Châu-und-Lân-Straße
Billbrook (2024): nach Nguyễn Ngọc Châu (26.7.1958 Saigon – 22.8.1980 Hamburg) und Đỗ Anh Lân (10.3.1962 Cholon/Saigon – 31.8.1980 Hamburg), Opfer eines rassistischen Brandanschlags auf die Flüchtlingsunterkunft in der Halskestraße im August 1980, sie kamen als Flüchtlinge aus Vietnam nach Deutschland.
Die Chau-und-Lan-Straße befindet sich im Straßenabschnitt von der Ecke Halskestraße/Andreas-Meyer-Straße bis Ecke Halskestraße/Neue Feldhofe.
Im Amtlichen Anzeiger Nr. 16 vom 23.2.2024 wird die Straßenbenennung wie folgt erläutert:
Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân flüchteten von Vietnam nach Deutschland, wo Sie in der Flüchtlingsunterkunft in der Halskestraße, Hamburg, unterkamen. In Folge eines Brandanschlags auf das Flüchtlingsheim kamen beide Männer 1980 ums Leben. Die Tat gilt als erster dokumentierter, rassistisch motivierter und tödlicher Brandanschlag der Nachkriegszeit auf eine Flüchtlingsunterkunft.“ 1)
Als sich Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân im Frühjahr 1980 in Hamburg begegneten, teilten sie ein Zimmer in einer Unterkunft für Geflüchtete. Beide waren aus Vietnam geflohen, beide kamen aus Saigon. Đỗ Anh Lân, dessen Familie der chinesischen Minderheit angehörte, war im Stadtbezirk Cholon zur Welt gekommen. Nguyễn Ngọc Châu, der im Sommer 1980 zweiundzwanzig Jahre alt wurde, war bereits Lehrer. Der vier Jahre jüngere Đỗ Anh Lân hatte die Schule noch nicht abgeschlossen, als er Vietnam verließ. Seine Flucht, die ihn schließlich bis nach Europa führte, dauerte zwei Jahre. Erst im August 1979 gelang es ihm im Rahmen einer Hilfsaktion der Wochenzeitung „Die Zeit“ Pulau Bidong zu verlassen und nach Hamburg zu kommen. Pulau Bidong ist eine kleine Insel vor der Küste Malaysias, auf der ab 1978 ein Lager für vietnamesische Boat People existierte. Zeitweise lebten bis zu 40.000 Menschen auf der nur etwa zweieinhalb Quadratkilometer großen Insel. Nguyễn Ngọc Châu war von dem Rettungsschiff "Cap Anamur" aus einem Boot im Südchinesischen Meer geborgen worden und kam im April 1980 in Hamburg an.
Im Frühling und Sommer 1980 teilten Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân nicht nur ihr Zimmer in der Unterkunft in der Halskestraße, sondern trafen sich auch gemeinsam mit Gisela und Heribert von Goldammer, die die beiden als sogenannte Paten dabei unterstützten, in Hamburg Fuß zu fassen und sich einzuleben. Đỗ Anh Lân stellte in dieser Zeit auch einen Antrag, damit seine Mutter aus Vietnam nach Hamburg kommen konnte. Als der Antrag bewilligt wurde und Frau Đỗ Mui in Deutschland eintraf, war ihr Sohn bereits tot. Der achtzehnjährige Đỗ Anh Lân erlag seinen schweren Brandverletzungen einige Tage nachdem zwei Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe mehrere Molotowcocktails durch das Fenster des Erdgeschosszimmers geworfen hatten, in dem er und Nguyễn Ngọc Châu schliefen. Nguyễn Ngọc Châus Verletzungen waren so gravierend, dass er noch am Morgen des 22. August starb. Mitbewohner der Geflüchtetenunterkunft, die das Feuer bemerkt hatten, hatten die beiden noch aus dem brennenden Raum heraustragen können.
Die zwei Täter_innen waren Mitglieder der „Deutschen Aktionsgruppen“, ein terroristisches Netzwerk von Neonazis, das im Jahr 1980 bundesweit bereits eine ganze Reihe von Brand- und Sprengstoffanschlägen begangen hatte, unter anderem auch auf die Gedenkstätte Bullenhuser Damm in Hamburg. Und erst am 17. August waren bei einem Sprengstoffanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft im badischen Lörrach drei Frauen verletzt worden.
