Hamburger Straßennamen -
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Bossardstraße

Steilshoop (1955): Johann Michael Bossard (16.12.1874 Zug /Schweiz -27.3.1950 Jesteburg), Maler, Graphiker, Bildhauer


Über Bossards Herkunft heißt es in Wikipedia: „Johann Michael Bossard war der Sohn des Schlossermeisters Georg Karl und dessen Frau Katharina. Prägend für Bossards späteres Leben waren zwei Ereignisse: der frühe Tod seines Vaters 1882 und der durch eine Scharlachinfektion ausgelöste Verlust seines rechten Auges 1885. (…).“ 1) Bossard durchlief eine Lehre zum Hafner. „Neben der guten handwerklichen Ausbildung unterstützte man hier auch seinen Wunsch nach einer künstlerischen Ausbildung. Zu Ostern 1894 ging Bossard mit einem kleinen Stipendium für Zuger Bürger nach München, besuchte an der Königlichen Kunstgewerbeschule zwei Semester lang die Malklasse bei Julius Hess und wechselte ein Jahr später an die Akademie der Bildenden Künste München zu Wilhelm Rümann. Nach einer in der Zeitung kritisierten Ausstellung in München 1896 übersiedelte er 1899 nach Treptow bei Berlin. Die ersten Jahre in Berlin waren entbehrungsreich, denn er erhielt kein Stipendium mehr, und seine Mutter bedurfte seiner finanziellen Unterstützung.

In Berlin besuchte Bossard die Hochschule für bildende Künste, anschließend die Malklasse von Max Seliger an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums Berlin. 1901 war Bossard an der Berliner Akademie für vier Semester Meisterschüler für Figurenmalerei bei Arthur Kampf.

Es stellten sich bald die ersten Erfolge ein. (…). Durch Vermittlung des Berliner Kunstfreundes Max Lucke erhielt Bossard größere Aufträge, so dass die finanzielle Not beendet war. (…)

Wohl aufgrund seiner Kleinplastiken im neoklassizistischen Stil, mit denen er ab 1906 Erfolg hatte, erhielt Bossard (…) 1907 einen Ruf an die neu organisierte Kunstgewerbeschule (heute Hochschule für Bildende Künste) in Hamburg. Neben seiner Tätigkeit als Professor für Plastik, die er bis 1944 ausübte, schuf Bossard in den Jahren 1909 bis 1911 zahlreiche Plastiken an öffentlichen Gebäuden Hamburgs, die heute noch zu sehen sind, ohne dass der Schöpfer dieser Plastiken in Hamburg bekannt wäre. So [schuf er] (…) u. a. die Schmuckreliefs an den Fassaden des Bernhard-Nocht-Instituts, die Figuren an der Hauptfassade des MARK-Museums und des Curiohauses, (…).

Etwa 1911 hörte er mit diesen Arbeiten in Hamburg auf, möglicherweise da er um diese Zeit auf einem Grundstück in der Lüneburger Heide mit der Gestaltung eines ‚Gesamtkunstwerkes‘ aus Architektur, Landschaftsgestaltung, Plastik, Malerei und Kunsthandwerk begann. Ein derartiges, die verschiedenen Einzelkünste miteinander vereinendes Grosskunstwerk mitsamt einer dort zu verwirklichenden gesellschaftsutopischen Zielsetzung plante Bossard bereits seit Längerem; möglich ist, dass er ursprünglich ein in Berlin erworbenes Grundstück dafür vorgesehen hatte. Auch am Zugersee stellte Frau Adelheid Page (Nestle?) in Cham ihm ein Grundstück zu diesem Zweck zur Verfügung.(…)

1912 begann der Bau des Atelierhauses in Lüllau, das bis 1914 erbaut und eingerichtet wurde. Die Arbeiten wurden durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, an dem Bossard als deutscher Soldat in Frankreich als ‚Schildermaler‘ teilnahm. Auch erneute wirtschaftliche Probleme nach dem Ersten Weltkrieg erschwerten die Verwirklichung seiner Vorstellungen. Auch in der Schweiz waren die Auswirkungen des Krieges zu spüren, und die vorher reichliche Unterstützung durch Adelheid Page (Cham) und auch Emil Hegg (Bern) fielen aus. 1915 begann Bosshard mit Porzellan zu arbeiten.

Ab 1918 begann Johann Bossard, die einzelnen Räume im Atelierhaus systematisch künstlerisch zu gestalten: Möbel und Wandvertäfelungen und Wände wurden bemalt, Textilien und Gebrauchsgegenstände künstlerisch gestaltet, Fenster mit Malereien versehen, Plastiken und Reliefs untergebracht. Die Böden wurden bemalt oder mit gestalteten Teppichen bedeckt,“ 2) ist in Wikipedia nachzulesen.

