Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Dursun-Akçam-Ufer

Wilhelmsburg (2015): nach Dursun Akcam (12.7.1930 Ölcek – 19.9.2003 Ankara), türkischer Lehrer, Gewerkschafter, Buchautor, Publizist, Menschenrechtler, politischer Flüchtling, Kulturarbeiter der Bücherhalle Wilhelmsburg.


Dursun Akçam wurde 1930 in dem Dorf Ölçek nahe der Kleinstadt Ardahan im Nordosten der Türkei geboren. Die Region Kars-Ardahan galt in jeglicher Hinsicht als unterentwickelt und so kam es in der Zeit seiner Kindheit und Jugend immer wieder zu Hungersnöten mit unzähligen Opfern. Dadurch konnten auch nur sechs der dreizehn Kinder seiner Eltern überleben. Als Kind erwuchs in ihm der Wunsch, Lehrer zu werden, indes war er zunächst Landarbeiter. Die schwere Feldarbeit, die damals noch weitestgehend von Hand erledigt werden musste, verarbeitete er 1955 in seinem ersten Roman unter dem Titel „Komödie“. Dieser Roman war der Anfang einer systematischen Aufarbeitung eigener Lebenserfahrungen, verbunden mit einer präzisen Beobachtungsgabe des Lebens im Nordosten Anatoliens, wo der Kampf gegen Naturgewalten, Hunger und Elend sowie die strengen Regeln eines geschlossenen Gesellschaftssystems unter dem Druck von Religion, Verwaltung und Großgrundbesitzern den Alltag der Dorfbewohnerinnen und -bewohner bestimmten. Dursun Akçam fühlte sich den Menschen dort zutiefst verbunden, und er setzte ihnen in seinem literarischen und später journalistischen Werk Denkmäler. Von 1945 bis 1950 absolvierte er eine Lehrerausbildung am „Eğitim Enstitüsü“, danach folgten Anstellungen als Lehrer an verschiedenen Dorfinstituten seiner Heimatregion. Zwischen 1956 und 1958 studierte Akçam Literaturwissenschaften und arbeitete danach an verschiedenen Schulen seiner Heimatregion als Lehrer und später auch als Rektor bevor seine Familie dann 1963 nach Ankara zog und er 1971 verhaftet wurde. Dursun Akçam kam nach dem Militärputsch 1971 wegen seiner Funktion als 2. Vorsitzender der Lehrergewerkschaft in Haft. Nach seiner Entlassung aus der Haft wurde Akçam auch von seiner Arbeit suspendiert, kurze Zeit später jedoch wieder eingestellt, aber nun in entlegene Gebiete der Türkei entsandt. Aus den ständigen Repressalien seitens seines Arbeitgebers, der türkischen Schulbehörde, zog Akçam die Konsequenz seine Arbeit als Lehrer zu quittieren und als freier Journalist zu arbeiten.

Im Fokus seiner journalistischen aber auch literarischen Arbeiten stand die Verbesserung der Lebensverhältnisse seiner Landsleute, gerechtere und verbesserte Bildungschancen, die Gleichstellung von Frau und Mann in der türkischen Gesellschaft, aber auch die Suche nach Wegen zu mehr Prosperität für seine Heimatregion. 1979 gründete Dursun Akçam mit anderen den „Demokrat“, eine linksliberale Tageszeitung. Nach dem 3. Militärputsch in der Türkei 1980 wurde der „Demokrat“ verboten. Sein 1980 veröffentlichtes Buch „Alaman Ocagi“ (Deutsches Heim - Glück allein), das vom alltäglichen deutschen Rassismus gegenüber Akçams Landsleuten handelt, wurde ebenfalls von der Militärjunta verboten. Akçam wurde angeklagt, mit diesem Buch die nationalen Gefühle verletzt und die Türkei beleidigt zu haben. Gegen ihn wurde ein bis 1991 geltendes Einreiseverbot verhängt. Seine Familie konnte Dursun Akçam für die Zeit seines Exils in Hamburg nicht wiedersehen.

In seinem Hamburger Exil publizierte Dursun Akçam den „Demokrat Türkiye“, und mit Hilfe von Rene und Heinrich Böll gelang es ihm 1982, „Alaman Ocagi“ zweisprachig zu veröffentlichen. Obwohl Dursun Akçam in materieller und ideeller Hinsicht viel Schützenhilfe durch die deutsche Tageszeitung die taz erhielt, gelang es ihm nicht, an seine publizistischen Erfolge in der Türkei anzuknüpfen. Durch Vermittlung prominenter Hamburger, wie Freimut Duve und Dr. Bodo Schümann, fand Akçam eine Anstellung bei den Bücherhallen Wilhelmsburg und Kirchdorf. Seine Aufgaben waren die Bestandspflege der türkischen Literatur, die literarische Beratung türkischsprachiger Kundinnen und Kunden und das Vorlesen für Kinder und Jugendliche. Der bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bücherhalle als höchst geschätzter und ebenso eloquente Akçam baute die Verständigungsschwierigkeit mit seinen Landsleuten ab und die Kontakte zu türkischen Initiativen und Institutionen aus. Er organisierte zweisprachige Dichterlesungen bekannter türkischer Autoren, sowie Kunstausstellungen und in Zusammenarbeit mit dem Bürgerhaus Wilhelmsburg, Gedicht-, Aufsatz-, Vorlese- und Malwettbewerbe für Schülerinnen und Schüler Wilhelmsburger Schulen und internationale Feste mit hochkarätiger musikalischer Begleitung. In seiner Zeit auf Wilhelmsburg erwies er sich als Brückenbauer zwischen den Kulturen.

Dursun Akçam ging nach seiner Pensionierung 1995 zurück in die Türkei und gründete 1999 mit anderen die Menschenrechtsstiftung TIHAK: Türkiye İnsan Hakları Kurumu. Dursun Akçam war zeitlebens ein starker Raucher und so starb er an den Folgen einer Krebserkrankung 2003 in Ankara.

Text: Marco Moreno