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nach Personen benannt

Hans-Henny-Jahnn-Weg

Uhlenhorst (1966): Hans Henny Jahn (17.12.1894 Hamburg-Stellingen – 29.11.1959 Hamburg), Schriftsteller, Orgelbauer, 1950 Mitbegründer der Akademie der Künste, deren Präsident bis zu seinem Tode.


1089 Hans Henny Jahnn Grabstelle
Grabstätte von Hans Henny Jahnn und Ellinor Jahnn auf dem auf dem Nienstedtener Friedhof; Quelle: Günter Stello

Hans Henny Jahnn war der Sohn von Elise Marie Charlotte Jahn, geborene Petersen und des Schiffszimmerers Gustav William Jahn. Seit seiner Jugend war Jahnn ein überzeugter Pazifist. „Bereits 1913 verfasste er ein Antikriegsdrama unter dem Titel ‚Der Auszug‘, in dem es heißt: ‚Die brauchen unser Blut, um sich und ihre Habe zu schützen, und sie treten uns zum Dank mit Füssen! … Wir aber wollen nicht; wir wollen uns und unsere Kinder nicht schlachten lassen; wir wollen kein Heer und keine Flotte!‘.“ 1)

Nach dem Abitur, das er 1914 an der Oberrealschule Kaiser-Friedrich-Ufer in Hamburg Eimsbüttel absolvierte, emigrierte er 1915 mit seinem Freund Gottlieb Harms (1893–1931) nach Norwegen, um dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg zu entkommen. Nach dem Krieg kehrten die beiden 1918 zurück nach Hamburg.

Für kurze Zeit wohnte Jahnn auf dem Land bei Eckel. „Hier lebte er mit Gottlieb Harms und Franz Buse (1900–1971, damals Bildhauer) zusammen.“2)

Mit Gottlieb Friedrich Harms war er: „seit 1913 eng verbunden (der 19. Juli 1913 galt ihnen als ihr Hochzeitstag). Jahnn bezeichnete die Freundschaft zu Harms als ‚das nachweislich größte Ereignis meines Lebens‘.“ 3) Jahnn schreibt in sein Tagebuch: „Wir haben die wunderherrlichste Hochzeit, die es überhaupt nur geben kann, gefeiert: mein herzallerliebster Friedel und ich! nun gehören wir für immer und ewig zusammen – und wir lieben uns so über alles! War das eine wunderherrliche Hochzeitsnacht! Wir beide lagen in einem Bett und küßten uns und freuten uns so maßlos und wußten: jetzt sind wir eins, jetzt sind wir eins! So maßlos ist das Glück, daß ich nicht Worte weiß dafür. Ich möchte sagen: Das Glück ist so schön wie die allprächtige Sonne, wenn sie aus dem Meere aufsteht; aber es ist schöner! Es ist so schön wie die Seligkeit. Und das gab uns Gott, da ich mit ihm haderte und stritt und trotzig gegen ihn war. – Das gab er, sobald ich demütig und klein vor ihm wurde. Was alles wird er noch geben! (Tagebucheintragungen in Norddorf auf Amrum, 20.7.1913).

„Wir haben unsere Hochzeit gefeiert, - haben uns gestritten, wer Mann, wer Frau sein sollte. Wir machten viele Proben; aber bald war’s so, bald anders. Da lachte Friedel: Wir sind ja beide Männer. Aber eine Ehe ist es doch – und sie ist ewig, denn sie ist vor Gott geschlossen. (Tagebucheintragungen in Wittdün auf Amrum, 20.7.1913).“ 4)

„In dieser Zeit entwarf er mit seinen Freunden das groß angelegte Projekt einer Künstler- und Lebensgemeinschaft, das sie Ugrino nannten. Diese Gemeinschaft entstand – wie viele ähnliche Gruppen in der Weimarer Republik – aus dem Bedürfnis nach neuer Sinnstiftung und als Alternative zu der von vielen als enttäuschend empfundenen Situation nach dem Ersten Weltkrieg. Die Gemeinschaft Ugrino wollte Kunstwerke aller Art erhalten und neue schaffen. Jahnn plante und zeichnete monumentale Kultbauten in der Tradition der mittelalterlichen Bauhütten. Er erwarb mehrere große, zusammenhängende Grundstücke mit der Unterstützung wohlhabender Freunde und Förderer. Das Projekt scheiterte an den gigantischen Kosten des Landkaufs und den utopischen Plänen eines zeittypischen ‚Lebensreformentwurfes‘. Architekturpläne und sehr präzise Vorgaben zur Ausformung der kultisch und autoritär geprägten Lebensführung sind in der Ugrino-Satzung im Nachlass Jahnns enthalten.“5)

1921 gründete Jahnn den Ugrino-Verlag. Gottlieb Friedrich Harms wurde Oberleiter des Verlages und verantwortlich für die Musikeditionen „Finanziell unterstützt wurde Jahnn von Friedrich Lorenz Jürgensen, Speditionskaufmann und Mitbegründer des Eckeler Kreises wohlhabender Homosexueller: Jahnn behauptete, er habe Jürgensen zunächst abgelehnt – als Homosexuellen, der ihm zu nahegetreten sei.“6)

1926 heiratete Jahnn die Gymnastiklehrerin Ellinor Philips (16.6.1893 München – 27.4.1970 Hamburg). Sie war Mitglied einer Wandervogelgruppe, die sich im Haus in Eckel trafen. „Die Beziehung zwischen Jahnn und Harms fand durch Ellinor anfangs eine unkonventionelle Erweiterung. Ellinors Lebensauffassung ließ es zu, eine Dreiecksbeziehung einzugehen.“ 7)

Zwei Jahre nach der Hochzeit von Hans Henny Jahnn und Ellinor Philips heiratete Gottlieb Harms Sibylle Philips, die Stiefschwester von Ellinor. Dazu notierte Jahnn 1930: ‚Jahnn lebt auch heute noch mit seinem Freunde Harms zusammen. Um dem Naturgesetz zu entgehen, daß Männerfreundschaften an der Frau zerschellen, haben sie zwei Schwestern geheiratet.“ 8)

1929 wurden Hans Henny Jahnn und Ellinor Jahnn Eltern einer Tochter, die sie Signe (1929-2018) nannten. „Die außergewöhnliche, durch Nähe und Distanz, aber auch Sorge füreinander gekennzeichnete offene Ehe ohne Tabus hielt 33 Jahre bis zum Tod Hans Henny Jahnns. Dies geht aus den Briefen Jahnns an seine Ehefrau hervor. (…) Ellinor unterhielt auch eine freundschaftliche bis intime Beziehung zu Gottlieb Harms und unternahm mehrere Reisen mit ihm. (…).“ 9)

Jahnns Gedanken zur geschlechtlichen Liebe zwischen Mann und Frau gab er in seinen Tagebucheintragungen vom 13.9.1915 wieder: „‘In der geschlechtlichen Liebe kommt dem Mann die Funktion der Zeugung, der Frau die der Geburt zu. Nach den Naturgesetzen ist oberster Zweck die Fortpflanzung.‘ „Dieses vom Christentum zum Dogma erhobene Naturgesetz der Fortpflanzung läßt die Einzelschicksale für Jahnn in dramatische Konstellationen münden. ‚Diese Religion ist so unnatürlich, daß sie angesichts einer übervölkerten Erde natürliche Fortpflanzung fordert.‘ (Jahnn an Sibylle Harms. o. O. Hamburg, 15.4.1935.) Für Jahnn kann Liebe in der Fortpflanzung nicht ihren Sinn und Zweck finden. ‚Warum habt Ihr Euch darauf gelegt, das Norm zu nennen, wenn ein Mann sein Glied in den Schoß einer Frau einführt? Die Norm gibt es nicht. Es sind Qual und Not und Lust und Liebe zu einem Strick zusammengeflochten.‘ (Tagebucheintragungen vom 13.9.1915). Die Männlichen Protagonisten in seinem Werk fühlen sich von dieser Norm bedroht. Der Zwang, sich dem Gesetz von Zeugung und Fortpflanzung zu unterwerfen, läßt die Beziehung zum weiblichen Geschlecht in Angst und Gewalt umschlagen. (…).

Wie sehr die Bedrohlichkeit durch Fortpflanzung und Schwangerschaft von Jahnn real empfunden und gelebt wurde, zeigt ein Paragraph aus den Satzungen der Glaubensgemeinde Urgrino: ‚Frauen sind von der Oberleitung – auch als Freunde – ausgeschlossen, weil sie Kinder gebären können.‘“ 10)