Johann Michael Bossard war seit 1926 mit seiner Schülerin Jutta Krull (6.7.1903 Buxtehude – 13.10.1996 Lüllau) verheiratet. „Carla Augusta Elsine Dorothea Krull, kurz Jutta genannt, wurde am 6. Juli 1903 in Buxtehude geboren. Sie war das sechste und letzte Kind in der Lehrerfamilie Ernst Krull. 1922 begann sie ihr Studium an der Kunstgewerbeschule in Hamburg.“3) Sie legte ihre Schwerpunkte auf Bildhauerei und Keramik, wobei sie Bildhauerei bei Johann Michael Bossard studierte, der an der Kunstgewerbeschule als Lehrer angestellt war. Als sie einmal gemeinsam mit Kommilitonen „Bossards Wohn- und Atelierhaus in Lüllau [besuchte], (..) lernte sie dessen Gemälde und die Idee kennen, in der Heide ein Gesamtkunstwerk schaffen zu wollen. Nach Studienende plante Krull eine Reise nach Paris, stattete Bossard jedoch zuvor einen Abschiedsbesuch an der Kunstgewerbeschule ab. Ihr ehemaliger Lehrer lud sie während des Besuchs ein, das Wochenende mit ihm in seinem Haus zu verbringen. Dort machte er der fast 30 Jahre jüngeren Krull einen Heiratsantrag. Am Abend der Verlobung erklärte Bossard, einen ‚Kunsttempel‘ bauen zu wollen, der eine ‚Stätte der inneren Einkehr‘ bieten sollte. Krull zeigte sich von der Idee begeistert und widmete ihr folgendes Leben dieser Idee,“ 4) heißt es im Wikipedia-Eintrag zu Jutta Bossard-Krull.

Im August 1926 heiratete das Paar. Kurz nach der Hochzeit schrieb Jutta Bossard-Krull: „Und dann war ich aus der Welt ausgetreten.“ Jutta Bossard-Krull und ihr Mann arbeiteten fortan an ihrem gemeinsamen Kunstwerk „Kunststätte Bossard“. „Zusammen haben sie alles ausgemalt und geschmückt, die Fassaden, die Türen, die Fenster und Oberlichter. Das Atelier ist eine Orgie nordischer Sagen, wo selbst die Heizkörperverkleidung noch bedeutungsvoll ist. Man atmet den zivilisationsmüden, antimodernen Geist jener Jahre, in denen auch Hans Henny Jahnn [siehe: Hans-Henny-Jahnn-Weg] seine Ugrino-Gemeinde gründete (ebenfalls in der Heide, es scheint ein besonderer Boden), eine utopische Künstlerkommune, aus der nie etwas wurde. Auch Bossard hatte wohl die Idee, sein Projekt zu einem Lebenskunstwerk zu machen, in dem der neue Mensch heimisch werden könnte, aber er war dann doch zu sehr am Handwerk interessiert, um ideologisch abzuheben, und man staunt, welche Stile er beherrschte: die akademische Zeichnung ebenso wie einen abstrakten Expressionismus, um dann wieder in einen manchmal sentimentalen Symbolismus zu verfallen,“ 5) schreibt Ulrich Greiner in der DIE ZEIT.

Gleich nach der Hochzeit wurde mit dem Bau des Kunsttempels begonnen und es dauerte zwei Jahre, bis er fertig war. In dieser Zeit lebte das Paar in Hamburg. „Jutta Bossard-Krull fertigte die meisten figürlichen Plastiken, für die sie Keramik, Holz und Bronze verwendete. Außerdem schuf sie die kunstgewerblichen und textilen Gegenstände. Johann Michael Bossard erstellte währenddessen großformatige Gemälde und widmete sich Metallarbeiten,“ 6) erklärt Christiane Rossner im monumente online Magazin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Christiane Rossner schreibt über das Leben der Bossards in ihrer Kunststätte: „Bossards lebten ihre Kunst. Zugleich war ihr Haus ein sehr gastfreundlicher Ort. Verwandte und Freunde waren bei dem Künstlerehepaar gern und oft gesehene Gäste, die dort zwischen Kunst, Hühnern, Schafen, Hunden und Katzen ein naturverbundenes und unge­zwungenes Leben führen konnten. (…). Den gesamten Haushalt führte von 1929 bis 1979 Wilma Krull, eines von fünf Geschwistern der Künstlerin, die von ihr sagte: ‚Wilma ist das Beste, das ich in meine Ehe eingebracht habe.‘“ 7)