Der Anschlag in Hamburg in der Nacht vom 21. auf den 22. August 1980, der Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân das Leben kostete, war keine von langer Hand geplante Tat. Der Entschluss dazu fiel spontan, nachdem Raymund Hörnle und Sibylle Vorderbrügge, die eigentlich aus anderen Gründen in Norddeutschland unterwegs waren, auf einen Artikel im Hamburger Abendblatt aufmerksam wurden. Dieser berichtete empört über die Ankunft einer Gruppe Geflüchteter in Hamburg, die ohne Absprachen zwischen den Behörden von Hessen aus nach Hamburg geschickt worden waren. Die Zeitung beklagte, dass Hamburg bereits überlastet sei und nannte die Adresse der Unterkunft in Billwerder. Zur Zeit des Brandanschlags waren dort ca. 240 Menschen untergebracht.
Nach der Beerdigung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân, die unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit und im Beisein des damaligen Hamburger Ersten Bürgermeisters stattfand, verebbte das Interesse an den Ereignissen des 21./22. August wieder. Angehörige von Nguyễn Ngọc Châu waren der Anklageschrift zufolge als Nebenkläger am Prozess gegen die „Deutschen Aktionsgruppen“, der 1982 am Oberlandesgericht Stuttgart stattfand, beteiligt. Frau Đỗ Mui erfuhr aus der Zeitung, dass die Mörder_innen ihres Sohnes vor Gericht standen. Unterstützung von behördlicher Seite erfuhr sie nie. In Erinnerung ist ihr allerdings der Moment geblieben, als ihr die verbrannten und blutigen Kleidungsstücke ihres Sohnes in einem Plastiksack in die Hand gedrückt wurden. Viele Jahre lang besuchte sie das Grab ihres Sohnes auf dem Friedhof Öjendorf, bis es eines Tages eingeebnet wurde. Die Ruhefrist der Gräber von Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu war abgelaufen.
Außer in den Erinnerungen der Mutter Đỗ Anh Lâns, sicher auch der Familie Nguyễn Ngọc Châus, der von Goldammers und von Menschen wie Thoi Trong Ngu, der den Brandanschlag als Bewohner der Unterkunft erlebte und diese Nacht nie vergessen konnte, existierte danach in Hamburg von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân keine Spur mehr.
Beide hatten wohl kaum lange genug in der Stadt gelebt, um sie als ein Zuhause empfinden zu können. Stattdessen wurden sie zu den ersten einer traurigen Reihe von Opfern rassistischer Morde in Hamburg.
Dass 44 Jahre nach ihrem Tod im Frühling 2024 die Straße, in der sie die letzten Monate ihrer Leben ein Zimmer teilten, in Erinnerung an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in Châu-und-Lân-Straße umbenannt wurde, ist ein wichtiger Schritt im Kampf um ein Gedenken an sie. Seit 2014 setzt sich die „Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân“ dafür ein, dass der jahrzehntelang aus der Öffentlichkeit verschwundene rassistische Mord wieder thematisiert wird, seine Bedeutung für die neuere Geschichte Hamburgs anerkannt und den Opfern angemessen und würdig gedacht wird. Nach der Straßenumbenennung im Mai 2024, der Umbenennung der Bushaltestelle vor Ort im Dezember 2024 und nachdem bereits 2020 auf dem Öjendorfer Friedhof ein Gedenkstein in der Nähe der früheren Gräber von Đỗ Anh Lân und Nguyễn Ngọc Châu errichtet wurde, wird es in Zukunft darum gehen, dass in der Châu-und-Lân-Straße ein Gedenkort geschaffen wird, an dem die Trauer und das Gedenken ebenso einen Raum finden, wie auch die Wissensvermittlung über den Anschlag von 1980. Die Forderung, einen Gedenkort am Ort der Tat zu errichten, verdankt sich dem Wunsch von Frau Đỗ Mui.
Text: "Initiative für ein Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân"