Fritz-Solmitz-Weg
Langenhorn (1987): Fritz Solmitz (22.10.1893 Berlin – 19.9.1933 KZ Hamburg-Fuhlsbüttel), Redakteur, Sozialdemokrat, Gegner/Opfer des Nationalsozialismus
Fritz Solmitz entstammte einer wohlhabenden assimilierten jüdischen Familie in Berlin. Ab 1913 studierte er Rechtswissenschaften, Nationalökonomie und Staatswissenschaften in Freiburg/Breisgau. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nahm Solmitz, der der SPD beigetreten war und die jüdische Gemeinde verlassen hatte, sein Studium in Berlin wieder auf, arbeitete als Referendar und Richter und wurde 1921 mit einem Beitrag zur Methode der Marx'schen Sozialphilosophie an der Universität Freiburg promoviert. Anschließend war er drei Jahre Dezernent für öffentliche Wohlfahrtspflege in der städtischen Berliner Verwaltung.
1924 siedelte Solmitz nach Lübeck über, wo er als Redakteur der örtlichen sozialdemokratischen Tageszeitung Lübecker Volksbote arbeitete. Von 1926 bis 1932 war er Mitglied der Lübecker Bürgerschaft. Daneben organisierte er die Bildungsarbeit bei den Jungsozialisten und war im Vorstand des Lübecker Arbeiter-Kulturkartells. Als Politikredakteur des Lübecker Volksboten, dessen Chefredakteur bis 1933 Julius Leber [siehe: Julius-Leber-Straße] war, arbeitete er mit dem jungen Willy Brandt [siehe: Willy-Brandt-Straße] zusammen. Dieser schrieb unter seinem Geburtsnamen Herbert Frahm als Schüler seine ersten Beiträge für die Zeitung und lernte unter Anleitung von Fritz Solmitz, Fremdbeiträge zu redigieren.
Nach der Machtübernahme der NSDAP und dem Reichstagsbrand wurde Solmitz im März 1933 gefangen genommen. Man hängte ihm ein Schild mit der Aufschrift „Jude“ um den Hals und karrte ihn durch die Stadt. Solmitz wurde zunächst im Gefängnis Lübeck-Lauerhof und ab Mai 1933 im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert. Seine Frau Karoline erwirkte seine Entlassung; doch diese Zusage wurde Solmitz vorenthalten. Solmitz war in Einzelhaft schwer misshandelt worden. Nachdem ihm von SS-Wachleuten unter Willi Dusenschön weitere Prügel angedroht worden waren, wurde er am 19. September 1933, drei Tage nach dem eigentlich vorgesehenen Termin seiner Haftentlassung, in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Die nationalsozialistischen Behörden gaben der Ehefrau gegenüber Selbstmord als Todesursache an. Ob Solmitz zum Suizid getrieben oder aber von seinen Bewachern ermordet wurde, blieb ungeklärt.
Solmitz selbst hatte im KZ Fuhlsbüttel Briefe auf Zigarettenpapier verfasst, in denen er die ihm zugefügten Misshandlungen schilderte. Die Notizen verbarg er in seiner Taschenuhr, die seiner Ehefrau Karoline ausgehändigt wurde. Diese Berichte wurden von der sozialdemokratischen Widerstandsgruppe um Walter Schmedemann [siehe auch: Walter-Schmedemann-Straße] ins Ausland gebracht und sind eines der frühesten Dokumente, die die Zustände in deutschen Konzentrationslagern authentisch darstellen: „(...) Es bleibt mir nur die Wahl bei jedem Schlüsselrasseln vor der Tür zu zittern oder zum Strick zu greifen (...)“. Im Prozess gegen den Führer der Wachmannschaft Willi Dusenschön lagen diese Aufzeichnungen als Beweismittel vor. Dusenschön wurde vom Landgericht Hamburg 1962 vom Vorwurf des Mordes an Solmitz aus „Mangel an Beweisen“ freigesprochen.