„Nach der Zerstörung Hamburgs im Rahmen der Operation Gomorrha verlegte das Ehepaar seinen ständigen Wohnsitz nach Jesteburg,“ 8)

„Nach dem Tode Bossards im Jahr 1950 lag seiner Frau Jutta sehr daran, das umfangreiche Lebenswerk ihres menschenscheuen Mannes, das über 7.000 Kunstwerke umfaßt, bekannt zu machen. Sie, die Kontaktfreudige, die Energische, hatte ihm oftmals nahegelegt, mehr die Öffentlichkeit zu suchen. Johann Michael Bossard aber war nicht umzustimmen: ‚Die Meinen werden mich schon finden.‘ Beide Künstler sind mit Sondergenehmigung auf dem Grundstück beigesetzt,“ 9) so Christiane Rossner.

„Im November 1995 ging die Anlage und der gesamte Besitz in die ‚Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard‘ über. Damit sicherte Jutta Bossard-Krull den Erhalt der Anlage über ihren Tod hinaus.“ 10) Aber erst im Jahre 2020/2021 und zwar anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der „Stiftung Kunststätte Johann und Jutta Bossard“ wurde die Stiftungsgründerin mit einer Ausstellung gewürdigt, in der sie die „Hauptperson“ ist: „Jutta Bossard-Krull: Bildhauerin. Ehefrau. Nachlass-Hüterin“.

Johann Bossard und Nationalsozialismus
Johann Bossard, der von 1907 bis Ende Juli 1944 Lehrer für Plastik an der Kunsthochschule in Hamburg gewesen und Ende Juli 1944 wegen Alters und Krankheit ausgeschieden war, trat in der Zeit des Nationalsozialismus nicht der NSDAP bei. Er war zwischen 1936 und 1939 Mitglied der NSV (Nationalsozialistische Volksfürsorge). Bossards Entnazifizierung endetet mit: „Keine Kategorisierung.“ 11). Auch Jutta Bossard-Krull war nicht der NSDAP beigetreten.

Anlässlich eines geplanten Museumsbaus bei der Bossardkunststätte wurde 2020 nochmals die Frage nach Bossards Einstellung zum Nationalsozialismus diskutiert. Thorsten Landsberg schrieb dazu am 22.4. 2020 unter der Überschrift „Umstrittenes Museum: Anwohner fürchten rechte Pilgerstätte. In der Lüneburger Heide soll ein neues Museum entstehen – angebunden an die Kunststätte Bossard. Deren Erbauer war Antisemit und Anhänger Adolf Hitlers. Kritiker fürchten nun einen Wallfahrtsort für Rechtsextreme“: „(…) Johann Bossard war, so geht es aus seinen Schriftwechseln hervor, Antisemit und ein glühender Verehrer Adolf Hitlers. Bossard lehnte die Weimarer Republik ab, weshalb er sein Anwesen ab 1921 zu einem Gesamtkunstwerk ausbaute, das er als Keimzelle der Gegenkultur verstand. In der Machtergreifung der Nazis 1933 sah er den erhofften politischen Wandel, wenig später ließ er ein Hakenkreuz in den Mosaikfußboden seines Wohnhauses legen. Die Leiterin der Kunststätte, Gudula Mayr, hat in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass Bossard nie Mitglied der NSDAP gewesen sei. 2018 lief in der Stiftung ein Forschungsprojekt über Johann Bossard und seine Ehefrau Jutta in der NS-Zeit. Im Ergebnis hieß es, dass die Ideenwelten des damaligen Kunstprofessors ‚völkisch-esoterischen Denktraditionen‘ entsprachen und Bossard die ‚nationalsozialistischen Verheißungen‘ begrüßte, darunter die ‚Visionen eines 'Neuen Menschen' und einer großen deutschen Zukunft‘.

