Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Borchlingweg

Othmarschen (1950): Prof. Dr. Conrad Borchling (20.3. 1872 Hitzacker – 1.11.1946 Hamburg), Erforschung der niederdeutschen Sprache


Siehe auch: Agathe-Lasch-Weg

Borchling, der aus einem Finanzbeamtenhaushalt stammte, war seit 1913 mit Alida, geb. von Melle (1885-1967), einer Tochter des Hamburger Bürgermeisters von Werner von Melle (siehe: Von-Melle-Park), verheiratet. Das Paar hatte zwei Kinder.

Über Borchlings beruflichen Werdegang heißt es in Wikipedia: „Von Herbst 1889 bis 1896 studierte er Klassische Philologie und Germanistik (…) Mit dem Bestehen der Staatsprüfung für das Höhere Lehramt in Preußen 1896 erhielt er die Lehrbefähigung für Griechisch, Latein, Deutsch und Englisch. (…) zum Dr. phil. promoviert. 1903 habilitierte er sich (…). Er wirkte zunächst als Privatdozent für Deutsche Philologie in Göttingen und ab 1906 als außerordentlicher Professor für Germanische Sprachwissenschaft an der Königlichen Akademie zu Posen.

Ab 1910 war er Professor für Deutsche Sprache beim Allgemeine Vorlesungswesen, dem Vorgänger der Universität Hamburg und Leiter des Germanistischen Seminars. 1919 wurde er ordentlicher Professor für Deutsche Sprachwissenschaft und Deutsche Literatur mit besonderer Berücksichtigung des Niederdeutschen und des Niederländischen und erster Dekan der Philosophischen Fakultät an der neugegründeten Universität Hamburg.“ 1)

Wolfgang Bachofer und Wolfgang Beck äußern zu Borchlings Entnazifizierungsversuche: „1937 wurde Borchling emeritiert, vertrat den Lehrstuhl aber bis zur Wiederbesetzung der Professur 1938 und nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bis zum Kriegsende. Am 4. Juli 1945 bat Borchling um Belassung im Amt und anschließende Emeritierung. Borchling begründete sein Gesuch damit, daß er sowohl die zentralistische Ausrichtung des Nationalsozialismus auf eine ‚Nationalkultur‘ als auch die Verfolgung der Juden niemals befürwortet habe. Letzteres belegte er mit einem unterstützenden Gutachten für seine jüdische Kollegin Agathe Lasch aus dem Jahr 1939.“ 2) Er verschwieg jedoch, dass er 1941 seiner Ex-Kollegin Agathe Lasch, die auf Grund ihrer jüdischen Herkunft ihre Tätigkeit verloren hatte, die Unterstützung verweigert hatte. Der Historiker Ingo Böhle schreibt dazu in seinem Beitrag über Agathe Lasch: „1941 bat Agathe Laschs ehemalige Schülerin Claudine de L’ Aigle den Leiter der Landesunterrichtsbehörde, Witt, zugunsten der Professorin eine Eingabe bei der Geheimen Staatspolizei Berlin zu machen. Aus den Unterlagen der Staatsverwaltung lässt sich ersehen, wie Schulbehörde, Rektorat der Universität und das Germanische Seminar die Eingabe mit dem Verweis auf die jeweilige Nichtzuständigkeit hin und her schoben. Borchling beendete den Vorgang: ‚Wie die Dinge einmal liegen, bin ich außerstande, von mir persönlich aus Schritte in der Angelegenheit von Frl. Prof. Lasch zu unternehmen, so sehr ich auch ihre wissenschaftliche Arbeit hochschätze und ihr charakterliches Verhalten anerkennen muss.‘“3)

Borchling war nach Auflösung der Deutschen Volkspartei, in der er Mitglied gewesen war, 1933 der NSDAP beigetreten und hatte im selben Jahr das „Bekenntnis der Professoren an deutschen Hochschulen zu A. Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ unterzeichnet. „National-konservativ geprägt, hatte er bereits seit 1914 eine großdeutsche und großgermanische Idee propagiert und in Auseinandersetzung mit der Zukunft Flanderns die Vision eines autonomen flämischen Staates als Teil eines ‚großen germanischen Bund[es]‘ geäußert. Während sich hier durchaus eine Affinität zur nationalsozialistischen Ideologie abzeichnete und Borchling selbst einräumte, er habe durch den Nationalsozialismus eine ‚Förderung [der] speziellen niederdeutschen Volkstumsarbeit‘ erhofft (Brief an die hamburgische Schulverwaltung vom 4.7.1945), sah er sich dem Vorwurf des Partikularismus und der harschen Kritik des Ministeriums für Volksaufklärung ausgesetzt, als er die Pflege der verschiedenen Dialekte befürwortete, die er als eigenständige ‚Stammes-sprachen‘ ansah. Borchling wurde – entgegen seinem Antrag – auf Anordnung der Militärregierung entlassen und am 6. Oktober 1945 mit sofortiger Wirkung vom Bürgermeister in den Ruhestand versetzt. Am 1. November 1946 starb er, ohne rehabilitiert worden zu sein,“4) so Wolfgang Bachofer und Wolfgang Beck.