Für Ellinor soll sich das Zusammenleben mit Jahnn nicht einfach gestaltet haben. „In einer autobiographischen Skizze aus den fünfziger Jahren kommt die Kompliziertheit der Beziehung unverhohlen zum Ausdruck. Es heißt: ‚Fördernde Erlebnisse waren für mich (selbst wenn ich sie nicht bewältigte), daß ich in den Bannkreis Jahnns kam.‘ (Ellinor Jahnn, Lebenslauf, undatiertes Typoskript, ca. 1955).‘“ 11)
Und Hans Henny Jahnn äußerte gegenüber seiner Ehefrau über die gemeinsame Beziehung. „Wir haben es miteinander ausgehalten, und ich bin sogar dabei, die unabänderlichen Gegensätze zwischen uns, die so verschiedene Veranlagung in den praktischen Dingen des Daseins, einfach als Tatsache hinzunehmen und sie unerheblich zu finden. Weil es eben gewaltige positive Beziehungen zwischen uns gibt, die wir zu betonen oder auch nur anzuerkennen nur allzu oft unterlassen.‘“ 12)

Die Zeit des Nationalsozialismus
Bereits vor 1933 hatte Jahnn vor den Nationalsozialisten gewarnt und war 1931 der linksgerichteten Radikaldemokratischen Partei (RDP) beigetreten.

„Während Jahnns Verfechter die Modernität seines Schreibens hervorhoben, attackierten rechtskonservative Kritiker seine Texte als ästhetische und moralische Perversionen. Der Völkische Beobachter verunglimpfte den Autor in einer Rezension seines großen Prosawerkes Perrudja (Berlin 1929) als ‚modernen Klassiker des Unappetitlichen‘ und den Roman selbst als ‚Exkrement-Literatur‘. (19.11.1932).“13)

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gab es zwei Hausdurchsuchungen bei ihm. Jahnn verließ mit seiner Ehefrau Ellinor, die jüdischer Herkunft war, Deutschland und „lebte von 1934 an als Landwirt und Pferdezüchter auf der dänischem Insel Bornholm. Allerdings betrachtete Jahnn sich nicht als Emigrant und gab auch die Hoffnung, seine Bücher in Deutschland veröffentlichen zu können, nie auf. Er war der Meinung, nur in Deutschland als Schriftsteller eine Existenzgrundlage zu haben. (…) Noch 1933 unternahm Jahnn einige Anstrengungen, den vom Völkischen Beobachter verbreiteten ‚Verdacht‘, er sei Jude, zu widerlegen, und schreckte auch nicht davor zurück, seine Bücher als ‚typisch germanisch‘ und ‚urdeutsch‘ anzupreisen. In einem Brief an den Hamburger Verleger Henry Goverts schrieb Jahnn im August 1937: ‚Es ist keines meiner Werke verboten; es besteht auch nicht die Absicht, irgendein Verbot zu erlassen. Der Perrudja ist im Auftrage der Partei und des Ministeriums für Propaganda gelesen worden, der Gewährsmann hat das Buch hervorragend gefunden. Auch Herr Minister Göring soll es kennen.‘ Dennoch ist keines der nach 1933 entstandenen Bücher im nationalsozialistischen Deutschland veröffentlicht worden.“ 14)

Jahnn war in der NS-Zeit Mitglied im Reichsverband deutscher Schriftsteller und der Folgeeinrichtung der Reichsschrifttumskammer, Ausgeschlossen wurde er aus ihr 1938, und zwar mit der Begründung, dass er zu lange nichts veröffentlicht habe.

Auf Bornholm lebte Jahnn mit seiner Geliebten der Bauhaus-Fotografin Judit Kárász (21.5.1912 Szeged/ Österreich-Ungarn – 30.5.1977 Budapest) zusammen. Die beiden hatten sich 1934 in Hamburg kennengelernt. Sie gehörte in den 1930er Jahren zu den bedeutenden Vertreterinnen und Vertretern der sozialdokumentarischen Fotographie Ungarns. „Aus ihrer sozialistisch geprägten jüdisch-ungarischen Familie brachte sie kritisches Engagement mit nach Deutschland. Zwei Umstände aber verliehen Jahnns Beziehung zu [ihr] etwas besonderes. Sie wurde von Ellinor und der familiären Gruppe anerkannt und in die Gemeinschaft integriert. (…) Die äußere Gefährdung z. Zt. des deutschen Faschismus, insbesondere der Zwang zur Verheimlichung von Judits jüdischer Herkunft, ist der andere Umstand, der diese Beziehung in besonderem Maße prägte.“ 15)

Die Bauhaus Kooperation schreibt über Judit Kárász Werdegang u. a.: „Mit Eintritt ins Bauhaus engagierte sich Kárász aktiv in der Kostufra (Kommunistische Studentenfraktion). Aufgrund ihrer offenen politischen Aktivitäten (sie wurde beim Drucken von Propagandamaterial erwischt), und hiermit verbundenen permanenten Auseinandersetzungen mit den rechts-nationalen Kräften in Dessau, wurde Kárász zusammen mit anderen Bauhäuslern im März 1932 des Bauhauses und des Landes Sachsen-Anhalt verwiesen.