Der kommunistische Schriftsteller und zeitweilige Mitinsasse von Solmitz im KZ Fuhlsbüttel, Willi Bredel, übernahm Teile von dessen Berichten aus dem Konzentrationslager für seinen 1934 in London veröffentlichten Roman „Die Prüfung“, in dem der Lübecker Redakteur den Namen Dr. Fritz Koltwitz trägt. Er lässt Koltwitz darin wegen des Verrats durch eigene Genossen an der Sozialdemokratie zweifeln: Er, der Sozialdemokrat, der politische Redakteur der Parteizeitung, wird von einem Parteimitglied, dem Polizeipräsidenten Mehrlein, verhaftet und den Nazis ausgeliefert. Und warum? Warum? Nur, weil er gegen die Gleichschaltung der Zeitung war. Nur, weil er ihnen zu links, zu oppositionell war. Auch weil er Jude ist. Genossen? Schöne Genossen! (Zitiert nach Willi Bredel: Die Prüfung, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1968, Seite 90).
Karoline Solmitz, geb. Neuert (18.9.1893 Landau – 24.9.1966) fand Notizen ihres Mannes in dessen Taschenuhr, die ihr nach seinem Tod ausgehändigt worden war. Mit diesen Dokumenten strengte sie in Hamburg ein Verfahren gegen den vermutlichen Haupttäter, SS-Mann Willi Dusenschön, an. Obwohl die Echtheit der Notizen bewiesen war und durch Zeugenaussagen bekräftigt wurde, wurde das Verfahren 1960 eingestellt.
Karoline Solmitz emigrierte nach dem Krieg mit ihren vier Kindern in die USA.
Die Tochter des Ehepaares Solmitz, Brigitte Solmitz Alexander, erzählte 2012 über die damalige Zeit u. a.: „Nach dem Tod meines Vaters und unserem Wegzug aus Lübeck gab es unsere Familie eigentlich nicht mehr. Ab 1933 war es das Hauptziel meiner Mutter, Deutschland zu verlassen. 1933 hatten die Nazis ihr den Pass abgenommen, und den musste sie zurückbekommen, bevor wir das Land verlassen konnten. Das geschah 1935. Die Jungs schickte sie auf eine Schule in England. Auch als wir schließlich alle in den USA waren, gab es kein Familienleben mehr. Meine Brüder waren an Universitäten im ganzen Land verteilt und Mutter und ich lebten zusammen in einer kleinen Wohnung in Bryn Mawr, Pennsylvania. Wir teilten uns ein Schlafzimmer, bis auch ich mit 18 zur Uni ging. Meine Mutter war 1934 in Berlin den Quäkern beigetreten, und mit ihrer Hilfe konnten wir 1938 in die USA auswandern.
(…). Die Familie meines Vaters war wohlhabend gewesen, und solange wir in Deutschland waren, hatte meine Mutter immer genügend Geld für sich und ihre Kinder.
Auch nach unserer Auswanderung sprachen wir nicht über Fritz. Meine Mutter und meine Brüder konzentrierten sich darauf, Amerikaner zu werden. Und wir hatten kein eld mehr, das hatten die Nazis bei unserer Auswanderung einbehalten. Meine Brüder und meine Mutter hatten mit dem Studium und der täglichen Arbeit alle Hände voll zu tun. Wir lebten in unterschiedlichen Städten, verteilt über ein riesiges Land. Als meine Brüder zu Besuch kamen, bevor sie 1944 zur US-Armee gingen, hat meine Mutter einem nach dem anderen die Umstände vom Tod meines Vaters erzählt. Und 1958, als ich schon fast dreißig Jahre alt war, erzählte sie mir von den Zigarettenblättchen und zeigte mir eine Übersetzung. Ich war natürlich zutiefst schockiert. Ich hatte gerade neue Vorhänge mit roten Streifen gekauft, und ich erinnere mich, dass ich beim Anblick der Streifen unwillkürlich an Blutspuren denken musste. Auch den Dusenschön-Prozess 1962 musste meine Mutter alleine angehen. Meine Brüder und ich waren zu weit verstreut und zu sehr mit beruflichen und familiären Verpflichtungen beschäftigt, um an diesem Ereignis teilzunehmen. (…) Einer meiner Brüder, Peter, war Rechtsanwalt und lebte in der Nähe meiner Mutter. Soweit ich weiß, sprach Karoline mit Peter über den Prozess, bevor sie zum Prozessbeginn nach Hamburg fuhr. Dort lebte auch Margarete Teich, eine alte Freundin meiner Mutter, die sie und Fritz in Lübeck gekannt hatten. Margarete begleitete Karoline zu jedem Prozesstag und unterstützte sie während des gesamten Verfahrens.“ 1)
Zusammengestellt von Cornelia Göksu