Als Bossard im Verlauf der 1930er-Jahre erkennen musste, dass die Nazis für expressionistische Kunst nichts übrighatten, nahm seine Bewunderung wohl ab.. (…)“ 12)

Wulf Denecke geht in seiner Rezension der beiden Bücher „Johann Bossard. Texte aus dem Nachlass“, hg. von Gudula Mayr und „‘Über den Abgrund des Nichts‘. Die Bossards in der Zeit des Nationalsozialismus“ näher auf das Verhältnis Bossards zum Nationalsozialismus ein. Er schreibt: „Der Leiterin der Kunststätte (seit 2009) Gudula Mayr, ist es zu verdanken, dass die Bossareds nunmehr mit Verspätung im Sinne der ‚Entnazifizierungsmaßnahmen‘ der Nachkriegszeit gewissermaßen als ‚Mitläufer‘ eingestuft und damit weitgehend als entlastet gelten können. Mochte Johann Bossard auch jahrelang in der Hoffnung gelebt haben, dass seine Kunstauffassung mit der der NSDAP im Einklang stehe – spätestens 1934 nach einem enttäuschenden Besuch Alfred Rosenbergs in Jesteburg und einer Rede Hitlers, in der dieser einem völkischen Germanenkult eine Absage erteilte, erkannte Bossard, dass ‚seine Kunst nicht den nationalsozialistischen Vorstellungen entsprach‘ (Bd.17, S. 18). Und er meinte offensichtlich seine anfängliche Begeisterung für die politische ‚Bewegung‘, als er einem Freund schon im selben Jahr schrieb: ‚Unter die übrigen Angelegenheiten, die noch vor kurzem so wichtig schienen, habe ich einen dicken Strich gezogen‘. (ebd. S. 19) Folgerichtig erklärte er nach eineinhalbjähriger Mitgliedschaft bereits wieder seinen Austritt aus dem NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund), was durchaus auch nachteilige Folgen für ihn hätte haben können. Aber deutlicher als diese Belege zeigen die beigefügten Abbildungen, die unter den Titeln ‚Das Menschenbild im Spannungsfeld von Idealisierung, Abbildhaftigkeit und Abstraktion‘ und ‚Nordgläubigkeit‘ von derselben Verfasserin eingeführt werden, dass die expressive Kunst Johann Bossards ihm die Gelegenheit bot, mit ihr in die ‚innere Emigration‘ zu gehen, um sich nach Möglichkeit ganz der Ausgestaltung seiner sozialutopischen Insel bei Jesteburg zu widmen. Im ‚Dritten Reich‘ der Nationalsozialisten hatte er mit ihr und ihrem mythologischen Überbau keine Chance, Anerkennung zu finden.“ 13)

Wulf Denecke befasst sich in seiner oben erwähnten Rezension auch mit Frank-Lothar Krolls Aufsatz „‘Alles in allem ist die Politik doch ein leidiges Kapitel‘. Johann Michael Bossard, das Dritte Reich und die nationalsozialistische Weltanschauung“, der im Buch von Gudula Mayr veröffentlicht ist: „Unter der Überschrift, ‚Begrenzte Annäherungen und enttäuschte Hoffnungen‘ zeigte auch er, wie schnell der Künstler auf Distanz zum Regime ging. Sowohl in Bezug auf den Rassebegriff der Nazis und dem darauf gegründeten Antisemitismus als auch im Blick auf Bossards Siedlungsutopien, die er ebenfalls im Umkreis seines Anwesens zu realisieren gedachte, lassen sich keine Übereinstimmungen feststellen zu den gewalttätigen Grundsätzen der deutschen Diktatur, die sich verhängnisvoll auswirkten in den Kerninhalten: Rassismus, Antisemitismus, Lebensraumideologie und Ostexpansion. So gelangt er zu einem verhaltenen Freispruch für einen der zahlreichen ‚Unpolitischen‘, die dem ‚neuen Regime […] mit wachsender Reserve und Distanz begegneten, sich mit ihm arrangierten, ohne sich ihm anzudienen‘, was zwar nicht vorbildlich, aber auch nicht unbedingt verwerflich gewesen sei.“ 14)

Kommen wir zurück zu dem geplanten Museumsneubau bei der Bossardkunststätte. Dazu schreibt Thorsten Landsberg: „Der Neubau soll als Kunsthalle der Lüneburger Heide die Kunst- und Kulturgeschichte der Region ab 1830 abbilden‘, sagt Gudula Mayr Darüber hinaus seien Räume für aktuelle Ausstellungen mit moderner und zeitgenössischer Kunst, für Bildungsangebote sowie eine Dauerausstellung über das Künstlerehepaar Bossard geplant. ‚Diese Dauerausstellung soll auch über die politische Gesinnung Bossards informieren und diese im Kontext zu seiner Kunst einordnen.‘ Dieser Aspekt könne in der Kunststätte momentan nicht umfänglich beleuchtet werden, weil es dafür an Räumlichkeiten fehle, sagt Mayr. (…).“ 15) (mehr über das geplante Museum in diesem Artikel von Thorsten Landsberg)