Einen Eindruck von Borchlings Frauenbild bekommen die geneigten LeserInnen bei der Lektüre des von Conrad Borchling verfassten Nachrufes auf seine Kollegin Prof. Dr. Agathe Lasch, Hamburgs erste Professorin an der Universität Hamburg: „„Fernerstehenden mochte Agathe Lasch wohl als das Urbild einer gelehrten Dame erscheinen, die sich mit fast mönchischer Strenge auf ihre wissenschaftliche Arbeit eingestellt hatte, allen Freuden dieser Welt abhold war und sich scheu vor der allzu engen Berührung mit anderen auf sich selbst und ihre Bücher zurückzog. Es war gewiss nicht leicht, ihr näher zu kommen; aber wenn der Bann erst einmal gebrochen war, merkte man bald, dass bei dieser strengen Wissenschaftlerin doch auch die weicheren, mehr weiblichen Charakterzüge nicht zu kurz gekommen waren (…). Ich will aber auch die Schattenseiten dieses Charakters nicht verschweigen: eine leichte Reizbarkeit und eine starke Empfindlichkeit, die wohl aus ihrer zarten körperlichen Konstitution zu erklären sind. So empfand sie auch in der wissenschaftlichen Kontroverse den Widerspruch viel stärker, als er in Wirklichkeit gemeint war. Dann konnte sie sich wohl hinsetzen und im ersten Zorn einen ihrer fulminanten Briefe schreiben, der ihr vielleicht schon am nächsten Tag leid getan haben mag, denn sie pflegte solche Dinge nie länger nachzutragen.“ 5)

Über den schwierigen Prozess einer Straßenbenennung nach Agathe Lasch im Gegensatz zur Straßennamensgebung nach Borchling schreibt Ingo Böhle „1948 hatte die Bibliothekarin des Germanischen Seminars, Marie Luise Winter, vorgeschlagen, eine Straße in Hamburg nach Agathe Lasch zu benennen. Auf die entsprechende Anfrage der Behörde teilte Agathe Laschs angeblich nur zu seinem Schutz in die NSDAP eingetretene Schüler, inzwischen an ihrer Stelle amtierende Seminardirektor Niekerken mit: ‚Bei einer Erfragung im Kollegenkreise (…) war man geteilter Meinung. Die Gegner des Gedankens vertraten die Ansicht, dass man Straßennamen nicht zum Gegenstand politischer Zwistigkeiten machen sollte und dass es nicht im Sinne dieser bescheidenen, stillen Frau sei, wenn sie auf diese Weise an die Öffentlichkeit gezerrt würde.‘ Weiter wurde gesagt, ‚die Zahl der um Hamburgs Kulturleben ebenso verdienten Männer und Frauen sei so groß, dass es nicht genug [Straßen] gäbe, sie alle zu ehren‘. Die Straßenbenennung nach Agathe Lasch wurde abgelehnt.

Solche Bedenken hatte der Kollegenkreis offensichtlich nicht, als es darum ging, den 1946 verstorbenen Direktor des Germanischen Seminars, Conrad Borchling, zu ehren. (…) Seit dem 26.7.1950 gibt es in Hamburg einen, nach dem ehemaligen NSDAP-Mitglied benannten Borchlingweg.

Nach Agathe Lasch wurde erst 1970 ein Weg benannt. Als der Hamburger Senat sich dazu entschloss, nach der 1942 nach Riga deportierten und ermordeten ersten Universitätsprofessorin Hamburgs, Agathe Lasch, eine Verkehrsfläche zu benennen, wurde eine an der Autobahn endende Sackgasse zur Benennung gewählt, der sich nur 441 Meter vom Borchlingweg entfernt befindet.

Bis November 1993 trug das Straßenschild neben den Lebensdaten lediglich den Zusatz ‚Philologin‘. Auf Anregung des Historischen Seminars der Universität Hamburg und einer engagierten Bürgerin, Charlotte Rehn, wurde das Schild schließlich ergänzt. Es weist nun ausdrücklich darauf hin, dass Agathe Lasch die erste Professorin auf einem Lehrstuhl an der Hamburger Universität war und als Jüdin Opfer des Nationalsozialismus wurde. 6)