Der Weg der jungen Fotografin führte sie zunächst in die Metropole Berlin, zu diesem Zeitpunkt ein zentraler Treffpunkt freidenkender Künstler und Intellektueller. Zunächst fand Kárász hier eine Anstellung als Laborassistentin bei der renommierten Deutschen Photoagentur (DEPHOT), (…). Kárász kehrte zwischen 1931 und 1933 in regelmäßigen Abständen zurück zu ihrer Mutter in die Heimat Szeged. Hier lernte sie junge ungarische Soziografen kennen, die objektive Beobachtungen ihres unmittelbaren Umfelds durchführten und nach Zusammenhängen in den gesellschaftlichen Verhältnissen suchten. 1932–1933 wurde Kárász Mitglied des Kollegs der Szegediner Jugend (Teil der ungarischen ‚Dorf-Erkundungs-Bewegung‘). In diesem Rahmen produzierte sie Fotoreportagen über ländliche Regionen in Süd-Ungarn und wurde zu einer der bedeutendsten und populärsten Protagonistinnen der ungarischen Dokumentarfotografie: (…).

Nach kurzen Aufenthalten in Bad Harzburg und Köln suchte die jüdische Sozialfotografin Kárász aufgrund des erstarkenden Nationalsozialismus Asyl in Dänemark, kurz in Kopenhagen, dann auf der Insel Bornholm. Dort lebte sie mit dem deutschen Schriftsteller und Orgelbauer Hans Henny Jahnn (mit dem sie eine langjährige turbulente Affäre hatte) und seiner Familie erst auf Bondegård in Rutsker und während des Krieges im nahe gelegenen Haus Granly. Ihre fotografischen Aufnahmen beschränkten sich während dieser Zeit fast ausschließlich auf private Momente. Lediglich einen Artikel von Jahnn über ‚Die Insel Bornholm‘, der 1941 in der Zeitschrift Atlantis erschien, illustrierte Kárász mit eigenen Fotografien unter den Namen ‚Jahnn und Türckfoto‘ (zu dieser Zeit war es undenkbar, unter jüdischem Namen zu publizieren). Um die dänische Staatsbürgerschaft zu erlangen, heiratete Kárász 1939 den Kunstmaler Hans Helving, eine Zweckheirat. (…).

Im Dezember 1949 kehrte sie aus politischer Überzeugung in die Heimat Ungarn zurück. 1950 bis 1968 arbeitete die ehemalige Bauhäuslerin als Fotografin am Kunstgewerbemuseum in Budapest, für das sie in fast zwanzig Jahren Tausende von Fotos von Interieurs und Kunstwerken aufnahm und an zahlreichen Fotopublikationen mitwirkte.“ 16) Nachdem Judit Kárász erfuhr, dass sie an Krebs erkrankt war, nahm sie sich das Leben.

Die Beziehung zwischen Jahnn und Judit Kárász dauerte fünf Jahre an. Jahnn erklärte sich das Scheitern der Beziehung darin, dass er eine heterosexuelle Beziehung auf Dauer nicht leben könne.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus
„1950 kehrte Jahnn zurück nach Hamburg und bewohnte bis zu seinem Tod das Kavaliershaus im Hirschpark (…). Er setzte sich als Pazifist vor allem gegen die Entwicklung von Kernwaffen, die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und gegen Tierversuche ein. Er lehnte ebenso die zivile Nutzung der Kernenergie ab, weil er die Lagerung des atomaren schon damals für unverantwortlich hielt. Jahnn war Mitbegründer und erster Präsident der Freien Akademie der Künste in Hamburg.“ 17)

Jahn war ein scharfer Kritiker der Völkerschauen von Carl Hagenbeck (siehe: Hagenbeckallee und Hagenbeckstraße). „In seinem Roman ‚Fluß ohne Ufer‘ heißt es über die ‚(…) Menschenschau. Das bedeutete, eine Handelsagentur oder der Impressario für willenlose, halbverkaufte, halbbestochene Menschen vermittelte einer Gruppe von Afrikanern, Indios, Südseeinsulanern oder Ceylonesen‘.“ 18)
Hans Henny Jahnn wurde auf dem Nienstedtener Friedhof in Hamburg bestattet zwischen Gottlieb Harms und Ellinor.