinnerungen preisgibt. Bei einem Staatsbesuch in Berlin, wo er frenetisch von „den Berlinern“ gefeiert wurde, sagte er „mit einer Anspielung auf die bösen Geschichten: ‚Hier in Berlin weiß man ja, daß ich kein Säulenheiliger bin!‘ Das traf mich wie der Schlag, aber ich lächelte mit den anderen.“ 13)
Es kam zur Trennung: „An dem Tag, da er uns verlassen sollte, blieb er in seinem Arbeitszimmer und kam nicht herein, um sich zu verabschieden. Wir warteten und warteten, und schließlich ging ich zu ihm., Ich wünschte ihm alles Gute und meinte, daß wir auch viele gute Jahre zusammen gehabt hätten. Ich hoffte, wir könnten Freunde sein. Er umarmte mich und ich ging.“ 14)
Am 18. Dezember 1980 wurden Willy und Rut Brandt geschieden. Brandts neue Lebenspartnerin, mit der er seit 1978 zusammen war, war die Historikerin Brigitte Seebacher (geb. 1946), die als Redenschreiberin für den SPD-Vorsitzenden arbeitete. Zuvor war sie von 1973 bis 1977 als Chefredakteurin bei der „Berliner Stimme“ tätig gewesen.
1983 heiratete das Paar. Von 1995 bis 2000 fungierte sie als Leiterin der Abteilung Kultur und Gesellschaft der Deutschen Bank AG und erhielt ab 2002 einen Lehrauftrag an der Universität Bonn.
Über diese Paarbeziehung heißt es: „Während ihr Mann weiter politisch sehr aktiv ist, setzt Brigitte Seebacher ihre publizistische Arbeit fort. 1984 wird sie mit einer Dissertation über Erich Ollenhauer promoviert und 1988 veröffentlicht sie eine Biografie über August Bebel. Es folgen weitere Bücher und Artikel zu politisch-historischen Kontroversen, u. a. 1991 das Werk ‚Die Linke und die Einheit‘.
Willy Brandt unterstützt die Forschungstätigkeit seiner Frau mit Rat und Tat und redigiert nicht zuletzt ihre Texte. Umgekehrt profitiert er sehr von ihrer großartigen Formulierungsgabe. (…)
Als 1991 Krebs bei Willy Brandt diagnostiziert wird, steht sie ihm bedingungslos und unermüdlich bei. Im gemeinsamen Haus in Unkel, das beide seit 1989 bewohnen, pflegt sie ihren Mann aufopferungsvoll bis zu seinem Tod am 8. Oktober 1992.
Zwei Jahre später ist die Witwe maßgeblich an der Gründung der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung beteiligt, die an das Leben und die Politik des großen Staatsmanns erinnert. (…).“ 15)